Liebe Leser,
dunkel sind die Tage im Advent. Und so sprechen
die adventlichen Bibeltexte in die Dunkelheit hinein. Unser heutiger
allerdings nicht in erster Linie in die Dunkelheit der Welt, sondern
in die Dunkelheiten und Schattenseiten des christlichen
Gemeindelebens. Damit bewahrt Paulus uns davor, mit den Fingern auf
all die finsteren und allzu weltlichen, allzu menschlichen Auswüchse
anderswo zu zeigen und uns in unsere vermeintlich heilen vier Wände
zurückzuziehen. Es könnte dann wohl sein, dass an Weihnachten die
anderen gerettet werden und der Stern über ihnen aufgeht und wir
Frommen uns trostlos unterm Weihnachtsbaum wieder finden.
Die Gemeinde in Korinth war ein Kind der Paulusmission, strahlend
als Stern aufgegangen über der jungen Christenheit. In ihr gab es
alles, was das Christenherz begehrt. Charisma und Diakonie,
Gemeinschaft und brillante Prediger, die aufrechte Suche nach dem
richtigen Leben und die Befreiung von falschen Fesseln der Moral.
Wir ahnen an dieser Zusammenstellung schon, dass all diese guten
Dinge es auch in der Christenheit nicht lange nebeneinander
aushalten, ohne in Streit miteinander zu geraten. Schnell bildeten
sich Fraktionen mit ihren eigenen Stars und Sternchen. Und der Vater
der Gemeinde, der Apostel Paulus, sah in den Augen der Gemeinde in
Korinth bald alt aus: Den Charismatikern war er nicht länger
charismatisch genug, den Wohltätigen nicht sozial genug, den
Hauskreisen nicht gesellig genug, den Predigern und Theologen nicht
brillant genug, den Moralisten nicht gesetzestreu genug und den
Liberalen nicht liberal genug. Und allen war er nicht menschliche
Erscheinung genug und gesund genug. Kurz: Keiner wollte ihn
eigentlich mehr so richtig haben.
Ja, lachen wir ruhig ein bisschen darüber, denn dann lachen wir über
uns selbst. Die weitere Geschichte der Christenheit ist - wie die
Geschichte der Welt - eine Geschichte des Streits, der Spaltung, ja
der Kriege. Nicht einmal die Evangelischen haben es da anders
gehalten und sind heute ein bunter Flickenteppich aus allen
möglichen Glaubensprägungen. Immer war da was zu viel oder zu wenig.
Immer gab es ab einer gewissen Größe der Glaubensgemeinschaft
Volkskirche, Institution und Organisation, voller Karteileichen und
machtbesessenen Säcken. „In der Kirche geht’s doch auch nur noch um
Immobilien und ums Geld. Das halte ich irgendwann nicht mehr aus“,
sagte neulich jemand zu mir. Kann man da irgendwann denn anders, als
einen neuen und besseren Verein aufzumachen? Evangelikal nennt sich
heute die jüngste Fraktion der Evangelischen, denen im Wort
evangelisch das Evangelium zu wenig grundlegend und die Kirche
politisch zu links ist.
Ja, lachen wir ruhig ein bisschen darüber, denn dann lachen wir über
uns selbst. Denn wir sind ja mitten drin. Denn wir fällen ja auch
unsere Urteile. Und vielleicht gab es für so manche Kirchen- und
Gemeindespaltung gute Gründe. Ja, ist nicht Urteils- und
Kritikfähigkeit unser oberstes Bildungsziel und das größte
Kompliment, das man jemand machen kann? Kompetenz und Weisheit
wünschen wir uns doch auch von einem Diener Christi und Haushalter
über Gottes Geheimnisse - und dann geht der Streit schon wieder los,
was wir uns noch von ihm wünschen und was um Gottes Willen nicht.
Scheinbar arrogant reagiert Paulus auf diesen Streit. Mir aber ist
es ein Geringes, sagt er, mir aber ist es wurscht und piepegal.
Nicht einmal auf mein Urteil über mich selbst, auf mein ach so gutes
oder ach so schlechtes Gewissen gebe ich was. Denn das Geheimnis
Gottes, das Geheimnis, dass Gott zur Welt kommt, ist nicht die
Steigerung aller menschlichen Weisheit und Urteilskraft, sondern
ihre Alternative. Denn Gott kommt nicht zur Welt, um ihr etwas
hinzuzufügen, sondern um sie zu retten. Und das heißt: Das Gute
Gottes kommt zur Welt, um der Welt Gutes und Böses durch sein Gutes
zu überbieten und zu ersetzen: Dann wird einem jeden von Gott sein
Lob zuteil werden.
Kein Wunder, dass manche Ausleger geradezu bestürzt sind, wie der
Apostel hier nur eindeutig Gutes von Gottes Gericht zu sagen weiß
und fühlen sich bemüßigt hinzuzufügen, dass das Lob wohl auch den
Tadel einschließe. Dagegen halten wir mit einem Ausleger fest: „Das
Gericht (Gottes, von dem Paulus hier spricht,) bringt an den Tag,
was wir angerichtet haben und was Gott getan hat. Was Menschen in
der Weltgeschichte anzurichten vermögen, im Guten wie im Bösen, …
ist tatsächlich erheblich, und das Weltgericht wird dies bestätigen.
Es kommt aber, sagt das Evangelium, mit all seiner konstruktiven und
zerstörerischen Kraft nicht auf gegen das, was Gott getan hat. Eine
Theologie, die aus Verlegenheit vor der Eschatologie (den letzten
Dingen) oder aus anderen Gründen dieses Zweite nicht mehr sagen kann
und deshalb um so wuchtiger das erste sagt, kann auf den Titel,
christliche Theologie zu sein, keinen Anspruch“ erheben. (Hinrich
Stoevesandt, GPM 1991, Heft 1, S. 20)
Paulus lässt also über der Dunkelheit einer in ihren Urteilen und
Vorurteilen verstrickten und zerstrittenen christlichen Gemeinde,
die Sonne des Urteils Gottes aufstrahlen, mit dem Gott den Gottlosen
rechtfertigt, allein aus Gnade. Er verweist die Gemeinde auf den
Artikel, mit dem nicht nur die Kirche steht und fällt, sondern jeder
von uns. Er erinnert uns in seiner Rede von Gottes Gericht, dass
dort keiner von uns im Guten wie im Bösen Bestand hat, es sei denn,
dass Gott ihn mit seinem Guten bekleidet. Und das will er tun. Das
letzte Gericht stellt unsere Welt mitsamt unserem Denken und
Urteilen nicht nur unter einen eschatologischen Vorbehalt. Es stellt
uns selbst, mit allem, was wir sind, unter einen „glückseligen
existentiellen Vorbehalt“ (Günter Klein, GPM 1997, Heft 1, S. 28).
Wir dürfen uns sehen, wie Gott uns in seiner Liebe und Güte sieht.
Und genau das wird sein, was wir immer und im Grunde gewesen sind.
Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.
Und so dürfen wir als christliche Gemeinde bitter lachen, wenn wir
uns auch in der Dunkelheit wieder finden, auf die wir mit dem Finger
draußen in der Welt zeigen. Ja, wir dürfen klagen und bekennen, dass
auch wir uns ebenso gerne wie trostlos auf die Stühle des letzten
Gerichts setzen, unsere Urteile als Gottes Urteile ausgeben und sie
gegeneinander ins Feld führen. Oder dass wir aus Harmoniesucht und
um eines faulen Friedens willen, aus Bequemlichkeit, Angst und
Feigheit schweigen. Und uns dabei womöglich noch besonders gut und
toll und christlich vorkommen. Dass auch wir auf die eine oder
andere Weise die Finsternis vermehren, die doch in einer
christlichen Gemeinde – wenigstens hier – keinen Platz haben sollte.
Und wir dürfen im Advent dem Kommen Gottes trauen, der uns mit
solcher Finsternis nicht alleine lässt. Der seine Göttlichkeit im
Stall von Bethlehem aufgibt, um unsere Menschlichkeit an sein Herz
zu ziehen. Und der sich darin als Alternative zu unserem
menschlichen Wissen und Urteilen offenbart.
An sein Herz gezogen, darf sich mein Ich auf sich beruhen lassen. An
sein Herz gezogen, dürfen wir die Urteile anderer und unsere eigenen
Urteile über uns selbst auf sich beruhen lassen. An sein Herz
gezogen, dürfen wir die Urteile, die wir über andere haben, auf sich
beruhen lassen. Dann werden wir nicht nur an Weihnachten fähig sein
zum Frieden. Zu einem Frieden, der ganz aus Gott kommt, aus dem
gütigen Urteil, dass Gott über uns hat. Und darum bitten wir, dass
Gott uns Augen gibt, mit denen wir uns schon jetzt in seinem Licht
sehen und den Stern, den Gott(!) in dieser Adventszeit über jedem
von uns aufgehen lässt.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Paulus schreibt:
1 Dafür halte uns jedermann: für Diener
Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.
2 Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für
treu befunden werden.
3 Mir aber ist's ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde
oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst
nicht.
4 Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht
gerechtfertigt; der Herr ist's aber, der mich richtet.
5 Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans
Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das
Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott
sein Lob zuteil werden.
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