Liebe Leser,
alles Wesentliche ist gesagt: Wer Gott ist; wer
der Mensch ist; und wie es um unsere Welt bestellt ist. Was schon
immer galt, was auch heute gilt und was immer gelten wird: Dass Gott
„der Herr“ ist – jene unermessliche, unbegreifliche Macht des
Lebens, die Leben schafft in staunenswerter Fülle und Vielfalt; und
die das Leben wieder nimmt, wann immer es ihr gefällt. Dass Gott der
All-Mächtige ist, vor dem alle anderen Mächte schlichtweg „Nichtse“
sind. Dass Gott, die Lebensmacht, einen Willen hat und nichts
anderes will als: Leben - in Fülle und Vielfalt!
Was schon immer galt, was auch heute gilt und was immer gelten wird:
Dass der Mensch ein zwiespältiges Wesen ist: Gemacht von Gott nur
wenig geringer als Gott – und doch bereit, seinen eigenen Bruder zu
erschlagen; fähig zur intimsten Gemeinschaft und fähig zu jeder
bodenlosen Gemeinheit; dazu berufen, an Gottes statt diesen Garten
Eden zu bewahren und ihn zu einer Heimstatt für alle zu machen,
fühlt er sich zu Höherem berufen, spielt sich auf als der liebe Gott
und knechtet und tyrannisiert seine Mitmenschen, kennt keine
Skrupel, jeden und alles zum eigenen Vorteil auszunutzen.
Was schon immer galt, was auch heute gilt und was immer gelten wird:
Dass diese Welt, ja der ganze Kosmos ein unbeschreibliches Kunstwerk
ist, Grund zum Staunen ohne Ende: Welch wunderbare Ordnung von
Lebens-Räumen für Vögel und Fische und für alle Landtiere, auch den
Menschen! Und der Mensch hat Sinn und Verstand, all dies zu
erkennen. Ja, diese Welt ist wunderschön! Und doch seufzt sie an
allen Enden, weil der Mensch ständig Unsinn macht, weil er ein
unvernünftiger Haushalter ist, weil sein Trachten immer wieder
abgrundtief böse ist. So kennzeichnen Leid und Schmerz und
vieltausendfacher sinnloser Tod immer wieder die Wirklichkeit.
Was schon immer galt, was auch heute gilt und was immer gelten wird
- Alles Wesentliche ist gesagt in den ersten Kapiteln der Heiligen
Schrift, jenen mythischen Erzählungen in 1. Mose Kapitel 1-11. Es
sind die großen Menschheitsthemen, die hier verhandelt werden: Woher
kommt alles, was ist alles, wohin geht alles. Und die Verfasser
zeigen im Verlauf dieser Geschichten beides: Einerseits ein
lawinenartiges Anwachsen der Sünde und Gottes Strafen dafür,
andererseits doch auch sein immer wieder gnädiges Handeln: Adam und
Eva macht er Röcke aus Fell, damit sie „jenseits von Eden“ überleben
können; dem Brudermörder Kain gibt er ein Schutzzeichen, dass er
weiterleben kann, dem Noah setzt er den Regenbogen an den Himmel zum
Zeichen, dass er die Rhythmen der Natur garantieren will. Es ist
also die Geschichte Gottes mit den Menschen beschrieben, die eine
ständig sich erweiternde Kluft zwischen Gott und Mensch zeigt, die
Geschichte eines immer neuen Strafens und zugleich eines gnädigen
Bewahrens.
Nun fehlt aber an einer Stelle diese tröstliche Bewahrung, nämlich
am Ende der Urgeschichte. Die Geschichte vom Turmbau schließt mit
einem gnadenlosen Gottesgericht über die Menschheit. Und die Frage
drängt sich auf: Ist Gottes Geduld am Ende? Ist sein Verhältnis zu
den Völkern dieser Erde endgültig zerrüttet? Ist wirklich alles
gesagt?
Wir hören den Predigttext, wie er geschrieben steht 1. Mose 12. 1-4
– im unmittelbaren Anschluss an die mythischen Erzählungen der
Urgeschichte in den Kapiteln 1-11: (Text)
Mit einem Mal und abrupt hat sich das universale Blickfeld verengt:
Welt und Menschheit, alle universalen Themen versinken und alles
Interesse ist auf einen einzelnen Menschen konzentriert. Gott wählt
aus der Fülle der Völker einen einzelnen Menschen aus, löst ihn aus
seinen angestammten Bindungen und macht ihn zum Anfänger eines neuen
Volkes und zum Empfänger großer Heilsverheißungen. Und das hat Gott
selbst den Verfassern der Urgeschichte offenbart: Dass schon am
Anfang des Weges hinein in ein besonderes Gottesverhältnis ein Wort
über das Ende dieses Weges steht: nämlich die Andeutung, dass das
Heil, das dem Abraham zuteilwird, am Ende allen Geschlechtern auf
Erden zuteilwerden wird. Als Christen sehen wir uns als Erben dieser
Abrahams-Verheißung. Drei Gedankengänge als Anregung zum selber
weiterdenken:
1. Alles beginnt damit, dass Gott zu einem einzelnen Menschen
spricht. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Freilich, seine
Stimme wird gerne überhört. Sie ist nicht laut, die Stimmen des
Alltags sind in der Regel lauter. Aber wer sie hört, der wird ein
anderer, ein „neuer Mensch“ wie der Apostel Paulus sagt. Er erfährt
sich als einen, der von der Macht des Lebens persönlich angesprochen
wird, der berufen, herausgerufen wird. Die „Ecclesia“, die Kirche
ist ihrem griechischen Wortsinn nach ja nichts anderes als die
Gemeinschaft der „Herausgerufenen“….sagen wir einfach mal: aus den
eingefahrenen Gleisen des Denkens und des Verhaltens, aus dem
Alltagstrott unseres Egoismus, unserer Freudlosigkeit, unserer
Blindheit gegenüber dem Wunder des Lebens, dem Wunder des
Mitmenschen, den vielen Wundern der Mitgeschöpfe.
Abraham, so wird die spätere Tradition vermuten, sah sich
herausgerufen aus einer falschen Gottesverehrung – ein Gedanke, der
bei näherem Hinsehen durchaus Plausibilität hat. In jedem Fall
bedeutet es Aufbruch und Neuanfang, wenn ein Mensch Gottes Stimme
hört. Er wird auf einen Weg geschickt in das „Land der Verheißung“,
das Ziel ist ein erfülltes, ein sinnvolles Leben, das es nur in der
Gemeinschaft mit allen gibt, mit allen Mitmenschen, mit allen
Mitgeschöpfen. Dazu beruft Gottes Stimme.
2. Alles lebt von Gottes Segen. „Ich will dich segnen“ spricht Gott.
Die ursprüngliche Bedeutung von segnen meint „mit heilvoller Kraft
begaben“. – Ja, es geht etwas Heilsames von Menschen aus, die
staunen können über das Wunder des Lebens; die dankbar sind für jede
geschenkte Lebenszeit; die einem anderen Menschen ganz nah sein
können, ohne Angst um sich selber zu bekommen; die klar sind in
ihren Worten und Taten; die immer noch Hoffnung haben trotz allem;
die Lebensfreude ausstrahlen, weil sie etwas spüren vom Geheimnis
der Lebenskraft. Wer so von Gott gesegnet ist, von dem geht
sozusagen von selbst ein Segen aus – trotz, oder vielleicht muss man
sagen: gerade wegen des vielen Fluchens und Verfluchens auf Erden.
Der wird zum Mitstreiter Gottes für das Leben in gelingender
Gemeinschaft.
3. „Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte“. – Im NT
berichten die Evangelisten, wie die Jünger Jesu Ruf in die Nachfolge
folgten. Auch da keine Diskussionen, kein Wenn und Aber. Sie folgten
einfach seiner Stimme.
So ist das: Entweder man tut es, oder man lässt es sein; entweder
man hört Gottes Stimme und folgt ihr, oder man verschließt das Ohr
und in der Regel auch das Herz. Entweder lässt man sich von Gott
führen, oder man folgt anderen Führern. Entweder vertraut man auf
ihn oder immer nur auf seine eigene Kraft. Ein Drittes gibt es
nicht. Und mehr ist auch nicht zu sagen.
Freilich, Poeten und Dichter vermögen manche Dinge auch noch anders
zu sagen, so dass nicht nur der Verstand sondern auch unsere Seele
angesprochen wird. Schon in meiner Jugendzeit, aber auch immer
wieder in den Jahren seither, hat mich ein Gedicht von Hermann Hesse
tief in meiner Seele berührt. Wenn ich es Ihnen jetzt vortrage, dann
in der Hoffnung, dass der „Weltgeist“ – ich würde sagen: der Heilige
Geist – auch Ihre Seele berühre und bereit mache zu Aufbruch und
Neuanfang:
„Stufen“
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden....
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof) |
Text:
1 Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus
deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters
Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.
2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und
dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.
3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich
verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf
Erden.
4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog
mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran
zog.
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