Liebe Leser,
am 1. September diesen Jahres, raste der Asteroid, der 1981 auf den
schönen Namen Florence getauft wurde, nach kosmischen Maßstäben
haarscharf an unserem blauen Planeten vorbei. Florence hat einen
Durchmesser von 4,4 Kilometern. Hätte er die Erde getroffen, hätte
er beträchtlichen Schaden anrichten können. Freilich hätte er nicht
das Potential gehabt, das menschliche Leben auf der Erde
auszulöschen.
Es wundert keinen, dass die Menschheit von solchem kosmischen
Störfeuer nur am Rande Notiz genommen hat. Denn in den
Atomwaffenarsenalen der Atommächte schlummert das Potential, das
Leben, wie wir es auf der Erde kennen, vollkommen auszulöschen und
zwar gleich ein paar Mal. Dafür wurde der Begriff „Overkill“
geprägt, die Fähigkeit des Menschen, nicht nur zu 100% zu töten,
sondern - sagen wir - zu 500%. Das macht keinen Sinn. Selbst meine
Drittklässler wollten nicht begreifen, wie denn Menschen Atomwaffen
für eine gute Sache halten können, wenn das Gebiet, auf dem sie
eingesetzt werden, für Menschen wegen der radioaktiven Strahlung
unbewohnbar wird. In der Zeit des Kalten Krieges sahen die
Großmächte ihre eigene Sicherheit dadurch gewährleistet, dass sie
einander mit der totalen Vernichtung bedrohten. Auch heute vertrauen
Politiker weiter auf das Gleichgewicht des Schreckens, das
inzwischen freilich gefährlich aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Die Gefahr eines Atomkrieges mit katastrophalen Folgen für die
gesamte Menschheit ist heute nicht geringer, sondern viel größer als
zur Zeit des Kalten Krieges, sagen Experten. Und wenn man sich vor
Augen hält, welche Politiker die Hand an den roten Knöpfen haben,
dann trägt das keineswegs zur Beruhigung bei.
Es ist daher nicht ganz nachzuvollziehen, dass moderne Menschen
heutzutage schnell die Nase rümpfen, wenn sie die uralte Geschichte
von der Sintflut hören. Schnell sitzt Gott auf der Anklagebank. Und
schon gar nicht wollen die Heutigen gelten lassen, dass das Dichten
und Trachten des Menschen böse von Jugend auf sein soll. Schwere
Kindheit, schlechte Gesellschaft, ungerechte Verhältnisse, und was
der schwachen Ausflüchte mehr sind. Edel sei der Mensch, hilfreich
und gut – aber man lässt ihn nicht. Zwar ist dem Menschen gesagt,
„was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort
halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Micha 6,3)
Aber wer kann das schon? Wie schwer haben es gute Vorsätze in der
Politik von Abrüstung über soziale Gerechtigkeit bis Nachhaltigkeit?
Wie stark sind die Beharrungskräfte des Gewohnten, auch wenn das
Gewohnte in den Abgrund führt. Der Mensch kann das wissen und
trotzdem sagen: Weiter so! Wir zuerst! Nach uns die Sintflut.
Wir haben keinen Grund mit dem moralischen Finger auf die zu zeigen,
die die urzeitliche Sintflut in den Tod gerissen hat. Wissen und
machen wir es denn besser? Und deshalb ruft ein Ausleger zurecht
aus: „Wenn nur die Christen, indem sie bei den wechselseitigen
Bezichtigungen mittun, indem sie vielleicht sogar meinen, Gottes
Urteil über den Menschen nachzusprechen und seine Menschenerfahrung
durch eigene Erfahrung bestätigt zu sehen, bedenken würden, dass wir
selbst mitsamt unserem Urteilen, jawohl: mitsamt unseren bewährten
moralischen Maßstäben unter die vernichtende Kritik von Gottes
Urteil fallen!“ (Hinrich Stoevesandt, GPM 3/1999, Heft 4, S. 440)
Denn auch wir Christen sollten wissen und auch für uns anerkennen,
was diese uralte Geschichte über den Menschen weiß: „Ohne jeden
Zynismus, wohl aber in erstaunlicher Hellsichtigkeit heißt es hier
ganz nüchtern, dass bei so unendlich vielen Planungen, die im Namen
irgendeines Guten, Rechten oder gar göttlich Erhebenden erfolgten
und erfolgen, so unendlich viel Schädliches geschaffen wird. Also
das Urteil meint nicht zuständlich das menschliche Herz, d. h. den
Menschen schlechthin in seinem Wesen, sondern das, was in seinem
Denken und unter seinen Händen, oft jenseits seiner Absicht, aus den
Dingen wird. (…) Gewiss meint der Erzähler nicht, dass nach Gottes
Urteil überhaupt nur Schädliches geschaffen würde. Es mag auch
Nützliches entstehen; wenn man aber die Menschheit als Spezies, in
ihrer Völkergliederung, in ihrem Gegen- und Miteinander betrachtet,
ist das Geschaffene insgesamt nicht erhebend, sondern übel, und zwar
den ganzen Tag, in dem Planungen stattfinden, vor denen auch uns
graut.“ (Stoevesandt, aaO., S. 441)
Lesen wir die Geschichte von der Sintflut einmal nicht als
Geschichte menschlicher Gotteserfahrung, sondern als Geschichte
göttlicher Menschenerfahrung. Lesen wir diese Geschichte einmal als
Abschluss der Schöpfungsgeschichte aus der Sicht Gottes. Die
Erfahrung Gottes mit dem Menschen macht es ihm schwer, noch einmal
„sehr gut“ auszurufen. Die Schöpfungsgeschichte hat kein Happy End.
Der Mensch weiß mit der Gnade seiner Existenz nichts Gutes
anzufangen. Denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens
ist böse von Jugend auf. Nicht das menschliche Herz ist böse, aber
sein Dichten und Trachten.
Das wird auch für Noah und seine Nachkommen gelten und für die Tiere
der Arche und alle Kreatur, die dem Dichten und Trachten des
Menschen immer hilfloser ausgeliefert sein werden. Nein, es ist
gewiss nicht der liebliche Geruch des Opfers, das Gott gnädig stimmt
und ein weitreichendes Versprechen geben lässt. Vielmehr hört man
ihn still seufzen, bei so viel Einsicht in des Menschen Herz und bei
so viel Liebe zu seinen Geschöpfen. Ja bitte, Gott kam nicht auf
solche Ideen, wie der Mensch, der das Leben zu 500% ausrotten kann.
Auch in dieser Geschichte gewinnt die Gnade Gottes letztlich das
Übergewicht. Seitdem ist die Weltzeit „gestundete Zeit“ (Ingeborg
Bachmann) Gott wird von nun an mit allen seinen Menschen Geduld
haben.
Und hat sie immer noch. „Gott will in sich selbst die Spannung
aushalten, dass die Vernichtung der Menschheit zwar weiterhin
gerechtfertigt bleibt, Gott aber nicht sie, sondern die (…) Existenz
Abrahams will, durch Noahs Erwählung vorbereitet. Gottes Geduld (Röm
3,26!), wie die Sintflutgeschichte sie bezeugt, ist kein stummes
Stillhalten - und darum ist das den Menschen gewährte Überleben kein
höchstes Gut in sich selbst, sondern beides ist um eines jenseits
ihres Horizontes liegenden Zieles willen da. Was um dieses nicht von
Menschen erstrebten, sondern von Gott gesetzten Zieles willen da
ist, das ist Gnade.“ (Stoevesandt aaO. S. 442)
Man muss wirklich kein Mystiker sein, um die Geschichte Gottes mit
seiner Schöpfung als Geschichte des Kampfes zu sehen, den Gott um
das menschliche Herz führt. Kann man das Evangelium von Jesus
Christus denn anders lesen? Das ist ein Kampf, der nicht mit Macht
und Gewalt, sondern mit Ohnmacht und Liebe geführt wird, die in
Gottes Menschwerdung gipfelt. Der Christus entwaffnet die Ordnungen
Gottes, die Glaubensrichtungen und Religionen bis heute mit Gewalt
gegeneinander ins Feld führen, indem er sie auf ihren Kern
zurückführt im Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Er
entgrenzt dieses Gebot, indem er es für alle Menschen gelten lässt,
sogar für die Feinde. Er globalisiert es.
Meister Eckhart meinte, die ganze Schöpfung habe den Sinn und das
Ziel, dem Menschen Zeit und Gelegenheit zu geben, zu Gott nach Hause
zu finden. Denn „Gott gab seiner Schöpfung nur einen einzigen
Pfeiler: Die Liebe.“ (Carmen Sylva) Deshalb hat er die Sintflut
verworfen. Wir sollten das auch tun. Nach uns die Sintflut? Das
Himmelreich wäre doch die bessere Aussicht. Deshalb bewahre der
Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, unsere Herzen und
Sinne in Christus Jesus. (Philipper 4,7)
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
... zur Predigtseite der Hospitalkirche
Die Predigt zum Hören
Text:
18 So ging Noah heraus mit seinen Söhnen
und mit seiner Frau und den Frauen seiner Söhne,
19 dazu alles wilde Getier, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm,
das auf Erden kriecht; das ging aus der Arche, ein jedes mit
seinesgleichen.
20 Noah aber baute dem HERRN einen Altar und nahm von allem reinen
Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem
Altar.
21 Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem
Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der
Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen
Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr
schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe.
22 Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost
und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
|