Predigt     1. Mose 18/20-21, 22b-33     23. Sonntag nach Trinitatis    26.10.08

"Handel mit Gott"
(von Pfr. Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

Hinter dem Felsplateau der judäischen Wüste, wo der Jordan in den Syrischen Graben fließt, hört alles Leben auf. Dort liegt ein Binnensee, der den tiefsten Punkt der Erdoberfläche markiert: 394 m unter Normal Null. Die Sonne brennt gnadenlos und die Verdunstung ist so hoch, dass das zurückbleibende Salz beinahe alles Leben verhindert. Ein ungastlicher Ort. Dennoch hat man auf dem Boden des Meeres Spuren einer Besiedelung nachgewiesen. Einmal muss es dort Städte gegeben haben. In der Bronzezeit war dort Leben, danach nie mehr.

Die Menschen von damals bis heute haben diesem See unterschiedliche Namen gegeben: Salzmeer heißt es in der Bibel oder Wüstenmeer, mortuum mare nannten es die Römer, Asphaltmeer steht bei Josephus, und Teufelsmeer bei den Kreuzfahrern. In unserer Sprache nennen wir es das Tote Meer. Nomen est omen. Und die Namen sprechen für sich. Dieser Ort ist kein Ort des Lebens.

Alle diese Namen beinhalten auch eine Vermutung der Nachfahren, die ihnen zur Gewissheit geworden ist: hier muss einmal etwas passiert sein, das einem Gottesgericht gleicht. „Meer von Sodom“ sagen die Rabbinen, und damit ist auch deutlich, welche Städte nach den Erzählungen der Bibel hier einmal lagen: Sodom und Gomorra.

Ihre Gottesferne ist sprichwörtlich geworden, genauso das Gericht Gottes, das die Städte vernichtete. Unser heutiger Predigttext spielt am Abend vor der Katastrophe. Dort auf dem Felsplateau mit dem Blick auf die Tiefe, in der die Städte noch voller Leben in der Talsohle liegen, entsteht die Bühne für einen der größten Dialoge der Weltliteratur: Abraham feilscht mit Gott um das Überleben der Menschen in Sodom und Gomorra.

Sie haben recht gehört: Ein Mensch, gemacht aus Staub und Erde, feilscht mit dem allmächtigen Gott und Weltenrichter wie ein Händler auf einem orientalischen Basar! Was auf den ersten Blick fast anstößig wirkt, lässt uns bei näherem Hinsehen einen Blick ins Herz unseres Gottes tun. Fragen wir also, woher Abraham den Mut hat, so unverschämt mit Gott zu feilschen.


Wer war Abraham eigentlich? Sein Vater Terach, so sagt es das AT im Buch Josua, war noch ein ganz entschiedener Götzenanbeter. Nach jüdischer Auslegung und übrigens auch nach dem Koran (Sure 21,51ff.) zerschlägt Abraham die Götzenbilder seines Vaters, um fortan allein dem einen wahren und höchsten Gott zu dienen. Thomas Mann hat in seinem Roman „Josef und seine Brüder“ die Gottsuche von Abraham eindrücklich und einleuchtend geschildert.

Abraham findet Gott, indem er alles zerschlägt und ausschließt, was nicht Gott ist! Ähnlich wie bei der Patchwork-Religiosität des modernen Menschen regierten auch damals sehr verschiedene religiöse Mächte als Ratgeber in den Seelen der Menschen und wurden geachtet und geehrt. Der König wurde ebenso verehrt wie die Sonne, der Krieg ebenso wie das Wasser, die Sexualität ebenso wie der Reichtum, die Mutter Erde wurde angebetet und viele Mächte mehr. Und im Gebet spielten die Menschen ihre Götter gegeneinander aus: Wenn du mir nicht hilfst, bete ich in Zukunft einen anderen Gott an…

Abrahams Größe bestand darin, dass er von diesem kleinlichen Denken genug hatte. Er wollte endlich seine Seele ordnen. Nur noch zu dem einen wahren Gott wollte er beten, ihm gehören, ihm dienen. Lange blickte er sich um und dachte nach. Alle vergänglichen Mächte schied er aus: Alle Könige, Herrscher, Künstler, alle vorbildlichen Menschen schloss er aus. Sie sind sterblich und verdienten keine göttliche Verehrung! Auch Mutter Erde ist auf Sonnenlicht und Regen vom Himmel angewiesen. So richtete sich Abrahams Blick immer mehr in die Höhe. Die Sonne mit ihrer gewaltigen Glut regierte nur den Tag, der Mond nur die Nacht. Und schlagartig wurde ihm klar: Nur der, welcher alle Himmelsköper lenkt und den Lauf der Welt bestimmt, ist der wahre Gott, der unsichtbare Lenker und Gesetzgeber der Natur. So am Ziel seiner Suche angekommen wurde Abraham zum Urbild des ersten Monotheisten für Juden, Christen und Moslems gleichermaßen.

Nur: das erklärt noch nicht den Mut, mit dem er vor Gott tritt und mit ihm feilscht wie mit einem Händler. Abrahams Mut verdankt sich einer weiteren Erkenntnis: nämlich dass Gott selbst ihm diese Gedanken eingegeben hat! Abraham fühlte mit Gewissheit: Gott will so von Menschen erkannt, verstanden und angebetet werden! Gott hat den Menschen geschaffen, damit er durch uns ein Gegenüber hat, einen Ansprech-Partner im Wortsinne: einen, den Gott in seinem Herzen ansprechen kann; und dem umgekehrt auch Gott sein Herz zeigen kann und will; Gott hat sich im Menschen ein Gegenüber geschaffen und lässt sich von ihm in die Karten schauen – ein wenig nur, sicherlich, aber doch soviel, dass der Mensch dabei zum Ebenbild Gottes wird.

Das war und ist es, was Abraham (und mit ihm allen, die an den EINEN Gott glauben) den Mut schenkt, „ganz nahe“ an Gott heran zu treten. Es war und ist die Gewissheit, dass Gott selbst eine Beziehung zu uns sucht, dass er von uns Menschen gesucht und entdeckt werden will und dass er sich entdecken lassen will. Gott segnet Abraham, indem er ihn seine Liebe erkennen lässt. Und mit dieser Erkenntnis soll Abraham zum Segen für alle Völker werden.

Nur so kann man verstehen wie Abraham in unserem Predigttext mit Gott redet. Es ist diese Mischung aus Kühnheit und Vertrautheit, die aus ihm spricht. Und er redet von dem, was sein Herz bewegt: die Menschen in den Städten Sodom und Gomorra. „Willst du", sagt Abraham, „diese Stadt verderben, wegraffen, alle, auch die Guten mit den Schlechten? Vielleicht gibt es ja, inmitten der Stadt nicht doch - sagen wir - fünfzig Gerechte?"

50 Gerechte. Abraham beginnt bescheiden. Es sind nicht 1000 oder 100, es sind 50, gerade mal eine Mannschaft, nicht einmal die Größe einer Kompanie. Lächerlich wenige im Vergleich zu der Zahl der Einwohner einer Stadt. Unerträglich viele jedoch für Abraham, der das Verderben heraufziehen sieht am Horizont. Gingen die Gerechten mit den Schlechten unter, dann gäbe es keinen Unterschied zwischen gut und böse, dann wäre der Gerechte wie der Schlechte behandelt, so argumentiert Abraham gegenüber Gott. Deutlich wird: Nicht die Ungerechtigkeit der Stadtbürger, sondern die Gerechtigkeit Gottes steht auf dem Spiel, der nicht zulassen kann, dass unbescholtene Gott-Getreue umkommen mit den anderen.

Jetzt zielt alles auf Gottes Antwort. Und sie kommt. Unmittelbar. „Finde ich fünfzig Gerechte zu Sodom in der Stadt, so will ich um ihretwillen dem ganzen Ort vergeben.“ Gott ist bereit, sich dem guten Wort zu öffnen, das Abraham für die Stadt einlegt. Er zeigt sich als mitfühlender Gott, nicht als unberührter Weltenlenker. „Ja, nur zu gerne vergebe ich allen", so schallt es Abraham entgegen. Doch der wird ob des schnellen Erfolges unsicher. „Was, wenn es nicht fünfzig gibt? Was, wenn es nur einen weniger als fünfzig Gerechte gibt?" Um sicher zu sein, tritt er noch einmal vor Gott. Demütig. „Ich bin ja eigentlich nur Staub und Asche. Und dennoch nehme ich mir heraus, das Wort an dich zu richten. Vielleicht finden sich dort nur 45". Und Gott antwortet: „So soll es sein. Ich will nicht verderben, wenn es dort nur 45 gibt."

So feilscht Abraham um die Seelen der Verdammten und Gott folgt ihm bereitwillig in seinen Zugeständnissen. Aus den fünfundvierzig Gerechten werden dreißig, zwanzig, fünfzehn, zehn. Aber je weniger sie werden, desto größer wird die Last auf den Schultern Abrahams, der ahnt, dass sein Unterfangen vermessen und vielleicht doch aussichtslos ist. Die Gottesferne, das Menschenverachtende in dieser Stadt könnte so weit um sich gegriffen haben, dass ein gottgerechtes Leben unmöglich wurde in dieser Stadt und die Guten geflohen, erdrückt, verwandelt sein könnten. Bei Zehn hört er auf. Sechsmal hat er an Gott das Wort gerichtet, ein siebtes Mal wagt er nicht, mit Gott zu feilschen. Sieben ist die Zahl der Vollendung, die steht nur Gott zu.

Noch einen anderen Grund gibt es, warum Abraham bei der Zahl Zehn aufhört zu fragen: Zehn ist die mindeste Anzahl jüdischer Männer, die für die Feier eines Gottesdienstes in der Synagoge nötig waren. Das Minimum des Lobes an den Herrn der Welten. Zehn Gerechte - weniger ist nicht genug, um das Übel aufzuwiegen. Sind weniger Personen in der Stadt, so sind es nur Einzelne, sie können nur als Einzelne gerettet werden. Das Lob Gottes kann nicht mehr gesungen werden, wenn sich nicht zehn Männer dazu zusammenfinden. Für Sodom und Gomorra galt: Die jüdische Gemeinde ist tot. Das Schicksal der beiden Städte ließ sich nicht aufhalten.

Fragen wir: warum erzählt die Bibel uns solche Geschichten? Weil sie deutlich machen will, dass es nicht im Sinne Gottes war, die Menschen dieser Städte zu verderben. Er tat, was er konnte, um die Folgen aufzuhalten. Er ist den Menschen dieser Stadt sehr weit entgegen gekommen. So mahnt diese Geschichte die Nachkommen Abrahams, den rechten Weg nicht zu verlassen.

Vor allem aber malt sie das Bild eines zugewandten, aufmerksamen Gottes mit dem unbedingten Willen zur Vergebung. Auch wenn wir Menschen uns Verwüstungen nur als Gericht Gottes vorstellen können - hier wird uns nahe gelegt, in Gott nicht den ungerührten Weltenrichter zu suchen, sondern den mitfühlenden und eben darin gerechten Gott, der nichts lieber täte, als sein Vorhaben einzustellen, wenn er nur einen Grund findet, der für die Menschen spricht.

Und: Diese Geschichte stellt uns mit Abraham einen Mann vor Augen, der mit Gott redet wie mit einem Freund, der sich vom Schicksal seiner Mitmenschen bewegen lässt, der eintritt für andere Menschen – Schuldige wie Unschuldige – auch wenn es riskant und gefährlich ist. Zur Nachahmung empfohlen! Die Geschichte spricht auch von der Macht des Gebetes, Gottes Barmherzigkeit zu erwirken gegen allen Augenschein.

Und die Geschichte weist letztendlich voraus auf den Einen, auf Jesus Christus,
- der Gottes Strafgericht stellvertretend für alle Menschen ein für alle Mal auf sich genommen hat, damit wir endlich aufhören einander zu strafen
- der bei Gott für uns eintritt, damit wir füreinander eintreten
- und um dessentwillen wir alle leben sollen und werden – trotz des Umstandes, dass Sodom und Gomorra Realitäten auch heutzutage sind – und das nicht nur bei den anderen, sondern auch mitten unter uns.

So schließe ich mit einem Lesehinweis und einem Zitat: Wer eine Ahnung bekommen will, wie heute die Zustände in Sodom und Gomorra sind, der lese die Predigt von Karl Martin „Rette Dein Leben und sieh nicht hinter dich…“ - nachzulesen auf der Homepage der Hospitalkirche. Und das Zitat, mit dem ich schließe, ist von Elie Wiesel (Vorwort zu The Testament, 1981):

"Einer der gerechten Männer kam nach Sodom, entschlossen, seine Einwohner vor Sünde und Strafe zu retten. Tag und Nacht wanderte er durch die Straßen und Märkte und protestierte gegen Habgier und Diebstahl, Falschheit und Indifferenz. Zu Beginn hörten ihm die Leute zu und lachten ironisch. Dann ließen sie es sein, und er amüsierte sie nicht einmal mehr. Die Mörder mordeten weiter, die Weisen schwiegen, als wenn ein gerechter Mann in ihrer Mitte weilte. Eines Tages trat ein Kind an ihn heran, gerührt von Mitleid mit diesem erfolglosen Lehrer, und sagte: 'Armer, fremder Mann, du schreist dich heiser. Siehst du denn nicht, dass es hoffnungslos ist?' 'Freilich sehe ich es', antwortete der Gerechte. 'Weshalb machst du da weiter?' 'Ich will es dir sagen. Zu Beginn dachte ich mir, ich würde die Menschen ändern können. Heute weiß ich, dass ich es nicht vermag. Wenn ich heute noch immer schreie, so geschieht es, weil ich verhindern will, dass sie mich zuletzt ändern'".

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

20 Und der HERR sprach: Es ist ein großes Geschrei über Sodom und Gomorra, dass ihre Sünden sehr schwer sind.
21 Darum will ich hinabfahren und sehen, ob sie alles getan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder ob's nicht so sei, damit ich's wisse.
22 Aber Abraham blieb stehen vor dem HERRN
23 und trat zu ihm und sprach: Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen?
24 Es könnten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein; wolltest du die umbringen und dem Ort nicht vergeben um fünfzig Gerechter willen, die darin wären?
25 Das sei ferne von dir, dass du das tust und tötest den Gerechten mit dem Gottlosen, sodass der Gerechte wäre gleich wie der Gottlose! Das sei ferne von dir! Sollte der Richter aller Welt nicht gerecht richten?
26 Der HERR sprach: Finde ich fünfzig Gerechte zu Sodom in der Stadt, so will ich um ihretwillen dem ganzen Ort vergeben.
27 Abraham antwortete und sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, zu reden mit dem Herrn, wiewohl ich Erde und Asche bin.
28 Es könnten vielleicht fünf weniger als fünfzig Gerechte darin sein; wolltest du denn die ganze Stadt verderben um der fünf willen? Er sprach: Finde ich darin fünfundvierzig, so will ich sie nicht verderben.
29 Und er fuhr fort mit ihm zu reden und sprach: Man könnte vielleicht vierzig darin finden. Er aber sprach: Ich will ihnen nichts tun um der vierzig willen.
30 Abraham sprach: Zürne nicht, Herr, dass ich noch mehr rede. Man könnte vielleicht dreißig darin finden. Er aber sprach: Finde ich dreißig darin, so will ich ihnen nichts tun.
31 Und er sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, mit dem Herrn zu reden. Man könnte vielleicht zwanzig darin finden. Er antwortete: Ich will sie nicht verderben um der zwanzig willen.
32 Und er sprach: Ach, zürne nicht, Herr, dass ich nur noch einmal rede. Man könnte vielleicht zehn darin finden. Er aber sprach: Ich will sie nicht verderben um der zehn willen.
33 Und der HERR ging weg, nachdem er aufgehört hatte, mit Abraham zu reden; und Abraham kehrte wieder um an seinen Ort.


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