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      Liebe Leser,  
		
      der 1. Petrusbrief, aus dem heute unser Predigttext 
		genommen ist, richtet sich an eine kleinasiatische Gemeinde im 2. 
		Jahrhundert nach Christus. Die Gemeinde hat bereits Christenverfolgungen 
		in ihrer Umgebung erlebt. Sie ist nun selbst von Verfolgungen bedroht. 
		Sie weiß, dass manche Christen ihre Überzeugung mit dem Tod bezahlt 
		haben. Diese Märtyrer übten damals wie heute eine starke Faszination 
		aus. Ihr Blut sei wie Samen, aus dem mehr und mehr Christen erwachsen, 
		schreibt Tertullian hundert Jahre später. Die Märtyrer werden auf Altäre 
		gemalt, als Vorbilder verehrt. Auch die Innenflügel unseres Altars 
		zeigen Tod und Auferstehung von Märtyrern z.B. der Heiligen Ursula. 
		 
		Was fasziniert eigentlich an den Märtyrern, warum wurden sie immer 
		wieder gemalt? Sie scheinen sich mit dem Tod den 
		Himmel zu erkaufen. Und wenn heute Extremisten in Videos 
		Selbstmordattentäter anzuwerben versuchen, geschieht dies ja oft genau 
		mit dieser Argumentation: „Der Sprengstoffgürtel katapultiert dich in 
		den Himmel. Der Treibstoff ist das Blut der Ungläubigen!“
		Aber das wirkt, zumindest auf mich, eher peinlich. Nein, 
		Attentäter, die sich für Märtyrer halten, faszinieren nicht. Ihre 
		Dummheit und ihren Hass empfinde ich als so erbärmlich, dass sie in mir 
		fast schon Mitleid erwecken. 
		 
		Aber was ist es dann, das den Märtyrern diese enorme Ausstrahlung 
		verleiht? Worin sind sie denn Vorbild? Eine 
		Übersetzung des griechischen Wortes Märtyrer hilft uns weiter: martyrein: 
		zu deutsch: bezeugen. Märtyrer sind Menschen, die 
		ihren Glauben bezeugen, mit ihrem ganzen Leben. Der Tod hat damit erst 
		einmal überhaupt nichts zu tun. Es geht vielmehr um das Leben der 
		Märtyrer. Ihr Glaube ist so eng mit ihrem Leben 
		verwoben, dass er zu ihrem Leben selbst geworden ist. Ihr Glaube und ihr 
		Leben werden zu einer unauflöslichen Einheit, selbst durch den Tod 
		hindurch. 
		 
		Ich verstehe die Faszination für die Märtyrer. Auch der Schreiber des 
		ersten Petrusbriefes ist weit davon entfernt gegen eine Einheit von 
		Glauben und Leben anzureden. Sie ist ihm ein Herzensanliegen. Er bejaht, 
		dass diese Einheit von Glaube und Leben es mit sich bringen kann, dass 
		Christen für sie in den Tod gehen. Wo Glaube und Leben verschmelzen, 
		reißt sie selbst der Tod nicht mehr auseinander. Glaube und Leben sind 
		zu einer unauflöslichen Einheit geworden, selbst durch den Tod hindurch. 
		 
		Dennoch warnt der 1.Petrusbrief davor, einer Faszination zu erliegen. Er 
		warnt davor, den Tod als das eigentlich Erstrebenswerte anzusehen, sich 
		damit den Himmel erkaufen zu wollen. Zum Märtyrer wird man nicht durch 
		den Tod! Zum Märtyrer wird man, wenn man mit 
		seinem ganzen Leben seinen Glauben bezeugt, weil Glaube und Leben eine 
		Einheit geworden sind. Eine Einheit, die selbst durch den Tod trägt.
		Aber der Tod kann niemals das Ziel sein! Der Verfasser des 
		1.Petrusbriefes argumentiert temperamentvoll. Er vergleicht, die, die 
		den Tod für das Entscheidende halten mit Rotzbesoffenen. 
		 
		Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher 
		wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.
		Seid nüchtern! Verfallt nicht dem Blutrausch! Seid nüchtern! 
		Christsein heißt nicht, sterben auf Teufel komm raus. Christsein heißt, 
		Leben und Glauben in eins zu bringen. Und wenn das Sterben denn sein 
		muss, es sind schwierige Zeiten, dann hilft es, wenn man Glauben und 
		Leben zusammen gebracht hat. 
		 
		Der brüllende Löwe, von dem die Rede ist, sitzt also nicht außerhalb. Er 
		ist nicht das „böse“ römische Reich, nicht der „Ungläubige“ im 
		Nachbarhaus, nicht der angeblich „böse“ Westen, nicht der scheinbar 
		„unbelehrbare“ Nahe Osten. Nein. 
		Der Löwe brüllt in euch, in uns! Er erwacht als Wunsch berauscht vom 
		bereits vergossenen Blut, selbst den Märtyrertod sterben zu wollen. 
		Besauft euch nicht am Blut! Seid nüchtern! 
		 
		Wir feiern heute Gottesdienst im geschützten Raum dieser Kirche. Da 
		fällt es schwer, den Ruf nach Nüchternheit genauso intensiv zu erleben 
		wie die Christen damals. Aber die Ratschläge des 1.Petrusbriefes werden 
		für uns dort interessant, wo auch wir versuchen, unseren Glaube mit 
		unserem Leben zur Deckung zu bringen, sodass er zu unserem Leben selbst 
		wird: Besauft euch nicht mit religiösen 
		Wunschvorstellungen! Seid nüchtern und wacht! 
		 
		Ich bin froh, dass die Bibel die Nüchternheit so betont.
		Gerade in meiner Jugend ist es mir oft übel aufgestoßen, wie 
		aufdringlich gefühlsbetont die Kirche für mich da daherkam. Man sollte 
		mit dem Herzen empfinden, mit der Seele dabei sein, begeistert, voller 
		Liebe usw.. Ich bekam oft das Gefühl nicht los, dass mein Gefühl, meine 
		Stimmung über meine Nähe zu Gott bestimmt. Ich hatte den Eindruck, 
		Glaube müsse sich in einem ganz bestimmten, leicht süßlich, gedämpft 
		ehrwürdigen Gefühl zeigen. Das gottesdienstliche Herz schien mir so ein 
		süßlich weiches Nugatherzchen im goldenen Heiligenschein zu sein. Das 
		konnte es nicht sein. Ich bin froh, dass die 
		Bibel mir sagt: Sei nüchtern. Schau dir die Dinge an, wie sie sind. 
		Versuche dich eben gerade nicht geistlich zu besaufen. Sei nüchtern! 
		Schau die Welt um dich herum an, wie sie ist, unvoreingenommen. Deine 
		Aufgabe als Christ ist es nicht, irgendein diffuses Gefühl zu 
		produzieren.  
		 
		Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher 
		wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.
		Nun, meine gelegentlichen Bemühungen als Jugendlicher, ein 
		bestimmtes Glaubensgefühl zu erzeugen, sind wohl kaum einem brüllenden 
		Löwen vergleichbar, der sich in mir herumtreibt und meinen Glauben 
		vernichten will, - oder doch? Mein Versuch, mich 
		zu verbiegen, eine Art religiöses Selbst neben meinem weltlichen Selbst 
		zu schaffen, hatte jedenfalls alle Voraussetzungen, sich zu einem 
		brüllenden mörderischen Ungetüm auszuwachsen. Wo 
		wir beginnen, uns zu verbiegen, ob im Namen Gottes, im Namen des 
		Erfolgs, im Namen der Familie, um eine heile Welt aufrechtzuerhalten, 
		die vielleicht längst untergegangen ist. Überall, wo wir den nüchternen 
		Blick für eine unserer Ideen aufgeben, wird der brüllende Löwe des 
		Fanatismus geboren. Denn genau das macht Fanatismus aus: Die religiöse 
		Trunkenheit, der Irrglaube sich für eine Idee verbiegen zu müssen. 
		 
		Wie schnell das Untier des Fanatismus wachsen kann sehen wir
		zur Zeit beinahe weltweit: in Tschetschenien und 
		Russland, Israel und Palästina, im Irak, im Sudan ... Dort ist das süße 
		Kätzchen ausgewachsen, zerreißt Menschen, brüllt im Donner von 
		Explosionen und knurrt uns in Terrorvideos an. 
		Die Terroristen haben recht, wenn sie sagen: Ihnen ginge es
		vor allem um die Religion. Fanatismus ist ein 
		religiöses Problem. Die Terroristen täuschen sich allerdings darin, dass 
		der brüllende Löwe die jeweils andere religiöse Weltsicht ist. Der 
		brüllende Löwe ist vielmehr mangelnde Nüchternheit in ihrem eigenen 
		Glauben, mangelnde Unterscheidung zwischen Ideologie und Glauben – ganz 
		ähnlich wie in der kleinasiatischen Christengemeinde, an die sich der 
		1.Petrusbrief wendet. 
		 
		Fanatismus ist ein religiöses Problem: Das verwechseln von Glaube mit 
		Ideologie. Religiöses Besäufnis. Wie meine 
		Anstrengungen um einen Nugatherzglauben zeigen, ist Fanatismus oder 
		zumindest seine Wurzeln, nicht nur ein Problem von Terroristen. 
		Besonders in schwierigen Zeiten ist er eine reale Schwierigkeit in 
		meinem Leben. Und ich denke, ich bin da nicht allein. 
		 
		Seid nüchtern und wacht! denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher 
		wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.
		So lächerlich es klingen mag, selbst ein religiöses Nugatherzchen 
		kann gefährlich werden, wenn es Ihr eigenes Herz verdrängt.
		Der 1. Petrusbrief ruft uns zu: Der religiöse Irrsinn geht umher 
		wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Ihr aber seid 
		nüchtern und wacht! Lasst euch in euerem Bemühen, euer Leben in Einklang 
		mit dem Glauben zu bringen nicht von Ideologien verunsichern. Seid 
		nüchtern: Besauft euch weder am vergossenen Blut, noch am religiösen 
		Zucker, weder am Gold noch am Stahl der Waffen. Ihr seid Menschen.  
		 
		Euer Herz ist kein Schlachthaus, keine Schokoladenfabrik, es ist nicht 
		aus Gold und nicht aus Stahl. Euer Herz ist aus Fleisch - wie das jedes 
		anderen Menschen. Dieses Herz, so wie es ist, gilt es in Einklang zu 
		bringen mit dem Glauben an den Lebendigen Gott. Euer ganzes Leben, so 
		wie es ist, soll zu einer Einheit werden mit dem Glauben. Wahrer Glaube 
		und wahres Leben sollen zusammenwachsen. Wo eines von beiden, Glaube 
		oder Leben, zur Ideologie verbogen wird, ist das schlimmste Untier 
		daraus geworden, das euch in Stücke reißt. 
		 
		Wo aber wahrer Glaube und wahres Leben verschmelzen, reißt sie selbst 
		der Tod nicht mehr auseinander. Glaube und Leben 
		zusammenzubringen, das verlangt viel Ehrlichkeit und ist harte, 
		nüchterne Arbeit. Aber sie lohnt sich wie damals 
		in der kleinasiatischen Christengemeinde: Wenn das Sterben einmal sein 
		muss, wie in jedem Menschenleben, dann hilft es, wenn man Glauben und 
		Leben zusammen gebracht hat. 
		Wo wahrer Glaube und wahres Leben verschmelzen, reißt sie selbst der Tod 
		nicht mehr auseinander. 
		
      
      
      Vikar Michael Krauß    (Hospitalkirche 
      Hof) 
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      Text: 
      
		 8 Seid  nüchtern und wacht; 
		denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie 
		ein brüllender Löwe und sucht, wen er 
		verschlinge. 
		9 Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, 
		dass eben dieselben Leiden über eure Brüder in 
		der Welt gehen.  |