Predigt    1. Petrus 5/8-9    15. Sonntag nach Trinitatis    19.09.04

"Märtyrer werden!"
(von Vikar Michael Krauß, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

der 1. Petrusbrief, aus dem heute unser Predigttext genommen ist, richtet sich an eine kleinasiatische Gemeinde im 2. Jahrhundert nach Christus. Die Gemeinde hat bereits Christenverfolgungen in ihrer Umgebung erlebt. Sie ist nun selbst von Verfolgungen bedroht. Sie weiß, dass manche Christen ihre Überzeugung mit dem Tod bezahlt haben. Diese Märtyrer übten damals wie heute eine starke Faszination aus. Ihr Blut sei wie Samen, aus dem mehr und mehr Christen erwachsen, schreibt Tertullian hundert Jahre später. Die Märtyrer werden auf Altäre gemalt, als Vorbilder verehrt. Auch die Innenflügel unseres Altars zeigen Tod und Auferstehung von Märtyrern z.B. der Heiligen Ursula.

Was fasziniert eigentlich an den Märtyrern, warum wurden sie immer wieder gemalt? Sie scheinen sich mit dem Tod den Himmel zu erkaufen. Und wenn heute Extremisten in Videos Selbstmordattentäter anzuwerben versuchen, geschieht dies ja oft genau mit dieser Argumentation: „Der Sprengstoffgürtel katapultiert dich in den Himmel. Der Treibstoff ist das Blut der Ungläubigen!“ Aber das wirkt, zumindest auf mich, eher peinlich. Nein, Attentäter, die sich für Märtyrer halten, faszinieren nicht. Ihre Dummheit und ihren Hass empfinde ich als so erbärmlich, dass sie in mir fast schon Mitleid erwecken.

Aber was ist es dann, das den Märtyrern diese enorme Ausstrahlung verleiht? Worin sind sie denn Vorbild? Eine Übersetzung des griechischen Wortes Märtyrer hilft uns weiter: martyrein: zu deutsch: bezeugen. Märtyrer sind Menschen, die ihren Glauben bezeugen, mit ihrem ganzen Leben. Der Tod hat damit erst einmal überhaupt nichts zu tun. Es geht vielmehr um das Leben der Märtyrer. Ihr Glaube ist so eng mit ihrem Leben verwoben, dass er zu ihrem Leben selbst geworden ist. Ihr Glaube und ihr Leben werden zu einer unauflöslichen Einheit, selbst durch den Tod hindurch.

Ich verstehe die Faszination für die Märtyrer. Auch der Schreiber des ersten Petrusbriefes ist weit davon entfernt gegen eine Einheit von Glauben und Leben anzureden. Sie ist ihm ein Herzensanliegen. Er bejaht, dass diese Einheit von Glaube und Leben es mit sich bringen kann, dass Christen für sie in den Tod gehen. Wo Glaube und Leben verschmelzen, reißt sie selbst der Tod nicht mehr auseinander. Glaube und Leben sind zu einer unauflöslichen Einheit geworden, selbst durch den Tod hindurch.

Dennoch warnt der 1.Petrusbrief davor, einer Faszination zu erliegen. Er warnt davor, den Tod als das eigentlich Erstrebenswerte anzusehen, sich damit den Himmel erkaufen zu wollen. Zum Märtyrer wird man nicht durch den Tod! Zum Märtyrer wird man, wenn man mit seinem ganzen Leben seinen Glauben bezeugt, weil Glaube und Leben eine Einheit geworden sind. Eine Einheit, die selbst durch den Tod trägt. Aber der Tod kann niemals das Ziel sein! Der Verfasser des 1.Petrusbriefes argumentiert temperamentvoll. Er vergleicht, die, die den Tod für das Entscheidende halten mit Rotzbesoffenen.

Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Seid nüchtern! Verfallt nicht dem Blutrausch! Seid nüchtern! Christsein heißt nicht, sterben auf Teufel komm raus. Christsein heißt, Leben und Glauben in eins zu bringen. Und wenn das Sterben denn sein muss, es sind schwierige Zeiten, dann hilft es, wenn man Glauben und Leben zusammen gebracht hat.

Der brüllende Löwe, von dem die Rede ist, sitzt also nicht außerhalb. Er ist nicht das „böse“ römische Reich, nicht der „Ungläubige“ im Nachbarhaus, nicht der angeblich „böse“ Westen, nicht der scheinbar „unbelehrbare“ Nahe Osten. Nein.
Der Löwe brüllt in euch, in uns! Er erwacht als Wunsch berauscht vom bereits vergossenen Blut, selbst den Märtyrertod sterben zu wollen. Besauft euch nicht am Blut! Seid nüchtern!

Wir feiern heute Gottesdienst im geschützten Raum dieser Kirche. Da fällt es schwer, den Ruf nach Nüchternheit genauso intensiv zu erleben wie die Christen damals. Aber die Ratschläge des 1.Petrusbriefes werden für uns dort interessant, wo auch wir versuchen, unseren Glaube mit unserem Leben zur Deckung zu bringen, sodass er zu unserem Leben selbst wird: Besauft euch nicht mit religiösen Wunschvorstellungen! Seid nüchtern und wacht!

Ich bin froh, dass die Bibel die Nüchternheit so betont. Gerade in meiner Jugend ist es mir oft übel aufgestoßen, wie aufdringlich gefühlsbetont die Kirche für mich da daherkam. Man sollte mit dem Herzen empfinden, mit der Seele dabei sein, begeistert, voller Liebe usw.. Ich bekam oft das Gefühl nicht los, dass mein Gefühl, meine Stimmung über meine Nähe zu Gott bestimmt. Ich hatte den Eindruck, Glaube müsse sich in einem ganz bestimmten, leicht süßlich, gedämpft ehrwürdigen Gefühl zeigen. Das gottesdienstliche Herz schien mir so ein süßlich weiches Nugatherzchen im goldenen Heiligenschein zu sein. Das konnte es nicht sein. Ich bin froh, dass die Bibel mir sagt: Sei nüchtern. Schau dir die Dinge an, wie sie sind. Versuche dich eben gerade nicht geistlich zu besaufen. Sei nüchtern! Schau die Welt um dich herum an, wie sie ist, unvoreingenommen. Deine Aufgabe als Christ ist es nicht, irgendein diffuses Gefühl zu produzieren.

Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Nun, meine gelegentlichen Bemühungen als Jugendlicher, ein bestimmtes Glaubensgefühl zu erzeugen, sind wohl kaum einem brüllenden Löwen vergleichbar, der sich in mir herumtreibt und meinen Glauben vernichten will, - oder doch? Mein Versuch, mich zu verbiegen, eine Art religiöses Selbst neben meinem weltlichen Selbst zu schaffen, hatte jedenfalls alle Voraussetzungen, sich zu einem brüllenden mörderischen Ungetüm auszuwachsen. Wo wir beginnen, uns zu verbiegen, ob im Namen Gottes, im Namen des Erfolgs, im Namen der Familie, um eine heile Welt aufrechtzuerhalten, die vielleicht längst untergegangen ist. Überall, wo wir den nüchternen Blick für eine unserer Ideen aufgeben, wird der brüllende Löwe des Fanatismus geboren. Denn genau das macht Fanatismus aus: Die religiöse Trunkenheit, der Irrglaube sich für eine Idee verbiegen zu müssen.

Wie schnell das Untier des Fanatismus wachsen kann sehen wir zur Zeit beinahe weltweit: in Tschetschenien und Russland, Israel und Palästina, im Irak, im Sudan ... Dort ist das süße Kätzchen ausgewachsen, zerreißt Menschen, brüllt im Donner von Explosionen und knurrt uns in Terrorvideos an. Die Terroristen haben recht, wenn sie sagen: Ihnen ginge es vor allem um die Religion. Fanatismus ist ein religiöses Problem. Die Terroristen täuschen sich allerdings darin, dass der brüllende Löwe die jeweils andere religiöse Weltsicht ist. Der brüllende Löwe ist vielmehr mangelnde Nüchternheit in ihrem eigenen Glauben, mangelnde Unterscheidung zwischen Ideologie und Glauben – ganz ähnlich wie in der kleinasiatischen Christengemeinde, an die sich der 1.Petrusbrief wendet.

Fanatismus ist ein religiöses Problem: Das verwechseln von Glaube mit Ideologie. Religiöses Besäufnis. Wie meine Anstrengungen um einen Nugatherzglauben zeigen, ist Fanatismus oder zumindest seine Wurzeln, nicht nur ein Problem von Terroristen. Besonders in schwierigen Zeiten ist er eine reale Schwierigkeit in meinem Leben. Und ich denke, ich bin da nicht allein.

Seid nüchtern und wacht! denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. So lächerlich es klingen mag, selbst ein religiöses Nugatherzchen kann gefährlich werden, wenn es Ihr eigenes Herz verdrängt. Der 1. Petrusbrief ruft uns zu: Der religiöse Irrsinn geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Ihr aber seid nüchtern und wacht! Lasst euch in euerem Bemühen, euer Leben in Einklang mit dem Glauben zu bringen nicht von Ideologien verunsichern. Seid nüchtern: Besauft euch weder am vergossenen Blut, noch am religiösen Zucker, weder am Gold noch am Stahl der Waffen. Ihr seid Menschen.

Euer Herz ist kein Schlachthaus, keine Schokoladenfabrik, es ist nicht aus Gold und nicht aus Stahl. Euer Herz ist aus Fleisch - wie das jedes anderen Menschen. Dieses Herz, so wie es ist, gilt es in Einklang zu bringen mit dem Glauben an den Lebendigen Gott. Euer ganzes Leben, so wie es ist, soll zu einer Einheit werden mit dem Glauben. Wahrer Glaube und wahres Leben sollen zusammenwachsen. Wo eines von beiden, Glaube oder Leben, zur Ideologie verbogen wird, ist das schlimmste Untier daraus geworden, das euch in Stücke reißt.

Wo aber wahrer Glaube und wahres Leben verschmelzen, reißt sie selbst der Tod nicht mehr auseinander. Glaube und Leben zusammenzubringen, das verlangt viel Ehrlichkeit und ist harte, nüchterne Arbeit. Aber sie lohnt sich wie damals in der kleinasiatischen Christengemeinde: Wenn das Sterben einmal sein muss, wie in jedem Menschenleben, dann hilft es, wenn man Glauben und Leben zusammen gebracht hat.
Wo wahrer Glaube und wahres Leben verschmelzen, reißt sie selbst der Tod nicht mehr auseinander.

Vikar Michael Krauß    (Hospitalkirche Hof)

Text: 

8 Seid  nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.
9 Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass eben dieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen.


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