Liebe Leser, der
Sonntag Okuli hat seinen Namen aus dem 25. Psalm, wo es im Vers 15
heißt: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn, denn er wird meinen
Fuß aus dem Netze ziehen.“ Die Gemeinden in den römischen Provinzen
Kleinasiens, an die der Petrusbrief geschrieben ist, haben sich
redlich bemüht, ihren Herrn und Meister Jesus Christus nicht aus den
Augen zu verlieren, aber so langsam wachsen ihnen die Probleme über
den Kopf.
„Zwar ist die Zeit der großen Christenverfolgungen noch nicht
gekommen, aber im Alltag schlägt ihnen Misstrauen entgegen, Gerüchte
und Verdächtigungen werden über sie gestreut; sie werden als
Störenfriede gebrandmarkt. Damit umzugehen, das auszuhalten, sich
davon im Glauben und in der Hoffnung nicht irre machen zu lassen -
das fällt vielen Christen in Kleinasien schwer. Wie leicht stellt
sich in dieser Situation als bedrängte Minderheit das Grundgefühl
ein, auf verlorenem Posten zu stehen, aus Gottes Blick geraten zu
sein. Ja, die Versuchung liegt nahe, ihre eigene Ohnmacht als
Zeichen der Schwäche und Unterlegenheit Gottes angesichts der
Übermacht anderer religiöser und weltanschaulicher Strömungen zu
verstehen. Hier und da regt sich bereits die Sehnsucht nach dem
früheren Leben, das so viel leichter war - einem Leben ohne
Anfeindung, in Konformität mit der Gesellschaft. Die Gefahr ist
gegeben, den Weg der Nachfolge nicht durchzuhalten, dem
Anpassungsdruck von Seiten der Umwelt nachzugeben.
Möglicherweise ist uns dieses Grundgefühl der Christen in Kleinasien
heute nicht ganz fremd. Die gesellschaftliche Bedeutung von Kirche
nimmt rapide ab, die Zahl der Kirchenmitglieder schrumpft, wir sind
auf dem Wege, von der Volkskirche zu einer Minderheitenkirche zu
werden, die es schwer hat, sich auf dem Markt der religiösen
Angebote zu behaupten. Das Christentum, so scheint es, ist in die
Defensive geraten. Mut und ein gesundes Selbstbewusstsein drohen
dabei auf der Strecke zu bleiben.“ (Dr. Gottfried Claß, GPM, 1/2000,
Heft 2, S. 173)
Dies schrieb ein Ausleger zu unserem Predigttext vor 18 Jahren! Was
kann und will man den Gemeinden damals und heute raten, die sich in
der Defensive fühlen? Die heutige Kirche jedenfalls, hat in den
letzten gut 10 Jahren immer wieder die Flucht nach vorn angetreten.
Ein Reformprogramm jagte das nächste, ein Pilotprojekt das nächste,
ein Leuchtfeuer das nächste, ein Jubiläum das nächste. Man hat
angeblich in die Zukunft investiert. Und die Ortsgemeinden wurden
kurzerhand zum Auslaufmodell für Alte, Kranke und alle anderen
nichtmobilen Menschen erklärt und finanziell auf Diät gesetzt. In
den Hochglanzbroschüren, die die Kirche herausgibt, kommen sie
ebenso nur noch am Rande vor, wie in den aktuellen Reformplänen.
Dabei besteht nicht nur die sehr reale Gefahr, dass Mut und
Selbstvertrauen in den Kirchengemeinden auf der Strecke bleiben.
Immer wenn die eigenen Probleme über den Kopf wachsen, besteht die
Gefahr, dass sie uns den Blick verstellen auf den, der unsere
alleinige Hoffnung im Leben und im Sterben ist. Durch das Geschrei
der Problemanzeigen dringt die Stimme des guten Hirten nicht mehr.
Der Pfarrer Karl Steinbauer, der einer der wenigen war, der es wagte
in der Nazizeit seine Stimme gegen das Unrecht zu erheben,
beschreibt das Problem treffend: „Oh wahrlich, der Unglaube weiß
Bescheid! Er kennt sich aus bis ins Kleinste. Die Riesen kennt er
alle genau mit Namen und Ortsangabe (…). Ja, der Unglaube weiß genau
Bescheid, er ist informiert. Die Schuhnummern der Riesen kann er dir
angeben, wenn du sie wissen willst. Aber dass der Herr auferstanden
ist, dass ihm gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden, dass
er zugesagt hat: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende,
davon weiß er nichts zu erzählen. Wenngleich solcher Unglaube
durchaus in der Lage ist, etwa im theologischen Examen korrekt nach
Schrift und Bekenntnis über die Auferstehungstheologie zu prüfen,
aber gar kein Gefühl dafür hat, dass er im Umgang und bei den
kirchenpolitischen Verhandlungen mit den Riesen von diesen geprüft
wird, ob er an den Auferstandenen glaubt. Der Unglaube schaut weg
von Gott, weg von Gottes Wort und Gottes Verheißung und Zusage. Wer
aber von Gott und Gottes Wort wegschaut, verliert den rechten
Maßstab für die Wirklichkeit. Im angstvollen Stieren und Gaffen auf
die gegebenen Tatsachen fangen diese plötzlich zu wachsen an und
wachsen uns schließlich zu unserem Schrecken über den Kopf, und wir
werden von ihnen gebannt wie der Frosch von der Schlange. Wenn wir's
doch sehen könnten, wie der Unglaube Riesen züchtet.“ (Karl
Steinbauer, 1906-1988)
Der Verfasser des 1. Petrusbriefes kennt sich damit offensichtlich
auch aus. Deshalb empfiehlt er den Gemeinden kein Reformprogramm,
sondern erinnert sie an den Herrn der Kirche und ihre Mitglieder an
das, was sie sind. Empfohlen wird kein Mentalitätswandel für müde
Christenmenschen, sondern der Blickwechsel von den eigenen Problemen
weg hin zu dem, dem alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden.
Gearbeitet wird nicht am mangelnden Problembewusstsein, sondern am
Bewusstsein für das, was ein Christenmensch eigentlich ist und in
welchem Horizont sein Leben auf dieser Welt steht. Der Verfasser des
1. Petrusbriefes betreibt Aufklärung im Licht des Evangeliums.
Wo kommen sie denn her, die „alten Begierden“, der „nichtige
Wandel“? Nein, hier wird nicht moralisch gedacht. Was ist denn
möglich in einer Welt und in einem Leben, das vom Tod fest
eingeschlossen ist? Die Gier nach dem Leben, die Gier nach Reichtum,
das sind Symptome einer Welt, in der jede Aufforderung zum Leben
endet mit „denn morgen sind wir tot!“ Aber nun hat der Christus dem
Tod sein teures Blut, oder sagen wir besser, sein teures Leben
entgegengesetzt und hat ihn verschlungen und besiegt. Und seither
ist auch unser Leben ein anderes geworden. Es ist seitdem ein Leben,
das von Gottes Ewigkeit umschlossen ist.
„Wir kennen ein Leben, dem die Zeit davon läuft und das darum immer
in Unruhe, immer auf dem Sprung ist; gekommen ist ein Leben, das auf
Gottes Güte und Fürsorge vertraut und darum gelassen und heiter
seine Tage bestehen kann. In der Taufe wird den Menschen dieses neue
Leben übereignet.
In Frejus, einem Ort an der Cote d'Azur, ist eine alte romanische
Taufkapelle zu besichtigen. Besonders eindrücklich sind die zwei
Türen. Die Täuflinge betreten die Kapelle durch eine niedrige,
gedrungene Tür, durch die sie nur gebeugt hindurchgehen können. Nach
ihrer Taufe verlassen sie die Kapelle durch eine hohe Tür, durch die
sie aufrecht, erhobenen Hauptes gehen können. So versinnbildlichen
die beiden Türen die Taufe als Befreiung zum aufrechten Gang.“ (Dr.
Gottfried Claß, aaO. S. 175)
Nichts anderes meint die Heiligung des Christenmenschen! Er ist
nicht länger der in seinen Problemen eingemauerte, sondern der in
die Freiheit der Kinder Gottes gestellte. Mit einer Welt, in der
nach oben gebuckelt und nach unten getreten wird, hat der
Christenmensch nicht mehr viel zu schaffen. Wen wundert es, dass der
Verfasser des 1. Petrusbriefes die Empfänger seines Schreibens als
„Fremdlinge“ anredet. Es ist nicht unsere Aufgabe everybody‘s
darling zu sein. Es zählt der aufrechte Gang. Solche Heiligung des
Christenmenschen gelingt nur im Blick auf den Christus und im
beständigen Hören auf sein Wort. Denn woher sollte denn die Kraft
sonst kommen für die bedrängten Gemeinden damals in Kleinasien und
für eine bedrängte Kirche heute? Beide sollen sie nicht nur am
Sonntag Okuli auf den Herrn schauen, der sie erhält. Aber noch mehr
sollen wir daran erinnert werden, wie gnädig und liebevoll der
Christus auf jeden von uns schaut.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
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Die Predigt zum Hören
Text:
13 Darum umgürtet eure Lenden und stärkt
euren Verstand, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die
Gnade, die euch dargeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi.
14 Als gehorsame Kinder gebt euch nicht den Begierden hin, in denen
ihr früher in eurer Unwissenheit lebtet;
15 sondern wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr
heilig sein in eurem ganzen Wandel.
16 Denn es steht geschrieben (3.Mose 19,2): „Ihr sollt heilig sein,
denn ich bin heilig.“
17 Und da ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person
einen jeden richtet nach seinem Werk, so führt euer Leben in
Gottesfurcht, solange ihr hier in der Fremde weilt;
18 denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold
erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise,
19 sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und
unbefleckten Lammes.
20 Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt war, aber
offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen,
21 die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn von den Toten
auferweckt und ihm die Herrlichkeit gegeben hat, sodass ihr Glauben
und Hoffnung zu Gott habt.
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