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      Liebe Leser,  
       
      „Säkularismus, (der die Welt betrachtet, als ob es Gott nicht gäbe,) 
      schlägt nur allzu leicht in eine andere Art von Religion um… Im 
      gegenwärtigen „Kampf gegen den Terrorismus“ stehen sich ja nicht Religion 
      und Säkularismus gegenüber, sondern zwei solcher Ersatz- oder 
      Pseudoreligionen, die im Zuge der Moderne aus monotheistischen, 
      puritanisch verengten Religionen hervorgegangen sind: der islamistische 
      Fundamentalismus, hervorgegangen aus dem wahhabitischen Puritanismus, und 
      die amerikanische Zivilreligion, hervorgegangen aus dem protestantischen 
      Puritanismus. Das eine ist politisierte Religion, das andere religiös 
      aufgerüstete Politik. 
       
      … Die Allianz von Politik und Religion bekommt beiden schlecht. Religion 
      verkommt, wenn sie politisch instrumentalisiert wird, und Politik wird 
      unerträglich, wenn sie religiös aufgeladen wird. Daher ist die Religion 
      unverzichtbar: um Widerstand zu leisten gegen ihre politische 
      Instrumentalisierung ebenso wie gegen den Totalisierungsanspruch 
      politischer Religionen.“ 
       
      So schrieb Jan Assmann am 11. April im Berliner Tagesspiegel, in dem 
      Antworten auf die berühmte Gretchenfrage versucht werden: Nun sag, wie 
      hast Du’s mit der Religion? 
       
      Wer eine Antwort auf diese Frage versucht, wird schon etwas mehr sagen 
      müssen, als „Religion finde ich gut“ oder „finde ich nicht gut.“ So redet 
      moderne Denkfaulheit, die Wahrheit zur individuellen Gefühlssache macht. 
      Das ist gleichermaßen dumm und gefährlich. Wer eine Antwort auf die Frage 
      nach der Religion sucht, muss unterscheiden. Er muss fragen: Wie habe ich 
      es mit welcher Religion? Und das tut auch unser heutiger Predigttext, wenn 
      er sagt, wenn - dann, wenn nicht - dann nicht. Er bindet zusammen, was 
      zusammengehört und trennt, was sich Feind ist. Er unterscheidet zwischen 
      wahrem und falschem Glauben, zwischen wahrer und falscher Religion. Er ist 
      nicht aufs Gefühl, sondern auf Erkenntnis aus. Denn daran erkennen wir …, 
      heißt es gleich im zweiten Vers. Glauben ist alles 
      andere als eine emotionale Geisterfahrt.  
       
      Die Verse aus dem 1. Johannesbrief binden deshalb zwei Dinge untrennbar 
      zusammen: erstens: Den Glauben an Gott, den Glauben an Christus und die 
      Liebe - und zweitens: Die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Menschen. 
      Ein neues Gebot gebe ich Euch, dass ihr einander liebt, 
      wie ich Euch geliebt habe. So sagt es Jesus im Johannesevangelium (Joh 
      13,34). 
       
      Das erste schließt einen Glauben an Gott aus, der im Grunde gleichgültig 
      bleibt gegenüber Gott, den Mitmenschen und der Schöpfung Gottes. Ein 
      bekannter Vertreter dieser Spezies trampelt am Sonntagmorgen gerne durch 
      die unberührte Natur, in Kopf und Herz beseelt von der ungefähren Ahnung 
      eines höheren Wesens, von dem er aber ein Leben lang herzlich wenig hören 
      und auch seine Ahnung nicht vermehren will. Ganz Ahnung bleibt ihm Gott, 
      sein Nachbar ebenso und die unberührte Natur, die er am Sonntagmorgen zu 
      zertrampeln pflegt.  
       
      Das zweite schließt einen Glauben aus, der vorgibt Gott und seine Gebote 
      zu lieben und gleichzeitig die Sünder und die Ungläubigen hasst. Bringt 
      die Bösen um, dann bleiben die Guten übrig, lautet so ein Motto. Habe 
      keine Gemeinschaft mit den Ungläubigen, sonst machst du dich schmutzig. Es 
      ist offensichtlich, dass Fundamentalisten und Kreuzzügler gleich welcher 
      Prägung an Diakonie lediglich als Werbegeschenk interessiert sind, an 
      politischem und wirtschaftlichem Einfluss zur Rettung der Welt aber um so 
      mehr. Dass die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten zusammengehören, 
      wendet sich aber gleichermaßen gegen ein soziales Engagement, dass Gott 
      vergisst. Eine Diakonie, die ihre Wichtigkeit aus repräsentativen Umfragen 
      herleitet und vom Evangelium nichts mehr erzählt, wird zur verdammten (!) 
      Pflicht und Schuldigkeit. Die Liebe zum Menschen und die Liebe zu Gott 
      gehören zusammen.  
       
      Für sich selbst etwas sein wollen, für sich selbst existieren wollen, auf 
      sich selbst bezogen bleiben, das ist es, was im Evangelium und in den 
      Briefen des Johannes „Welt“ genannt wird. Welt ist für Johannes kein 
      neutraler Begriff. Wer auf sich selbst bezogen bleibt, ist ein Feind des 
      beziehungsreichen Gottes. Wer im Glauben auf sich selbst bezogen bleibt, 
      bleibt ein Feind Gottes. Es gibt eine religiös begründete Feindschaft 
      gegen Gott. Deshalb muss der Glaube der ärgste Kritiker eines solchen 
      falschen Glaubens sein. Wer denn sonst! 
       
      Es ist deshalb richtig, wenn deutsche Bischöfe die Muslime bei uns 
      auffordern, unmissverständlich gegen den Missbrauch ihres Glaubens unter 
      ihresgleichen vorzugehen. Es ist bedrückend, wenn aus dem Umfeld der 
      bayerischen Moscheen kein einziger Hinweis auf gewaltbereite Islamisten 
      kommt, die es nachweislich gibt. Dies spricht nicht für die Liebe zur 
      Wahrheit der eigenen Religion, sondern für eine falsch verstandene 
      Toleranz mit denen, die nicht nur jede Toleranz ablehnen, sondern denen 
      ihr eigenes und das Leben anderer nicht das Geringste bedeutet.  
       
      Es ist aber ebenso notwendig, dass wir evangelische Christen wachsam sind 
      gegen einen christlichen Fundamentalismus, der vor allem aus dem 
      evangelischen Puritanismus in den USA hervorgegangen ist, sich weltweit 
      verbreitet und auch in Europa immer mehr Anhänger findet. Er gibt sich aus 
      als das bessere Christentum, ist aggressiv und rücksichtslos 
      missionarisch, nutzt ausgiebig und geschickt vorhandene kirchliche 
      Strukturen, um gegen die gleiche Volkskirche mit ihren Namenschristen und 
      Karteileichen Front zu machen.  
       
      Antje Vollmer, Vizepräsidentin des Bundestages schreibt in der neuen 
      Ausgabe von „Zeitzeichen“ (Nr. 5/2004, S.19): „Der Vormarsch des 
      Fundamentalismus evangelikaler Prägung vollzieht sich im medialen 
      Windschatten des muslimischen Fundamentalismus. Auf beiden Seiten kämpfen 
      Erlöser und Erwecker, die das Individuum verachten und den fraglosen 
      Glauben, Gehorsam und Unterordnung zu Eintrittskarten in das Paradies 
      erheben. Kann uns das alles kalt lassen? … Die großen protestantischen 
      Kirchen Europas, die alle merkwürdig identitätsschwach geworden sind, 
      müssen eine Antwort suchen … Es geht uns etwas an.“ 
       
      Keine Antwort ist auch hier eine falsch verstandene Toleranz. Gar keine 
      Antwort ist es, solchen Leuten die eigene Tür auch noch weit aufzumachen, 
      weil in der eigenen Gemeinde ja so wenig läuft. Man hofft sich am Erfolg 
      zu beteiligen. Keine Antwort ist es, durch noch mehr niederschwellige 
      Angebote wenigstens die einzusammeln, die heute das und morgen etwas 
      anderes toll finden. Keine Antwort ist es, sich als Kirche vor allem mit 
      Kommentaren zur Tagespolitik medial und gesellschaftlich möglichst oft 
      wichtig zu machen.  
       
      Antwort findet evangelische Kirche allein in der Rückbesinnung auf das 
      Evangelium und seine großen Ausleger, zu denen auch Johannes gehört oder 
      Paulus und viele nach ihnen bis zur Barmer Theologischen 
      Erklärung von 1934. Antwort findet die Kirche durch Lehrer, die 
      dem Fundamentalismus und seinen durch Medienimperien verbreiteten Phrasen 
      mit dem Evangelium entgegentreten. Denn daran erkennen wir. Denn 
      daran erkennen wir, dass christlicher Glaube sich in der Liebe vollzieht 
      oder gar nicht. Denn daran erkennen wir, dass die Liebe zu Gott und die 
      Liebe zu den Mitmenschen und Mitgeschöpfen zusammengehört und umgekehrt. 
      Denn daran erkennen wir die Demagogen, die Verwirrer der Seelen, die 
      Gemeinschaftszerstörer, die Züchtiger, Schläger und Mörder, die im Namen 
      Gottes auftreten. Die in seinem Namen zur „Entscheidung“ rufen und in 
      Wahrheit Hass predigen: Den Hass auf die Ungläubigen, die Andersgläubigen, 
      die Sünder in ihren Augen; den Hass auf den eigenen Körper und sogar auf 
      das eigene Leben.  
       
      Denn daran erkennen wir, was uns wirklich fehlt: Die Liebe zu Gott, von 
      dem wir aus Gleichgültigkeit so wenig erfahren und weiter zu sagen haben. 
      Die Liebe zum Nächsten, dem wir so wenig zuhören und dem wir Achtsamkeit 
      und Trost schuldig bleiben. Die Liebe zu den Mitgeschöpfen, die durch 
      unsere Achtlosigkeit aussterben, bevor wir sie überhaupt bemerkt haben.
       
       
      Daran erkennen wir - dankbar, dass die Erkenntnis noch nicht aufgehört 
      hat. Daran erkennen wir dankbar, dass Gottes Liebe uns dem, was uns fehlt, 
      nicht hilflos überlässt. Dass der Glaube die Welt - als Welt, die immer 
      nur auf sich selbst bezogen bleibt - überwindet.
      Und das dürfen wir auch erleben. Gestern zum 
      Beispiel ist Europa im Frieden wieder ein ganzes Stück größer geworden. 
      Sicher, das war kein Sieg des Glaubens im Sinne einer wie immer religiös 
      aufgeladenen Politik. Die können wir im Irak besichtigen. Aber immer, wenn 
      der Frieden siegt und die Verständigung, wenn Grenzen fallen und Menschen 
      zusammenfinden - dann darf der Glaube, der um all das bittet und gebetet 
      hat, zurecht sagen: Gott sei Dank! 
      
      
      Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche 
      Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv  unter 
      
      www.kanzelgruss.de)    | 
      Text: 
      
       (1)Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der 
      ist von Gott geboren; und wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt 
      auch den, der von ihm geboren ist. 
      (2)Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben 
      und seine Gebote halten. 
      (3)Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine 
      Gebote sind nicht schwer. 
      (4)Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser 
      Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. 
      (5)Wer ist es aber, der die Welt überwindet, wenn nicht der, der glaubt, 
      dass Jesus Gottes Sohn ist?  |