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			 Liebe Leser, 
  Zur Nacht hat ein Sturm alle Bäume entlaubt.
			 
			Sieh' sie an, die knöchernen Besen. 
			Ein Narr, wer bei diesem Anblick glaubt,  
			Es wäre je Sommer gewesen. 
			Und ein größerer Narr, wer träumt und sinnt,  
			Es könnt je wieder Sommer werden. 
			 
			Es hatte ihn regelrecht aus dem Sattel gehauen, damals, vor 
			Damaskus, als ihm der auferstandene Christus erschienen war. Die 
			Herrlichkeit seines Lichts hatte seine Augen noch auf Tage hinaus 
			geblendet. Noch grundstürzender aber war das Licht, das ihm 
			aufgegangen war - in seinem Herzen, in seinem Verstand und in seinem 
			Gemüt! Hatte er doch Gottes Herrlichkeit geschaut im Angesicht Jesu 
			Christi, des Gekreuzigten! 
			 
			Die Herrlichkeit Gottes, die nach jüdischem Glauben erst am „Tag 
			Jahwes“, dem Tag des Endgerichts, offenbar wird, denen, die durch 
			das Gericht hindurchgegangen sind - diese Herrlichkeit zeigte sich 
			ihm, der „Missgeburt“ wie er sich später selber nennen wird; zeigte 
			sich ihm als unbegrenzte Siegesgewalt; als gewaltiger Durchbruch 
			„von oben her“ in diese unsere Welt, zeigte sich als himmlischer 
			Einbruch in den irdischen Machtbereich des Todes.  
			 
			Dass der allmächtige Gott, der Schöpfer Himmels und der Erden, den 
			„Jüngsten Tag“ in der Auferstehung Jesu Christi, des Gekreuzigten, 
			vorweggenommen hat; dass in ihm Alpha und Omega, Anfang und Ende 
			jetzt schon zusammengefallen sind - diesem göttlichen Geheimnis 
			sollte der Apostel bis ans Ende seiner Tage nachsinnen, nachdenken, 
			ihm nachspüren. Und je mehr er das tat, je mehr er auch verstand von 
			den Worten des Christus „für dich gegeben“, „für dich vergossen zur 
			Vergebung der Sünden“, je mehr er verstand, dass also „die Strafe 
			auf ihm“ lag, dass er „unsere Krankheit und unsere Schmerzen trug“, 
			und dass er „um unserer Sünde willen zerschlagen“ wurde, „auf dass 
			wir Frieden hätten“ und „durch seine Wunden“ geheilt sind (Jesaja 
			53), desto mehr und desto klarer wurde er zu einem Prediger dieser 
			göttlichen Gnadenwahrheit und zu einem Apostel der Liebe! Das ist es 
			auch, was ihn antreibt, als er den Christen in Korinth schreibt. In 
			unserem Predigtabschnitt gibt er Gott nun seinen österlichen Titel: 
			Gott alles in allem! 
			 
			Gott alles in allem - das ist nicht einfach zu denken. Und der 
			Apostel korrigiert in seinem Gedankengang auch gleich gefährliche 
			Missverständnisse: als wäre die Auferstehung Jesu Christi ein Event, 
			das uns zu eigener geistlicher Auferstehung ermutigen und zu 
			persönlicher religiöser Begeisterung anleiten will. Solchen 
			Versuchen religiöser Selbstüberhebung setzt Paulus die Auferstehung 
			Jesu Christi als kosmisches Geschehen entgegen - als eine 
			Wirklichkeit, die mit Christus gesetzt wurde und in die wir Menschen 
			allesamt mit hinein bezogen sind.  
			 
			Für dieses kosmische Geschehen, für diese Weltenwende nimmt Paulus 
			mythologische Vorstellungen zu Hilfe, wenn er Adam und Christus 
			gegenüberstellt: „wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in 
			Christus alle lebendig gemacht werden.“ Und nur darum geht es! Um 
			Leben und Tod geht es! Wenn diese Rede überhaupt eine Berechtigung 
			hat, dann hier: Hier geht es wirklich um Alles! Ums Ganze! Und da 
			ist Christus der „Erstling“ - ein Bild das jedem jüdischen Leser 
			sofort an den uralten Brauch der Erstlingsgabe erinnerte: Denn mit 
			der Darbietung der ersten Feldfrüchte im Tempel segnete Gott die 
			ganze Ernte! So kommt auch das Opfer seines Lebens, das der Christus 
			seinem himmlischen Vater dargebracht hat, allen zugute, „die 
			Christus angehören“ (V. 23). 
			 
			„Du gehörst Christus, dem Gekreuzigten!“ - Diese Worte wurden über 
			einen jeden von uns bei der Taufe ausgesprochen, das Kreuzzeichen 
			auf die Stirn gemalt und im Taufwasser wirkmächtig besiegelt. Ja, 
			wir gehören dazu, wenn Gott sein wird alles in allem! Aber noch ist 
			es nicht soweit! Die Auferstehung aller von den Toten steht noch 
			aus. Noch gehen unsere Füße auf der Erde, von der wir gemacht sind 
			und zu der wir wieder werden. Noch springt uns die Macht des Todes 
			und seiner vielen Spielarten an wie ein wildes Tier.  
			 
			Er ist vor ein paar Wochen 80 Jahre alt geworden. Bei meinem Besuch 
			wird mir deutlich, wie sehr das, was wir heute Demenz nennen, in ein 
			Leben eingreift. Der Sinnzusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart 
			und erwarteter Zukunft geht verloren. Ich sehe, wie der Schwund des 
			Gedächtnisses, der ihm bewusst ist, immer wieder Tränen in seine 
			Augen treibt, auch beim gemeinsamen Beten, wo wir unser Leben in 
			Gottes Hand legen.  
			 
			Er ist wirklich „der letzte Feind, der besiegt wird“. Noch richtet 
			sich unser Blick immer wieder auf Leid und Schmerz, auf Not und 
			Ungerechtigkeit, auf Schuld und auf Tod. Und der Apostel ruft uns 
			zu: Recht so! Denn dort sollt ihr Zeugen sein der frohen Botschaft! 
			Denn wer am Auferstandenen hier schon Anteil haben will, der soll 
			sich an den Gekreuzigten halten: an sein Suchen des Verlorenen, an 
			sein Heilen des Verwundeten und Kranken, an seinen Protest gegen 
			Ausgrenzung und Machtmissbrauch, an seine Leidenschaft für das 
			Leben, das Gott für den Menschen bestimmt hat. Denn dieser 
			Leidenschaft für das Leben hat Gott an Ostern ein für allemal Recht 
			gegeben! 
			 
			Dieser Tage kommt mir das Dokument „Der Weg nach Damaskus“ (EMW-Informationen 
			84/1989) in die Hände, verfasst von verschiedenen Kirchen der 
			Dritten Welt. Ich lese: „Heute sind die meisten Länder der Dritten 
			Welt nicht mehr Kolonien, werden aber immer noch beherrscht. Das 
			dichte Netz der wirtschaftlichen Beherrschung besteht aus 
			ungerechten internationalen Handelsbedingungen, multinationalen 
			Firmen, die wichtige Bereiche unserer Wirtschaft beherrschen, und 
			einer Wirtschaftspolitik, die von ausländischen Banken und 
			Regierungen in Gemeinschaft mit dem Internationalen Währungsfonds 
			und der Weltbank diktiert wird. (…) Die schwindelerregende Höhe der 
			Schulden der Dritten Welt ist nur ein dramatisches Zeichen für 
			unsere Beherrschung (...) Was (das) in der Dritten Welt bewirkt, ist 
			eine Litanei der Wehklagen: Unsere Kinder sterben an Unterernährung 
			und Krankheiten, es gibt keine Arbeitsplätze für die, die Arbeit 
			suchen, Familien brechen auseinander, weil Arbeit im Ausland gesucht 
			wird, Bauern und einheimische Gemeinschaften werden von ihrem Land 
			vertrieben, die meisten Stadtbewohner müssen in 
			gesundheitsgefährdenden Slums leben, viele Frauen müssen mit ihrem 
			Körper Geld verdienen, zu viele sterben, ohne dass sie ein Leben 
			gehabt hätten, das eines Menschen würdig ist. Wir leiden auch 
			darunter, dass unsere natürlichen Ressourcen ausgeplündert und wir 
			dann auch noch dafür verantwortlich gemacht werden. (...) Für die 
			Bevölkerung der Dritten Welt ist es ein totaler Krieg.“  
			 
			Diese Beschreibung der Lebenswirklichkeit von Millionen von Menschen 
			in zig Ländern redet von „heute“, ist aber schon 25 Jahre alt! Ja, 
			der Christus wird dereinst „alle Herrschaft und alle Macht und 
			Gewalt“ vernichten. Aber dieser tröstliche Hinweis bekommt einen 
			zynischen Unterton, wenn wir nicht selbst alles dazu beitragen, dass 
			„Gerechtigkeit und Friede sich küssen“, wie es im 85. Psalm heißt. 
			So sehr wir durch die Auferstehung Jesu Christi Heimat bei Gott 
			finden, so wenig will Gott, dass wir seiner Erde und ihrer Geschöpfe 
			untreu werden - ist sie doch sein herrliches Schöpfungswerk! 
			 
			An Ostern feiern wir den Sieg des Lebens über den Tod. Wir singen 
			die frohe Botschaft in unsere Herzen und hinaus in unsere Welt: Dass 
			der Tag kommen wird, wo Gott sein wird alles in allem. Dass er dann 
			selbst abwischen wird alle Tränen von unserem Angesicht. Und dass 
			der Tod nicht mehr sein wird, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz. 
			Feiernd nehmen wir diesen Sieg heute, aber eigentlich in jedem 
			unserer Gottesdienste am Sonntag, dem Tag der Auferstehung des 
			Herrn, vorweg. Betend bergen wir uns in dem lebendigen Christus. 
			Durch ihn lassen wir uns von dem Wahn befreien, als müssten wir 
			unsere Erlösung oder auch die Erlösung dieser Welt selbst besorgen. 
			Wie die Osterkerzen leuchten, so strahlt vom Angesicht des 
			Gekreuzigten ein heller Schein in unsere Herzen (2. Kor. 4/6) - das 
			Licht seiner Herrlichkeit, das uns immer wieder zu einer 
			Leidenschaft für das Leben ermutigt - trotz allem, was dieses Leben 
			so schwer macht. Und für alle, denen wir zum Christus werden sollen.
			 
			 
			Paulus hat für solches Sehen des Unsichtbaren im Lebensvollzug eine 
			eigentümliche Sprache und paradoxe Redewendungen geprägt: „als 
			Sterbende, und siehe, wir leben“, „betrübt und doch voller Freude“ 
			(2. Kor. 6/9f.) Aber auch andere wissen davon zu reden. Deshalb zum 
			Schluss noch einmal das Eingangsgedicht, jetzt aber im vollständigen 
			Wortlaut. Es stammt von Ernst Ginsberg, der im Alter an ALS 
			erkrankte, sich nicht mehr bewegen und nicht mehr sprechen konnte, 
			und der seiner Pflegerin noch mit Hilfe des Morsealphabets mit den 
			Augenlidern folgendes Gedicht diktierte: 
			 
			„Augenschein“ 
			 
			Zur Nacht hat ein Sturm alle Bäume entlaubt.  
			Sieh' sie an, die knöchernen Besen. 
			Ein Narr, wer bei diesem Anblick glaubt,  
			Es wäre je Sommer gewesen. 
			Und ein größerer Narr, wer träumt und sinnt,  
			Es könnt je wieder Sommer werden. 
			Und grad diese gläubige Narrheit, Kind,  
			Ist die sicherste Wahrheit auf Erden. 
			(Ernst Ginsberg, Abschied, Zürich 1965) 
			
			Pfarrer Rudolf Koller
			  
			(Hospitalkirche 
			Hof) 
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			 Text: 
			Paulus schreibt:  
			19 Hoffen wir allein in diesem Leben auf 
			Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen. 
			20 Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling 
			unter denen, die entschlafen sind. 
			21 Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch 
			durch einen Menschen die Auferstehung der Toten. 
			22 Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle 
			lebendig gemacht werden. 
			23 Ein jeder aber in seiner Ordnung: als Erstling Christus; danach, 
			wenn er kommen wird, die, die Christus angehören; 
			24 danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben 
			wird, nachdem er alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt 
			vernichtet hat. 
			25 Denn er muss herrschen, bis Gott ihm »alle Feinde unter seine 
			Füße legt« (Psalm 110,1). 
			26 Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod. 
			27 Denn »alles hat er unter seine Füße getan« (Psalm 8,7). Wenn es 
			aber heißt, alles sei ihm unterworfen, so ist offenbar, dass der 
			ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat. 
			28 Wenn aber alles ihm untertan sein wird, dann wird auch der Sohn 
			selbst untertan sein dem, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott 
			sei alles in allem. 
  
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