Liebe Leser, Jeder weiß - zumindest grob - wie ein Körper
funktioniert. Paulus verwendet unseren Körper, um uns eine Antwort
auf eine schwierige Frage zu geben: Wo und wie lebt Jesus Christus
heute? Dass er damals, vor 2000 Jahren als Mensch gelebt hat, ist ja
leicht zu verstehen. Man konnte ihn anfassen. Dass er aber auch
heute und solange es Menschen gibt, als Mensch unter uns lebt, das
ist viel schwieriger zu verstehen. Aber das ist Grundlage des
christlichen Glaubens: Jesus Christus ist wahrer Mensch und wahrer
Gott. Er ist beides. Nicht: Er WAR beides, sondern er IST beides!
Wie wir uns das vorstellen können, dass Christus noch heute unter
uns als Mensch lebt, das will uns Paulus erklären: Er meint: Mit
Christus ist es wie mit einem Körper. Wir, die unterschiedlichen
Menschen sind seine Organe. Wir sind also die Körperteile Christi –
und zwar ob wir wollen oder nicht! Nur weil ein Fuß oder ein
Ohr oder ein Auge meint, es sei kein Teil der Körpers, hat es damit
noch lange nicht recht. Es bleibt ein Teil der Körpers, ob es das
wahrhaben will oder nicht.
Dass wir Körperteile Christi sind, liegt also nicht daran, dass wir
uns so vorbildlich verhalten und so gut zusammenharmonieren, wie es
die Glieder eines Körpers ja tun sollten. Es liegt auch nicht daran,
ob wir glauben, Teile des Körpers Christi zu sein. Kurz: Wir sind
Glieder des Leibes Christi - ob wir uns so verhalten oder nicht, ob
wir es glauben oder nicht! Denn Gott hat uns zu Körperteilen
Christi gemacht: durch die Taufe, durch den Heiligen Geist!
Und so wird Gott Mensch in uns Menschen. Und so ist Christus
gegenwärtig in der Welt.
Übrigens: damit ist auch ganz leicht erklärt, warum der Christus am
Kreuz so leidend schaut: Wenn man sich anschaut, wie gut wir
Menschen als seine Organe zusammen wirken, ist das aber auch kein
Wunder! Da reibt sich einiges… Und so manchem ist der Rest des
Körpers ziemlich egal…
Hier merkt man schnell: In unserem Predigttext steckt zweierlei:
Eine Feststellung und eine Wunschvorstellung: Paulus stellt fest:
Wir verhalten uns nicht so, wie wir es als Christen eigentlich
sollten. Und er wünscht sich, und malt es uns aus, wie es sein
könnte: Die unterschiedlichsten Menschen könnten doch so
zusammenleben, wie die unter-schiedlichen Organe und Teile eines
Körpers. Jeder übernimmt die Aufgaben, die er kann – zum Wohl der
ganzen Gemeinde – so als gäbe es mich als Einzelwesen gar nicht!
Ein Auge, das sich vom Körper löst, liegt blöd in der Ecke herum und
sieht immer nur die gleiche staubige Küchenfliese, auf der es liegt.
Wenn es allerdings im Körper bleibt, trägt der Körper es durch die
Welt und das Auge erlebt etwas. Und gleichzeitig kommt das, was es
erlebt wieder dem Körper zugute, der sich dadurch orientieren kann.
Ein Auge ist eben nur wirklich ein Auge, wenn es im Körper ist. Und
je besser die einzelnen Körperteile zusammenarbeiten, desto besser
geht es auch jedem einzelnen.
Es ist schwierig sich als Gemeinde wie ein einziger Körper zu
verhalten. Es ist schwierig bis so ein bunt zusammen gewürfelter
Haufen sich darauf einigen kann, was denn ihr gemeinsames Leben sein
soll, welche Ziele und welches Wesen sie einen soll, welche
Persönlichkeit sie als Körper eigentlich sind. Noch schwieriger wird
das, wenn man versteht, dass mit dem Körper nicht nur die eigene
Kirchengemeinde gemeint ist, sondern die gesamte Christenheit. Wie
sollen 2,1 Milliarden Menschen, die sich als Christen bezeichnen
sich auf ein gemeinsames Leben, Ziele, ein Wesen einigen? Wie soll
dieser Körper eine Persönlichkeit werden, die nicht völlig
schizophren und gespalten ist (in Kirchen, Konfessionen,
Untergruppen, Freundeskreise und Einzelpersonen)? Wie soll diese
Menschenansammlung eine Persönlichkeit werden, die nicht fragen
muss: Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?
Ist es nicht blankes Wunschdenken, dass alle Christen
zusammenarbeiten wie ein einziger Körper zum Wohle aller? Was der
Predigttext beschreibt, ist wohl eine Wunschvorstellung. Aber was
kann man Liebevolleres tun als jemandem eine wunderbare Zukunft
aufzumalen und alles dafür zu tun, damit sie Wirklichkeit wird? Denn
dass etwas eine Wunschvorstellung ist, heißt noch nicht, dass sie
nicht Wirklichkeit werden kann. Sehnsüchte und Wünsche sind vielmehr
ein starker Motor der Veränderung. Sie wirken ein auf unsere
Wirklichkeit und verändern sie. Es mag sein, dass sie nicht ganz
verwirklicht werden. Aber manchmal kommt man erstaunlich weit!
Denken Sie doch nur zurück:
- Es war der jahrhundertealte Traum vom Fliegen, der dazu geführt
hat, dass wir heute nahezu selbstverständlich mit Flugzeugen
fliegen.
- Es war im 18. Jahrhundert der Traum von Einigkeit und Recht und
Freiheit in einem religiös und herrschaftlich völlig zersplitterten
Deutschland, der - auf einigen Umwegen und großen Fehltritten – seit
19 Jahren im gesamten Deutschland Wirklichkeit ist: Einigkeit und
Recht und Freiheit! Und damit eine kaum hoch genug einzuschätzende
stabile Demokratie, die uns heute leider fast selbstverständlich
erscheint.
- Und schließlich ist auch das geeinte Europa aus einem Traum
erwachsen. Manch einer hätte den Traum vom geeinten Europa
vielleicht gerne etwas anders verwirklicht gesehen als er Europa
heute vorfindet. Aber selbst wenn wir gelegentlich auf die eine oder
andere Verordnung aus Brüssel schimpfen - die Segnungen dieses
Traums nehmen wir alle gerne in Empfang: nämlich einen
jahrzehntelangen Frieden, wie es ihn noch nie gab. So lange ist es
ja noch nicht her, dass sich Deutsche und Franzosen mit
Hurrageschrei die Bäuche aufgeschlitzt haben. Heute kaum mehr
vorstellbar!
Es soll also niemand sagen, es sei nichts zu ändern in dieser Welt.
Was Wunschvorstellungen so alles möglich machen! Was also sollten
wir tun, damit die wunderbare Wunschvorstellung des Paulus, dass wir
als Christen zusammenharmonieren wie ein Körper etwas mehr
Wirklichkeit wird?
Das wichtigste, sagt Paulus, ist schon getan! Ihr müsst nicht mehr
danach suchen, wer ihr überhaupt sein wollt als gemeinsamer Körper.
Ihr seid bereits der Körper Christi - zusammengefügt durch Gott!
Gott ist bereits Mensch geworden in eurer Gemeinschaft. Ihr müsst
den Christus nicht erst schaffen, indem ihr perfekt miteinander
harmoniert. Nein, der ist schon da! Wir sind bereits Glieder seines
Leibes durch die Taufe und den Heiligen Geist - ob wir wollen oder
nicht, ob wir uns so verhalten oder nicht! Der Christus ist schon da
– auch wenn er leidet an der Uneinigkeit seiner Glieder. Er ist
schon da. So wie die Hospitalkirche-Hof und die Friedenskirche
Zedtwitz schon da sind, auch wenn sie erst langsam lernen, als EIN
Körper zu funktionieren.
Der Christus ist schon da. Und wir sind Teile seines Körpers. Die
Frage ist nicht: Wie werden wir ein Körper, sondern wie gehen wir
als Glieder dieses Körpers miteinander um?
Können Sie sie nachspüren, diese große Sehnsucht des Apostel Paulus?
Dass wir, die Glieder des Körpers Christi, nicht mehr auseinander
streben und diesen Körper zerreißen, sondern uns einbringen - gut
und sinnvoll zum Wohle aller! Können Sie sie erspüren, diese
Sehnsucht, die sich im Bild eines gesunden Körpers ausdrückt? Ist es
nicht letztlich die Sehnsucht, dass der Christus nicht mehr so
schmerzlich schauen muss, sondern beginnen kann zu lächeln?
Eine schöne Vorstellung, die uns Paulus da vor Augen malt: Ein
lächelnder Christus und Menschen, die sich selbst zurückstellen, die
sich selbst vergessen! Menschen, die im Herzen wissen, dass sie nur
dann ganz Mensch sind, wenn sie leiden mit den Leidenden und sich
freuen mit den Fröhlichen. Menschen, die eben als Körper Christi
leben, der ja selber Mensch wurde zum Wohl aller Welt.
Ein großes Bild, das uns locken will in unserem Herzen und in der
Gestaltung unseres Alltags, überall, wo wir als Christen und
Menschen zusammen leben. Ein Bild, das weitererzählt werden will,
damit es auch andere lockt! Was könnten wir Liebevolleres tun als
uns und unseren Mitmenschen vor Augen zu malen, wie es uns gehen
könnte unter dem lächelnden Gesicht des Christus. Und alles dafür zu
tun, damit es Wirklichkeit wird.
Der frühere thüringische Landesbischof Roland Hoffmann hat einmal
ausgemalt, was das Bild vom Körper Christi für seine Landeskirche
bedeuten könnte. Statt der früher gebräuchlichen Vorstellung von
Hirt und Herde sehe man die Kirche jetzt verstärkt als ein Gebilde
von Leib und Gliedern mit den unterschiedlichsten Geistesgaben.
Demgemäß verstehe sich die Thüringer Kirche als eine
»beteiligungsoffene Gemeindekirche«, »die aus der Gabenvielfalt des
Leibes Christi lebt«. »Alle Gemeindeglieder sind - weil von Gott
begabt - aufgerufen, sich an der pastoralen Arbeit zu beteiligen,
ihre eigenen Gaben und Fähigkeiten zu entdecken und sie in das
Gemeindeleben einzubringen.« Eine Konsumenten- bzw. eine
Betreuungskirche könne es künftig nicht mehr geben. (DtPfrBl 101.
Jg. 2001, Nachrichten, Aus den Landeskirchen, S. 146 f.).
Nicht der Pfarrer ist der Leib Christi. Keiner käme auf die Idee,
den Pfarrer für die Menschwerdung Gottes zu halten. Aber die
Konsequenz, dass nicht der Pfarrer, sondern die ganze Gemeinde der
Körper Christi ist, wird selten zu Ende gedacht. Sonst wäre doch
jeder und jede verantwortlich für diesen Leib Christi, dessen Teil
er doch ist. Dann würden wir nicht so oft hören: Wenn IHR nicht
wollt, dass euch die Leute weglaufen, dann müsst IHR halt was tun.
Sondern wir würden hören: Kommt, WIR wollen was tun! Und der
Christus würde lächeln und wir mit ihm.
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof) |
Text:
Paulus schreibt:
12 Denn wie der Leib einer ist und doch
viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele
sind, doch ein Leib sind: so auch Christus.
13 Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir
seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit
einem Geist getränkt.
14 Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele.
26 Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn
ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.
27 Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.
|