Predigt     1. Samuel 16/7    65jähriges Jubiläum der Landjugend Zedtwitz     07.06.2015

"Herkunft"
(Predigt im Festzelt von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)
 

Liebe Mitglieder der Landjugend Zedtwitz, liebe Gäste, liebe Gemeinde,

der Bibelvers, über den ich heute zum Jubiläum mit Euch nachdenken will, hat eine Geschichte. Das Volk Israel braucht einen neuen König. Mit dem alten ist kein Staat mehr zu machen. Der Prophet Samuel wird zu einem Mann namens Isai nach Bethlehem geschickt, der acht Söhne hat – einer schmucker als der andere, wenn man einmal von dem kleinsten absieht, der draußen beim Schafehüten ist. Ein Sohn nach dem anderen lässt sich von Samuel begutachten und Samuel gefällt, was er zu sehen bekommt. Aber jedes Mal sagt der Herr zu ihm: Der ist es nicht!

Sind das der Knaben alle?, muss Samuel schließlich fragen und da wird zum Erstaunen aller der kleine David geholt, ein Rotschopf, der noch grün hinter den Ohren ist. Der wird später der König von Israel und ein Vorfahr des Christus. Samuel hätte wahrscheinlich eine andere Wahl getroffen, aber ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an. So erklärt ihm Gott seine Wahl.

Was passiert, wenn wir uns nur auf Äußerlichkeiten verlassen und nicht genau hinschauen, das wissen wir alle. Wir bilden uns kein richtiges und zutreffendes Urteil, sondern wir bilden uns Vorurteile. Dass Vorurteile etwas sehr Hässliches sind, gegen das man nur schwer ankommt, das habt Ihr von der Landjugend im Laufe der Jahre auch schmerzlich erfahren müssen. „Bauern und Saufen“, das fällt manchen Zeitgenossen zu Eurer Gemeinschaft ein. Und das ist gemein, weil sich diese Zeitgenossen gar nicht die Mühe machen, genau hinzuschauen und wahrzunehmen, was Ihr alles Wertvolles macht. Wie viel Zeit und Mühe Ihr investiert, um Zusammenhalt, Tradition und Brauchtum zu pflegen. Wie ihr mit Euren 72-Stunden-Aktionen ehrenamtliche Arbeit für Projekte leistet, die dem Allgemeinwohl dienen, für die aber kein Geld da ist. Wer so etwas macht, darf auch mal feiern.

Ja, in der Kirche wissen wir es auch, dass das nächste Vorurteil schon bereitsteht, sobald man Worte wie Tradition und Brauchtum in den Mund nimmt. „Ihr seid von gestern“, heißt es dann bei denen, die nur das für wertvoll halten, was gerade das Neuste und Angesagteste ist. Und die gar nicht merken, dass sie in ihrem Leben wie ein Halm im Wind sind, der bald hierhin und dorthin geworfen wird. Wer etwas wirklich Wertvolles finden will, für das es sich zu leben lohnt, wird beim immer Neusten nur schwer fündig. Weil wir doch längst alle wissen, dass wir nicht nur den Worten, mit denen uns heute dies und morgen das angepriesen wird, nicht glauben sollten, sondern noch mehr den Bildern, mit denen uns die Paradiese auf allen Kanälen in unendlicher Flut ausgemalt werden, und mit denen uns das Blaue vom Himmel versprochen wird, wenn wir so und so sind und das oder jenes kaufen. Heute lügen nicht bloß die Worte, sondern auch die Bilder. Ich glaub nur, was ich sehe? Wer sich auf das verlässt, was vor Augen ist, ist heute viel mehr verlassen, als zu Davids Zeiten.

Dass die Besinnung auf die eigenen Väter und Mütter, Großväter und Großmütter, auf Brauchtum und Tradition wertvoll sein kann, ist in Vergessenheit geraten. Nein, wir sind nicht die Sklaven unserer Vorfahren, aber wir werden zu Sklaven der Gegenwart, wenn wir das Gespräch mit denen, die vor uns gelebt haben, aufkündigen, die mit ihrem Leben auf ihre Weise ausgedrückt haben, was Ihnen wertvoll war.

Dieser Tage las ich einen Artikel von Manfred Schneider aus der Neuen Züricher Zeitung mit dem Titel „Wenn die Kette der Generationen reißt“ (NZZ vom 05.01.2015, S. 15). Er beschreibt darin die Gefahr, die Menschen droht, die die Verbindung zu denen, die vor ihnen gelebt haben verlieren und meinen, sie müssten sich in ihrer Gegenwart immer selbst neu erfinden. Ich zitiere: Hier lässt sich „ein Problem erkennen, das sich an vielen Stellen in der gegenwärtigen Gesellschaft artikuliert, dass nämlich der Wandel, vor allem der verlangte, geforderte, erzwungene Wandel, der unablässige Zwang zu Innovation, die Substanz aufzehrt und ein rein materielles Gesellschaftswesen zurücklässt, das sich nur noch in Begriffen der Ökonomie und Effizienz beschreiben kann und das sich unter dem Befehl ökonomischer Rationalität immer wieder von einer traditionsgeleiteten Gegenwart zu trennen gezwungen sieht. Auf der Suche nach Optimierungen geht nicht nur das persönliche genealogische Band verloren, sondern gehen alle Herkünfte verloren, auf denen eine Gesellschaft und eine Kultur einmal beruhten. Denn die genealogische Sorge richtet sich nicht allein auf die persönliche und familiäre Herkunft, sondern auch auf die Herkunft unserer Werte und Normen. (…)

Es gilt, das neue Nachdenken über die Herkunft und den Wert der Erfahrung aufzugreifen und über die Lebensformen, die wir aus Überzeugung geschaffen haben, immer wieder nachzudenken. Oder, um ein Wort von Peter Sloterdijk zu zitieren: ‚Es könnte nicht schaden, sich in der verlernten Kunst des Dauerns zu üben.‘“

Deshalb gilt: Wer heute auf allen Gebieten unseres Lebens Halt, Orientierung, also Wertvolles sucht, muss nicht nur seinen hoffentlich gesunden Menschenverstand gebrauchen, sondern er muss wissen, wer er ist. Und das kann nur der, der sich auch seiner Geschichte, seiner Wurzeln, seiner Traditionen lebendig bewusst wird. Tradition ist das innere Gespräch der Generationen, zwischen Eltern und Kindern, Großeltern und Enkeln, Urgroßeltern und Urenkeln. Tradition erschließt den Reichtum und die Ernte des Lebens derer, über deren Gräbern längst Gras wächst. Es ist nichts als Arroganz, wenn Lebende meinen, all das wäre Müll der Geschichte. Ohne Herkunft keine Zukunft.

Wir alle brauchen deshalb auch die Pflege unserer Traditionen, unserer Wurzeln, unserer Herkunft und unseres Brauchtums. Wir brauchen es, um zu verstehen, wie wir geworden sind, wer wir sind. Nur wenn wir das wissen, können wir in ein Gespräch eintreten mit denen, die aus anderen Ländern, aus anderen Kulturen und Traditionen kommen. Nur wer sich seiner eigenen bewusst wird, kann die Kultur anderer bewusst und ohne Angst wahrnehmen und sich sogar von ihr bereichern lassen.

Und nur der lernt, andere mit dem Herzen zu sehen, nicht an Äußerlichkeiten hängen zu bleiben, sondern den Dingen und dem anderen Menschen und seiner Kultur auf den Grund zu gehen. Und die Grundhaltung, die man dabei braucht ist, dass man seine Kultur nicht gegen, sondern für andere pflegt, nicht als Abgrenzung, sondern als Einladung. Wir, die wir uns unserer Kultur bewusst sind, zeigen aller Welt wie schön sie ist! Ihr habt mir erzählt, wie z.B. die lange Vorbereitungszeit auf dieses Jubiläumsfest Euch bereichert hat, Euch zusammengeführt hat wie eine große Familie. Ihr habt Hindernisse überwunden und seid einen langen Weg miteinander gegangen. Dabei lernt man sich kennen, dabei lernt man sich schätzen und dabei lernt man auch, miteinander zu streiten. Dabei wird man selbstbewusster. Und ich wette, Ihr habt dabei auch erlebt, wie so manches Vorurteil, dass ihr übereinander hattet, Euch heute nur ein müdes Lächeln abringt. Nur wer sich lang begleitet, ist sich begegnet.

Das ist im Verein nicht anders, als in der christlichen Gemeinde. Als Christenmenschen haben wir aber noch eine Hoffnung mehr, ohne die wir alle Hoffnung im Blick auf unsere Welt früher oder später verlieren müssten. Denn wir erfahren ja immer wieder, dass das, was uns wertvoll ist, von heute auf morgen missachtet, mit Füßen getreten oder einfach ignoriert werden kann. Dagegen hilft nur, dass Gott selbst das, was uns und ihm wertvoll ist, also Glaube, Liebe und Hoffnung, aber auch Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit, so tief in unseren Herzen verankert, dass auch der größte Sturm und die größte Katastrophe es nicht umblasen kann. Ich weiß, dass Ihr Frauen und Männer auch in Euren Reihen habt, auf die das zutrifft. Hört auf sie – auf die, die nicht nur auf das achten, was die Augen sehen, sondern auch auf das Herz.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text:

Gott spricht zum Propheten Samuel:

Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; Gott aber sieht das Herz an.

 


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