Predigt     1. Johannes 4/16b-21     1. Sonntag nach Trinitatis     29.05.16

"Keine Angst vor der Liebe!"
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)
 

Liebe Leser,

die Schriftstellerin, Literaturkritikerin und Fernsehmoderatorin Elke Heidenreich schreibt in ihrem Buch „Kolonien der Liebe“:

„Meine Mutter sagte immer: Hör bloß auf mit deinen saublöden Liebesgeschichten und mach lieber deine Schularbeiten. Die Liebe behauptete sie, sei ein Scheißdreck, ein einziger gigantischer Schwindel, und ich sollte mir doch nur meinen Vater ansehen. Ich hatte selten Gelegenheit mir meinen Vater anzusehen – er war fast nie da.“

In diesem Zitat steckt jede Menge Hoffnung und Schmerz, Traum und Enttäuschung. Jeder von uns zeichnet das alles auf seine Weise in seiner Lebensgeschichte und Erfahrung nach. Schon in der Kindheit beginnt es. Haben Sie ihre Eltern als erotische Menschen, als Liebende erlebt? Was ist Ihre Entwicklung und Geschichte als liebender Mensch? Was ist aus Ihrer großen Liebe geworden? Können Sie die Wut und Enttäuschung nachempfinden, die aus der zitierten Mutter spricht? Die Liebe, ein einziger gigantischer Schwindel?

Ich denke es ist gut, wenn wir auch alle diese Erfahrungen um unseren heutigen Predigttext versammeln, denn sie versammeln sich ja ganz von selbst, wenn wir hören: Gott ist die Liebe.

Nein, es sind nicht bloß geistliche Wünsche und Sehnsüchte, die Legionen von Konfirmanden sich diesen Spruch wünschen lässt. Auch bei Trauungen steht er auf Platz eins. Zur Taufe und zum Hochzeitsjubiläum soll er dann wieder bedacht werden. Sehr weltliche Wünsche und Sehnsüchte schwingen da mit.

Und Enttäuschung wohl auch, zumindest die Angst davor. Furcht die Liebe zu verlieren oder zu verfehlen. Sie gar nicht erst zu finden. Ein Leben ohne Liebe ist sinnlos. Auch religiöse Analphabeten haben heute noch eine Ahnung davon, dass die Erfahrung, nicht geliebt zu sein, in ihrer Größe und Bedeutung der Erfahrung der Gottverlassenheit entspricht.

Und drum kann und darf, weder hier noch sonst wo die Liebe Gottes so gelobt und gepredigt werden, dass gleichzeitig die menschliche Liebe der Hoffnungslosigkeit überlassen wird. Es ist mehr als ein Verdacht, dass die christliche Geringschätzung, Verdächtigung und Verhöhnung der menschlichen Liebe auch den Begriff der Liebe Gottes beschädigt hat und weiter beschädigt. Es ist offensichtlich, dass die christliche Sprachlosigkeit über die menschliche Liebe, auch den Begriff der Liebe Gottes meist nur in kirchlichen und dogmatischen Leerformeln, also ebenfalls recht sprachlos und nichtssagend, zur Sprache bringen kann.

Wenn wir ernst nehmen, dass man von Gott nur in menschlichen Bildern reden kann, wird die Rede von Gott leer, wenn den menschlichen Bildern das Leben ausgeht. Was wäre Elke Heidenreich als Kind wohl zu Gott dem Vater eingefallen? „Ich hatte selten Gelegenheit mir meinen Vater anzusehen – er war fast nie da.“ In einer vaterlosen Gesellschaft wird die Predigt von Gott dem Vater wortwörtlich „vorbeitreffen“. Theologisch treffend und die Hörer können die Augen kaum offen halten. Auch so ein einziger gigantischer Schwindel.

Gott ist die Liebe und auch wir sind zumindest alle Geschöpfe der Liebe, selbst wenn sie unseren Eltern und uns nur in Kümmerform begegnet ist. Über die Erlösungsbedürftigkeit unserer Liebe haben wir alle früher oder später Erfahrung gesammelt. Wir beklagen die zunehmende Vereinsamung bei gleichzeitiger pornographischer Rundumversorgung. Weltweit wird die Potenzpille Viagra gefeiert, die nichts anderes ist als der Sieg eines unbarmherzigen Leistungsprinzips selbst in der Liebe und ein Symptom der allgegenwärtigen Angst vor dem Versagen. Wer’s nicht bringt, fliegt raus.

Darum hört, ich predige Euch heute den Gott, der Liebe ist, indem er mir und Dir ein Vater und eine Mutter wird, die sich bedingungslos zuwendet und ewig Zeit hat. Als er die Welt machte, gab er seiner Schöpfung nur einen einzigen Pfeiler: Die Liebe. Als er sah, wie Du diesen Halt verlorst und ein in dich selbst verkrümmter Mensch wurdest, kam er im Christus auf die Welt um Dich davon zu erlösen und zu befreien. Sein Reden und Handeln sagt Dir, dass Du nicht Dein eigener Schöpfer und Henker bist, sondern Dein Leben ganz Gott anvertrauen und verdanken darfst. Er hat Dir gezeigt, dass nur der sein Leben findet, der zur Liebe und zur Hingabe bereit ist. Du bleibst in seiner Liebe, wenn Du ihm immer wieder zuhörst.

Seine Liebe treibt die Furcht aus. Auch die Furcht, die augenblicklich da ist, wenn jemand zu Dir sagt: Ich liebe Dich. Die Furcht, dich selbst zu verlieren, bloßgestellt zu werden, betrogen zu werden, verlassen zu werden, Freiheit zu verlieren, enttäuscht zu werden, bestraft zu werden.

Johannes predigt Euch heute den Gott, der Liebe ist, indem er uns bis in die Tiefen des Herzens wahrnimmt, unsere Leistungen und Fehlleistungen beim Namen nennt, aber uns nicht auf sie festlegt. Ja, Gott richtet, aber aus Liebe und in Liebe.

50 Jahre sind wir nun verheiratet, Herr Pfarrer, und kein lautes und böses Wort, sagt stolz ein altgedientes Paar zu mir. Ich hoffe im Stillen, dass das geschwindelt ist. Wenn das wahr ist – wie reibungslos, gleichgültig und trostlos müssen hier zwei, jeder in seiner Welt, ihre parallelen Bahnen gezogen sein? Oder nicht besser: Hier kommt einer von beiden zum Fest, seit Jahrzehnten resigniert und zerdrückt, bis zur Unkenntlichkeit verheiratet. Da soll der Teufel die Festansprache halten!

Wer sich liebt, kommt sich in die Quere. Gottes Liebe kommt uns in die Quere. Immer wieder unterbricht sie unseren gewohnten Lebenszusammenhang. Sie macht unsere Höhen und unsere Abgründe kenntlich. Sie entdeckt uns. Und nicht jede solche Entdeckung ist harmlos. Aber keiner braucht vor diesen Entdeckungen Angst haben, wenn sie mit Liebe gemacht werden. Und genau das tut Gott. Seine Liebe entdeckt uns. Sie nennt unsere Höhen und Abgründe, unsere Leistungen und Fehlleistungen, unsere guten Taten und unsere Sünde beim Namen und lässt uns dennoch seine geliebten Kinder sein. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe. Denn an einen solchen himmlischen Vater glaubt man nicht aus Angst.

Darum lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Zuerst war der Gott der Liebe ist, und dann sind wir geworden, seine Geschöpfe, zur Liebe begabt, auf Liebe angewiesen, aus Liebe gezeugt. Wir versammeln um den Gott, der die Liebe ist, all unsere Hoffnungen, Sehnsüchte und Enttäuschungen mit der Liebe. Wo sollten wir sie sonst versammeln? Da gehören sie hin!

Denn wir können gar keinen Schritt des Glaubens auf den liebevollen Gott hin gehen, ohne einen Schritt der Hoffnung für unsere menschliche Liebe zu machen und gegen ihre Bedrohungen: Gegen ihre religiöse Verhöhnung, ihre wirtschaftliche Ausbeutung und Unterordnung unter jedwedes Leistungsprinzip. Und für Bedingungen, unter denen unsere Liebe leben kann. Wann sind wir endlich wieder mehr interessiert an ihrer Lebendigkeit, als an ihren Fassaden?

Vielleicht ist dieser erste Schritt ein Schritt des Gerichts gegen uns selbst, wenn wir zugeben müssen: Wir nehmen uns zuwenig Zeit füreinander, wir reden über alles mögliche und so wenig von uns selbst. Wie sollen wir da aneinander noch etwas entdecken? Und wie könnten wir uns so noch ineinander einfühlen? Wir lassen uns zu viel unterhalten und lenken uns ab; und unser Leben, ist das, was hier passiert, wenn wir in Gedanken gerade woanders sind. Wir haben aus so mancher geschenkten Liebe einen Scheißdreck gemacht.

Hass spricht aus den Worten der Mutter, an die sich die Schriftstellerin Heidenreich erinnert. Hass ist die Enttäuschungsform der Liebe. Das Gegenteil von Liebe ist Gleichgültigkeit.

Und darum beten wir: Gott der Liebe, schenk uns ein Herz, damit wir immer wieder beherzte Menschen werden und bleiben.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text: 

Johannes schreibt:

4,16b Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
4,17 Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe,
4,18 sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe.
Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen
in der Liebe.
4,19 Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
4,20 Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?
4,21 Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer
Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.


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