Liebe Leser,
dieses Wort schreibt der Apostel Paulus an die
Gemeinde in Korinth. Eine griechisch sprechende
Gemeinde. Seit dem Humanismus denken wir in Deutschland ganz ähnlich wie
sie: griechisch-logisch. Paulus wendet sich also an Menschen, die wie wir
gewohnt sind, logisch zu denken. Aber haben Sie die
Argumentation dieses Textes verstanden? Will er
überhaupt argumentieren? Er ist zumindest voller argumentierender Wörter:
Denn, aber, weil. Und doch führt er uns nicht
Schritt für Schritt zu einer Aussage, die uns dann als bewiesen gilt.
Im Gegenteil: Unser Predigttext kommt in der
Form einer Argumentation daher und zerstört sie fundamental. Nur ein
Beispiel: Die Juden fordern Zeichen, und die
Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten
Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit;
Hier wird nicht argumentiert. Es wird einfach
gegenübergestellt. Und die letzte Begründung ist
die Behauptung, Gott sei weiser als alle Menschen. Ein logisch auf den
ersten Blick völlig unbefriedigender Text.
Keine Beweise sind hier also zu erwarten. Die
argumentativen Denns, Weils und Abers dienen dem alleinigen Zweck zu
zeigen: Es gibt gerade keinen Weg, auf dem vernünftig argumentativ Sinn zu
gewinnen ist. Keine Argumentationskette führt zum letzten Grund. Hat nicht
Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Alle Gottes- und
Weltbilder, alle Sinnstiftungsversuche, die Menschen unternehmen, sind
hinfällig: Die Weisheit der Welt ist Torheit. Nichts, was irgendwie
Relevanz hat, ist zu erschließen. Das klingt sehr nihilistisch. Ich bin
davon überzeugt, dass Nihilismus eine realistische Weise ist, die Welt zu
sehen. Die Erfahrung ohne Sicherung zu leben, scheint mir die
Grundwahrheit menschlichen Lebens zu sein, ob wir ihr ins Gesicht blicken
oder die Augen schließen.
Gerne blicke ich dieser Wahrheit in glücklichen Momenten ins Gesicht: Ich
bin ich überwältigt von dem Gefühl wie ein Seiltänzer meinen Lebensweg zu
gehen, frei durch die Luft, ohne Seil, getragen von der Liebe Gottes. Der
Blick in den sonnendurchfluteten Abgrund erhebt mich zu einem wunderbaren
Gefühl von Freiheit und Dankbarkeit. Ich erlebe mein Leben als Geschenk.
Gott und Welt schwingen in Eins. Da gibt es nichts zu begründen. Glück
legt sich selbst aus.
Keinerlei Sicherung zu haben, aber wird unerträglich, wenn alles in der
Welt als Grund unseres Lebensmutes zusammenbricht, wenn uns plötzlich die
Flügel abhanden gekommen sind; wenn wir unendlich tief in die Dunkelheit
stürzen, gefallene Engel, allein mit uns selbst. Wenn wir vor dem Nichts
stehen. Vor Damaskus war Paulus vom Pferd in die völlige Dunkelheit
gestürzt, konnte nicht sprechen, nicht essen, seine Begleiter mussten ihn
an den Händen durch eine Welt führen, die ihm fremd geworden war. Und wie
fremd waren ihm mit einem Mal diese Begleiter. Was wussten sie schon. Sie
hielten seine Hände, während er weiter in den Abgrund stürzte, hinab
fiel in das Reich des Todes.
Die Worte Jesajas mögen ihm auf seinem Fall in den Ohren gedröhnt haben:
Es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will
zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den
Verstand der Verständigen will ich verwerfen.«
In seiner Dunkelheit mag Paulus gewimmert haben: Wo
sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo
sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die
Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?
Paulus nimmt uns Logiker mit in seine Erfahrung. Das Leben will erfahren,
nicht bewiesen sein. Wer einmal vor dem Nichts stand, weiß um die Wahrheit
solcher Sätze, wie Paulus sie an uns schreibt. Wer gestürzt ist, weiß um
die Zerstörung menschlicher Pläne und Hoffnungen, weiß um das Kreuz der
Sinn- und Aussichtslosigkeit. Von der Erfahrung kommt man zum Argument,
nicht umgekehrt. So gewinnen die Worte des Paulus Überzeugungskraft. Denn
tiefer und stringenter kann keine menschliche Argumentation laufen als bis
zum Nichts, zur Einsicht, dass menschliches Planen und Denken schnell ein
Ende findet. Dann kommt der Abgrund.
Die Existenzialisten, auch die theologischen unter ihnen, sprechen dann
davon, dass der Mensch den Sprung in den Abgrund wagen muss.
Ich behaupte, wer vor dem Nichts steht, muss nicht mehr springen. Er hat
den festen Boden schon längst verlassen – oder der Boden ihn. Denn ein
wirklicher Boden, ein Grund, war noch nie da. Da lässt sich nichts
überbrücken, nichts überspringen. Es bleibt nichts
als der Schrei, der aus zahllosen Menschenherzen durch Jahrtausende hallt:
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Christus, der Gekreuzigte will erfahren, nicht bewiesen werden. Und Paulus
lässt uns an seiner Erfahrung teilhaben: Wenn alles
in der Welt als Grund unseres Lebensmutes zusammenbricht, wenn wir am Ende
sind mit unserer Weisheit. Wenn wir allein mit uns sind, dann sind wir
allein mit Gott, der unsere Angst zu seiner macht, der selbst mit uns
hinabstürzt, wenn es sein muss bis in das Reich des Todes.
Wenn wir allein sind, sind wir allein mit Gott.
Das Wort vom gekreuzigten Gott ist nur denen eine Torheit, die die noch
keine Bekanntschaft mit dem Nichts gemacht haben; uns aber, die wir selig
werden, ist's eine Gotteskraft. Gott ist die Kraft,
die aus dem Nichts schafft. Wo wir trotz allem Ja zum Leben sagen, ohne zu
wissen warum, ohne begründen zu können warum, ohne rechtfertigen zu können
warum, da hat uns Gottes Kraft erfasst.
Diese Kraft Gottes aus dem Nichts zu schaffen, ist Paulus in der Begegnung
mit Jesus aufgegangen. Es ist eine Kraft, die stärker ist als der Tod.
Er erkannte in ihr die Stimme dessen, der einmal gesprochen hat: Es
werde Licht, und es ward Licht – auch im Leben des Paulus. Er erfuhr diese
Stimme als Protest gegen das von Menschen verursachte Leiden des
Gekreuzigten – gegen Folter und Entehrung, gegen die Zerstörung
menschlicher Anerkennung und Würde. All dem hatte Paulus noch vor kurzem
zugestimmt, als er die Christen verfolgte. Jetzt aber packte ihn der
Protest dagegen als Kraft der Auferstehung. In ihr wollte er für immer
geborgen sein, nach ihr sehnte er sich, von ihr wollte er nie mehr
getrennt sein.
Paulus hatte das Größte erfahren, was ein Mensch erfahren kann: Dass Gott
ihn ohne Bedingungen anerkennt, ihn im und aus dem Nichts ins Leben ruft.
Er war in der Begegnung mit Christus ins Nichts gestürzt. Mit Christus war
gekreuzigt, was ihm einst Anerkennung verschafft hatte. Mit ihm war
auferstanden, was Anerkennung fand bei Gott – unabhängig von allen
Menschen. Mit Christus war sein Lebensmut gekreuzigt worden und mit ihm
sein Leben aus dem Nichts neu erweckt worden.
Diese Kraft, die aus dem Nichts schafft, möge euch im Leben dem Nichts
entreißen.
Dies Licht, das die Finsternis erleuchtet, möge in eueren Herzen aufgehen.
Dies Wort, das ins Leben führt und aus dem Leben ruft, möge euer Trost
sein – im Leben und im Sterben.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre euere
Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Vikar Michael Krauß (Hospitalkirche
Hof) |
Text:
Paulus schreibt:
(18)Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit
denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine
Gotteskraft.
(19)Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen
die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich
verwerfen.«
(20)Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen
dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?
(21)Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre
Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der
Predigt selig zu machen, die daran glauben.
(22)Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit,
(23)wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis
und den Griechen eine Torheit;
(24)denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir
Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.
(25)Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die
Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind. |