Liebe Leser,
ein berühmtes Kloster war in große
Schwierigkeiten geraten. Waren die vielen Gebäude früher voller
Mönche gewesen, schleppte sich jetzt nur eine Handvoll alter Mönche
durch die Kreuzgänge und pries Gott mit schwerem Herzen.
In der Nähe hatte ein alter Rabbi eine kleine Hütte gebaut, um von
Zeit zu Zeit dort zu fasten und zu beten. Solange er dort weilte,
fühlten sich die Mönche von seiner betenden Gegenwart mitgetragen.
Eines Tages suchte der Abt des Klosters den Rabbi auf. In der Tür
umarmten sie sich herzlich und schauten einander lächelnd an. Sie
setzten sich an einen Tisch, auf dem die Heilige Schrift geöffnet
lag. Sie saßen nicht lange, da bedeckte der Abt sein Gesicht mit den
Händen und weinte – weinte wie ein verlassenes Kind.
„Du und deine Brüder“, begann der Rabbi, „ihr dient dem Herrn nur
mit schwerem Herzen. Ich will dir eine Weisung geben, die du aber
nur einmal wiederholen darfst. Danach darf niemand sie je wieder
aussprechen.“ Der Rabbi schwieg eine Weile. Dann sagte er: „die
Weisung lautet: Der Messias ist unter euch!“
Am nächsten Morgen rief der Abt seine Mönche zusammen und erzählte
ihnen von seiner Begegnung mit dem Rabbi und auch davon, dass dessen
Weisung nie wieder laut ausgesprochen werden dürfe. Dann schaute er
die Brüder der Reihe nach an und sagte: „Die Weisung lautet: In
einem von uns ist der Messias!“ Die Mönche reagierten bestürzt. Wer
ist es? Bruder Johannes oder Pater Markus? Oder Bruder Thomas?
Seitdem gingen die Mönche ganz anders miteinander um: ehrlicher,
herzlicher, freundlicher, ehrfürchtiger, demütiger. Sie lebten jetzt
zusammen wie Menschen, die endlich etwas gefunden haben. Die
gelegentlichen Besucher zeigten sich betroffen und angesprochen von
diesem Geist, der jetzt von den Mönchen ausging. Und es dauerte
nicht lange, da kamen die Menschen von nah und fern, und auch die
Chorstühle füllten sich wieder. (Die Weisung des Rabbi, mir ohne
Angabe des Verfassers überliefert.)
Diese Geschichte ist ein trefflicher Kommentar zu unserem heutigen
Predigttext. Denn das, was am Ende des 1. Petrusbriefs, gleichsam
als Zusammenfassung, der christlichen Gemeinde empfohlen wird -
Einigkeit, Friedfertigkeit, Brüderlichkeit, Barmherzigkeit, Demut -
ist wunderschön und kann doch – wie die Liebe - nicht verordnet
werden. Die Kirche sollte sich wohl hüten, die Rolle einer solchen
Moralinstanz zu übernehmen, auch wenn sie ihr in unserer
Gesellschaft an jeder Ecke angeboten wird. Denn gerade Christen
wissen: Immer dort, wo solches verordnet und mit erhobenem
Zeigefinger ins Werk gesetzt wird, lauert schon die Heuchelei. Da
wird dann nicht mehr auf, sondern unter dem Tisch getreten. Da
kommt’s dann irgendwann nur noch auf die schöne Fassade an, und
keinen interessiert’s, ob hinter dieser Fassade das blanke Elend
regiert. Scheinheilig nennt man das. Und wo solche Verhältnisse
herrschen, kann man Gott nur mit schwerem Herzen dienen.
Der Geist, der die Kirche und ihre Botschaft zu einer erfreulichen
Angelegenheit und damit einladend macht, lässt sich nicht
herstellen. Ein Ruck geht durch die verzagte Schar der Mönche, als
sie hören: In einem von euch ist der Christus. Unser Predigttext
sagt es am Schluss: Heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen.
Oder mit Jesu eigenen Worten wieder anders gesagt: Was ihr getan
habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir
getan. (Mt. 25,40)
Mit der Präsenz, mit der Gegenwart des Christus rechnen, das ist das
Geheimnis einer Gemeinde, die erfreulich und einladend wird. Es ist
zugleich das Geheimnis eines Menschen, der Gott und der Welt mit
leichtem Herzen dient. Und wir dürfen es noch genauer sagen: Mit der
konkreten Präsenz des Christus rechnen ist das Geheimnis. Auch für
uns gilt: Christus ist nicht nur überall und also auch irgendwie bei
uns. Nein, er begegnet uns sehr persönlich nicht nur in seinem Wort,
sondern auch in den Menschen, mit denen wir leben, vielleicht gerade
in einem Menschen der uns fremd ist oder Mühe macht. Bedenke, aus
dem Gesicht des Menschen mit dem du gerade schimpfst und auf den du
herabschaust, sieht dich der Christus an. Er weiß es nicht, du weißt
es nicht, aber es könnte gut sein!
Da kann dann die Luft abgelassen werden, mit der wir uns gerade noch
aufgeblasen haben. Hochmut ist ja immer die Veranstaltung, mit der
wir uns größer machen, als wir sind. Meine Buntbarsche im Aquarium
klappen die Kiemendeckel aus. Auf denen befindet sich in der Mitte
auf beiden Seiten ein Augenfleck. Beides gaukelt dem anderen den
Kopf eines viel größeren Fisches vor. Hähne plustern sich auf, um
dem Gegner den Mut zu nehmen. Und Menschen zeigen dem anderen ihre
überlegene Klugheit durch den Gebrauch vieler Fremdwörter, den
Hinweis auf ihren beruflichen Erfolg und haben im Geldbeutel immer
ein Bild von ihrer Familie, ihrem Auto, ihrem Haus dabei, um es bei
geeigneter Gelegenheit vorzuzeigen und dem anderen klarzumachen, was
für ein Würstchen er ist. Hochmut ist das Showgeschäft von Menschen,
die im Grunde sehr genau um ihre bestürzende Kleinheit und
Nichtigkeit wissen.
Von diesem Geschäft kann nur der Christus erlösen. In einem von uns
ist der Christus! Seitdem gingen die Mönche ganz anders miteinander
um: ehrlicher, herzlicher, freundlicher, ehrfürchtiger, demütiger.
Sie lebten jetzt zusammen wie Menschen, die endlich etwas gefunden
haben. Die schweren Herzen der Mönche nehmen den Christus in ihrer
Mitte wahr und sie begreifen, dass sie dadurch viel mehr sind, als
es den Anschein hat.
Denn wenn der Christus in unserer Mitte ist, was soll uns dann
fehlen? Der ruft auch den Geringsten unter uns bei seinem Namen,
bekleidet ihn mit Gottes Gerechtigkeit und ruft ihn in seinen
Dienst. Wer in das Werk des Himmelreichs berufen wird, kann getrost
auf seine Selbstinszenierung verzichten. Wer dem Christus
entgegengeht, muss dazu niemandem auf den Rücken steigen. Durch
Gottes Gnade bin ich was ich bin, schreibt Paulus im ersten
Korintherbrief (1.Kor. 15,10). Und wer durch Gottes Gnade ist, was
er ist, ist der Größte. Größer geht nicht!
Demut ist deshalb nicht die gebückte Haltung des Verlierers, des
Gedemütigten. Demut ist der Mut des durch den Glauben
Selbstbewussten. Demut ist der Mut die Kiemendeckel nicht
auszuklappen, auch wenn der andere viel größer erscheint. Demut ist
der Mut, das Federkleid nicht aufzuplustern, auch wenn der andere
bedrohlich erscheint. Demut ist der Mut das Böse nicht mit dem
nächst größeren Bösen, sondern dem nächst größerem Guten zu
vergelten. Demut ist der Mut, das Schimpfwort ins Leere laufen und
verhallen zu lassen. Der Christus ist unter euch, und die Augen des
Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet.
Und wenn der Christus sieht, dass nicht nur in der kleinen und
großen Politik, sondern auch unter uns Hahnenkämpfe stattfinden,
Streit, Neid, Gier und Unbarmherzigkeit an der Tagesordnung sind,
dann fragt er uns heute: Habt ihr das wirklich nötig? Und darauf,
liebe Gemeinde, kann es nur eine Antwort geben!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
8 Endlich aber seid
allesamt gleich gesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig.
9 Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort,
sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den
Segen ererbt.
10 Denn »wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte
seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie
nicht betrügen.
11 Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und
jage ihm nach.
12 Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren
hören auf ihr Gebet; das Angesicht des Herrn aber steht wider die,
die Böses tun« (Psalm 34,13-17).
13 Und wer ist's, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten
nacheifert?
14 Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr
doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt
nicht;
15 heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen.
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