Liebe Leser,
was Paulus hier im 13. Kapitel seines Korintherbriefs entfaltet, ist
die konsequente Auslegung jenes Doppelgebotes der Liebe, das wir aus
dem Munde Jesu kennen: Liebe Gott von ganzem Herzen und deinen
Nächsten wie dich selbst. Darin besteht das ganze Gesetz und die
Propheten (Mt 22/37ff).
Vor und über allem die Liebe! Das entfaltet Paulus in schärfster
Konsequenz hinein in die Situation der ersten christlichen Gemeinde.
An diesen Worte seines Apostels hätte auch Jesus seine helle Freude
gehabt. Das ist Rede in der Kraft des Heiligen Geistes.
Die Gemeinde in Korinth ist freilich nach Erhalt dieses Briefes erst
einmal aus allen Wolken gefallen. Sie hatte keine Freude an dem, was
sie da zu lesen bekam. Was für eine Abrechnung mit all dem, worauf
die Vorzeigegemeinde in Korinth so stolz war.
Und wir merken daran: Die größten Probleme hat die christliche
Gemeinde nicht mit ihren Schwächen, sondern mit ihren vermeintlichen
Stärken. Und die Gemeinde in Korinth hatte sie fast alle. Was Paulus
in den ersten drei Versen aufzählt beschreibt die christliche
Gemeinde in ihren höchsten Möglichkeiten.
Beim Zungenreden, beim Reden in Sprachen, die der Heilige Geist
eingibt, angefangen. Paulus zählt die Weissagung auf, die
theologische Rede, die der Auferbauung der Gemeinde dient und die
Geheimnisse der Zukunft enthüllt. Paulus nennt die Erkenntnis, den
tiefen Einblick in die Geheimnisse Gottes, die Geheimnisse des
Menschseins und des Lebens. Wann habt ihr euch das letzte Mal in
solche Fragen vertieft? Sagen wir nicht der moderne Mensch hätte
keine Zeit dafür. Wenn der neue PC geliefert wird, kann er sich sehr
wohl nächtelang in die Gebrauchsanweisung vertiefen.
Paulus spricht den Glauben der Korinther an und schließlich ihre
Freigebigkeit für die Armen, ihre Almosen, die Diakonie, die
Kirchensteuer, das Kirchgeld. In Korinth ist keiner aus der Kirche
ausgetreten nur um Geld zu sparen.
Die Gemeinde in Korinth hatte ihre Qualitäten. Und sie hatte sie
fast alle. Was man von uns nicht gerade behaupten kann. Wir haben
all diese Qualitäten oft nur sporadisch und in sehr abgeschwächter
Form. Wir sind schwach. Aber Hand aufs Herz, halten wir das nicht
oft für unsere größte Stärke? Sind wir nicht Durchschnittschristen
aus Überzeugung? Sind wir nicht gerne unsere eigenen Päpste des
vermeintlich gesunden Menschenverstandes, gerade wenn es um Fragen
des Glaubens und um Fragen zum Thema Kirche und Gemeinde geht?
Über alles die Liebe? Ach ja, die Liebe, so haben wir wohl schon oft
geseufzt. Aber Paulus lässt weder die Korinther noch uns mit solchem
Seufzer davonkommen. Seid euch im Klaren, dass ohne die Liebe alles
nichts ist. Liebe, das ist nicht so etwas wie die Krönung aller
guten Qualitäten. Liebe ist nicht die letzte Sprosse, die ein Christ
zur Vollkommenheit erklimmt. Liebe ist die erste und die letzte
Sprosse und alle dazwischen. Denn ohne die Liebe ist ein jeder
Schritt des Lebens und des Glaubens ein Schritt ins Leere.
Das ist so, weil die Liebe das einzige ist, was bleibt. Das ist so,
weil die Liebe das einzige an unserem Leben ist, was Ewigkeitswert
besitzt. Wo doch das Zungenreden aufhören wird, und die guten
Predigten und die tiefsten Erkenntnisse und der deutsche
Kulturprotestantismus. Wo doch die Ethik ein Ende hat und all die
anderen Werte, die Gottesdienstordnung und die Ordnung des
kirchlichen Lebens. Wo doch Moral und Anstand ein Ende haben und
das, was wir unter Maß und Ziel verstehen.
Weil doch die tiefste Erkenntnis und die reichhaltigste Tradition
Stückwerk, dunkles Wort und mehrdeutiges Spiegelbild der letzten
Wahrheit bleiben. All das wird ein Ende haben und einmal aufgehoben
durch die Schau Gottes, wenn Gott sein wird alles in allem
(1.Korinther 15/28). Nur eines wird nicht aufhören, weil es am Wesen
Gottes Anteil hat, und das ist die Liebe.
Darum strebt nach der Liebe. Nach welcher Art von Liebe, liegt die
Frage bei Kirchens schon auf der Zunge und schreit nach der höchsten
Wertangabe für die Liebe Gottes und der Geringschätzung der
menschlichen. Das ängstliche Reglementieren, Denunzieren, ja
Verhöhnen der erotischen und sexuellen Liebe gehört nicht zu den
Gold- sondern zu den Blechstücken christlicher Tradition. Wer sie
dennoch immer wieder aufpoliert, nährt den Sündenpfuhl, den
auszutrocknen er vorgibt. Wer Liebe in Verbindung mit dem Menschen für
einen zweifelhaften Begriff hält, wie kann er ihn in Verbindung mit
Gott für einen guten halten? Und in der Tat habe ich bei den
Christen, die das Wort Liebe mit der Kneifzange anfassen, in der
Mehrheit solche gefunden, die Gott lieber für gerecht, als für
liebevoll halten.
Sicher, wer des Griechischen mächtig ist, weiß, dass Paulus hier ein
besonderes Wort für die Liebe Gottes verwendet. Agape ist der
Begriff für die Liebe Gottes. Aber vielleicht wissen die alten
Griechen, die für die Liebe verschiedene Worte haben, mehr über die
Gemeinsamkeit aller Liebe zu sagen, als wir, die wir ein Wort haben,
das vielen alles und nichts sagt. Die Liebe Gottes und die Liebe, zu
der wir Menschen fähig sind, haben mehr miteinander zu tun, als wir
gemeinhin denken.
Denn dass die Liebe langmütig und freundlich ist, nicht eifert,
achtsam ist, sich nicht aufbläst, den Takt zu wahren weiß, nicht nur
das ihre sucht, sich nicht gleich erbittern lässt, vergeben kann,
sich nicht an der Ungerechtigkeit, sondern an der Wahrheit freut -
wer wollte behaupten, dass das nicht in den Möglichkeiten
menschlicher Liebe liegt. Die menschliche Liebe, die das liebt, was
ihr liebenswert erscheint, kann mehr, als wir Heutigen ihr zutrauen.
Sie wertzuschätzen, Bedingungen zu fördern, in der sie entstehen und
leben kann, das ist besser als das pharisäische Gejammer über ihr
vielfältiges Scheitern. Passen Männer und Frauen überhaupt zusammen?
las ich in einer Zeitschrift. Und allein der Titel wäre schon einen
Lachkrampf wert, wenn die dahinterstehende Hilflosigkeit nicht zum
Heulen wäre. Gott sei Dank! Nicht nur die Liebe Gottes, auch die
menschliche Liebe kann Wunder vollbringen.
Die Liebe Gottes freilich kann ein Wunder mehr. Sie verträgt alles,
sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Wer dieses
alles von der menschlichen Liebe verlangt, erhebt eine unmenschliche
„Über“ - Forderung. Dieses Wunder bleibt der Liebe Gottes
vorbehalten. Denn die Liebe Gottes liebt nicht nur das, was ihr
liebenswert erscheint, sie hat sogar die Kraft, den, den sie liebt,
erst einmal und immer wieder liebenswert zu machen.
Das ist schon ein Wunder, sagen wir, dass der oder die noch einmal
jemand gefunden hat, der sie aufrichtig liebt. Aber es ist ein viel
größeres Wunder, dass wir einen Gott haben, der uns liebt, und der
sogar sein Leben am Kreuz daransetzt, damit wir immer wieder
Menschen werden, die ihm gefallen und seiner Liebe wert sind.
Was das bedeutet können wir nur erahnen. Aber einmal, sagt Paulus,
werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Einmal werde ich sehen, wie
liebenswert Gott mich in seinen Augen gemacht hat. Die Gestalt, die
die Liebe Gottes uns gibt, dass wird deine und meine wahre Gestalt
sein und bleiben. Da ist es dann schon einigermaßen relativ, was
andere oder ich über mich denken und reden. Und vielleicht fangen
wir schon hier auf der Welt an, uns mit anderen Augen zu sehen. Mit
den Augen Gottes. Das wäre himmlisch!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de |
Text:
Paulus schreibt:
1 Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die
Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende
Schelle.
2 Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse
und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge
versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.
3 Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib
verbrennen und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.
4 Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht,
die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf,
5 sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie
lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,
6 sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber
an der Wahrheit;
7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet
alles.
8 Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden
aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis
aufhören wird.
9 Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist
Stückwerk.
10 Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk
aufhören.
11 Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie
ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat
ich ab, was kindlich war.
12 Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber
von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber
werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.
13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die
Liebe ist die größte unter ihnen.
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