Liebe Leser,
der König Salomo hat geschafft, was seinem Vater David verwehrt
blieb. Der Tempel, der als der salomonische in die Geschichte
einging, ist fertig gestellt. Was wir gerade gehört haben, ist ein
Ausschnitt aus der Einweihungsrede Salomos. Die Weisheit dieses
Königs ist legendär. Wenn er den Mund aufmacht, hat das, was er
sagt, immer Hand und Fuß. Und so hat er sich für seine Rede ein
wirklich spannendes Thema ausgesucht. Er versucht eine Antwort auf
die Frage: Wo wohnt Gott?
Wo wir wohnen wissen wir fast immer. Aber den ganz Kleinen und den
ganz Alten, die sich nichts mehr merken können, hängt man schon
einmal ein Bändchen um, auf dem steht: Ich heiße Lisa Müller und
wohne in der Klosterstraße 23. Wenn Lisa Müller sich verlaufen hat,
weiß der, der sie findet, wo Lisa Müller hingehört und wo er sie am
besten abgeben kann.
Für Gott wäre das auch praktisch. Ja, viele fänden es auch
praktisch, wenn sie wüssten, wo sie Gott abgeben könnten, wenn er
ihnen einmal über den Weg läuft. Vielleicht gibt man ihn am besten
sonntags in der Hospitalkirche oder der Michaeliskirche oder der
Lorenzkirche ab. Dann hätte man wieder seine Ruhe, der alte Mann
wäre gut aufgehoben und eine Weile von der Straße weg, auf der wir
durch unser Leben brausen.
Aber mit Gott funktioniert das nicht. Das weiß schon der König
Salomo. Seinen Tempel dürfen wir uns riesig vorstellen. Aber siehe,
der Himmel und aller Himmel Himmel können Gott nicht fassen. Er
passt einfach in keinen Tempel und in keine Kirche rein. Und deshalb
kann man ihn dort auch nicht einsperren. Das gilt seit dem
Himmelfahrtstag auch für seinen Sohn Jesus von Nazareth, den wir den
Christus nennen. Seit er zum Himmel gefahren ist, können auch ihn
aller Himmel Himmel nicht fassen.
Martin Luther erklärt es uns in seiner Himmelfahrtspredigt vom 14.
Mai 1523 auf seine unnachahmliche Weise: „Nun müssen wir von der
Auffahrt des Herren Christus zum Himmel auch reden (...) Man soll
nicht denken, dass er dahin gefahren sei und sitze da oben und lasse
uns hier regieren, sondern darum ist er hinaufgefahren, weil er dort
am meisten schaffen und regieren kann. Denn wenn er auf Erden
geblieben wäre sichtbar für die Menschen, hätte er nicht so viel
schaffen können (...). Darum hüte dich, dass du nicht denkst, dass
er jetzt weit von uns weg sei, sondern im Gegenteil, als er auf
Erden war, war er uns zu fern, jetzt ist er uns nah (...). Wo ist er
aber? Hier bei uns ist er und hat sich darum in den Himmel gesetzt,
damit er nahe bei uns sei. So sind wir bei ihm da oben und er bei
uns hier unten: Durch die Predigt kommt er herab und wir kommen
durch den Glauben hinauf.“ (WA XII, 562)
Man liest immer wieder wirklich seltsame Dinge. Da versuchen
Theologen, die es doch eigentlich besser wissen sollten, ihren
Lesern zu erklären, dass alles, was Luther vom frommen Menschen
redet, zuzusagen innerlich und privat sei. Auf die Gestaltung der
Kirche hätte das keinerlei Auswirkungen. Da hätten wir freie Hand.
Wenn es um die Gestaltung der Kirche gehe, sollten wir heute besser
die Wirtschaftswissenschaftler, die Soziologen und die Manager
fragen, als die Bibel und die Theologie. Auf die Gestaltung unserer
Welt hat nach dieser Logik der private Glaube dann auch keine
Auswirkungen. Da hätten wir freie Hand. In dieser Angelegenheit
sollen wir besser die Politiker fragen statt die Bibel. Lachen Sie
nicht, das ist eine heute verbreitete Ansicht. So wird die Theologie
und der Glauben mit Hilfe der Theologie in der Kirche überflüssig
und mundtot gemacht. Sonntags die Hände falten und die Woche über
freie Hand haben. So stellen sich manche das Christenleben in Kirche
und Gesellschaft, also in der Welt, vor; so handhaben sie es dann
auch.
Sie können sich scheinbar auf Martin Luther berufen. Unterscheidet
der nicht zwischen dem äußeren und dem inneren Menschen, zwischen
sichtbarer und unsichtbarer Kirche, zwischen dem weltlichen Regiment
zur linken und dem geistlichen Regiment zur Rechten?
Ja schon, sagen wir da, Gott sei Dank. Das ist notwendig, damit wir
uns, die Kirche und diese Welt nicht mit dem Himmelreich
verwechseln. Aber mit der freien Hand hat das gar nichts zu tun.
Denn das Werk Gottes auf dieser Welt fängt immer innen, unsichtbar
und vor allem geistlich an. Jedes Kind weiß, dass Gott zuerst im
Herzen wohnt oder im tiefsten Grund der Seele, wie Meister Eckhart
sagt. Durch sein Wort kommt er dort hinein. Das wissen wir ganz
sicher, weil in Jesus, dem Christus, Gottes Wort Mensch geworden
ist. Im Christus kommt deshalb Gottes Wort auch zu uns. Und wenn es
zu uns hinein kommt, dann wird der Christus auch in uns geboren und
fängt an, in uns zu wohnen. So einfach ist das und es wird gar nicht
komplizierter. Wenn der Christus anfängt, in uns zu wohnen, dann
macht er zunächst in unserem Herzen - oder wir können auch sagen in
unserer Seele - eine Baustelle auf. Dann macht er sich dort so
breit, bis alles, was ihn stört, keinen Platz mehr hat. Am Ende
sogar unser altes Ich, das sich selbst für Gott hält und immer nur
um sich selbst und die Dinge dieser Welt kreist.
Aber wie für den Tempel des Salomo gilt. Gott lässt sich nicht
einsperren und beschränken, auch nicht auf den inneren Menschen. Er
will vom inneren Menschen aus auch den äußeren durchwirken und
gestalten. Er will von der unsichtbaren Kirche aus auch die
sichtbare Kirche durchwirken und gestalten. Und er will schließlich
mit seinem Himmelreich die ganze Welt durchwirken und gestalten. Die
ganze Welt ist seine Baustelle. Und uns will er dabei haben. Seine
Gemeinde will er dabei haben. Die Kirche hat in dieser Welt nur
einen Auftrag: Das Wort Gottes zu verkünden und Jesus Christus in
den Sakramenten an die Welt zu verschenken. Bis die ganze Welt durch
ihn durchwirkt und gestaltet ist.
Und deshalb ist es Blödsinn, wenn Theologen behaupten, der Glaube
sei vor allem privat und ansonsten hätten wir freie Hand. Die Idee
ist alles andere als neu und immer noch genauso falsch. Wir schlagen
unter Bekenntnisse in unserem Gesangbuch (EG 907) nach und lesen,
was der Theologe Karl Barth 1934 in die Barmer Theologische
Erklärung geschrieben hat, die seit diesem Frühjahr auch in unserer
Landeskirche Bekenntnisrang hat: „Jesus Christus, wie er uns in der
Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu
hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen
haben.“ (These 1) „Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die
Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben
oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und
politischen Überzeugungen überlassen.“ (These 3)
Wir wissen doch gerade aus unserer Geschichte, dass immer dort, wo
wir den Christus ein- oder aussperren wollen, nicht die Freiheit
winkt, sondern die Knechtschaft. Immer wenn Christenmenschen so
liberal von der freien Hand reden, werden sie Knechte anderer
Geister und Ideologien. Frei ist und bleibt die Kirche nur, wenn sie
mit Herz und Hand (!) ihrem Auftrag nachkommt. Und deshalb muss sich
die Kirche immer wieder neu die Gestalt suchen, die zu ihrem Auftrag
passt.
Wo wohnt Gott? Im Herzen hatten wir gesagt. Und im Tempel, im
Gotteshaus, in der Kirche. Denn die ist ja dazu da wie Luther
schreibt, „dass nichts anderes darin geschehe, denn dass unser
lieber Herr selbst mit uns rede durch sein Wort, und wir wiederum
mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang.“ So kommt er in unsere
Herzen – und von dort in unser ganzes Leben und in die weite Welt.
Und dann wohnt Gott natürlich auch im Himmel. Oder sagen wir es
anders: Überall, wo Gott wohnt, da ist der Himmel. Wenn Gott in
unserem Herzen wohnt, dann ist dort der Himmel, egal wo wir gerade
sind. Und der Platz in der Kirchenbank ist immer ein Platz mit
Aussicht auf das Himmelreich, wenn dort Gottes Wort gepredigt wird.
Und da wird die Frage, wo wir eigentlich wohnen, noch einmal neu
gestellt. Denn jeder von uns hat seit seiner Taufe ein unsichtbares
Bändchen um das Handgelenk. Dort steht Dein Name und dahinter steht
als Adresse: Himmelreich. Das ist praktisch. Da weiß dann sogar der
Tod, wenn er dich findet, wo er dich abzugeben hat.
Das sollten wir niemals vergessen. Wir sollten niemals vergessen, wo
wir wirklich wohnen. Vorübergehend auf dieser Welt. Aber dann für
immer im Himmelreich. Dann dürfen wir wohnen, wo Gott wohnt. Das
sind doch himmlische Aussichten!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
22 Und Salomo trat vor den Altar des HERRN
angesichts der ganzen Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus
gen Himmel
23 und sprach: HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im
Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und
die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem
Herzen;
24 der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du
ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit
deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage.
(...)
26 Nun, Gott Israels, lass dein Wort wahr werden, das du deinem
Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast.
27 Aber sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und
aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann
dies Haus tun, das ich gebaut habe?
28 Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen,
HERR, mein Gott, damit du hörst das Flehen und Gebet deines Knechts
heute vor dir.
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