Liebe Leser,
und der Weltgeist, der ein Geldgeist ist, rief sie zu sich und erzählte
ihnen ein Gleichnis: Wer unter euch, der hundert Schafe hat und eins davon
verliert, ist so blöd und lässt die neunundneunzig in der Wüste allein und
geht dem verlorenen nach, bis er’s findet? Nein, er wird sagen: Die Guten
halten’s aus und um die Schlechten ist’s nicht schade! Denn siehe, früher
hatte ich hundert Schafe, von denen die Hälfte nicht mal den Namen
verdiente und die weitere Hälfte der Hälfte unfähig war bei der Herde zu
bleiben. Jetzt aber sind sie outgesourced und dort wo sie hingehören und
ich habe fünfundzwanzig fette und schlaue Schafe und bin dick im Geschäft.
Und er wird seine Aktionäre rufen und sagen: Freut euch mit mir, denn ich
hatte hundert Schafe und nichts als Probleme und jetzt habe ich
fünfundzwanzig und alles läuft wie geschmiert. Denn siehe ich war blöd und
jetzt bin ich schlau, ich war sozial und jetzt bin ich stark. Also wird
Freude sein auf allen Börsenparketten über ein Schaf, das wirklich Kasse
macht, als über neunundneunzig, die bloß Arbeit haben.
Denn ich bin der Weltgeist, der ein Geldgeist ist. Ich bin nicht
barmherzig, gnädig, geduldig und von großer Güte und was der Schwächen
mehr sind. Ich hadere und halte fest an meinem Zorn über die, die nicht
nach meiner Pfeife tanzen. Ich handle mit euch nach eueren Sünden und
vergelte euch Missetat und Misserfolg. Und wer es nicht schafft groß raus
zu kommen, der vergrabe besser sein Scherflein, stelle keinen Antrag auf
Sozialhilfe und sage am Ende, dass er wusste, dass ich ein harter Mann
bin. Ja das bin ich. Ja, das sage er mir zur Ehre, wenn er mir sein
Häuflein Asche zurückschüttet, von dem er genommen ist!
Das ist die Alternative. Das ist die Alternative zum Evangelium des
heutigen Sonntags und zu den Versen aus dem Brief an Timotheus. Wie
selbstverständlich nimmt Jesus uns im Gleichnis vom verlorenen Schaf in
die Logik der Barmherzigkeit Gottes hinein, die die alternativlose
Alternative zur Weisheit und zum Geist unserer Welt ist: Welcher Mensch
ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eins von ihnen
verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem
verlorenen nach, bis er's findet? (Lukas 15/4) Und wenn da auch keiner
„hier“ schreit - hier ist ein Mund, der der Mund des Christus ist, und aus
dem kommt ein wunderbares Evangelium, das der Logik des Weltgeistes ins
Angesicht widersteht.
Und da hat er auch schon verloren. Da lässt sich die Botschaft von der
Barmherzigkeit Gottes nicht mehr zum Verstummen bringen. Viele Jahre
später, meldet sich im Brief an Timotheus ein Paulus zu Wort, dem es alles
andere als peinlich ist, sich als den ersten, den Primus der Sünder zu
melden. Wir denken an das eine Schaf im Gleichnis, das ja auch so etwas
wie der Primus im Verlorengehen war. Aber der Hirte lässt die anderen in
der Wüste und geht und sucht, bis er es findet. Und auf den Armen des
Hirten ist es ja vom Primus im Verlorengehen längst zum Primus im
Gefunden- und Nach-Hause-gebracht-werden geworden.
Und gerade so redet Paulus ganz persönlich von seiner Erfahrung. Es geht
ihm ganz und gar nicht darum mit seiner Vergangenheit zu prahlen. Auf dem
Heimweg, auf den Armen des Hirten, schaut er zurück auf den Ort der
Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit, an dem er gerade noch saß und von
dem er alleine nicht wieder wegkam; unwissend im Sinne von fehlenden
Alternativen; verloren im Kopf voll Gedanken ohne Ausweg; verloren im Herz
ohne Hoffnung. Man muss sich einrichten und abfinden. Dies ist die letzte
Station. Es gibt keine Alternative.
Aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, schreibt Paulus und die Gnade
unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist.
Der gute Hirte hat ihn mit aller Geduld gesucht und gefunden. Und wir
hören an diesen sehr persönlichen Worten, dass man vom Erbarmen Gottes gar
nicht anders, als sehr persönlich reden kann. Die Frage, ob sich
christlicher Glaube an einen persönlichen Gott richtet, kann hier nur mit
„Ja“ beantwortet werden. Denn der Weltgeist erbarmt sich nicht. „Das
Schicksal erbarmt sich nicht. Prinzipien erbarmen sich nicht.
Metaphysische Abstraktionen und Ideen erbarmen sich auch nicht. Aber Gott
erbarmt sich. So knüpft sich an das in Christus erfahrene Erbarmen
unmittelbar die Erfahrung der Personalität Gottes.“ (wunderbar! - Konrad
Fischer in GPM, Heft 3, 1998, S.334) Eine Theologie und ein Glaube, der
nicht mehr persönlich von Erfahrungen des einzigen Schafes auf den Armen
seines Hirten reden kann, wird wie der Weltgeist selbst erbarmungslos und
kann nicht anders.
Nun liegt es freilich im Wesen des Erbarmen Gottes, dass es zwar dir und
mir sehr persönlich gelten will, aber eben nicht exklusiv, sondern
inklusiv. Es gilt mir und allen anderen auch. Die Erde ist voll der Güte
des Herrn, weiß schon der 33. Psalm (Vers 5). Die persönliche Erfahrung
der Barmherzigkeit lässt mich nicht mit sich selbst allein. Die Bibel
bezeugt den auferstandenen und zum Himmel gefahrenen Christus, als den
Gott, der die Welt richtet (2. Korinther 5/10) und deshalb am Ende, dem
Geist dieser Welt zum Trotz, mit seiner Gnade und Barmherzigkeit im Recht
bleibt.
Und deshalb kehrt ein Paulus, wie das verlorene Schaf, nicht als das ewige
schwarze Schaf, sondern erhobenen Hauptes zur Herde zurück. Erhobenen
Hauptes nicht nur, weil er mit der Barmherzigkeit Gottes ausgezeichnet,
sondern auch in ein Amt gehoben wurde. Es ist das Amt, das Evangelium von
der Barmherzigkeit Gottes vor der Welt zu bezeugen und an Christi Statt im
wahrsten Sinne des Wortes der Welt Rede und Antwort zu stehen. Es ist das
geistliche Amt, der Logik der Welt die Logik Gottes des Erbarmers entgegen
zu halten. Der Hirte lässt seine neunundneunzig Schafe allein, um das eine
zu suchen. Ja, klar!
Der scheidende Leiter des Diakonischen Werkes Hof, Friedrich Sticht, sagte
in seinem sehr persönlichen Resümee vor der Dekanatssynode: „Die
Solidarität der Gesellschaft wurde nun schon so lange schlecht geredet,
dass sie aus dem öffentlichen Bewusstsein weitgehend verschwunden ist.
Mich bedrückt die Schamlosigkeit, mit der man sich zur Unsolidarität
bekennt!“ Unverschämt ist der Weltgeist, der sich im Zeitgeist zu Wort
meldet, immer gewesen. Aber da haben wir Christen mehr entgegenzusetzen,
als Diskussionsrunden, in denen über den Zeitgeist lamentiert wird:
Verlust der Werte - welche hatten wir denn?, - allgemeine Eierei um die
christlichen Grundlagen des Abendlandes, zu denen wir uns ebenso
schwächlich bekennen können, wie wir den säkularen Konsens in Sachen
Menschenrechte, Demokratie und soziale Gerechtigkeit gegen den Angriff des
Fundamentalismus verteidigen können. Es wundert doch nicht, dass der
Weltgeist mit seinem Gleichnis von den hundert Schafen seine Anhänger
sammelt, wenn wir vom guten Hirten nichts mehr wissen.
Und deshalb haben wir gerade heute unser Amt als Apostel des Evangeliums
von der Barmherzigkeit Gottes lautstark wahrzunehmen. Predigt tut not.
Predigt von dem guten Hirten, der keine und keinen verloren gibt, der uns
stark macht und für treu erachtet. Primus im Gefundenwerden kann und soll
jeder werden.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Paulus schreibt:
(12)Ich danke unserm Herrn Christus Jesus, der
mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt,
(13)mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler
war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend
getan, im Unglauben.
(14)Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem
Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist.
(15)Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus
Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen
ich der erste bin.
(16)Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an
mir als erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben
sollten zum ewigen Leben.
(17)Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der
allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen. |