Predigt 1. Korinther 1/4-9 5. Sonntag vor der Passionszeit 03.02.2019 "Abstand von sich selbst
gewinnen" |
Liebe Leser, „Wofür wir dankbar sind: für eine unerwartete Geste, ein ehrliches Lob, Trost und Mitgefühl, ein Geschenk, das uns meint, und dafür, die Grundlagen dessen, was ein gelingendes Leben ausmacht, zu besitzen - ein Dach überm Kopf, die Zuneigung anderer und das Glück, selber Liebe empfinden zu können. Bücher und die Fähigkeit, jederzeit mittels der Phantasie dem Bannkreis der Realität zu entkommen, profunden Schlaf, Kollegen, die einem das Leben nicht schwermachen, und die Freiheit zu tun, was man kann. Die Abendbrise nach einem brütenden Tag und den hohen Himmel im Herbst, überhaupt die Jahreszeiten und ihre Farben und Rituale. Außerdem: Tischrunden ohne Selbstdarsteller, das Schnurren der Katze, die Hartnäckigkeit der Freunde über Distanzen hinweg, eine heitere Mail an einem grauen Tag, unkonventionelle Gastfreundschaft und, je älter man wird, die Gesundheit. Dankbarkeit: für Gespräche, welche die Neugierde nicht beleidigen, die weiten Räume der Malerei, dafür, nicht stehengelassen zu werden auf einem Fest, bei dem man niemanden kennt, und immer wieder: das Meer und die Annahme, dass es so etwas wie Verzeihen gibt. Die Fähigkeit, vergessen zu können, den Duft der Blumen, Musik, sofern sie nicht aus öffentlichen Lautsprechern kommt, das erste Glas Wein nach einem zermürbenden Tag, die Dankbarkeit anderer, sprich das Glück, Freude bereiten zu können.“ (Andrea Köhler in der NZZ, zitiert nach Prof. Dr. Magadalene L. Frettlöh, GPM 4/2018, Heft 1, S. 114) Wie wäre es heute einmal mit einem wertschätzenden Gang durch das eigene Leben? Und selbst wenn das ein oder andere aus dem eben Zitierten im eigenen Leben nicht zu finden ist – vielleicht können wir das ein oder andere hinzufügen. In jedem Fall werden wir aufmerksam, was wir der Welt, anderen Menschen und letztlich Gott verdanken. Wir verdanken uns jedenfalls nicht uns selbst. Denn so wenig wir unser eigener Schöpfer sind, sowenig wir uns unser Leben selbst geben können, so wenig können wir herstellen und erzwingen, wofür wir von Herzen dankbar sind. Wir erfahren das, was unser Leben reich macht als „charis“, zu Deutsch: Gnade. Der Philosoph Hans-Georg Gadamer: „Danken ist immer eine Erfahrung der Transzendenz, d.h. Danken geht immer über den Horizont hinaus, in dem menschliche Erwartungen ihre gegenseitige Bilanz aufstellen. (…) Dass Dankbarkeit ihrem Wessen nach eigentlich eine unendliche Dankbarkeit ist, liegt in diesem transzendenten Zug der Dankbarkeit.“ (zitiert nach Frettlöh, a.a.O. S. 116) Das griechische Wort für Gnade, charis, taucht im griechischen Wort für den ausgesprochenen Dank wieder auf: eucharistia! Der Theologe Karl Barth hält deshalb fest: „Auf charis kann nur eucharistia antworten. (…) Gnade und Dankbarkeit gehören zusammen wie Himmel und Erde. Gnade ruft der Dankbarkeit wie die Stimme dem Echo. Dankbarkeit folgt der Gnade wie der Donner dem Blitz.“ (zitiert nach Frettlöh, a.a.O. S. 118) „Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus.“ So beginnt Paulus seinen ersten Brief an die Gemeinde in Korinth und erinnert uns und seine Adressaten zunächst daran, dass alle Gnade Gottes einen Namen hat: Jesus Christus. Er erinnert ferner daran, dass all die Charismen, die Gnadengaben des Heiligen Geistes, die in der Gemeinde in Korinth so überreichlich vorhanden waren, einen Geist atmen: Den Geist Jesu Christi. Paulus tut das nicht, um den Empfängern seines Briefes erst einmal Honig ums Maul zu schmieren, damit sie das, was er ihnen im Weiteren kritisch zu sagen hat, überhaupt lesen. Er intoniert vielmehr den Grundgedanken, der nicht nur die tief zerstrittene Gemeinde in Korinth zusammenhält, sondern Himmel und Erde. Er benennt die Lebensgrundlage der christlichen Gemeinde. Man könnte dies auch einen wertschätzenden Gang des Paulus durch die Gemeinde in Korinth nennen, bei dem Paulus trotz allem in dieser Gemeinde Gottes Gnade am Werk sieht - und zwar im Überfluss. Er hätte durchaus so beginnen können, wie das in unserer Kirche gang und gäbe ist. Da wird zunächst von der Krise der Kirche und Gemeinde geredet. Dann wird der Gemeinde gezeigt, wie sie zu sein und zu werden hätte, um die angebliche Krise zu überwinden und dann werden neue Dienstordnungen für die Mitarbeitenden erlassen. Dies führt, wie die Kirche durch die Niederlagen so vieler Reformprozesse bestens beraten sein müsste, zu nichts als Verdruss, Überforderung, Lustlosigkeit und innerer Emigration. Ein schöneres Leitbild macht noch kein schöneres Gemeindeleben. Und dann ist die nächst größere Krise und der nächst größere Streit vorprogrammiert. Ach, sagt Paulus, wir und ihr in Korinth seid es doch gar nicht, die die christliche Gemeinde am Leben erhalten, sondern die Gnade Gottes allein. Und das gilt selbstverständlich auch für Kirchengemeinden, die kein Problem mit ihren Schwächen, sondern ein Problem mit ihren Stärken haben. Und die Gemeinde in Korinth hatte sie so gut wie alle. Da konnte man schon einmal den Überblick verlieren und den Blick für das, was die Gemeinde im Innersten zusammenhält. Paulus will diesen Blick wieder herstellen. Und deshalb nennt er in der Einleitung seines Briefes von all den reichen Gaben und Begabungen der Korinther nur eine: Sie wartet auf Jesus Christus! „Dankende wie Wartende trauen Gott mehr zu als sich selbst und können darum auch davon absehen, in unermüdlicher Umtriebigkeit selbst die Welt retten zu wollen. In einem der auf- und anregendsten Bücher zur Theologie Karl Barths hat Ralf Frisch jüngst daran erinnert, ‚dass das Lassen für eine Kirche, die aus Gnade lebt, sachgemäßer ist als das Machen, das den Menschen unter permanenten Reformstress setzt‘. Frisch plädiert für ‚eine christliche Kunst des Seinlassens (…), weil wir vielleicht nur zu retten sind, wenn wir hin und wieder auf Abstand zu uns selbst und zu unseren Selbstverstrickungen und Machenschaften gehen und uns aus jener heilsamen Distanz wahrnehmen, aus der uns auch Gott wahrnimmt, wenn er uns liebt, erhält und sein lässt‘. Indem Paulus als einzige Aktivität der korinthischen Gemeinde das Warten nennt, richtet er die, die megastolz sind auf ihre außerordentlichen Begabungen und sich ihrer so gerne rühmen, auf das Kommen des Christus aus und lässt sie so Abstand zu sich selbst gewinnen.“ (Frettlöh, a.a.O. S. 119) Abstand zu uns selbst gewinnen, das scheint mir zu aller Zeit eine dringende Notwendigkeit in Kirche und Gemeinde. Abstand zu uns selbst gewinnen, meint im gleichen Atemzug, größere Nähe zu unserer gemeinsamen Hoffnung, zu Jesus Christus gewinnen. Denn er ist es, der uns alle verbindet zu einer Gemeinschaft, ja noch mehr: Zu seinem Leib! (1.Korinther 12,27) Wo Gemeinde Leib Christi ist, da ist in seinem Wort und Sakrament alles schon da. Da hat die Gemeinde schon jetzt Anteil an dem, was sie noch sehnlich erhofft. Es gibt viele Gaben in der christlichen Gemeinde, aber nur eine Gnade Gottes und einen Leib Christi. Das ist das Argument, an das Paulus die zerstrittene Gemeinde in Korinth und alle zerstrittenen Christengemeinden erinnert, in denen Ausschließlichkeitsansprüche gestellt werden und in denen Einzelne rücksichtslos das jeweils eigene Wort und die jeweils eigene Erkenntnis durchsetzen wollen. So soll es unter euch nicht sein, sagt Jesus zu seinen Jüngern. Einer ist euer Meister, ihr aber seid Geschwister! (Matthäus 23,8) Und auch dafür sollten wir dankbar sein!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) |
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für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus, |
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