Liebe Leser,
die sogenannte Epistelreihe, mit
Predigttexten aus den Briefen des Neuen Testaments hält für den
Prediger in diesem Jahr manch undankbare Aufgabe bereit. Und auch
unser heutiger Predigttext scheint auf den ersten Blick eine solch
undankbare Aufgabe zu sein.
Liebe Brüder, so geht das schon los, als ob die Frauen Luft wären.
Und dann vom ersten bis zum letzten Wort der erhobene Zeigefinger.
Nein, gerade von der Kirche lässt man sich solche Ermahnung
moralischer Art nicht mehr gefallen. Die Kirche, der erhobene
Zeigefinger Gottes. Muffig, spießig und auf jeden Fall
realitätsfremd. Und nicht zuletzt, schreibt eine Auslegerin zu
unserem Text ist der durchschnittliche Predigthörer nicht übermäßig
gefährdet, von geschlechtlicher Begierde überwältigt zu werden. Ihm
und ihr ist wohl eher ein Stück Lebenslust und Lebensfreude zu
wünschen, ein Stück gelebter und dankbarer Kreatürlichkeit.
Wohl wahr, solche Wünsche hatte Paulus wohl kaum im Blick. Ledig ist
er sein Leben lang geblieben. Und deshalb klingt das, was er zum
Verhältnis von Mann und Frau sagt, seltsam theoretisch und blutleer.
Deshalb schöpft er bei diesem Thema nicht aus eigener Erfahrung,
sondern nimmt aus dem Reichtum seiner theologischen Gedankengebäude,
was ihm zutreffend erscheint. Aber so geht es den Theologen. Wer im
Himmel das Denken anfängt, kommt oft leider nicht bis ganz hinunter
auf die Erde.
Schade, dass Paulus mit dem, was er zum Verhältnis von Mann und Frau
sagt, nicht ganz hinunter auf den Erdboden gekommen ist. So muss der
große Meister das Feld in diesem Punkt anderen überlassen, die sich
dort im Laufe der Kirchengeschichte bis auf den heutigen Tag munter
getummelt haben. Es ist noch gar nicht so lange her, da hatte man
den Eindruck, die Ethik der Kirche bestehe vor allem aus Sexualethik
und die Heiligung des Christenmenschen in der Einhaltung derselben.
Weshalb in der Kirche immer wieder viele Heilige werden, wenn auch
erst spät und aus Altersgründen.
Scherz beiseite. In der Tat geht es bei dem, was der Apostel die
Heiligung eines Christenmenschen nennt, um mehr als um sein
Gutwerden vor Gott. Wo Heiligung auf das Gutwerden des Menschen
reduziert wird, bringt christlicher Glaube genau den Typ Pharisäer
hervor, mit dem Jesus sich im Evangelium kritisch auseinandersetzt.
„Gutmensch“ wird er in der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion
genannt. Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, sagt Goethe. Das
geht aber nur solange gut, wie der Gutmensch sein moralisches
Verhalten nicht so als vorbildlich zur Schau stellt, dass alle
anderen um ihn her sich schlecht vorkommen müssen. Solange der
Gutmensch kein Mensch ist, der um keinen Preis mit denen auf einer
Stufe stehen will, die noch in den Irrtümern und Sünden seiner
eigenen Vergangenheit befangen sind. Das geht nur gut, solange der
Gutmensch kein Tugendbold ist, der andere mit seinen Tugenden
terrorisiert und sie aufgrund seiner Tugenden von Herzen verachtet.
Weshalb die in und um Hof ja bekanntlich sagen: Je heilicher, desto
greilicher!
Mag schon sein, dass mit diesem Spruch diejenigen die Verachtung
erwidern, die sie selbst erfahren haben. Aber dadurch wird nur umso
deutlicher, dass die Heiligkeit des Gutmenschen etwas anderes ist
als die Heiligung des Christenmenschen, die Paulus einfordert.
Die Heiligung des Christenmenschen geschieht nicht, damit er etwas
Besseres wird. Sie geschieht um der Gebote willen, die wir euch
gegeben haben, nicht durch Mose, sondern – wie Paulus ausdrücklich
betont – durch den Herrn Jesus. Durch den Herrn Jesus, der alle
Gebote der Bibel zusammenfasst im Doppelgebot der Gottesliebe und
der Nächstenliebe. Durch den Herrn Jesus, der im Johannesevangelium
zu seinen Jüngern sagt: Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch
untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe (Joh 13/34).
Um Gottes Willen und um der Würde des Menschen willen. Oder wir
können auch sagen: Um Gottes Willen, der die Würde des Menschen im
Blick hat. Paulus erhebt hier das Wort für die Würde des Menschen.
Für die Würde des Menschen, der Achtung gebührt, denn wer die Würde
des Menschen verachtet, der verachtet die Würde Gottes.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. So steht es in Artikel 1 des
Grundgesetzes. Sie zu achten und zu schützen ist die Aufgabe aller
staatlichen Gewalt. Paulus würde sagen: Aller göttlichen Gewalt,
aller christlichen Ethik, aller brüder- und schwesterlichen
Ermahnung. Und von dort her ist sie schließlich in unser Grundgesetz
gekommen. Und wir Christen werden uns dafür einsetzen, dass die
Würde des Menschen dort stehen bleibt und in den Sachzwängen der
Politik nicht untergeht. Und wir werben dafür, dass ihr Schutz zum
Grundkonsens aller Menschen dieser Erde wird.
Gerade weil nicht nur wir Christen wissen, dass die Würde des
Menschen etwas sehr Zerbrechliches ist. Und sie wird immer dort
zerbrochen, wo ein Mensch zum Objekt und zum Zweck herabgewürdigt
wird. Und das geschieht auf vielen Gebieten.
Paulus spricht die Sexualität an. Porneia, Unzucht, das, was ohne
Liebe geschieht, mit oder ohne Trauschein, ohne Rücksicht auf die
Würde von Frau oder Mann. Ohne Rücksicht auf die Würde der Kinder im
Fernen Osten Asiens und mitten unter uns in scheinbar intakten
Familien.
Paulus spricht unser wirtschaftliches Handeln an. Niemand
übervorteile seinen Bruder im Handel. Wirtschaftliche und soziale
Gerechtigkeit sind eine Grundbedingung zum Schutz der Menschenwürde.
Die Achtung vor ihr fordert einen Staat, der dem in Not geratenen
Menschen gibt, was er braucht, um nicht in die Achtungslosigkeit und
Würdelosigkeit zu fallen. Wer an den Leistungen für die Schwächsten
unserer Gesellschaft spart, spart am Schutz der Würde des Menschen.
Gar nicht so weltfremd, was Paulus da denkt. Er denkt das Evangelium
in unser Leben hinein. Das ist die Aufgabe christlicher Ethik. Die
Aufgabe der Heiligung ist es, das Evangelium in unsere Welt hinein
zu leben.
Und so haben wir mit den mahnenden Worten des Paulus, heute nicht
das Gesetz, sondern vielmehr das Evangelium bedacht. Die Würde des
Menschen kommt aus dem Evangelium vom menschenfreundlichen Gott. Wer
sie geringschätzt, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott. Wer
sie hochschätzt, schätzt das Evangelium hoch. Wer sie verteidigt für
andere, predigt ihnen das Evangelium. Und diese Predigt haben wir
nicht nur in der Kirche, sondern auch draußen im Alltag und in der
Politik nötig. Heilige braucht die Kirche und die Welt noch viel
mehr.
Mit meinen Konfirmanden lese ich immer mal wieder die fiktive
Geschichte von einer Gemeinde, die zum Reformationstag Beispiele für
vorbildliche Christenmenschen sucht. Alle möglichen erfundenen Leute
bewerben sich von Andy Angermeyer bis Helmut Hartmann. Die meisten
Punkte bekommt immer Bartholomäus Bauer, von dem es heißt: Sohn
eines Handwerkers, studierte Rechtswissenschaften, bracht das
Studium ab, um Mönch zu werden und um nur noch für Gott zu leben und
zu arbeiten. Er betet viel, kennt sehr gut die Bibel und sammelt für
die Armen. Tja, sag ich dann zu meinen Konfirmanden, da habt ihr
euch offensichtlich schon damit abgefunden, dass ihr alles Mögliche
werden könnt, aber ein guter Christ oder ein Heiliger sicher nicht.
Ja, das könnte dem Teufel so passen, dass es Heilige nur hinter
Klostermauern gibt und die Welt ihm überlassen bleibt. Damit findet
sich der Christus nicht ab. Salz der Erde und Licht der Welt sollen
wir sein (Mt 5/13f). Gutmenschen in diesem Sinne. Heilige in dem
Sinn, dass wir das Evangelium, dass wir empfangen, hineinleben in
die Verhältnisse, in denen wir leben. Zu nichts anderem ermahnt uns
Paulus heute. Nicht, dass wir mit der Bergpredigt die Welt regieren,
aber damit wir nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit unserem
Leben das Evangelium so verkündigen, dass die Elenden es hören und
sich freuen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Paulus schreibt:
1 Weiter, liebe Brüder, bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn
Jesus – da ihr von uns empfangen habt, wie ihr leben sollt, um Gott
zu gefallen, was ihr ja auch tut –, dass ihr darin immer
vollkommener werdet.
2 Denn ihr wisst, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den
Herrn Jesus.
3 Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr meidet die
Unzucht
4 und ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in
Heiligkeit und Ehrerbietung,
5 nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen.
6 Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel;
denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon
früher gesagt und bezeugt haben.
7 Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur
Heiligung.
8 Wer das nun verachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott,
der seinen Heiligen Geist in euch gibt.
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