Liebe Leser,
so redet Hanna, besoffen vor Glück! Darf ich
vorstellen: Hanna! Mutter von Samuel, der David zum König salbte vor
3000 Jahren. Hanna, die zweite Frau von Elkana. Hanna die
kinderlose. Hanna die junge, schöne, lebendige und trotzdem schon
tot. Ein erstorbener Leib, in dem kein neues Leben entstehen will.
Hanna, die schier zugrunde geht, wenn sie die andere Frau ihres
Mannes triumphierend sitzen sieht im Kreis ihrer Kinder. Dann weint
sie und isst nichts.
Dann nimmt ihr Mann sie in den Arm und sagt: „Hanna sei nicht
traurig! Bin ich dir nicht mehr wert, als zehn Söhne?“ Was für ein
guter Mann. Andere werden schon deutlich. Zeigen mit Fingern auf
sie, wenn sie über den Marktplatz läuft. Schaut mal, die Hanna! Eine
Frau wie eine Sackgasse. Isst das Brot ihres Mannes umsonst. Hat
keine Zukunft, gehört in die Wüste geschickt!
Hanna lehnt am Türpfosten des Tempels, weint, redet, betet. Eli der
Priester wird auf sie aufmerksam. Hanna, die schließlich nur noch in
ihrem Herzen spricht, nur ihre Lippen bewegen sich. Hanna nicht
einmal mehr Stimme. Hanna, die in ihrem Elend nur noch abfließen
kann wie ein Strom. Bist du betrunken?, fragt Eli. Ja, sagt Hanna,
von meinem Unglück. Mein Gott, ist das ein Leben. Eigentlich bin ich
schon tot.
Aber Achtung, liebe Gemeinde, jetzt kommt Hanna, besoffen vor Glück.
Hanna, die mit ihrem Kind auf dem Arm wild durch die Stube tanzt.
Hanna, die, wenn sie betet, nicht redet. Hanna singt! Mein Gott, du
tötest und machst lebendig. Du führst hinab zu den Toten und wieder
herauf. Du machst arm und machst reich. Du hebst mich aus dem Staub,
du erhöhst mich aus der Asche. Ich fliege vor Glück! Hanna die
Auferstandene!
Ist das eine Ostergeschichte? Und ob! Genauso erstaunlich und
wunderbar wie das leere Grab! Ist uns schon einmal etwas ähnliches
passiert? Oder was hätten wir der heulenden Hanna am Türpfosten des
Tempels gesagt? Kopf hoch Hanna; geh heim; so wie du darf man sich
wirklich nicht hängen lassen; stürz dich in Arbeit, such dir eine
Beschäftigung; lenke dich ab; sei stark und lass dir nichts
anmerken; das kann man ja nicht mehr mit ansehen.
Und hätten wir der jubelnden Hanna nicht auch spontan etwas zu
sagen, wie: Hanna, bist du verrückt? Bleib auf dem Teppich. Was
sollen denn die Nachbarn denken? Hanna, die zu Tode betrübte, die
himmelhochjauchzende, Hanna, die lebendige eben! Gibt’s die noch
wirklich, oder nur im Roman, im Film oder nur im Theater? Verstehen
wir noch etwas von ihren Erfahrungen?
Liebe Gemeinde, wir leben zu wenig, wir funktionieren zu viel! Wir
beißen zu oft die Zähne zusammen! Warum erlauben wir uns so wenig zu
trauern, zu weinen, verzweifelt zu sein? Warum erlauben wir uns und
anderen so wenig, Schwäche zu zeigen? Mutter, du darfst jetzt nicht
sterben. Wir brauchen dich noch!
Warum erlauben wir uns so wenig, lebendig und glücklich zu sein,
nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern offen und laut? Ist das nun
Reife, Stärke oder Hilflosigkeit oder Angst oder vielleicht noch was
Schlimmeres? Nur Leichen bleiben immer „cool“!
Gott tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder
herauf. Was für Sätze über Gott, was für Worte über das Leben! Darf
ich vorstellen: Hanna, eine Frau und ein Leben nach Gottes
Geschmack. Eine Frau, die ihren Höhen und Tiefen nicht ausweicht,
die dableibt im Glück und im Unglück, beherzt und
geistesgegenwärtig. Eine Frau, die sich traut. Eine Frau, die sagen
kann: Wer seinen Höhen und Abgründen nicht ausweicht, findet die
Gegenwart Gottes.
Das ist mehr als eine billige Weisheit. Das ist mehr als zu sagen,
das Leben hat eben Höhen und Tiefen und auf Regen folgt irgendwann
Sonnenschein. Hanna sagt mehr: Gott führt hinab zu den Toten und
wieder herauf. Gott führt – wie eine Mutter ihr Kind – an der Hand.
Gott führt nicht durch ein Leben wie eine Fahrt auf einer neu
gebauten Autobahn. 80 Jahre freie Fahrt. Wo haben manche Menschen
nur solche Vorstellungen, Erwartungen und Ansprüche an ihr Leben und
an Gott her. Aus der Bibel jedenfalls nicht. Gott führt hinab zu den
Toten und wieder herauf. Aber egal ob hinauf oder hinab und selbst
am Ende der Reise gilt: Gott führt. ER hält uns an seiner Hand.
Das ist mehr als eine Lebensweisheit. Das ist seit Karfreitag und
Ostern das göttliche Geheimnis allen Lebens. Denn das Leben, der Tod
und die Auferweckung des Jesus von Nazareth sagen: Gott selbst
weicht den Höhen und finsteren Abgründen unseres menschlichen Lebens
nicht aus. Er ist ein Gott, der dableibt im Glück und im Unglück.
Der Christus läuft nicht davon. Er bleibt, beherzt und
geistesgegenwärtig, bis sich das Grab über ihm schließt. Aber an
Ostern sagt Gott: Nein! Nein zu dem Tod, der zunichte machen will,
was Jesus gelebt, getan und geredet hat. Ein solches Leben nach
Gottes Geschmack, das wird nicht beerdigt. Das bleibt in Kraft. Das
soll gelten! Was für neue Horizonte für unser Leben tun sich da am
Ostermorgen auf!
Ostern ist deshalb ein Fest der Freude und Hoffung. Auch wenn wir
sagen müssen: Was da geschehen ist, bleibt ein Geheimnis. Historisch
bleibt es im Nebel. Aber was sind schon historische Wahrheiten? Alle
sind sie zu leugnen, alle sind zu verdrehen. Um all ihre Lehren kann
man sich mühelos drücken.
Ostern fragt nach unserem Glauben. Der Gott, der nicht Gott sein
will, ohne in den Höhen und Abgründen bei uns zu sein, fragt nach
unserem Vertrauen. Seine Hand fragt nach unserer Hand. Auferstehung
gehört mitten ins Leben.
Welche Kraftquellen der Hoffnung fangen da an zu sprudeln. Und
vielleicht laufen so viele vor ihrem Leben lieber davon, weil man
das ohne solche Kraftquellen gar nicht kann: Im eigenen Leben ganz
dableiben, den eigenen Abgründen, dem eigenen Unglück nicht
ausweichen. Wie tröstlich mit Hanna zu sagen: Gott führt hinab. Auch
meine Tränen fallen in seine Hand. Die lässt mich nicht los.
Und vielleicht kann man auch das andere ohne solche Kraftquellen
nicht: Das eigene Leben feiern und glücklich sein, sich dankbar
gehen lassen ohne Angst vor dem Morgen, tanzen und singen ohne den
bitteren Vorgeschmack der Vergänglichkeit. Welcher Vergänglichkeit?
Gott führt hinauf!
Hanna sagt: Gott führt hinab zu den Toten und wieder herauf. Nicht
umgekehrt. Wie erstaunlich! Das ist eine Umkehrung unseres
Lebenswegs. Aber auch darin gibt die Ostergeschichte der Hanna
recht. Der Auferstandene gibt die Richtung an, in die unsere
Geschichte an Gottes Hand führt: Ins Leben! Wie wird das sein? Keine
Ahnung! Aber schauen wir Hanna nach, wie sie tanzt ...
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Und Hanna betete und
sprach:
Mein Herz ist fröhlich in dem HERRN, mein Haupt ist erhöht in dem
HERRN. Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich
freue mich deines Heils.
2 Es ist niemand heilig wie der HERR, außer dir ist keiner, und ist
kein Fels, wie unser Gott ist.
6 Der HERR tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und
wieder herauf.
7 Der HERR macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht.
8 Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus
der Asche, dass er ihn setze unter die Fürsten und den Thron der
Ehre erben lasse.
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