Predigt    1. Korinther 15/1-11    Ostersonntag    11.04.04

"Die Stimme des Auferstandenen"
Für Tom und Gisi
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

Paulus hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Oder doch? Er wusste es nicht mehr genau, als er sich im Morgengrauen wieder an seinen Schreibtisch quälte. Vielleicht hatte er bloß geträumt, nicht geschlafen zu haben, denn er meinte in sich noch den Nachhall böser Träume zu spüren. Er trank ein Glas Wasser bevor er sich setzte und die Stelle in den Blick nahm, die er gestern Nacht geschrieben hatte. Der Brief an die Leute in Korinth musste fertig werden. Er war schon recht umfangreich geworden, in jeder Hinsicht. Ein bisschen viel Moral vielleicht in den ersten Kapiteln. Aber konnte er schweigen zu all den kleinlichen Streitereien und zu all dem anderen Mist, den die Korinther so bauten? Manchmal haben die Verhältnisse unter Superchristen mehr mit Sodom und Gomorra zu tun, als mit dem Himmelreich. Und da hilft auch all das ekstatische Geplapper in anderen Sprachen nicht weiter. Spiritualität ist doch keine Entschuldigung für alles, ihr lieben Schwestern und Brüder. Eine himmlische Offenbarung macht aus einem Würstchen nicht automatisch einen Riesen, sondern oft genug nur ein größenwahnsinniges Würstchen; im günstigsten Fall ein harmloses; im ungünstigen Fall noch was Schlimmeres.

Aber so hat er das natürlich nicht schreiben können. Er erinnerte sich noch, wie lange er durchs Zimmer gewandert war, bevor ihm in einer viertel Stunde das Kapitel über die Liebe aus der Feder floss (1.Korinther 13). Werdet Riesen in der Liebe. Denn das ist das höchste Geschenk Gottes, der ein Riese in der Liebe ist. Ja, er hatte es mit Tränen in den Augen geschrieben und mit einem Kloß im Hals. Fast hätte das Papier beim Schreiben Feuer gefangen. Und als er hinterher zufällig am Spiegel vorbei kam, erkannte er sich erst gar nicht wieder. Aber es war sein Gesicht, in das das Leben Furchen gegraben hatte. Und auch der Hass hatte einmal mitgegraben. Der Hass auf diesen Jesus von Nazareth und seine verrückten Anhänger. Und diese Furchen gehen auch mit einem schiefen Lächeln nicht weg, Missgeburt!

Aber jetzt stand das Kapitel auf dem Papier und er las es staunend noch einmal und noch einmal, während draußen die Zeitung kam und die ersten in ihre Autos sprangen und sich an diesem grauen Nieselregenmorgen auf den Weg zur Arbeit machten. Im Fenster des Nachbarhauses flackerte das blaue Licht eines Bildschirms auf und brachte die neusten Nachrichten aus Bagdad.

Man sah, dass der Kameramann keine ruhige Hand hatte. Hinter hin und her hüpfenden Häusern stieg eine Rauchwolke auf. Wahrscheinlich keine Überlebenden. Eine johlende Menge zog verstümmelte und verbrannte Leichen durch die Straße und dann jährte sich zum zehnten Mal das Massaker von Ruanda. Innerhalb kürzester Zeit wurde eine Million Menschen massakriert und die Welt schaute zu, weil Ruanda zu unwichtig, zu arm und zu schwarz war. Man sah eine Decke, aus der Kinderbeinchen und Kinderärmchen herausschauten, bevor der Bulldozer sie unter die Erde pflügte. Es gab keine neuen Nachrichten von dieser Welt und auch die Kreuzigung Jesu gehörte nicht dazu und hätte man sie noch so kunstvoll fürs Kino inszeniert. Hätte ein solcher Film mehr oder anderes gesagt über die Unmenschlichkeit des Menschen als all die anderen Bilder? Hätte er eine andere Botschaft gebracht, als die von der Missgeburt Mensch? Nein, der gequälte Christus und die zerpflügten Kinderärmchen bringen keine Botschaft der Liebe. Sie schreien danach! Aber wahrscheinlich gab es keine Überlebenden. Das ist die erste und letzte Nachricht dieses verdammten Universums.

Sie ist falsch, schoss es Paulus durch den Kopf. Diese Nachricht ist eine Ente. Und in seinem Kopf war auf einmal wieder dieses helle Licht, als würde er direkt in die Sonne schauen. Die Welt verschwand und er hörte die Stimme, die seinen Namen rief. Damaskus war überall und nirgends. Da war nur die Stimme, die er noch nie gehört hatte und die er doch sofort wieder erkannte. Es war die Stimme des gekreuzigten Jesus von Nazareth, in der sich alle Schreie nach Frieden, nach Liebe, nach Freiheit, nach Gerechtigkeit eingegraben hatten. Sie war erhört worden. Diese Stimme war die Stimme des Christus. Diese Stimme war der Grund und Anfang von allem.

„Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um …“ (Johannes 20/14ff).

Paulus lächelte bei dem Gedanken, dass er nicht der einzige war, der aus dem Munde des Auferstandenen seinen Namen gehört hatte. Petrus, den man den Felsen nannte, gehörte dazu und Thomas und Johannes und wie die anderen alle hießen. Paulus kannte ihre Namen nicht, aber der Auferstandene kannte sie, kannte sie alle. Und ihr Namen kam aus seinem Mund und riss ihre traurige Todeswelt in Stücke und wandte sie um. So wie sein Leben seit Damaskus von oben nach unten gewendet war. Die erste und letzte Nachricht über dieses verdammte Universum war eine Lüge. Die letzte Nachricht war nicht der Tod. Er ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Am Ende steht der Anfang von allem.

Paulus hatte seinen Stift schon zur Hand. Das musste er schreiben. Es war die Begründung für alles, was er vorher geschrieben hatte. Nicht der gute Wille, nicht die Moral, nicht das Gute im Menschen war der Grund seiner Ermahnungen. Und was wäre sein hohes Lied auf die Liebe wohl wert? Weinseliges Sentiment, sehnsüchtiger Weltschmerz! Nein! Es war in Kraft. In der Kraft Gottes, der den Punkt, den der Tod hinter das Leben des Jesus von Nazareth gesetzt hatte, auswischte und an seine Stelle Anfang und Leben setzte. In Ewigkeit. Amen.

Die letzten drei Worte strich er nach einem tiefen Atemzug wieder aus. Er konnte nicht die Korinther ermahnen und dann zulassen, dass der Heilige Geist mit ihm durchging oder er mit dem Heiligen Geist. Die Ewigkeit konnte noch ein Weilchen warten. „Nach der Schrift“ fügte er ein, weil er fand, dass Gott nie etwas anderes gesagt und vorgehabt hatte, und weil in zweitausend Jahren kaum einer seinen Brief, aber vielleicht die Schrift lesen könnte. Und der hatte er nichts hinzuzufügen. Nichts anderes hatte er gepredigt. Und nichts als Gnade war es immer gewesen, wenn andere dann selbst hören konnten, dass der Auferstandene sie beim Namen rief und sie sich umwandten und ihre alte Welt in Stücke ging und sie anfingen zu leben.

Anfingen zu leben, trotz der Narben und Wunden vom Fallen und Scheitern, trotz der Hassfurchen in ihrem Gesicht, anfingen, trotzdem den Kindern ihr Lächeln zu schenken und von der Zukunft etwas Gutes zu hoffen. Ist doch auch der auferstandene Christus nicht ohne seine Wundmale an Händen und Füßen zu haben! Diener des Todes nehmt euch in acht! Gott hob seinen Schmerz und sein Sterben in ein noch stärkeres Leben. Das ist der Grund und Anfang von allem.

Mein Gott, denkt Paulus, mein Gott ist ein Riese der Liebe. Und in diesem Moment hört er den Lärm der Straße nicht mehr und das Knattern der Maschinengewehre aus den blau flackernden Bildschirmen. Seine Augen gehören der Blüte auf der Fensterbank. Wie sie sich auftut, einen langen Augenblick - Ewigkeit.


Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv  unter  www.kanzelgruss.de)

Text: 

Paulus schreibt:

Ich erinnere euch aber, liebe Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht,
(2)durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr's festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr umsonst gläubig geworden wärt.
(3)Denn als erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift;
(4)und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift;
(5)und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen.
(6)Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen.
(7)Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln.
(8)Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden.
(9)Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.
(10)Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.
(11)Es sei nun ich oder jene: so predigen wir, und so habt ihr geglaubt.


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