Predigt     1. Korinther 1/18-25     5. Sonntag nach Trinitatis     04.07.10

"Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!"
(zugleich Predigt zur Silbernen Konfirmation
von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

„Christliche Symbole gehören nicht an staatliche Schulen! Ein Kind muss selbst entscheiden können, wie es sich religiös orientiert." Das erklärte in einem Focus-Interview vor einigen Monaten Aygül Özkan - wenige Tage vor ihrer Vereidigung zur niedersächsischen Sozialministerin. Und schon war der Streit um das Kreuz wieder hochaktuell!

Das Kreuz: Für die einen: Herzstück unserer christlichen Tradition, Symbol unseres Glaubens und Grundlage des christlichen Abendlandes! Für die anderen: Darstellung eines sinnlosen Opfers und einer unzeitgemäßen Religion, die das Leiden verherrlicht. Oder einfach eine brutale Folterszene, die nichts im Klassenzimmer zu suchen hat. Und gerne wird Goethe zitiert mit seiner berühmten Frage: „Mir willst du zum Gotte machen solch ein Jammerbild am Holze?!“ Nein, der Streit ums Kreuz ist nicht neu! Und der Streit ums Kreuz ist auch kein niedersächsisches oder bayrisches Problem. Das Kreuz hat eigentlich immer schon für Streit gesorgt! Schon in den Anfängen des christlichen Glaubens und der christlichen Gemeinde musste sich der Apostel Paulus mit dem Vorwurf auseinandersetzen, das Kreuz sei Unsinn, ja, letztlich eine Torheit!

Aber hören wir ihn selbst, was er der Gemeinde in Korinth schreibt: Predigttext (siehe rechts)

Ich gebe zu, ich war etwas irritiert über diesen Text und habe zweimal nachgeschaut, ob dieser Abschnitt aus dem 1. Korintherbrief tatsächlich der richtige Predigttext für diesen Sonntag ist. Die Worte des Paulus passen so gar nicht in die Sommer- und Sonnenzeit und noch weniger zum gegenwärtigen Fußballfieber. Warum schon wieder das Kreuz predigen? Die Passionszeit ist doch schon lange vorbei! Ich habe überlegt, ob ich auf einen anderen Predigttext ausweichen soll. Aber dann blieben meine Gedanken bei der „Weisheit dieser Welt“ hängen… bei dem, was heutzutage für klug und richtig gehalten wird.

Und von den Klugen, den Weisen seiner Zeit spricht ja auch Paulus, von Griechen und Juden, und von dem, was in seiner Gesellschaft und zu seiner Zeit für klug und richtig gehalten wurde.  Vielleicht hat sich ja in dieser Frage, was Weisheit und was Torheit im Leben ist, gar nicht so viel über die Jahrhunderte verändert?! Jedenfalls möchte ich dieser Frage mit Ihnen jetzt nachgehen! Und ich frage zuerst, wie das damals war, zu Zeiten des Paulus:

Korinth, wo die Empfänger seines Briefes lebten, war eine griechische Stadt. Die Griechen waren bekannt für ihre gute Bildung. Noch heute bewundern wir die Reste ihrer Kultur, die Kunstwerke, Bauten und Schriften der klassischen Antike.  Wenn also Paulus von den Griechen spricht und dem, was sie für klug und richtig halten, dann denkt er an Ästhetik, an Bildung, an eine kultivierte Lebensweise. Diesen Leuten von Jesus Christus erzählen? Da lächeln sie nur freundlich, aber letztlich uninteressiert! Was für eine blöde Geschichte! Wie kann man sich für einen interessieren, der am Kreuz hing. Wieso erzählt man weiter, wie bescheuert er sich in seinem Prozess verhalten hat. Wie er ausgelacht und gedemütigt worden ist. Wie er geschrien hat am Kreuz. Einfach widerlich! Und dann sagst du, Paulus, auch noch, er ist aus dem Grab erstanden. Da wird’s ja richtig gruselig!

Nein, Paulus, das war ja kein Held, von dem du da erzählst, das war - Entschuldigung - ein Dummkopf. Er war doch selber schuld, dass er in diesen Prozess hineingeraten ist! Was er vertreten hat: Barmherzigkeit, Vergebung, Feindesliebe, Freundschaft mit Armen, mit Sündern, ernste Gespräche mit Frauen, Wertschätzung von Kindern – das klingt zwar schön, aber die Welt ist anders! Also lass uns in Ruhe mit diesem Typ! Wir lieben die Helden, die Erfolgreichen, die Schönen, die Gewinner und - wenn's schon sein muss - die tapferen und die tragischen Toten.

Ein weiterer Schritt: Viele der Christen, die in der korinthischen Gemeinde lebten, stammten wie Paulus aus dem Judentum. Was die Klugheit der Juden war, das hatte Paulus von der Pike gelernt! Ausgebildet in der besten Bibelschule Jerusalems und unter dem besten Schriftgelehrten seiner Zeit, Rabbi Gamaliel, wusste er die Bibel auszulegen, hatte jeden Vers gedreht und gewendet. Ziel des jüdischen Schriftgelehrten war es, die Bibel richtig zu verstehen – um danach gottgefällig zu leben! Aus Überzeugung und mit Freude hielten sie sich an die vielen Gebote aus den Mosebüchern! Man kann Gottes guten Willen erkennen, sagten sie, und man kann, ja man soll danach leben, damit Leben gelingt.

Umso scheußlicher war für sie das „Wort vom Kreuz". Paulus, wie kannst du so eine Gotteslästerung, so eine ärgerliche Botschaft vertreten! Heißt es doch in der Heiligen Schrift an einer Stelle: „Verflucht ist, wer am Holze hängt!“ Wie kannst du, Paulus, wie könnt ihr Christen behaupten, dass ein Gekreuzigter der Messias Gottes ist? Wie kannst du behaupten, dass Gott einen Verfluchten liebt? Einen, der schon zu Lebzeiten Gottes Gebote gebrochen hat? Jüdisches Denken, so wie Paulus es gelernt hatte, hat die persönliche Anstrengung, das Sich-Bewähren des Glaubens im Alltag in den Mittelpunkt gestellt. Dass Gott seine Liebe umsonst verschenkt, dass der Messias Gottes ein Gescheiterter, ja, ein Verfluchter ist, das war für jeden frommen Juden schlichtweg undenkbar.

„Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit." Warum also, um Gottes willen, predigt ein Paulus und mit ihm die ganze Christenheit bis heute das Wort vom Kreuz? Warum immer wieder diese Geschichte, die die meisten Zeitgenossen des Paulus schon damals nicht überzeugen konnte und die ja auch heute so häufig kein Gehör findet, bestenfalls ein müdes, aber uninteressiertes Lächeln?  Warum, so frage ich weiter, ist Gottes Sohn einer, der sich für die Armen, für die Kranken, für die Verachteten für jeden Schuldigen einsetzt? Warum nur ist Gottes Sohn so ein Looser, einer, der verloren hat, der Schmerzen leidet, der verachtet wird und sterben muss? Warum nur, um Gottes Willen, kein strahlender Held, einer, der gut ankommt bei den Leuten, der sie begeistert und überzeugt?

Nun, ganz einfach, liebe Gemeinde: weil wir auch keine strahlenden Helden sind! Und weil Gott uns ganz in den Blick nimmt! Die „Weisheit dieser Welt“, diese Wunschvorstellung von den Leistungsbereiten, die ihr Leben scheinbar im Griff haben, von den Starken und Erfolgreichen, denen scheinbar alles gelingt, solange sie sich nur anstrengen, von den Klugen, die scheinbar immer wissen, wo's lang geht - die wird doch keinem Menschen gerecht! Und dem Leben schon gar nicht! Dem so wunderbaren aber auch so grausamen Leben, dem immer wieder chaotischen und deshalb oft so komplizierten, dem manchmal schwierigen und mitunter nicht begreifbaren, dem immer neu pulsierenden und überraschenden Leben, in das hinein ein jeder Mensch – auch wir! - ausgespannt ist! Das Wort vom Kreuz ist uns eine Gotteskraft, sagt Paulus, weil es unser Leben als Ganzes wahrnimmt, weil Gott selbst uns in Christus ganzheitlich sieht – und wir uns in ihm!

Natürlich sind wir manchmal stark und immer wieder mal fleißig, sind wir gerne selbstbewusst und am liebsten auch leistungsfähig und nicht krank oder eingeschränkt, natürlich halten wir uns gerne für klug und zielstrebig, natürlich möchten wir gerne souverän und immer auch schön sein. Und natürlich hat Gott ja einen jeden von uns mit wunderbaren Gaben ausgestattet, mit denen ein jeder sein Leben gestalten und manchmal sogar gute Dinge auf den Weg bringen kann.
Aber dabei und darüber all das andere ausblenden, das uns das Leben so schwer und einem jeden von uns immer wieder Mühe macht? Unsere Verletzlichkeit und unsere Schmerzen; unsere Trauer und unsere Angst; und immer wieder diese Einsamkeit, die keiner ganz los wird; immer wieder dieses Verstricktwerden in äußere und ebenso in innere Verhängnisse, in Schuld; immer wieder das Erleben eigenen Versagens, aber auch des Versagens von Menschen um mich herum, manchmal so nah, dass es besonders weh tut.

Dabei und darüber vergessen, dass wir die schönsten Dinge im Leben geschenkt bekommen, letztlich selbst nicht machen, nicht erarbeiten und schon gar nicht kaufen können: den Atem und den Herzschlag, die Liebe und das Lachen, die Sonne und den Duft der Blumen, den Glanz der Sterne und das Rauschen des Meeres, die Lieder und die Musik und das Spiel. Dabei und darüber all die Menschen zur Seite schieben, die unsere Hilfe nötig haben, um das Leben zu bestehen. Stattdessen immer am Berechnen sein: Was bringt mir das? Immer in Eile sein: Jetzt nicht, hab keine Zeit! Sich immer vergleichen müssen mit den anderen: bin ich immer noch besser, stärker, schöner?

Das Wort vom Kreuz, sagt Paulus, ist eine Gotteskraft. Denn es zeigt, dass Gott um die ganze Dimension unseres Daseins weiß. Der Gekreuzigte steht für unsere Grenzen, steht für unsere Verletzlichkeit, für unsere Schwachheit, für unser Verzweifeln am Leben, nicht zuletzt auch für die Bosheit, die Menschen einander antun. Und er erinnert uns an die Armen, die Kranken, die Einsamen, die Schuldigen, für die er sich eingesetzt hat. Das, sagt Paulus, das ist der Horizont Gottes! Gott blendet diese Grenzen eben nicht aus. Im Gegenteil! Sein Blick fällt auch auf die Seiten meines Lebens, die wir eben nicht gern vorzeigen, die wir auch nicht im Griff haben, die uns allen deshalb soviel Sorgen und Mühe machen.

Aber jetzt auch andersherum: Auch auf die Seiten des Lebens, die mir Sorgen und Mühe machen, die ich nicht im Griff habe, die ich nicht gern vorzeige, auf meine Grenzen fällt Gottes Blick. Und es ist, um Gottes Willen, ein heilsamer, ein liebevoller Blick. Denn das gehört auch zum Wort vom Kreuz: Die alle Grenzen und Vorbehalte sprengende Liebe Gottes zum Gekreuzigten, dem Ohnmächtigen, dem Leidenden! Den lässt Gott nicht im Stich, gerade da, wo ihn alle Welt im Stich lässt. Ihn erfüllt er mit neuem Leben, wo alle Welt nur noch Tod und Ende sieht.

Es ist dieser liebende Blick Gottes auf den Menschen – den ganzen Menschen – mit all seinem Elend und seiner Ohnmacht, es ist dieses Wort vom Kreuz, das uns ein anderes Zitat Goethes in Erinnerung ruft: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“ Da wo wir immer wieder an unsere Grenzen stoßen, wo wir uns ohnmächtig und hilflos erleben, eben dahin fällt Gottes liebevoller Blick. Und an unsere Grenzen stoßen wir ja immer wieder: was unsere Gesundheit betrifft und unsere Lebensdauer, was die Erziehung unserer Kinder betrifft und unseren Umgang mit den alt gewordenen Eltern, was unsere Leistungsfähigkeit im Beruf betrifft und unser Vermögen, aus der geschenkten Zeit etwas Sinnvolles zu machen, was unsere Lebensweisheit und was unsere Weisheit im zwischenmenschlichen Umgang betrifft.

Aber oft begegne ich - Gott sei Dank! - Menschen, die Ja sagen zu ihren Grenzen und freundlich Ja sagen können auch zu meinen Grenzen! Die wissen, dass ein jeder und jede Wärme und Anteilnahme braucht, um zu sich und anderen barmherzig sein zu können. Da ist die liebevolle Post, das kleine Geschenk, das ich vor meiner Haustür finde; da sind die vielen kleinen und manchmal auch großen Hilfen, wenn ich darum bitte; da ist Geduld in schwierigen Zeiten und Humor als Heilmittel gegen jeden Groll; da ist Dankbarkeit für Unscheinbares und Verzeihen von Fehlern. Immer wieder sehe ich Menschen, die an ihrem Ort und mit ihrer Weisheit die Welt ein bisschen schöner und glücklicher machen.

Und es sind diese Menschen, die mir Mut machen. Mut, dieser Gotteskraft in ihnen auch selbst etwas zuzutrauen, ihr selbst mehr zu vertrauen und so empfangene Liebe auch selbst weiterzugeben, meinen Teil am Reich Gottes in dieser Welt beizusteuern. Sie machen mir Mut, selbst gelassener zu sein, wenn einmal etwas nicht so klappt wie erhofft. Sie machen mir Mut zur Güte – mir selbst, aber auch anderen gegenüber. Und sie weiten meinen Blick, lassen mich gründlich misstrauisch werden gegenüber dieser „Weisheit der Welt“ - damals wie heute - , nach der Erfolg und Leistung angeblich der Schlüssel zum Glück sind.

Denn unter Gottes liebevollem Blick, unter dem Wort vom Kreuz darf ich so sein wie ich bin. Das zu wissen und so zu leben ist wahrlich eine Gotteskraft.

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

Paulus schreibt:

18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.
19 Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.«
20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?
21 Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.

22 Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit,
23 wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit;
24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.
25 Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

 


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