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       Liebe Leser, 
      wozu der Mensch fähig ist, hören wir in diesen Tagen aus Moskau und aus 
      Amerika. Das wahllose Ermorden unbeteiligter und unschuldiger Menschen, 
      Männer, Frauen und Kinder gibt schreckliche Antworten auf die Frage nach 
      dem Menschen. Der Mensch ein Schädling für seinesgleichen und für seine 
      Welt? Diese Woche war in der Zeitung zu lesen, dass in unseren Wäldern 
      zwei Drittel aller Bäume dahinsiechen und darauf warten, dass der Sturm 
      sie fällt.  
       
      Da mögen wir uns schon ein wenig die Augen reiben, wenn wir mit unserem 
      heutigen Predigttext einen Blick auf uns selbst als christliche Gemeinde 
      werfen. Hier werden uns Eigenschaften zugeschrieben, die wir an uns 
      vielleicht gar nicht vermutet hätten: Dass wir Gott kennen und im Glauben 
      an ihn das Böse überwinden. Dass wir stark sind im Kampf gegen all das, 
      was wir täglich mit erschreckten Augen im Fernsehen sehen. All das wird im 
      Johannesbrief nicht gefordert oder angemahnt. Es wird mit liebevollem 
      Blick festgestellt.  
       
      Überhaupt ist der 1. Johannesbrief ja ein Liebesbrief. Geradezu 
      überschwänglich wird dort mit dem Wort Liebe umgegangen. Mit „meine 
      Lieben“, wird die Gemeinde angesprochen. Die Bibelwissenschaftler sind 
      sich einig, dass dieses Schreiben als Trost- und Mahnrede an eine Gruppe 
      von Gemeinden gerichtet ist. Sie aufzurichten und auf den rechten Weg zu 
      bringen, geht eben nicht mit Schimpfen und Schelten. Die Liebe bessert und 
      sonst gar nichts. Und deshalb braucht die Kirche keine Rechthaber, sondern 
      Menschen, die sich ihr mit dem Herzen wieder zuwenden, trotz ihrer 
      Schwächen und Fehler. Gemeinde in der Krise benötigt keine Technokraten, 
      sondern Liebhaber.  
       
      Denn nur die Liebe sieht in denen, die in ihre Probleme eingemauert sind, 
      was sie selbst vielleicht gar nicht mehr sehen können. Es ist eine 
      beliebte Strategie des Bösen, dass es sich vor uns so aufbläst, dass es 
      schließlich unseren ganzen Horizont ausfüllt. Der Mensch ist schlecht. Die 
      Welt ist schlecht. Und ich bin schwach! So schafft es das Böse uns von 
      unseren Kraftquellen abzuschneiden.  
       
      Wie ein guter Therapeut deckt Johannes die Kraftquelle, für die die 
      Gemeinde blind geworden ist, wieder auf. Er öffnet die Augen für die 
      Energie der Liebe Gottes, die uns wie eine Sphäre umgibt. Denn „Gott ist 
      die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in 
      ihm“ (1. Joh 4/16). Gegen diese Energie ist das Böse und Finstere 
      machtlos. Ja, es wird überwunden, weil die Liebe Gottes zu uns Menschen, 
      in der Liebe der Menschen zueinander und zu ihrer Welt zur Entfaltung 
      kommen will. Das ist das zentrale Thema des 1. Johannesbriefs. Dabei ist 
      die „Bruderliebe“ oder sagen wir besser Nächstenliebe keine 
      Verhaltensweise der Christen untereinander, sondern sie kennzeichnet ihr 
      gesamtes Verhältnis zur Welt und ihrer Menschen.  
       
      Nur wenn wir das festhalten, entgehen wir einem bösen Missverständnis. 
      Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist, so steht’s in unserem 
      Predigttext. Solche Sätze können aus dem Zusammenhang gerissen genau das 
      Gegenteil von dem bedeuten, was gemeint ist und haben in der 
      Theologiegeschichte bis heute christliche Weltverachtungsprediger 
      hervorgebracht. Davon ist Johannes weit entfernt. Ihm geht es darum 
      deutlich zu machen, dass die Welt als letzter Horizont des Lebens und Gott 
      als letzter Horizont des Lebens Konkurrenten sind, die nebeneinander 
      keinen Platz haben.  
       
      Und wir müssen auch eine theologische Tradition kritisch betrachten, die 
      die Fleischeslust, von der Johannes spricht, mit der Sexualität 
      gleichgesetzt und entsprechend denunziert und verachtet hat. Vor Jahren 
      lief im bayerischen Fernsehen eine Serie mit dem Titel „Der ganz normale 
      Wahnsinn“. Eine Szene habe ich nicht vergessen. Da steht ein Professor 
      unten im Kreis vor den steil ansteigenden, rund geschwungenen Sitzreihen, 
      die mit Studenten gefüllt sind. Vor sich hat er ein menschliches Skelett, 
      das an einem Eisenständer hängt. In der Hand hält er einen Zeigestab. 
      „Meine Damen und Herren“, beginnt er, „die Kreuzzüge, der dreißigjährige 
      Krieg, der 1. Weltkrieg, der 2. Weltkrieg, die Atombombe, der Koreakrieg, 
      der Vietnamkrieg und so weiter, und so weiter, das kommt nicht von da (er 
      schlägt dem Skelett mit dem Zeigestock auf das Becken); und nicht von da 
      (er schlägt dem Skelett auf den Brustkorb); das kommt von da“, schreit er 
      und drischt dem Skelett mit dem Stock auf den Schädel.  
       
      Die allgemeine Wahrheit lautet nicht: Sex regiert die Welt. Sie heißt: 
      Geld regiert die Welt! Dieses Geld macht sich alles zur Ware - die Liebe 
      schließlich auch. Sex sells – Sex ist gut fürs Geschäft. Dieses Geld 
      reduziert den Menschen, einschließlich seiner Erbanlagen auf seine 
      Nützlichkeit fürs Geldverdienen. Für Geld tun manche alles. Und beim Geld 
      hört die Freundschaft auf und die Liebe erst recht. Das Geld ist der 
      größte Gegenspieler des Himmelreichs. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem 
      Mammon, sagt Jesus kategorisch. (Mt 6/24) 
       
      Es muss deshalb stutzig machen, dass manche evangelikale und 
      fundamentalistisch gesinnte Christen, ihre Mitglieder mit einer geradezu 
      leibfeindlichen Sexualmoral knechten, bei der Beschaffung und dem Umgang 
      mit Geld, besonders mit dem Geld anderer, keinerlei ethische Probleme 
      kennen und sich ungeniert mit bestimmten, fast immer stramm rechten, 
      politischen Lobbyisten identifizieren. Nicht zu Unrecht hat deshalb unser 
      Bundespräsident in der vergangenen Woche die Kirche vor Lobbyismus auch 
      vor dem in eigener Sache gewarnt. Kirche darf eben nicht aufgehen im 
      Alltagsgeschäft dieser Welt und eine Interessenvertretung unter vielen 
      sein. Hier ist die Nagelprobe. Stellt sich die christliche Gemeinde dieser 
      Welt und ihrem Umgang mit sich selbst gleich, oder wird sie zum Ort eines 
      anderen, eines alternativen Umgang mit der Welt und mit dem Geld.  
       
      Die Begierde des Fleisches, zu besitzen, was sich besitzen lässt, die 
      Begierde der Augen, die neidisch schauen auf das, was man (noch) nicht 
      kriegen konnte, ein hoffärtiges Leben, in dem man so richtig raushängen 
      lässt, was man an Macht und Vermögen erreicht hat, das ist es, was 
      Johannes unter dem Begriff „Welt“ subsumiert. Wer die maßlose Gier der 
      vergangenen Jahre betrachtet, die die Aktienkurse in schwindelnde Höhen 
      katapultierte, weiß, wovon Johannes redet. Und es muss einen das blanke 
      Erbarmen packen, wenn man sich vorstellt, wie sich heute so mancher 
      „Gewinner“ mit wertlosen Aktien und Genussscheinen seine Zigarette 
      anzünden kann. Denn die Welt vergeht mit ihrer Lust, wie der Wert der 
      Telekomaktie.  
       
      Diese Welt verdient nicht, dass wir uns ihr verschreiben. Wohl aber die 
      Liebe Gottes, mit der Gott seine Welt nicht sich selbst überlässt, sondern 
      heilsam und liebevoll heimsucht, um die Dinge dieser Welt an den Platz zu 
      stellen, der ihnen zusteht. In der Kirche hat das Geld den Menschen zu 
      dienen und nicht umgekehrt. Es ist Durchlaufposten und nicht Selbstzweck. 
      Es war deshalb wirklich ein arger Fehlgriff unserer Regierung, die 
      Steuerabzugsfähigkeit von Spenden massiv einschränken zu wollen. Wo Geld 
      Gutes tut und sich auflöst in Wohlgefallen und Gemeinnutz, haben die 
      Geschäftemacher und die Staatsgeschäftemacher ihre Finger draußen zu 
      lassen.  
       
      Denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. (1. Kor 9/7) Das verwundert 
      nicht, weil Gott selbst ja ein fröhlicher Geber ist. Er umgibt uns mit der 
      Energie seiner Liebe. Und wir wollen uns heute von Johannes ermahnen 
      lassen, dieser Liebe etwas zuzutrauen. Die Welt ist schlecht und ich bin 
      schwach! Wirklich? 
       
      
      Pfarrer Johannes Taig   
      (Hospitalkirche Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv  unter  
      www.kanzelgruss.de)   | 
    
      Text: 
      
       Johannes schreibt: 
      
      (7)Meine Lieben, ich schreibe euch nicht ein neues Gebot, sondern das alte 
      Gebot, das ihr von Anfang an gehabt habt. Das alte Gebot ist das Wort, das 
      ihr gehört habt. 
      (8)Und doch schreibe ich euch ein neues Gebot, das wahr ist in ihm und in 
      euch; denn die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt. 
      (9)Wer sagt, er sei im Licht, und hasst seinen Bruder, der ist noch in der 
      Finsternis. 
      (10)Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht, und durch ihn kommt 
      niemand zu Fall. 
      (11)Wer aber seinen Bruder hasst, der ist in der Finsternis und wandelt in 
      der Finsternis und weiß nicht, wo er hingeht; denn die Finsternis hat 
      seine Augen verblendet. 
      (12)Liebe Kinder, ich schreibe euch, dass euch die Sünden vergeben sind um 
      seines Namens willen. 
      (13)Ich schreibe euch Vätern; denn ihr kennt den, der von Anfang an ist. 
      Ich schreibe euch jungen Männern; denn ihr habt den Bösen überwunden. 
      (14)Ich habe euch Kindern geschrieben; denn ihr kennt den Vater. Ich habe 
      euch Vätern geschrieben; denn ihr kennt den, der von Anfang an ist. Ich 
      habe euch jungen Männern geschrieben; denn ihr seid stark, und das Wort 
      Gottes bleibt in euch, und ihr habt den Bösen überwunden. 
      (15)Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist. Wenn jemand die 
      Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters. 
      (16)Denn alles, was in der Welt ist, des Fleisches Lust und der Augen Lust 
      und hoffärtiges Leben, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. 
      (17)Und die Welt vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, 
      der bleibt in Ewigkeit. 
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