Liebe Leser,
der Schriftsteller Botho Strauß beschreibt am
Ende seines Buches „Wohnen, Dämmern, Lügen“ (Hanser, 1994) das
Gespräch eines Paares, dass vorzeitig einen pornographischen Film
verlassen hat. Da sagt der Mann zu seiner Frau:
„Ich weiß nicht mehr, wie ich dich umarmen, dich küssen soll. Die
niederträchtige Zurschaustellung von Menschen, die sich nur zum
Schein paaren vor toten Kameraaugen, haben mein geschlechtliches
Empfinden verletzt und erniedrigt. Sie beschwören die Plagegeister
der Unlust herbei. Und diese Barbaren dort in der Spelunke loben
genau den Film, den wir beide fluchtartig verlassen mussten. ...
Auch deine Nacktheit trägt nach einem solchen Film in meinen Augen
das bürgerliche Lumpenkleid der Unverschämtheit, einer maroden,
verüppigten, stagnierenden, sinnentleerten Unverschämtheit. Alles
Reklame, nur noch ein Fetisch, kein Körper mehr, nur
selbstgenügliche Reklame für ein Handelsgut, das es nicht mehr gibt:
Die Sinnenfreude! Entsetzen muss einen packen, Entsetzen – das
eigentlich Nackte! – vor dem Akt im bürgerlichen Lumpenkleid.
Aber vielleicht ist meine Hoffnung bereits auf das Unheil gerichtet.
Auf einen Bildersturm, wie die Welt ihn noch nicht gesehen hat ...
Und meine Geliebte? Na! Lebt ganz zufrieden mit den gesehenen
Kopulationen. Lässt sich’s nicht verdrießen. Ach, ich allein bin ein
Aufschrei der geknebelten Lust. Ich allein bin ein so Verlorener,
weil der Wandel der Welt mit meinem nicht Schritt hält! ... Was man
erlernt hat, kann man nicht mehr nutzen. Das Handwerk ist
ausgestorben, bevor man die Lehre beendet. So wie auch die Frau, für
die ich das Lieben erlernte, nicht mehr unter den Frauen zu finden
ist! ...
Im übrigen glaube ich gesehen zu haben, dass nur sehr wenige
Gesichter von sinnlicher Freude oder Neugier erhellt werden können.
Sinnliche Freude spielt auf dem Gesicht des Menschen, jedenfalls in
unseren Breitengraden, eine sehr untergeordnete Rolle, kommt nur
sehr spärlich und reguliert zum Vorschein und tritt auch fast nie in
Reinform auf, sondern das, was vorrangig strahlt und die Gesichter
belebt, ist soziale Vorteilssucht. Die Frage der Sinnenfreude gilt
es abzuhandeln ... Das Auge, die Hand des Menschen sind ungeschickt
geworden, ungeschickt auch seine begierige Seele, die jeder
Sicherheit enträt. Wo sind die Beschwerten, die Mahler-, die
Dostojewski-Naturen ... Der Geist, der die Zerklüftung erfassen
soll, ist glatt, spiegelglatt, wie eine gesunde Leber. Nur ich trete
hinaus in den Garten der Erschütterten, Entsetzten,
Schreckensgelähmten und führe meine rosensträuchige Aufwärtsrede,
ich, ein lichtdurchlässiger Mann... (S.179ff.).
Als rosensträuchige Aufwärtsrede eines lichtdurchlässigen Menschen
möchte ich Euch auch den Briefabschnitt an die Korinther, unseren
heutigen Predigttext, vor Augen und Ohren stellen; im Unterschied zu
all den trostlosen Versuchen, den Lasterkatalog des Paulus auf den
Stand des 21. Jahrhunderts zu bringen. Im Unterschied zu all den
Reden lustloser und vertrockneter Moralapostel, die den Glauben für
das Gegenteil von Lebensfreude halten und meinen, ein Heiliger sei
ein Mensch Minus seiner Laster und schlechten Gewohnheiten. Und voll
in die Falle ihrer eigenen sozialen Vorteilssucht tappen: Die einen
trinken gern ein Schöpple, die anderen schmauchen gern ein
Zigarettle, die anderen schwingen hin und wieder das Tanzbein und
wünschen die anderen in die Hölle. Und der Schöppletrinker kann beim
Schmaucher kein frommes Ansehen gewinnen und der Tänzer bei allen
beiden nicht. Seit alters her waren die Lasterkataloge der Bibel ein
Jahrmarkt frommer Eitelkeiten. Hier wuchert vor allem der
Hass auf den Leib und das irdische Leben. Deshalb wollen wir der
Landkarte frommer Moral nicht noch einen Flicken hinzufügen.
Ich möchte Euch Paulus als einen lichtdurchlässigen Menschen
vorstellen, als Kind des Lichts, wie der Wochenspruch sagt (Eph.
5/8), als Tempel des Heiligen Geistes, ein Mensch in dem das
Christuslicht brennt. Der Christus, so führt uns Paulus vor Augen,
erhellt nicht nur die Gedanken, sondern den ganzen Menschen. Das
Evangelium gilt nicht nur der Seele, sondern auch dem Leib. Es will
im ganzen Menschen Gestalt gewinnen. Es nimmt Seele und Leib mit in
ein besseres Leben und schließlich sogar mit in die Ewigkeit. Höher
und freundlicher kann man von unserer Leiblichkeit nicht denken und
schreiben.
Bei Licht besehen werden die Dinge als das kenntlich, was sie sind.
Gut oder schlecht, lebendig oder tot, dem Leben dienlich oder das
Leben ruinierend. Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit
durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemand den Bart zu sengen, hat
Lichtenberg einmal gesagt. Die Fackel des Evangeliums tut das
manchmal auch. Sie tut es um Gottes Willen und um eines besseren
Lebens willen.
Die rosensträuchige Aufwärtsrede des Paulus ist um das Leben
besorgt, bekümmert mit der Sorge, der Christus könnte als schöner
Gedanke in unsere Köpfen verstauben und wir könnten versäumen, was
er uns für unser Leben vom Himmel herunterbringt. Der Himmel dem
Kopf und der Leib einer finsteren Welt, damit gibt sich das
Evangelium nicht zufrieden.
So wie sich die Figur des Dichters nicht zufrieden gibt und mit der
Verhöhnung der Liebe hadert um der Liebe willen, mit dem
Schaugewerbe der Lust um der Lust willen, mit der verkauften
Sinnenfreude um der Sinnenfreude willen. Die Belebung der Sinne ist
das Ziel dieser rosensträuchigen Aufwärtsrede. Und Paulus tut das
auf seine Weise, wenn er uns die Sinne schärfen will für unser oft
so besinnungsloses Leben und für die Gleichgültigkeit gegenüber dem,
was uns und andere kaputt macht, einer Gleichgültigkeit, die wir oft
genug mit Toleranz verwechseln.
Angesichts solch falscher Toleranz schärft das Evangelium die Sinne
für eine Freizügigkeit, die unsere Freiheit nicht größer, sondern
kleiner macht, das Leben nicht bereichert, sondern verarmen lässt.
Wie die Väter der 68ger-Generation, die im Namen des befreiten
Menschen Tabuzertrümmerung betrieb, so haben auch heutige Väter
ihren (nicht mehr langhaarigen, sondern) kahlgeschorenen
Randalekindern moralisch nichts entgegenzusetzen als
Taschengeldentzug. Die hochmögende Aufgeregtheit angesichts der
zunehmenden Gewalt unter Jugendlichen unserer Tage ist wie ein
abgewetzter Vorhang vor einem längst leergeräumten Zimmer.
Weil auch die Väter nie lernen wollten, was Paulus erklärt: Dass
Freiheit von der Erweiterung ihrer Grenzen lebt, nicht von deren
Zertrümmerung. Die Freiheit eines Christenmenschen ist schier
unendlich, aber sie hat ihre Grenze im Rahmen liebevoller
Verhältnisse zwischen Gott und Mensch, Mensch und Mensch, Mensch und
Schöpfung. Wer diesen Rahmen verlässt, steigert sein Leben nicht, er
setzt es aufs Spiel. Er wird kein besseres, sondern ein schlechteres
Leben führen.
Und vielleicht dämmert uns ja so langsam wieder, dass nicht jedes
Stoppschild ein Eingriff in unsere Freiheitsrechte ist und nicht
jedes Nein eine Beschränkung unserer Selbstentfaltung. Paulus
ermuntert uns zur Wiederentdeckung des Heiligen in uns selbst und im
anderen. Ihr seid ein Tempel des Heiligen Geistes. Ihr gehört euch
nicht selbst. Wie könnt ihr niedertrampeln, wovor selbst Engel
zögern?
Das nenne ich eine rosensträuchige Aufwärtsrede, die nicht ab-,
sondern aufwertet, die uns nicht zeigt, wie dreckig und verdorben
wir sind, sondern wie golden. Danken wir’s Gott mit einem wachen
Leben: Wach für seine wahren Sinnenfreuden und wachsam für seine
Bedrohung. Dazu bewahre Gott unsere Herzen und Sinne in
Christus Jesus.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Paulus schreibt:
9 Oder wisst ihr nicht, dass die
Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Lasst euch nicht
irreführen! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, Ehebrecher,
Lustknaben, Knabenschänder,
10 Diebe, Geizige, Trunkenbolde, Lästerer oder Räuber werden das
Reich Gottes ererben.
11 Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid rein
gewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den
Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.
12 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles
ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmen.
13 Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das
eine wie das andere zunichte machen. Der Leib aber nicht der
Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe.
14 Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken
durch seine Kraft.
15 Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? Sollte
ich nun die Glieder Christi nehmen und Hurenglieder daraus machen?
Das sei ferne!
16 Oder wisst ihr nicht: wer sich an die Hure hängt, der ist ein
Leib mit ihr? Denn die Schrift sagt: »Die zwei werden ein Fleisch
sein« (1.Mose 2,24).
17 Wer aber dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm.
18 Flieht die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, bleiben
außerhalb des Leibes; wer aber Hurerei treibt, der sündigt am
eigenen Leibe.
19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen
Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr
nicht euch selbst gehört?
20 Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.
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