Liebe Mitglieder der Landjugend Zedtwitz, liebe Gäste, liebe
Gemeinde,
der Bibelvers, über den ich heute zum Jubiläum mit Euch nachdenken
will, hat eine Geschichte. Das Volk Israel braucht einen neuen
König. Mit dem alten ist kein Staat mehr zu machen. Der Prophet
Samuel wird zu einem Mann namens Isai nach Bethlehem geschickt, der
acht Söhne hat – einer schmucker als der andere, wenn man einmal von
dem kleinsten absieht, der draußen beim Schafehüten ist. Ein Sohn
nach dem anderen lässt sich von Samuel begutachten und Samuel
gefällt, was er zu sehen bekommt. Aber jedes Mal sagt der Herr zu
ihm: Der ist es nicht!
Sind das der Knaben alle?, muss Samuel schließlich fragen und da
wird zum Erstaunen aller der kleine David geholt, ein Rotschopf, der
noch grün hinter den Ohren ist. Der wird später der König von Israel
und ein Vorfahr des Christus. Samuel hätte wahrscheinlich eine
andere Wahl getroffen, aber ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der
Herr aber sieht das Herz an. So erklärt ihm Gott seine Wahl.
Was passiert, wenn wir uns nur auf Äußerlichkeiten verlassen und
nicht genau hinschauen, das wissen wir alle. Wir bilden uns kein
richtiges und zutreffendes Urteil, sondern wir bilden uns
Vorurteile. Dass Vorurteile etwas sehr Hässliches sind, gegen das
man nur schwer ankommt, das habt Ihr von der Landjugend im Laufe der
Jahre auch schmerzlich erfahren müssen. „Bauern und Saufen“, das
fällt manchen Zeitgenossen zu Eurer Gemeinschaft ein. Und das ist
gemein, weil sich diese Zeitgenossen gar nicht die Mühe machen,
genau hinzuschauen und wahrzunehmen, was Ihr alles Wertvolles macht.
Wie viel Zeit und Mühe Ihr investiert, um Zusammenhalt, Tradition
und Brauchtum zu pflegen. Wie ihr mit Euren 72-Stunden-Aktionen
ehrenamtliche Arbeit für Projekte leistet, die dem Allgemeinwohl
dienen, für die aber kein Geld da ist. Wer so etwas macht, darf auch
mal feiern.
Ja, in der Kirche wissen wir es auch, dass das nächste Vorurteil
schon bereitsteht, sobald man Worte wie Tradition und Brauchtum in
den Mund nimmt. „Ihr seid von gestern“, heißt es dann bei denen, die
nur das für wertvoll halten, was gerade das Neuste und Angesagteste
ist. Und die gar nicht merken, dass sie in ihrem Leben wie ein Halm
im Wind sind, der bald hierhin und dorthin geworfen wird. Wer etwas
wirklich Wertvolles finden will, für das es sich zu leben lohnt,
wird beim immer Neusten nur schwer fündig. Weil wir doch längst alle
wissen, dass wir nicht nur den Worten, mit denen uns heute dies und
morgen das angepriesen wird, nicht glauben sollten, sondern noch
mehr den Bildern, mit denen uns die Paradiese auf allen Kanälen in
unendlicher Flut ausgemalt werden, und mit denen uns das Blaue vom
Himmel versprochen wird, wenn wir so und so sind und das oder jenes
kaufen. Heute lügen nicht bloß die Worte, sondern auch die Bilder.
Ich glaub nur, was ich sehe? Wer sich auf das verlässt, was vor
Augen ist, ist heute viel mehr verlassen, als zu Davids Zeiten.
Dass die Besinnung auf die eigenen Väter und Mütter, Großväter und
Großmütter, auf Brauchtum und Tradition wertvoll sein kann, ist in
Vergessenheit geraten. Nein, wir sind nicht die Sklaven unserer
Vorfahren, aber wir werden zu Sklaven der Gegenwart, wenn wir das
Gespräch mit denen, die vor uns gelebt haben, aufkündigen, die mit
ihrem Leben auf ihre Weise ausgedrückt haben, was Ihnen wertvoll
war.
Dieser Tage las ich einen Artikel von Manfred Schneider aus der
Neuen Züricher Zeitung mit dem Titel „Wenn die Kette der
Generationen reißt“ (NZZ vom 05.01.2015, S. 15). Er beschreibt darin
die Gefahr, die Menschen droht, die die Verbindung zu denen, die vor
ihnen gelebt haben verlieren und meinen, sie müssten sich in ihrer
Gegenwart immer selbst neu erfinden. Ich zitiere: Hier lässt sich
„ein Problem erkennen, das sich an vielen Stellen in der
gegenwärtigen Gesellschaft artikuliert, dass nämlich der Wandel, vor
allem der verlangte, geforderte, erzwungene Wandel, der unablässige
Zwang zu Innovation, die Substanz aufzehrt und ein rein materielles
Gesellschaftswesen zurücklässt, das sich nur noch in Begriffen der
Ökonomie und Effizienz beschreiben kann und das sich unter dem
Befehl ökonomischer Rationalität immer wieder von einer
traditionsgeleiteten Gegenwart zu trennen gezwungen sieht. Auf der
Suche nach Optimierungen geht nicht nur das persönliche
genealogische Band verloren, sondern gehen alle Herkünfte verloren,
auf denen eine Gesellschaft und eine Kultur einmal beruhten. Denn
die genealogische Sorge richtet sich nicht allein auf die
persönliche und familiäre Herkunft, sondern auch auf die Herkunft
unserer Werte und Normen. (…)
Es gilt, das neue Nachdenken über die Herkunft und den Wert der
Erfahrung aufzugreifen und über die Lebensformen, die wir aus
Überzeugung geschaffen haben, immer wieder nachzudenken. Oder, um
ein Wort von Peter Sloterdijk zu zitieren: ‚Es könnte nicht schaden,
sich in der verlernten Kunst des Dauerns zu üben.‘“
Deshalb gilt: Wer heute auf allen Gebieten unseres Lebens Halt,
Orientierung, also Wertvolles sucht, muss nicht nur seinen
hoffentlich gesunden Menschenverstand gebrauchen, sondern er muss
wissen, wer er ist. Und das kann nur der, der sich auch seiner
Geschichte, seiner Wurzeln, seiner Traditionen lebendig bewusst
wird. Tradition ist das innere Gespräch der Generationen, zwischen
Eltern und Kindern, Großeltern und Enkeln, Urgroßeltern und
Urenkeln. Tradition erschließt den Reichtum und die Ernte des Lebens
derer, über deren Gräbern längst Gras wächst. Es ist nichts als
Arroganz, wenn Lebende meinen, all das wäre Müll der Geschichte.
Ohne Herkunft keine Zukunft.
Wir alle brauchen deshalb auch die Pflege unserer Traditionen,
unserer Wurzeln, unserer Herkunft und unseres Brauchtums. Wir
brauchen es, um zu verstehen, wie wir geworden sind, wer wir sind.
Nur wenn wir das wissen, können wir in ein Gespräch eintreten mit
denen, die aus anderen Ländern, aus anderen Kulturen und Traditionen
kommen. Nur wer sich seiner eigenen bewusst wird, kann die Kultur
anderer bewusst und ohne Angst wahrnehmen und sich sogar von ihr
bereichern lassen.
Und nur der lernt, andere mit dem Herzen zu sehen, nicht an
Äußerlichkeiten hängen zu bleiben, sondern den Dingen und dem
anderen Menschen und seiner Kultur auf den Grund zu gehen. Und die
Grundhaltung, die man dabei braucht ist, dass man seine Kultur nicht
gegen, sondern für andere pflegt, nicht als Abgrenzung, sondern als
Einladung. Wir, die wir uns unserer Kultur bewusst sind, zeigen
aller Welt wie schön sie ist! Ihr habt mir erzählt, wie z.B. die
lange Vorbereitungszeit auf dieses Jubiläumsfest Euch bereichert
hat, Euch zusammengeführt hat wie eine große Familie. Ihr habt
Hindernisse überwunden und seid einen langen Weg miteinander
gegangen. Dabei lernt man sich kennen, dabei lernt man sich schätzen
und dabei lernt man auch, miteinander zu streiten. Dabei wird man
selbstbewusster. Und ich wette, Ihr habt dabei auch erlebt, wie so
manches Vorurteil, dass ihr übereinander hattet, Euch heute nur ein
müdes Lächeln abringt. Nur wer sich lang begleitet, ist sich
begegnet.
Das ist im Verein nicht anders, als in der christlichen Gemeinde.
Als Christenmenschen haben wir aber noch eine Hoffnung mehr, ohne
die wir alle Hoffnung im Blick auf unsere Welt früher oder später
verlieren müssten. Denn wir erfahren ja immer wieder, dass das, was
uns wertvoll ist, von heute auf morgen missachtet, mit Füßen
getreten oder einfach ignoriert werden kann. Dagegen hilft nur, dass
Gott selbst das, was uns und ihm wertvoll ist, also Glaube, Liebe
und Hoffnung, aber auch Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit, so tief
in unseren Herzen verankert, dass auch der größte Sturm und die
größte Katastrophe es nicht umblasen kann. Ich weiß, dass Ihr Frauen
und Männer auch in Euren Reihen habt, auf die das zutrifft. Hört auf
sie – auf die, die nicht nur auf das achten, was die Augen sehen,
sondern auch auf das Herz.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre
Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Gott spricht zum Propheten Samuel:
Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; Gott aber
sieht das Herz an.
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