Predigt    1. Johannes 2/7-17  22. Sonntag nach Trinitatis   27.10.02

"Nagelprobe"
(von Pfr. Johannes Taig, Hospitalkirche)

Liebe Leser,

wozu der Mensch fähig ist, hören wir in diesen Tagen aus Moskau und aus Amerika. Das wahllose Ermorden unbeteiligter und unschuldiger Menschen, Männer, Frauen und Kinder gibt schreckliche Antworten auf die Frage nach dem Menschen. Der Mensch ein Schädling für seinesgleichen und für seine Welt? Diese Woche war in der Zeitung zu lesen, dass in unseren Wäldern zwei Drittel aller Bäume dahinsiechen und darauf warten, dass der Sturm sie fällt.

Da mögen wir uns schon ein wenig die Augen reiben, wenn wir mit unserem heutigen Predigttext einen Blick auf uns selbst als christliche Gemeinde werfen. Hier werden uns Eigenschaften zugeschrieben, die wir an uns vielleicht gar nicht vermutet hätten: Dass wir Gott kennen und im Glauben an ihn das Böse überwinden. Dass wir stark sind im Kampf gegen all das, was wir täglich mit erschreckten Augen im Fernsehen sehen. All das wird im Johannesbrief nicht gefordert oder angemahnt. Es wird mit liebevollem Blick festgestellt.

Überhaupt ist der 1. Johannesbrief ja ein Liebesbrief. Geradezu überschwänglich wird dort mit dem Wort Liebe umgegangen. Mit „meine Lieben“, wird die Gemeinde angesprochen. Die Bibelwissenschaftler sind sich einig, dass dieses Schreiben als Trost- und Mahnrede an eine Gruppe von Gemeinden gerichtet ist. Sie aufzurichten und auf den rechten Weg zu bringen, geht eben nicht mit Schimpfen und Schelten. Die Liebe bessert und sonst gar nichts. Und deshalb braucht die Kirche keine Rechthaber, sondern Menschen, die sich ihr mit dem Herzen wieder zuwenden, trotz ihrer Schwächen und Fehler. Gemeinde in der Krise benötigt keine Technokraten, sondern Liebhaber.

Denn nur die Liebe sieht in denen, die in ihre Probleme eingemauert sind, was sie selbst vielleicht gar nicht mehr sehen können. Es ist eine beliebte Strategie des Bösen, dass es sich vor uns so aufbläst, dass es schließlich unseren ganzen Horizont ausfüllt. Der Mensch ist schlecht. Die Welt ist schlecht. Und ich bin schwach! So schafft es das Böse uns von unseren Kraftquellen abzuschneiden.

Wie ein guter Therapeut deckt Johannes die Kraftquelle, für die die Gemeinde blind geworden ist, wieder auf. Er öffnet die Augen für die Energie der Liebe Gottes, die uns wie eine Sphäre umgibt. Denn „Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“ (1. Joh 4/16). Gegen diese Energie ist das Böse und Finstere machtlos. Ja, es wird überwunden, weil die Liebe Gottes zu uns Menschen, in der Liebe der Menschen zueinander und zu ihrer Welt zur Entfaltung kommen will. Das ist das zentrale Thema des 1. Johannesbriefs. Dabei ist die „Bruderliebe“ oder sagen wir besser Nächstenliebe keine Verhaltensweise der Christen untereinander, sondern sie kennzeichnet ihr gesamtes Verhältnis zur Welt und ihrer Menschen.

Nur wenn wir das festhalten, entgehen wir einem bösen Missverständnis. Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist, so steht’s in unserem Predigttext. Solche Sätze können aus dem Zusammenhang gerissen genau das Gegenteil von dem bedeuten, was gemeint ist und haben in der Theologiegeschichte bis heute christliche Weltverachtungsprediger hervorgebracht. Davon ist Johannes weit entfernt. Ihm geht es darum deutlich zu machen, dass die Welt als letzter Horizont des Lebens und Gott als letzter Horizont des Lebens Konkurrenten sind, die nebeneinander keinen Platz haben.

Und wir müssen auch eine theologische Tradition kritisch betrachten, die die Fleischeslust, von der Johannes spricht, mit der Sexualität gleichgesetzt und entsprechend denunziert und verachtet hat. Vor Jahren lief im bayerischen Fernsehen eine Serie mit dem Titel „Der ganz normale Wahnsinn“. Eine Szene habe ich nicht vergessen. Da steht ein Professor unten im Kreis vor den steil ansteigenden, rund geschwungenen Sitzreihen, die mit Studenten gefüllt sind. Vor sich hat er ein menschliches Skelett, das an einem Eisenständer hängt. In der Hand hält er einen Zeigestab. „Meine Damen und Herren“, beginnt er, „die Kreuzzüge, der dreißigjährige Krieg, der 1. Weltkrieg, der 2. Weltkrieg, die Atombombe, der Koreakrieg, der Vietnamkrieg und so weiter, und so weiter, das kommt nicht von da (er schlägt dem Skelett mit dem Zeigestock auf das Becken); und nicht von da (er schlägt dem Skelett auf den Brustkorb); das kommt von da“, schreit er und drischt dem Skelett mit dem Stock auf den Schädel.

Die allgemeine Wahrheit lautet nicht: Sex regiert die Welt. Sie heißt: Geld regiert die Welt! Dieses Geld macht sich alles zur Ware - die Liebe schließlich auch. Sex sells – Sex ist gut fürs Geschäft. Dieses Geld reduziert den Menschen, einschließlich seiner Erbanlagen auf seine Nützlichkeit fürs Geldverdienen. Für Geld tun manche alles. Und beim Geld hört die Freundschaft auf und die Liebe erst recht. Das Geld ist der größte Gegenspieler des Himmelreichs. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon, sagt Jesus kategorisch. (Mt 6/24)

Es muss deshalb stutzig machen, dass manche evangelikale und fundamentalistisch gesinnte Christen, ihre Mitglieder mit einer geradezu leibfeindlichen Sexualmoral knechten, bei der Beschaffung und dem Umgang mit Geld, besonders mit dem Geld anderer, keinerlei ethische Probleme kennen und sich ungeniert mit bestimmten, fast immer stramm rechten, politischen Lobbyisten identifizieren. Nicht zu Unrecht hat deshalb unser Bundespräsident in der vergangenen Woche die Kirche vor Lobbyismus auch vor dem in eigener Sache gewarnt. Kirche darf eben nicht aufgehen im Alltagsgeschäft dieser Welt und eine Interessenvertretung unter vielen sein. Hier ist die Nagelprobe. Stellt sich die christliche Gemeinde dieser Welt und ihrem Umgang mit sich selbst gleich, oder wird sie zum Ort eines anderen, eines alternativen Umgang mit der Welt und mit dem Geld.

Die Begierde des Fleisches, zu besitzen, was sich besitzen lässt, die Begierde der Augen, die neidisch schauen auf das, was man (noch) nicht kriegen konnte, ein hoffärtiges Leben, in dem man so richtig raushängen lässt, was man an Macht und Vermögen erreicht hat, das ist es, was Johannes unter dem Begriff „Welt“ subsumiert. Wer die maßlose Gier der vergangenen Jahre betrachtet, die die Aktienkurse in schwindelnde Höhen katapultierte, weiß, wovon Johannes redet. Und es muss einen das blanke Erbarmen packen, wenn man sich vorstellt, wie sich heute so mancher „Gewinner“ mit wertlosen Aktien und Genussscheinen seine Zigarette anzünden kann. Denn die Welt vergeht mit ihrer Lust, wie der Wert der Telekomaktie.

Diese Welt verdient nicht, dass wir uns ihr verschreiben. Wohl aber die Liebe Gottes, mit der Gott seine Welt nicht sich selbst überlässt, sondern heilsam und liebevoll heimsucht, um die Dinge dieser Welt an den Platz zu stellen, der ihnen zusteht. In der Kirche hat das Geld den Menschen zu dienen und nicht umgekehrt. Es ist Durchlaufposten und nicht Selbstzweck. Es war deshalb wirklich ein arger Fehlgriff unserer Regierung, die Steuerabzugsfähigkeit von Spenden massiv einschränken zu wollen. Wo Geld Gutes tut und sich auflöst in Wohlgefallen und Gemeinnutz, haben die Geschäftemacher und die Staatsgeschäftemacher ihre Finger draußen zu lassen.

Denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. (1. Kor 9/7) Das verwundert nicht, weil Gott selbst ja ein fröhlicher Geber ist. Er umgibt uns mit der Energie seiner Liebe. Und wir wollen uns heute von Johannes ermahnen lassen, dieser Liebe etwas zuzutrauen. Die Welt ist schlecht und ich bin schwach! Wirklich?

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv  unter  www.kanzelgruss.de)

Text: 

Johannes schreibt:

(7)Meine Lieben, ich schreibe euch nicht ein neues Gebot, sondern das alte Gebot, das ihr von Anfang an gehabt habt. Das alte Gebot ist das Wort, das ihr gehört habt.
(8)Und doch schreibe ich euch ein neues Gebot, das wahr ist in ihm und in euch; denn die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt.
(9)Wer sagt, er sei im Licht, und hasst seinen Bruder, der ist noch in der Finsternis.
(10)Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht, und durch ihn kommt niemand zu Fall.
(11)Wer aber seinen Bruder hasst, der ist in der Finsternis und wandelt in der Finsternis und weiß nicht, wo er hingeht; denn die Finsternis hat seine Augen verblendet.
(12)Liebe Kinder, ich schreibe euch, dass euch die Sünden vergeben sind um seines Namens willen.
(13)Ich schreibe euch Vätern; denn ihr kennt den, der von Anfang an ist. Ich schreibe euch jungen Männern; denn ihr habt den Bösen überwunden.
(14)Ich habe euch Kindern geschrieben; denn ihr kennt den Vater. Ich habe euch Vätern geschrieben; denn ihr kennt den, der von Anfang an ist. Ich habe euch jungen Männern geschrieben; denn ihr seid stark, und das Wort Gottes bleibt in euch, und ihr habt den Bösen überwunden.
(15)Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist. Wenn jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters.
(16)Denn alles, was in der Welt ist, des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt.
(17)Und die Welt vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit.
 


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