Predigt    1. Korinther 1/18-25     5. Sonntag nach Trinitatis    11.07.04

" Die Kraft, die aus dem Nichts schafft"
(von Vikar Michael Krauß, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

dieses Wort schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth. Eine griechisch sprechende Gemeinde. Seit dem Humanismus denken wir in Deutschland ganz ähnlich wie sie: griechisch-logisch. Paulus wendet sich also an Menschen, die wie wir gewohnt sind, logisch zu denken. Aber haben Sie die Argumentation dieses Textes verstanden? Will er überhaupt argumentieren? Er ist zumindest voller argumentierender Wörter: Denn, aber, weil. Und doch führt er uns nicht Schritt für Schritt zu einer Aussage, die uns dann als bewiesen gilt.  Im Gegenteil: Unser Predigttext kommt in der Form einer Argumentation daher und zerstört sie fundamental. Nur ein Beispiel: Die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit;  Hier wird nicht argumentiert. Es wird einfach gegenübergestellt. Und die letzte Begründung ist die Behauptung, Gott sei weiser als alle Menschen. Ein logisch auf den ersten Blick völlig unbefriedigender Text.

Keine Beweise sind hier also zu erwarten. Die argumentativen Denns, Weils und Abers dienen dem alleinigen Zweck zu zeigen: Es gibt gerade keinen Weg, auf dem vernünftig argumentativ Sinn zu gewinnen ist. Keine Argumentationskette führt zum letzten Grund. Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Alle Gottes- und Weltbilder, alle Sinnstiftungsversuche, die Menschen unternehmen, sind hinfällig: Die Weisheit der Welt ist Torheit. Nichts, was irgendwie Relevanz hat, ist zu erschließen. Das klingt sehr nihilistisch. Ich bin davon überzeugt, dass Nihilismus eine realistische Weise ist, die Welt zu sehen. Die Erfahrung ohne Sicherung zu leben, scheint mir die Grundwahrheit menschlichen Lebens zu sein, ob wir ihr ins Gesicht blicken oder die Augen schließen.

Gerne blicke ich dieser Wahrheit in glücklichen Momenten ins Gesicht: Ich bin ich überwältigt von dem Gefühl wie ein Seiltänzer meinen Lebensweg zu gehen, frei durch die Luft, ohne Seil, getragen von der Liebe Gottes. Der Blick in den sonnendurchfluteten Abgrund erhebt mich zu einem wunderbaren Gefühl von Freiheit und Dankbarkeit. Ich erlebe mein Leben als Geschenk. Gott und Welt schwingen in Eins. Da gibt es nichts zu begründen. Glück legt sich selbst aus.

Keinerlei Sicherung zu haben, aber wird unerträglich, wenn alles in der Welt als Grund unseres Lebensmutes zusammenbricht, wenn uns plötzlich die Flügel abhanden gekommen sind; wenn wir unendlich tief in die Dunkelheit stürzen, gefallene Engel, allein mit uns selbst. Wenn wir vor dem Nichts stehen. Vor Damaskus war Paulus vom Pferd in die völlige Dunkelheit gestürzt, konnte nicht sprechen, nicht essen, seine Begleiter mussten ihn an den Händen durch eine Welt führen, die ihm fremd geworden war. Und wie fremd waren ihm mit einem Mal diese Begleiter. Was wussten sie schon. Sie hielten seine Hände, während er weiter in den Abgrund stürzte, hinab fiel in das Reich des Todes.

Die Worte Jesajas mögen ihm auf seinem Fall in den Ohren gedröhnt haben:
Es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.«

In seiner Dunkelheit mag Paulus gewimmert haben: Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?

Paulus nimmt uns Logiker mit in seine Erfahrung. Das Leben will erfahren, nicht bewiesen sein. Wer einmal vor dem Nichts stand, weiß um die Wahrheit solcher Sätze, wie Paulus sie an uns schreibt. Wer gestürzt ist, weiß um die Zerstörung menschlicher Pläne und Hoffnungen, weiß um das Kreuz der Sinn- und Aussichtslosigkeit. Von der Erfahrung kommt man zum Argument, nicht umgekehrt. So gewinnen die Worte des Paulus Überzeugungskraft. Denn tiefer und stringenter kann keine menschliche Argumentation laufen als bis zum Nichts, zur Einsicht, dass menschliches Planen und Denken schnell ein Ende findet. Dann kommt der Abgrund.
Die Existenzialisten, auch die theologischen unter ihnen, sprechen dann davon, dass der Mensch den Sprung in den Abgrund wagen muss.

Ich behaupte, wer vor dem Nichts steht, muss nicht mehr springen. Er hat den festen Boden schon längst verlassen – oder der Boden ihn. Denn ein wirklicher Boden, ein Grund, war noch nie da. Da lässt sich nichts überbrücken, nichts überspringen. Es bleibt nichts als der Schrei, der aus zahllosen Menschenherzen durch Jahrtausende hallt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Christus, der Gekreuzigte will erfahren, nicht bewiesen werden. Und Paulus lässt uns an seiner Erfahrung teilhaben: Wenn alles in der Welt als Grund unseres Lebensmutes zusammenbricht, wenn wir am Ende sind mit unserer Weisheit. Wenn wir allein mit uns sind, dann sind wir allein mit Gott, der unsere Angst zu seiner macht, der selbst mit uns hinabstürzt, wenn es sein muss bis in das Reich des Todes. Wenn wir allein sind, sind wir allein mit Gott.

Das Wort vom gekreuzigten Gott ist nur denen eine Torheit, die die noch keine Bekanntschaft mit dem Nichts gemacht haben; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft. Gott ist die Kraft, die aus dem Nichts schafft. Wo wir trotz allem Ja zum Leben sagen, ohne zu wissen warum, ohne begründen zu können warum, ohne rechtfertigen zu können warum, da hat uns Gottes Kraft erfasst.

Diese Kraft Gottes aus dem Nichts zu schaffen, ist Paulus in der Begegnung mit Jesus aufgegangen. Es ist eine Kraft, die stärker ist als der Tod. Er erkannte in ihr die Stimme dessen, der einmal gesprochen hat: Es werde Licht, und es ward Licht – auch im Leben des Paulus. Er erfuhr diese Stimme als Protest gegen das von Menschen verursachte Leiden des Gekreuzigten – gegen Folter und Entehrung, gegen die Zerstörung menschlicher Anerkennung und Würde. All dem hatte Paulus noch vor kurzem zugestimmt, als er die Christen verfolgte. Jetzt aber packte ihn der Protest dagegen als Kraft der Auferstehung. In ihr wollte er für immer geborgen sein, nach ihr sehnte er sich, von ihr wollte er nie mehr getrennt sein.

Paulus hatte das Größte erfahren, was ein Mensch erfahren kann: Dass Gott ihn ohne Bedingungen anerkennt, ihn im und aus dem Nichts ins Leben ruft. Er war in der Begegnung mit Christus ins Nichts gestürzt. Mit Christus war gekreuzigt, was ihm einst Anerkennung verschafft hatte. Mit ihm war auferstanden, was Anerkennung fand bei Gott – unabhängig von allen Menschen. Mit Christus war sein Lebensmut gekreuzigt worden und mit ihm sein Leben aus dem Nichts neu erweckt worden.

Diese Kraft, die aus dem Nichts schafft, möge euch im Leben dem Nichts entreißen.
Dies Licht, das die Finsternis erleuchtet, möge in eueren Herzen aufgehen.
Dies Wort, das ins Leben führt und aus dem Leben ruft, möge euer Trost sein – im Leben und im Sterben.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre euere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Vikar Michael Krauß    (Hospitalkirche Hof)

Text: 

Paulus schreibt:

(18)Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.
(19)Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.«
(20)Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?
(21)Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.
(22)Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit,
(23)wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit;
(24)denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und  Gottes Weisheit.
(25)Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.


Archiv
Homepage Hospitalkirche