Liebe Leser,
Mythen wollen uns unsere Existenz erhellen. Sie erzählen nicht
historisch oder archäologisch, sondern eben mythologisch, wie wir
wurden, was wir sind: Geschöpfe Gottes, die jenseits von Eden leben.
Begabt mit Erkenntnis und Einsicht in sich selbst, die Welt - und ihre
allgemeine Winzigkeit und Endlichkeit. Beschenkte des Lebens, die doch
den Wert des eigenen und des anderen Lebens immer wieder verfehlen.
Verdammt zu einem Leben, das hart ist und schön. Was wurden die, die vom
Baum der Erkenntnis aßen und essen? Halbe und unglückliche Götter, denen
die eigene Menschlichkeit nicht mehr selbstverständlich ist. Und die
darum suchen und fragen nach dem, was sie sind, immer wieder, an der
richtigen und falschen Stelle. Verantwortliche Wesen eben: auf Ansprache
und Antwort angewiesen und zur Ansprache und Antwort herausgefordert.
Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? Ja, wenn Adam
das wüsste! Versteckt und verborgen. Eben nicht mehr
selbstverständlicher Teil seiner Welt, die noch Eden heißt. Eben nicht
mehr selbstverständlich ein Mensch vor dem Angesicht Gottes. Schon fällt
ihm die Antwort schwer. Nichts mehr versteht sich von selbst. Da stehen
Adam und Eva auf dem Turm der Erkenntnis: jämmerlich nackt, erschrocken
über ihre Winzigkeit und voller Angst vor der Stimme Gottes. Den
Glücklichen schlug keine Stunde. Jetzt schlagen ihnen alle.
„In dem Roman von Uwe Timm „Rot“ (2001) ist dieses Lebensgefühl präzise
eingefangen. Eine der Romanfiguren vertritt die Ansicht, der Tod habe in
unserer Gesellschaft völlig an Bedeutung verloren, er sei sozusagen
verschwunden. Darauf der Ich-Erzähler: Nein, lieber Ben, ich halte,
sagte ich in guter alter Diskussionsmanier, deine These für falsch. Ich
weiß, das ist die verbreitete Ansicht. Nein. In dieser Gesellschaft ist
der Tod allgegenwärtig. Wo immer du hinblickst, Leute, die sich
schminken lassen, liften, falsche Zähne einsetzen, kaufen, edelkaufen,
eine unbeschreibliche Lebensgier, eine sich in Verdoppelung ausbreitende
Sucht der Selbstverwirklichung, die nach einer Zweitwohnung, nach dem
Zweitauto, Zweitfernseher, der Zweitfrau verlangt, denn man weiß, auch
der Papst ahnt es, nichts, nichts kommt danach. Wir leben in der
transzendentalen Obdachlosigkeit. Dies bisschen Erde. Das ist alles.
Hier, hier, hier. Jetzt, jetzt, jetzt. Sonst nichts. Es ist nur die
Frage, wie man damit umgeht also auf Schnäppchenjagd geht oder etwas
anderes sucht.“ (Gottfried Claß, GPM, 2005/1, Jahrgang 59, Heft 2, S.
152)
So bleibt eine Gesellschaft, die Endlichkeit und Tod zum Tabu erklärt
und in die Sterbezimmer der Kliniken verbannt, dieser Wahrheit über sich
doch in jeder Regung verhaftet. Was treibt unsere moderne Welt
eigentlich an? Nicht mehr die Utopie, der Traum von einer besseren Welt,
nicht mehr die Sehnsucht nach dem Idealen, nach Frieden, nach Freiheit,
nach Gerechtigkeit. Vielleicht ist es mehr denn je nichts als die blinde
Angst vor dem Tod. Da wird dann freilich mit allen finanziellen und
medizinischen Mitteln die transzendentale Obdachlosigkeit nur ein wenig
verlängert. Trostlos, lächerlich. Das ist alles.
Trostlos und lächerlich bleiben schon im Mythos auch die Versuche der
ersten Menschen, die mit dem Biss in die Frucht vom Baum der Erkenntnis
gewonnene Verantwortung, wieder von sich zu weisen. Zumindest diese
Erfahrung des Menschen scheint sich vererbt zu haben. Die Kette der
ausgestreckten Zeigefinger scheint angeboren. So zeigt Adam auf Eva und
Eva auf die Schlange. An der abgebrochenen Lehre ist die schwere
Kindheit schuld; an der Straftat die schlechte Gesellschaft, an der
Unbelehrbarkeit schwadronierender Neuherrenmenschen die
Arbeitslosigkeit, an der Arbeitslosigkeit die Regierung, an der
Regierung die Bürger, an den Bürgern die Regierung. So ist sich jeder
selbst der unschuldige Nächste, der in Kampf und Feindschaft mit den
bösen anderen lebt. Das ist von der wunderbaren Lebensgemeinschaft im
Garten Eden übrig geblieben.
Freilich kann der heutige Mensch nun leider nicht mehr mit dem Finger
auf Gott zeigen, denn an den glaubt er nicht mehr. In seinem neuen Buch
„Kraft“ (C. H. Beck, München 2017) lässt der Schriftsteller und
Philosoph Jonas Lüscher seinen Helden, der eben diesen Namen „Kraft“
trägt, grandios scheitern an der Theodizee, der Frage nach dem Bösen und
dem Leid in der Welt. Denn nun kann Gott ja für nichts mehr
verantwortlich gemacht werden. Auf der Anklagebank sitzt nicht länger
Gott, sondern der Mensch!
Aber das macht ihn nicht weiter verlegen. Jetzt kann er noch auf seine
Gene zeigen, die sich in einer rein vom Zufall bestimmten Evolution über
Jahrmilliarden zu solch einem Produkt entwickelt haben und die ihr
Produkt bis in die Abläufe von Gefühlen und Gedanken am Wickel haben.
Die neuste Hirnforschung will uns glauben machen, alles was uns im Glück
und Unglück, im Guten wie im Bösen bewegt, sei nichts als das Produkt
biochemischer Vorgänge, gegen die wir machtlos und für die wir
folgerichtig auch nicht verantwortlich sind. Eine Ansicht, die
inzwischen sogar wissenschaftlich widerlegt wurde.
Der Philosoph Robert Spaemann schreibt: „Der Rationalismus der
Aufklärung ist innerhalb des Szientismus (der heutigen
wissenschaftlichen Weltanschauung) längst dem Glauben an die Ohnmacht
der menschlichen Vernunft gewichen, dem Glauben, dass wir nicht das
sind, wofür wir uns halten, vernünftige, freie, selbstbestimmte Wesen.
Der christliche Glaube hat den Menschen zwar nie für so vernünftig und
so frei gehalten, wie es die Aufklärung des 18. Jahrhunderts tat. Er
hält ihn aber auch nicht für so unvernünftig und so unreif, wie es der
heutige Szientismus tut. Und er traut der Vernunft, der ratio, eine
größere Reichweite zu als der Szientismus. Ratio heißt sowohl Vernunft
wie Grund. Die wissenschaftliche Weltanschauung hält die Welt und damit
auch sich selbst für grundlos und irrational.“ (Robert Spaemann, Am
Anfang, die WELT vom 31.12.04)
Das tut die Schöpfungsgeschichte der Bibel nicht. Auch der aus seiner
gottkindlichen Naivität erwachte Mensch, den wir gern den „erwachsenen“
nennen, wird von Gott nicht als misslungen verworfen. Auch der mit
Vernunft und Erkenntnis begabte Mensch wird von seinem himmlischen Vater
nicht verstoßen. Er hat nun die Möglichkeit seinem Schicksal,
Seinesgleichen und seinem Schöpfer ins Gesicht zu spucken und die
Möglichkeit zur liebevollen Beziehung. Er hat nun die Möglichkeit
unheilvoll seine Grenzen zu überschreiten und die Möglichkeit, sich
heilvoll selbst zu begrenzen. Er hat nun die Möglichkeit jedem
Rattenfänger auf den Leim zu gehen und seine Fähigkeit zur Erkenntnis
und Weitsicht zu nutzen. Aber vor dem Tor zum Garten, in dem auch der
Baum des Lebens wächst, steht der vierflügelige Engel mit dem flammenden
Schwert. Unter den Ewigen hat der Mensch nichts mehr verloren. Jenseits
von Eden werden diese Kinder ihrem himmlischen Vater viel Mühe und
Arbeit machen.
Aber schon die alte Geschichte aus dem Paradies hat die gute Botschaft,
dass Gott sich diese Mühe und Arbeit macht. Er bekleidet seine Menschen
mit dem Nötigsten für Acker und Kindbett. Er macht dem mörderischen
Nachfahren Kain ein Mal auf die Stirn, damit er am Leben bleibt. Er
setzt den Regenbogen an den Himmel als immer wiederkehrendes Zeichen
seiner Güte. Er schickt seinen Sohn, um in ihm der Welt sein Gesicht zu
zeigen. Durch Schläge, Leiden und Tod lässt sich seine Liebe nicht
beirren. Sie widersteht der Angst vor dem Tod und macht ihn zum
Türsteher an der Pforte zum Himmelreich. Er möchte, wie der gute Vater
im Gleichnis, dass die verlorenen Kinder nach Hause kommen (vgl. Lukas
15.11ff).
Kann gut sein, dass wir einmal an der Hand des Christus, der man die
Nägel noch ansieht, wieder Einlass finden. Denn das erste ist vergangen.
Und der auf den Thron saß sprach: Siehe, ich mache alles neu. (Off.
21,5)
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Und die Schlange war listiger als alle Tiere
auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu der Frau:
Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im
Garten?
2 Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der
Bäume im Garten;
3 aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt:
Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!
4 Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes
sterben,
5 sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen
aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.
6 Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine
Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie
nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch
davon und er aß.
7 Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass
sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich
Schurze.
8 Und sie hörten Gott den HERRN, wie er im Garten ging, als der Tag kühl
geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht
Gottes des HERRN zwischen den Bäumen im Garten.
9 Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du?
10 Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich
bin nackt, darum versteckte ich mich.
11 Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du
gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon
essen?
12 Da sprach Adam: Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem
Baum und ich aß.
13 Da sprach Gott der HERR zur Frau: Warum hast du das getan? Die Frau
sprach: Die Schlange betrog mich, sodass ich aß.
14 Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du das getan hast,
seist du verflucht vor allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf
deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang.
15 Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und
zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten,
und du wirst ihn in die Ferse stechen.
16 Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du
schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein
Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein.
17 Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau
und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst
nicht davon essen -, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal
sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang.
18 Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf
dem Felde essen.
19 Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du
wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum
Staub kehrst du zurück.
20 Und Adam nannte seine Frau Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die
da leben.
21 Und Gott der HERR machte Adam und seiner Frau Röcke von Fellen und
zog sie ihnen an.
22 Und Gott der HERR sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie
unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht
ausstrecke seine Hand und nehme auch von dem Baum des Lebens und esse
und lebe ewiglich!
23 Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, dass er die Erde
bebaute, von der er genommen war.
24 Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden
die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg
zu dem Baum des Lebens. |