Liebe Leser,
51 Jahre ist es nun her, dass dieses Gotteshaus feierlich eingeweiht
wurde. Letztes Jahr, beim 50. Jubiläum, da wurden die Anfänge der
Friedenskirche in Erinnerung gerufen und die Geschichten, die sich
damit verbinden.
Heute möchte ich allgemeiner aber auch grundsätzlicher fragen: Was
feiern wir eigentlich, wenn wir Kirchweih feiern? – Die Schönheit
dieses Gotteshauses? Die Opferbereitschaft der Generation, die sie
gebaut hat? Die Erinnerung an besondere Gottesdienste? Den Kraftort
für den Alltag? Den Ort von Gottes Gegenwart?
Ich frage und begebe mich mit Ihnen auf die Suche nach Antworten.
Eine Geschichte aus dem AT soll uns auf den Weg bringen. Sie steht
im 1. Mose 28. Ich lese die Verse 10-19:
Text
Wir kennen das: Die Suche nach besonderen, nach heiligen Orten!
Christen aller Konfessionen und Jahrhunderte pilgerten und pilgern
auch heute noch zu Wallfahrtskirchen – in dem Glauben, dass sie Orte
besonderer Kraft sind; dass die Gebete, die dort gesprochen und
Rituale, die dort abgehalten werden, besonders wirksam sind.
Dabei ist das im Grunde vollkommen unbiblisch, ja heidnisch! Und
auch unser Predigttext verrät den gleichen Fehler, den Menschen
immer wieder machen! Auch Jakob glaubt, die „Himmelsleiter“ wäre an
diesem Ort, wo er übernachtet hat – und richtet entsprechend ein
Steinmal auf, ein Haus Gottes. Für das Wunder der Gottesbegegnung im
Traum macht er den geographischen Ort verantwortlich: „Fürwahr, der
HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!“
Dieses „Ich wusste es nicht“ ist der Schlüssel zum rechten
Verständnis! Heißt es doch: Es war mir nicht bewusst. Anders gesagt:
die Himmelsleiter, also Gott, erschien ihm im Unbewussten, in dem
Teil unseres Seelenlebens, zu dem wir keinen direkten Zugang haben,
von dem – wie uns die moderne Tiefenpsychologie bestätigt – nur
unsere Träume zeugen. Das Auftauchen und Sprechen Gottes im Traum
wird nicht durch diesen besonderen Platz hervorgerufen, sondern
entspringt seinem Inneren, geschieht in seinem Inneren, in seiner
Traumseele.
Jakob nennt die „Stätte“ heilig, weil er sich noch nicht bewusst
war, dass er selbst diese „Stätte“ ist. Dabei ist er selbst das
„Haus Gottes“! In ihm geschah die wunderbare Gottesbegegnung! Er
selbst ist das Heiligtum! Und wer die Gottesrede in Jakobs Traum
genau hört, wird darin nur bestätigt. Denn der Gott Abrahams und
Isaaks und letztlich auch der Gott Jesu ist ein Mitgeh-Gott: „Und
siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst.“
Mit Abraham zog Gott mit, mit Mose und dem Volk Israel zog er durch
die Wüste und war nicht auch Jesus als Wanderprediger unterwegs? Das
jüdische Volk hat in seiner tausendjährigen Geschichte unter
Schmerzen die Einsicht gewonnen, dass Gott nicht an besonderen
Kultorten heimisch ist. Die Schmerzen: das war der Verlust des 1.
und des 2. Tempels in Jerusalem. Die Einsicht war: dass Gott sich in
den Menschen innewohnt. Dieses Wissen um die „Schechina“, um die
Innewohnung Gottes in uns greifen im NT der Evangelist Lukas und der
Apostel Paulus auf. Ich zitiere: „Gott wohnt nicht in Tempeln mit
Händen gemacht.“ Und: „Wisst ihr nicht, dass ihr der Tempel Gottes
seid?“
Jetzt frage ich noch einmal: Was feiern wir eigentlich, wenn wir
Kirchweih feiern?
Hören wir doch auf die Liederdichter in unserem Gesangbuch:
- Zieh in meinem Herzen ein, lass es deinen Tempel sein….“ (EG
166.1)
- „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt“ (EG 16.5)
- Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, Eu’r Herz zum Tempel
zubereit…“ (EG 1.4)
- „Wohne in mir, mach mich ganz eines mit dir.“ (EG 41.5)
Was Jakob nur erahnte, was alle Mystiker der Christenheit aber auch
aller anderen Religionen sagen, und was auch wir manchmal erspüren
oder erfahren: Dass ganz tief in uns drinnen, in unserer Mitte Gott
wohnt - die Quelle des Lebens, der Liebe und der Hoffnung, die nicht
zuschanden wird.
Also noch einmal gefragt: Was feiern wir, wenn wir Kirchweih feiern?
Je nachdem, was wir unter „Kirche“ verstehen: Meinen wir das Gebäude
aus Steinen, dann können wir uns über die Schönheit dieses
Gotteshauses, die Opferbereitschaft der Generation, die sie gebaut
hat, die Erinnerung an besondere Gottesdienste unterhalten. Meinen
wir aber das „Gebäude aus lebendigen Steinen“, wie es der Verfasser
des 1. Petrusbriefes ausdrückt, dann reden wir von der Gemeinschaft
der Heiligen, von unserer Gemeinschaft und der Gemeinschaft der
Christen weltweit, die Gott dadurch heiligt, dass er sich in uns und
ihnen innewohnt.
Entsprechend bekommt auch das Wort „Gottesdienst“ einen
verschiedenen Klang: Im ersten Fall ist Gottesdienst so etwas wie
eine moralische Pflicht. Wir gehen zum Kirchweihgottesdienst, weil
wir der Generation der Anfänge der Friedenskirche gedenken und Gott
loben, unser Opfer bringen und so meinen, etwas für Gott zu tun.
Im zweiten Fall aber macht Gott uns zu Priestern und Priesterinnen
im Tempel unseres eigenen Leibes. Dann müssten wir Ernst machen mit
dem Wort des Paulus, dass unser Körper „ein Tempel des Heiligen
Geistes“ ist (1. Kor.6.19) und müssten uns fragen, was ein dem
entsprechender „Tempeldienst“, was also rechter Gottesdienst ist.
Dann müsste ein jeder und eine jede von uns anfangen, wieder
aufmerksamer auf die Signale seines Körpers zu achten, müsste ihn
„einrichten“ wie ein Gotteshaus, wie eine schöne Kirche.
Wie sagte Theresa von Avila: „Tu deinem Leib etwas Gutes, damit
deine Seele Lust hat darin zu wohnen.“ Wenn wir so Gottesdienst
feiern, auf diese Weise Gott dienen, dann wird und will Gott einem
jeden von uns dienen; dann wird er Wohnung in uns nehmen,
leibhaftig, sinnlich – so wie im Heiligen Abendmahl, das wir jetzt
miteinander feiern wollen.
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof) |
Text: 10 Aber Jakob zog aus
von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran
11 und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne
war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte
ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen.
12 Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die
rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes
stiegen daran auf und nieder.
13 Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der
Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du
liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben.
14 Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du
sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden,
und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf
Erden gesegnet werden.
15 Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du
hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich
will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt
habe.
16 Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr,
der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!
17 Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte!
Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des
Himmels.
18 Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu
seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal
und goss Öl oben darauf
19 und nannte die Stätte Bethel, das heißt: Haus Gottes.
Herr segne Reden und Hören! Amen.
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