Liebe Leser,
die Gemeinde in Korinth war ein Kinder der
Paulusmission. Paulus ist mit diesem Kind nicht immer glücklich gewesen.
Bereits nach wenigen Jahren war diese Gemeinde ein Flickenteppich von
Gruppen und Kreisen, die ihren jeweils eigenen Hofprediger und ihre
eigenen Schwerpunkte des Gemeindelebens hatten. Da gab es die Liberalen,
die auf jede Moral pfiffen, oder die Charismatiker, die im Heiligen
Geist in fremden Sprachen reden konnten. Und manche von den Liberalen
waren Charismatiker und manche Charismatiker liberal. Und das konnte all
denen natürlich nicht gefallen, die daran festhielten, dass ein
Christenmensch wenigstens ein paar Regeln des persönlichen und
gemeinschaftlichen Lebens zu befolgen hat.
Ein Wunder war diese Situation der Gemeinde in Korinth nicht. Lebte sie
doch in einer Zeit, in der an jeder Straßenecke ein anderer seine
religiösen Überzeugungen anbot. Kultig ging es in jedem Hinterhof zu.
Was die Gemeinde in Korinth eigentlich war und eigentlich wollte –
angesichts des Drunter und Drüber in und um die Gemeinde herum, konnte
das kaum noch jemand sagen.
Heute ist das ja gar nicht viel anders. Da rief neulich ein Liedermacher
an, der das Haupt einer dieser vielen freikirchlichen Gruppen ist, in
denen das Christsein in angeblich noch nie da gewesener Echtheit und
Ursprünglichkeit gelebt wird, und bot Liederabende für die Einheit der
Christen an. Er bekam zur Antwort, wenn er und die Seinen nicht schon
wieder einen neuen Verein aufgemacht hätten, wären wir in dieser Frage
schon weiter.
Ich schreibe immer wieder einmal an die Macher von kommunalen Seiten im
Internet und weise darauf hin, dass es nicht zutreffend ist, die Kirche
unter „Vereinen“ aufzuführen. Rechtlich betrachtet ist sie eine
Körperschaft des öffentlichen Rechts. Mit Paulus betrachtet ist sie eine
Körperschaft Jesu Christi. Ach, das Problem begleitet sie, seit es sie
gibt.
Besonders die evangelische Kirche hat sich in ihrer Geschichte recht
wenig Gedanken gemacht, wie die Kirche als Körperschaft Jesu Christi
eigentlich auszusehen hat. Denn sie sollte sich doch schon eine Form
geben, die ihrem Wesen entspricht. Der Neutestamentler Jürgen Roloff
spricht gar vom „notorische Desinteresse der lutherischen Theologie an
Gestalt und Wesen der Kirche. Es hat in der Vergangenheit dazu geführt,
dass man Modelle für Leitung und Aufbau der sichtbaren Kirche mehr oder
weniger sorglos aus anderen Bereichen übernahm. So war jahrhundertelang
das Paradigma der staatlichen Organisation für die lutherischen Kirchen
maßgeblich mit der Folge, dass die Kirche Züge einer obrigkeitlichen
Behörde annahm. Das Pfarramt kam so im allgemeinen Kirchenbewusstsein
unmittelbar neben dem Postamt und dem Finanzamt zu stehen.“ (Jürgen
Roloff, Die Torheit des Kreuzes und die Weisheit der
Personalentwicklung. Acht Thesen)
Wen wundert es da, dass unsere Kirche in diesen Tagen versucht, ihren
Bestand durch allerlei „verwaltungstechnische Maßnahmen“
sicherzustellen. Einerseits wird empfohlen immer größere Einheiten zu
bilden, weil das doch wesentlich effizienter wäre, andererseits soll die
kirchliche Arbeit immer weiter ausdifferenziert werden, damit man auch
alle sogenannten „Milieus“ erreicht. Ökonomie und Soziotechnik werden
großgeschrieben. Theologie spielt keine Rolle mehr. Heutige
Kirchenreformer müssen den Beschwerden eines Apostel Paulus doch mit
völligem Unverständnis gegenüberstehen und ihn fragen, was er denn
eigentlich wolle. Es sei doch gut, dass es in Korinth eine solche
Vielfalt an Predigern und Neigungsgruppen gebe, die ihren Jesus auf ihre
Art predigen und glauben und damit Menschen aus ganz verschiedenen
Milieus erreichen.
Der Theologe Wolfgang Vögele schreibt dieser Tage: „Die Menschen
erwarten von Kirche, Gemeinde und Pfarrern gerade eine theologische
Kernkompetenz, die nicht durch eine pastorale Anbiederungswissenschaft
(Wie gewinne ich möglichst viele Teilnehmer und Kunden?) ersetzt werden
darf. Es ist – ausnahmsweise – wie beim Kauf eines Autos. Das wichtigste
ist, dass es sicher und störungsfrei fährt. Dass man damit Radio hören,
im Internet surfen und zur Not auch Bierdosen kühlen kann, sind
erfreuliche Nebenfunktionen, die aber alle hinter die Hauptfunktion des
Fahrens treten. (…) Und das gilt auch für die evangelische Kirche. Viele
interessieren sich für die Gimmicks, die Albernheiten mit den
Luther-Bonbons und lassen die Hauptfunktion der Verkündigung des
Evangeliums außer Acht. Es irritiert, dass aus der Kirche selbst heraus
an der Priorität der Theologie gerüttelt wird. Ich erkenne darin ein
Verfallssymptom, das Besorgnis erregt. (…) Kirchenleitung schadet sich
selbst und dem Evangelium, wenn sie ohne Not auf die Beratung durch die
Theologie verzichtet oder sie nicht mehr ernst nimmt. An die Stelle
reicher protestantischer Diskussionskultur, die einer „Kirche des
Wortes“ sehr gut ansteht, tritt immer mehr eine Kirche, die von
Verwaltung, Verordnung und Marketing bestimmt ist. In solch einer Kirche
verkümmert das Evangelium unter den Wucherungen der Bürokratie. Und wer
so denkt, der feiert am Ende nur noch das Abendmahl der Aktenordner.“
(Wolfgang Vögele, Beobachtungen zum Verhältnis von Theologie und
Kirchenleitung, Tà katoptrizómena, Heft 90)
Daher ist es höchste Zeit, dass wir uns mit Paulus wieder einmal unserer
Grundlagen bewusst werden. Wenn Christus der einzige Grund seiner Kirche
ist, heißt das für die Gemeinde, dass sie für ihre Grundlage nicht
garantieren kann. Denn für Jesus Christus können wir nicht garantieren.
Er selbst würde sich das verbitten. Wer der Kirche andere Fundamente
einziehen will, wird scheitern. Es geht einfach nicht! Dies ist nicht
allein Mahnung, sondern auch Entlastung. Kirche wird nicht bleiben, wo
Gott sie nicht haben will, und wenn wir uns alle Beine dafür ausreißen.
Und deshalb sollten wir Letzteres tunlichst bleiben lassen.
Wo aber Kirche durch das Wort und Sakrament entsteht, sind wir nicht nur
als Hörer und Zuschauer angesprochen. Christus ruft Menschen in seinen
Dienst. Wo Gemeinde wächst braucht sie eine ordentliche Verwaltung,
funktionierende Strukturen, eine Vielzahl von Mitarbeitern, die
vielfältige Dienste für das Ganze übernehmen. Heute braucht sie sogar
Telefon und Fax und Internet. Die Vielfalt kirchlicher
Erscheinungsbilder, Traditionen und Gebräuche ist ein Reichtum der
Kirche und Ausdruck der Phantasie und Kreativität ihrer Menschen. Aber
all das ist Gold, Silber, Edelsteine oder auch Holz, Heu und Stroh.
Steine kommen in der Aufzählung des Paulus nicht vor. Logisch sagen wir
da, weil das Fundament und die Grundmauern, die die christliche Gemeinde
gründen, halten und schützen von Christus selbst errichtet und erhalten
werden. Beim Bau der christlichen Gemeinde sind wir deshalb keine
freischaffenden Künstler.
Und erst recht keine freiheitsfeindlichen Despoten. Denn zur Bedrohung
werden all diejenigen Mitarbeiter, Strukturen und Aktivitäten, die nicht
mehr dienen, sondern herrschen wollen. Wo zwei oder drei mit mir
versammelt sind, da ist „das Himmelreich“ ganz nah? Falsch, „die Hölle“
muss es heißen. Dass am eigenen Wesen auch die anderen genesen sollen,
ist ein typisch deutscher, kein typisch biblischer Zug. Die Kirche
findet Genesung und Einheit am Wesen ihres Christus. Und sonst nirgends.
Denn einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist,
welcher ist Jesus Christus.
Wenn wir uns wieder einmal daran erinnern, dann werden wir gelassen
bleiben angesichts einer Kirche, die in unserer Gesellschaft an Boden
verliert und angesichts einer Kirche, die sich – um das zu verhindern –
mit manchen ihrer Aktionen lächerlich macht. Strohfeuer brennen
bekanntlich hell, aber nicht lang. Wir werden gelassen bleiben
angesichts des gnadenlosen Wettbewerbs auch auf dem Markt der religiösen
Möglichkeiten und angesichts des eitlen Wettbewerbs ihrer Prediger und
Führer. Wer ist Apollos? Wer ist Paulus?, fragt Paulus fast mit Hohn in
der Stimme einige Verse vor unserem Predigttext. Um von der Gemeinde zu
sprechen, sind alle Namen ebenso entbehrlich, wie die, die sie tragen.
Kirche ist Gottes Bau, Gottes Ackerfeld, auf dem Gottes Mitarbeiter
tätig sein dürfen. Sie kommen und gehen. Und trotzdem gibt es sie noch
und wird es sie geben: die Körperschaft Christi. Aber das haben wir
nicht uns selbst zu verdanken. Gottes Gnade ist es.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de ) |
Text:
Paulus schreibt:
9 Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes
Bau.
10 Ich nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als
ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeder aber sehe zu,
wie er darauf baut.
11 Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist,
welcher ist Jesus Christus.
12 Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz,
Heu, Stroh,
13 so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts
wird's klarmachen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von
welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen.
14 Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn
empfangen.
15 Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er
selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch. |