Liebe Leser,
„Christliche Symbole gehören nicht an staatliche Schulen! Ein Kind
muss selbst entscheiden können, wie es sich religiös orientiert."
Das erklärte in einem Focus-Interview vor einigen Monaten Aygül
Özkan - wenige Tage vor ihrer Vereidigung zur niedersächsischen
Sozialministerin. Und schon war der Streit um das Kreuz wieder
hochaktuell!
Das Kreuz: Für die einen: Herzstück unserer christlichen Tradition,
Symbol unseres Glaubens und Grundlage des christlichen Abendlandes!
Für die anderen: Darstellung eines sinnlosen Opfers und einer
unzeitgemäßen Religion, die das Leiden verherrlicht. Oder einfach
eine brutale Folterszene, die nichts im Klassenzimmer zu suchen hat.
Und gerne wird Goethe zitiert mit seiner berühmten Frage: „Mir
willst du zum Gotte machen solch ein Jammerbild am Holze?!“ Nein,
der Streit ums Kreuz ist nicht neu! Und der Streit ums Kreuz ist
auch kein niedersächsisches oder bayrisches Problem. Das Kreuz hat
eigentlich immer schon für Streit gesorgt! Schon in den Anfängen des
christlichen Glaubens und der christlichen Gemeinde musste sich der
Apostel Paulus mit dem Vorwurf auseinandersetzen, das Kreuz sei
Unsinn, ja, letztlich eine Torheit!
Aber hören wir ihn selbst, was er der Gemeinde in Korinth schreibt:
Predigttext (siehe rechts)
Ich gebe zu, ich war etwas irritiert über diesen Text und habe
zweimal nachgeschaut, ob dieser Abschnitt aus dem 1. Korintherbrief
tatsächlich der richtige Predigttext für diesen Sonntag ist. Die
Worte des Paulus passen so gar nicht in die Sommer- und Sonnenzeit
und noch weniger zum gegenwärtigen Fußballfieber. Warum schon wieder
das Kreuz predigen? Die Passionszeit ist doch schon lange vorbei!
Ich habe überlegt, ob ich auf einen anderen Predigttext ausweichen
soll. Aber dann blieben meine Gedanken bei der „Weisheit dieser
Welt“ hängen… bei dem, was heutzutage für klug und richtig gehalten
wird.
Und von den Klugen, den Weisen seiner Zeit spricht ja auch Paulus,
von Griechen und Juden, und von dem, was in seiner Gesellschaft und
zu seiner Zeit für klug und richtig gehalten wurde. Vielleicht
hat sich ja in dieser Frage, was Weisheit und was Torheit im Leben
ist, gar nicht so viel über die Jahrhunderte verändert?! Jedenfalls
möchte ich dieser Frage mit Ihnen jetzt nachgehen! Und ich frage
zuerst, wie das damals war, zu Zeiten des Paulus:
Korinth, wo die Empfänger seines Briefes lebten, war eine
griechische Stadt. Die Griechen waren bekannt für ihre gute Bildung.
Noch heute bewundern wir die Reste ihrer Kultur, die Kunstwerke,
Bauten und Schriften der klassischen Antike. Wenn also Paulus
von den Griechen spricht und dem, was sie für klug und richtig
halten, dann denkt er an Ästhetik, an Bildung, an eine kultivierte
Lebensweise. Diesen Leuten von Jesus Christus erzählen? Da lächeln
sie nur freundlich, aber letztlich uninteressiert! Was für eine
blöde Geschichte! Wie kann man sich für einen interessieren, der am
Kreuz hing. Wieso erzählt man weiter, wie bescheuert er sich in
seinem Prozess verhalten hat. Wie er ausgelacht und gedemütigt
worden ist. Wie er geschrien hat am Kreuz. Einfach widerlich! Und
dann sagst du, Paulus, auch noch, er ist aus dem Grab erstanden. Da
wird’s ja richtig gruselig!
Nein, Paulus, das war ja kein Held, von dem du da erzählst, das war
- Entschuldigung - ein Dummkopf. Er war doch selber schuld, dass er
in diesen Prozess hineingeraten ist! Was er vertreten hat:
Barmherzigkeit, Vergebung, Feindesliebe, Freundschaft mit Armen, mit
Sündern, ernste Gespräche mit Frauen, Wertschätzung von Kindern –
das klingt zwar schön, aber die Welt ist anders! Also lass uns in
Ruhe mit diesem Typ! Wir lieben die Helden, die Erfolgreichen, die
Schönen, die Gewinner und - wenn's schon sein muss - die tapferen
und die tragischen Toten.
Ein weiterer Schritt: Viele der Christen, die in der korinthischen
Gemeinde lebten, stammten wie Paulus aus dem Judentum. Was die
Klugheit der Juden war, das hatte Paulus von der Pike gelernt!
Ausgebildet in der besten Bibelschule Jerusalems und unter dem
besten Schriftgelehrten seiner Zeit, Rabbi Gamaliel, wusste er die
Bibel auszulegen, hatte jeden Vers gedreht und gewendet. Ziel des
jüdischen Schriftgelehrten war es, die Bibel richtig zu verstehen –
um danach gottgefällig zu leben! Aus Überzeugung und mit Freude
hielten sie sich an die vielen Gebote aus den Mosebüchern! Man kann
Gottes guten Willen erkennen, sagten sie, und man kann, ja man soll
danach leben, damit Leben gelingt.
Umso scheußlicher war für sie das „Wort vom Kreuz". Paulus, wie
kannst du so eine Gotteslästerung, so eine ärgerliche Botschaft
vertreten! Heißt es doch in der Heiligen Schrift an einer Stelle:
„Verflucht ist, wer am Holze hängt!“ Wie kannst du, Paulus, wie
könnt ihr Christen behaupten, dass ein Gekreuzigter der Messias
Gottes ist? Wie kannst du behaupten, dass Gott einen Verfluchten
liebt? Einen, der schon zu Lebzeiten Gottes Gebote gebrochen hat?
Jüdisches Denken, so wie Paulus es gelernt hatte, hat die
persönliche Anstrengung, das Sich-Bewähren des Glaubens im Alltag in
den Mittelpunkt gestellt. Dass Gott seine Liebe umsonst verschenkt,
dass der Messias Gottes ein Gescheiterter, ja, ein Verfluchter ist,
das war für jeden frommen Juden schlichtweg undenkbar.
„Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis
und den Griechen eine Torheit." Warum also, um Gottes willen,
predigt ein Paulus und mit ihm die ganze Christenheit bis heute das
Wort vom Kreuz? Warum immer wieder diese Geschichte, die die meisten
Zeitgenossen des Paulus schon damals nicht überzeugen konnte und die
ja auch heute so häufig kein Gehör findet, bestenfalls ein müdes,
aber uninteressiertes Lächeln? Warum, so frage ich weiter, ist
Gottes Sohn einer, der sich für die Armen, für die Kranken, für die
Verachteten für jeden Schuldigen einsetzt? Warum nur ist Gottes Sohn
so ein Looser, einer, der verloren hat, der Schmerzen leidet, der
verachtet wird und sterben muss? Warum nur, um Gottes Willen, kein
strahlender Held, einer, der gut ankommt bei den Leuten, der sie
begeistert und überzeugt?
Nun, ganz einfach, liebe Gemeinde: weil wir auch keine strahlenden
Helden sind! Und weil Gott uns ganz in den Blick nimmt! Die
„Weisheit dieser Welt“, diese Wunschvorstellung von den
Leistungsbereiten, die ihr Leben scheinbar im Griff haben, von den
Starken und Erfolgreichen, denen scheinbar alles gelingt, solange
sie sich nur anstrengen, von den Klugen, die scheinbar immer wissen,
wo's lang geht - die wird doch keinem Menschen gerecht! Und dem
Leben schon gar nicht! Dem so wunderbaren aber auch so grausamen
Leben, dem immer wieder chaotischen und deshalb oft so
komplizierten, dem manchmal schwierigen und mitunter nicht
begreifbaren, dem immer neu pulsierenden und überraschenden Leben,
in das hinein ein jeder Mensch – auch wir! - ausgespannt ist! Das
Wort vom Kreuz ist uns eine Gotteskraft, sagt Paulus, weil es unser
Leben als Ganzes wahrnimmt, weil Gott selbst uns in Christus
ganzheitlich sieht – und wir uns in ihm!
Natürlich sind wir manchmal stark und immer wieder mal fleißig, sind
wir gerne selbstbewusst und am liebsten auch leistungsfähig und
nicht krank oder eingeschränkt, natürlich halten wir uns gerne für
klug und zielstrebig, natürlich möchten wir gerne souverän und immer
auch schön sein. Und natürlich hat Gott ja einen jeden von uns mit
wunderbaren Gaben ausgestattet, mit denen ein jeder sein Leben
gestalten und manchmal sogar gute Dinge auf den Weg bringen kann.
Aber dabei und darüber all das andere ausblenden, das uns das Leben
so schwer und einem jeden von uns immer wieder Mühe macht? Unsere
Verletzlichkeit und unsere Schmerzen; unsere Trauer und unsere
Angst; und immer wieder diese Einsamkeit, die keiner ganz los wird;
immer wieder dieses Verstricktwerden in äußere und ebenso in innere
Verhängnisse, in Schuld; immer wieder das Erleben eigenen Versagens,
aber auch des Versagens von Menschen um mich herum, manchmal so nah,
dass es besonders weh tut.
Dabei und darüber vergessen, dass wir die schönsten Dinge im Leben
geschenkt bekommen, letztlich selbst nicht machen, nicht erarbeiten
und schon gar nicht kaufen können: den Atem und den Herzschlag, die
Liebe und das Lachen, die Sonne und den Duft der Blumen, den Glanz
der Sterne und das Rauschen des Meeres, die Lieder und die Musik und
das Spiel. Dabei und darüber all die Menschen zur Seite schieben,
die unsere Hilfe nötig haben, um das Leben zu bestehen. Stattdessen
immer am Berechnen sein: Was bringt mir das? Immer in Eile sein:
Jetzt nicht, hab keine Zeit! Sich immer vergleichen müssen mit den
anderen: bin ich immer noch besser, stärker, schöner?
Das Wort vom Kreuz, sagt Paulus, ist eine Gotteskraft. Denn es
zeigt, dass Gott um die ganze Dimension unseres Daseins weiß. Der
Gekreuzigte steht für unsere Grenzen, steht für unsere
Verletzlichkeit, für unsere Schwachheit, für unser Verzweifeln am
Leben, nicht zuletzt auch für die Bosheit, die Menschen einander
antun. Und er erinnert uns an die Armen, die Kranken, die Einsamen,
die Schuldigen, für die er sich eingesetzt hat. Das, sagt Paulus,
das ist der Horizont Gottes! Gott blendet diese Grenzen eben nicht
aus. Im Gegenteil! Sein Blick fällt auch auf die Seiten meines
Lebens, die wir eben nicht gern vorzeigen, die wir auch nicht im
Griff haben, die uns allen deshalb soviel Sorgen und Mühe machen.
Aber jetzt auch andersherum: Auch auf die Seiten des Lebens, die mir
Sorgen und Mühe machen, die ich nicht im Griff habe, die ich nicht
gern vorzeige, auf meine Grenzen fällt Gottes Blick. Und es ist, um
Gottes Willen, ein heilsamer, ein liebevoller Blick. Denn das gehört
auch zum Wort vom Kreuz: Die alle Grenzen und Vorbehalte sprengende
Liebe Gottes zum Gekreuzigten, dem Ohnmächtigen, dem Leidenden! Den
lässt Gott nicht im Stich, gerade da, wo ihn alle Welt im Stich
lässt. Ihn erfüllt er mit neuem Leben, wo alle Welt nur noch Tod und
Ende sieht.
Es ist dieser liebende Blick Gottes auf den Menschen – den ganzen
Menschen – mit all seinem Elend und seiner Ohnmacht, es ist dieses
Wort vom Kreuz, das uns ein anderes Zitat Goethes in Erinnerung
ruft: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“ Da wo wir immer
wieder an unsere Grenzen stoßen, wo wir uns ohnmächtig und hilflos
erleben, eben dahin fällt Gottes liebevoller Blick. Und an unsere
Grenzen stoßen wir ja immer wieder: was unsere Gesundheit betrifft
und unsere Lebensdauer, was die Erziehung unserer Kinder betrifft
und unseren Umgang mit den alt gewordenen Eltern, was unsere
Leistungsfähigkeit im Beruf betrifft und unser Vermögen, aus der
geschenkten Zeit etwas Sinnvolles zu machen, was unsere
Lebensweisheit und was unsere Weisheit im zwischenmenschlichen
Umgang betrifft.
Aber oft begegne ich - Gott sei Dank! - Menschen, die Ja sagen zu
ihren Grenzen und freundlich Ja sagen können auch zu meinen Grenzen!
Die wissen, dass ein jeder und jede Wärme und Anteilnahme braucht,
um zu sich und anderen barmherzig sein zu können. Da ist die
liebevolle Post, das kleine Geschenk, das ich vor meiner Haustür
finde; da sind die vielen kleinen und manchmal auch großen Hilfen,
wenn ich darum bitte; da ist Geduld in schwierigen Zeiten und Humor
als Heilmittel gegen jeden Groll; da ist Dankbarkeit für
Unscheinbares und Verzeihen von Fehlern. Immer wieder sehe ich
Menschen, die an ihrem Ort und mit ihrer Weisheit die Welt ein
bisschen schöner und glücklicher machen.
Und es sind diese Menschen, die mir Mut machen. Mut, dieser
Gotteskraft in ihnen auch selbst etwas zuzutrauen, ihr selbst mehr
zu vertrauen und so empfangene Liebe auch selbst weiterzugeben,
meinen Teil am Reich Gottes in dieser Welt beizusteuern. Sie machen
mir Mut, selbst gelassener zu sein, wenn einmal etwas nicht so
klappt wie erhofft. Sie machen mir Mut zur Güte – mir selbst, aber
auch anderen gegenüber. Und sie weiten meinen Blick, lassen mich
gründlich misstrauisch werden gegenüber dieser „Weisheit der Welt“ -
damals wie heute - , nach der Erfolg und Leistung angeblich der
Schlüssel zum Glück sind.
Denn unter Gottes liebevollem Blick, unter dem Wort vom Kreuz darf
ich so sein wie ich bin. Das zu wissen und so zu leben ist wahrlich
eine Gotteskraft.
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof) |
Text: Paulus schreibt:
18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit
denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's
eine Gotteskraft.
19 Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte
machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen
will ich verwerfen.«
20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die
Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit
gemacht?
21 Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch
ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit
der Predigt selig zu machen, die daran glauben.
22 Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach
Weisheit,
23 wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein
Ärgernis und den Griechen eine Torheit;
24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir
Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.
25 Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und
die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.
|