Predigt    1. Mose 8/18-22     20. Sonntag nach Trinitatis     29.10.17

"Die gestundete Zeit"
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)
 

Liebe Leser,

am 1. September diesen Jahres, raste der Asteroid, der 1981 auf den schönen Namen Florence getauft wurde, nach kosmischen Maßstäben haarscharf an unserem blauen Planeten vorbei. Florence hat einen Durchmesser von 4,4 Kilometern. Hätte er die Erde getroffen, hätte er beträchtlichen Schaden anrichten können. Freilich hätte er nicht das Potential gehabt, das menschliche Leben auf der Erde auszulöschen.

Es wundert keinen, dass die Menschheit von solchem kosmischen Störfeuer nur am Rande Notiz genommen hat. Denn in den Atomwaffenarsenalen der Atommächte schlummert das Potential, das Leben, wie wir es auf der Erde kennen, vollkommen auszulöschen und zwar gleich ein paar Mal. Dafür wurde der Begriff „Overkill“ geprägt, die Fähigkeit des Menschen, nicht nur zu 100% zu töten, sondern - sagen wir - zu 500%. Das macht keinen Sinn. Selbst meine Drittklässler wollten nicht begreifen, wie denn Menschen Atomwaffen für eine gute Sache halten können, wenn das Gebiet, auf dem sie eingesetzt werden, für Menschen wegen der radioaktiven Strahlung unbewohnbar wird. In der Zeit des Kalten Krieges sahen die Großmächte ihre eigene Sicherheit dadurch gewährleistet, dass sie einander mit der totalen Vernichtung bedrohten. Auch heute vertrauen Politiker weiter auf das Gleichgewicht des Schreckens, das inzwischen freilich gefährlich aus dem Gleichgewicht geraten ist. Die Gefahr eines Atomkrieges mit katastrophalen Folgen für die gesamte Menschheit ist heute nicht geringer, sondern viel größer als zur Zeit des Kalten Krieges, sagen Experten. Und wenn man sich vor Augen hält, welche Politiker die Hand an den roten Knöpfen haben, dann trägt das keineswegs zur Beruhigung bei.

Es ist daher nicht ganz nachzuvollziehen, dass moderne Menschen heutzutage schnell die Nase rümpfen, wenn sie die uralte Geschichte von der Sintflut hören. Schnell sitzt Gott auf der Anklagebank. Und schon gar nicht wollen die Heutigen gelten lassen, dass das Dichten und Trachten des Menschen böse von Jugend auf sein soll. Schwere Kindheit, schlechte Gesellschaft, ungerechte Verhältnisse, und was der schwachen Ausflüchte mehr sind. Edel sei der Mensch, hilfreich und gut – aber man lässt ihn nicht. Zwar ist dem Menschen gesagt, „was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Micha 6,3) Aber wer kann das schon? Wie schwer haben es gute Vorsätze in der Politik von Abrüstung über soziale Gerechtigkeit bis Nachhaltigkeit? Wie stark sind die Beharrungskräfte des Gewohnten, auch wenn das Gewohnte in den Abgrund führt. Der Mensch kann das wissen und trotzdem sagen: Weiter so! Wir zuerst! Nach uns die Sintflut.

Wir haben keinen Grund mit dem moralischen Finger auf die zu zeigen, die die urzeitliche Sintflut in den Tod gerissen hat. Wissen und machen wir es denn besser? Und deshalb ruft ein Ausleger zurecht aus: „Wenn nur die Christen, indem sie bei den wechselseitigen Bezichtigungen mittun, indem sie vielleicht sogar meinen, Gottes Urteil über den Menschen nachzusprechen und seine Menschenerfahrung durch eigene Erfahrung bestätigt zu sehen, bedenken würden, dass wir selbst mitsamt unserem Urteilen, jawohl: mitsamt unseren bewährten moralischen Maßstäben unter die vernichtende Kritik von Gottes Urteil fallen!“ (Hinrich Stoevesandt, GPM 3/1999, Heft 4, S. 440)

Denn auch wir Christen sollten wissen und auch für uns anerkennen, was diese uralte Geschichte über den Menschen weiß: „Ohne jeden Zynismus, wohl aber in erstaunlicher Hellsichtigkeit heißt es hier ganz nüchtern, dass bei so unendlich vielen Planungen, die im Namen irgendeines Guten, Rechten oder gar göttlich Erhebenden erfolgten und erfolgen, so unendlich viel Schädliches geschaffen wird. Also das Urteil meint nicht zuständlich das menschliche Herz, d. h. den Menschen schlechthin in seinem Wesen, sondern das, was in seinem Denken und unter seinen Händen, oft jenseits seiner Absicht, aus den Dingen wird. (…) Gewiss meint der Erzähler nicht, dass nach Gottes Urteil überhaupt nur Schädliches geschaffen würde. Es mag auch Nützliches entstehen; wenn man aber die Menschheit als Spezies, in ihrer Völkergliederung, in ihrem Gegen- und Miteinander betrachtet, ist das Geschaffene insgesamt nicht erhebend, sondern übel, und zwar den ganzen Tag, in dem Planungen stattfinden, vor denen auch uns graut.“ (Stoevesandt, aaO., S. 441)

Lesen wir die Geschichte von der Sintflut einmal nicht als Geschichte menschlicher Gotteserfahrung, sondern als Geschichte göttlicher Menschenerfahrung. Lesen wir diese Geschichte einmal als Abschluss der Schöpfungsgeschichte aus der Sicht Gottes. Die Erfahrung Gottes mit dem Menschen macht es ihm schwer, noch einmal „sehr gut“ auszurufen. Die Schöpfungsgeschichte hat kein Happy End. Der Mensch weiß mit der Gnade seiner Existenz nichts Gutes anzufangen. Denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Nicht das menschliche Herz ist böse, aber sein Dichten und Trachten.

Das wird auch für Noah und seine Nachkommen gelten und für die Tiere der Arche und alle Kreatur, die dem Dichten und Trachten des Menschen immer hilfloser ausgeliefert sein werden. Nein, es ist gewiss nicht der liebliche Geruch des Opfers, das Gott gnädig stimmt und ein weitreichendes Versprechen geben lässt. Vielmehr hört man ihn still seufzen, bei so viel Einsicht in des Menschen Herz und bei so viel Liebe zu seinen Geschöpfen. Ja bitte, Gott kam nicht auf solche Ideen, wie der Mensch, der das Leben zu 500% ausrotten kann. Auch in dieser Geschichte gewinnt die Gnade Gottes letztlich das Übergewicht. Seitdem ist die Weltzeit „gestundete Zeit“ (Ingeborg Bachmann) Gott wird von nun an mit allen seinen Menschen Geduld haben.

Und hat sie immer noch. „Gott will in sich selbst die Spannung aushalten, dass die Vernichtung der Menschheit zwar weiterhin gerechtfertigt bleibt, Gott aber nicht sie, sondern die (…) Existenz Abrahams will, durch Noahs Erwählung vorbereitet. Gottes Geduld (Röm 3,26!), wie die Sintflutgeschichte sie bezeugt, ist kein stummes Stillhalten - und darum ist das den Menschen gewährte Überleben kein höchstes Gut in sich selbst, sondern beides ist um eines jenseits ihres Horizontes liegenden Zieles willen da. Was um dieses nicht von Menschen erstrebten, sondern von Gott gesetzten Zieles willen da ist, das ist Gnade.“ (Stoevesandt aaO. S. 442)

Man muss wirklich kein Mystiker sein, um die Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung als Geschichte des Kampfes zu sehen, den Gott um das menschliche Herz führt. Kann man das Evangelium von Jesus Christus denn anders lesen? Das ist ein Kampf, der nicht mit Macht und Gewalt, sondern mit Ohnmacht und Liebe geführt wird, die in Gottes Menschwerdung gipfelt. Der Christus entwaffnet die Ordnungen Gottes, die Glaubensrichtungen und Religionen bis heute mit Gewalt gegeneinander ins Feld führen, indem er sie auf ihren Kern zurückführt im Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Er entgrenzt dieses Gebot, indem er es für alle Menschen gelten lässt, sogar für die Feinde. Er globalisiert es.

Meister Eckhart meinte, die ganze Schöpfung habe den Sinn und das Ziel, dem Menschen Zeit und Gelegenheit zu geben, zu Gott nach Hause zu finden. Denn „Gott gab seiner Schöpfung nur einen einzigen Pfeiler: Die Liebe.“ (Carmen Sylva) Deshalb hat er die Sintflut verworfen. Wir sollten das auch tun. Nach uns die Sintflut? Das Himmelreich wäre doch die bessere Aussicht. Deshalb bewahre der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. (Philipper 4,7)

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

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Die Predigt zum Hören

Text:

18 So ging Noah heraus mit seinen Söhnen und mit seiner Frau und den Frauen seiner Söhne,
19 dazu alles wilde Getier, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm, das auf Erden kriecht; das ging aus der Arche, ein jedes mit seinesgleichen.
20 Noah aber baute dem HERRN einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar.
21 Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe.
22 Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
 


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