Liebe Leser,
der Theologe Jürgen Moltmann wurde in einer Vorlesung von
evangelikalen Studenten gefragt, ob er denn überhaupt noch an die Hölle
glaube. Man habe den Eindruck, er predige die Allversöhnung. Moltmann
darauf: „Natürlich glaube ich, dass es eine Hölle gibt. Aber keiner kann
mich zwingen, zu glauben, dass dort auch jemand drinsitzt.“
Der Paulusschüler Timotheus hätte ihm sofort recht gegeben. Dass allen
Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, ist ja
kein Projekt von irgendwem. Es ist das Projekt des Christus, der der
eine Mittler zwischen Gott und den Menschen geworden ist. Ein Glaube,
der die Hölle gerne etwas bevölkern möchte, traut dem Christus letztlich
nicht zu, dass er Erfolg hat. Es ist ein Zeichen von Kleinglauben oder
besser von Unglauben, auch wenn dieser im frommen Gewand daherkommt.
EIN Gott, EIN Mittler. Die Lutherbibel hat das „ein“ in Großbuchstaben
gedruckt. Wenn es um unser Heil geht, handelt Gott exklusiv und absolut.
Ein ebenso großer, wie heilsamer Absolutheitsanspruch. Er schließt alle
menschlichen Absolutheitsansprüche aus: „Weil die Seligkeit aller exklusiv
an Einem hängt, kann es keine allein selig machenden Kirchen, Religionen,
Theologien oder Ideologien geben. Sie alle sind korrektur- und darum
dialog- und lernbedürftig.“ (R. Stuhlmann, in GPM, Heft 2, 2004, S.294).
So erklärt sich, warum wir Christen Christus als den einen Weg zum Heil
exklusiv bekennen, und trotzdem gespannt im Gespräch bleiben mit allen,
die anders glauben, als wir selbst. Wollen wir Christus vorschreiben, dass
er nicht auch in dem, was andere glauben, seine Spuren hinterlässt? So
erklärt sich ebenso, warum wir unversöhnlich gegen einen christlichen
Fundamentalismus streiten, der sich selbst absolut setzt, der nicht mehr
bittet „an Christi Statt“ (2. Kor 5/20) um die Versöhnung der Menschen mit
Gott, sondern sich genauso anmaßend wie unversöhnlich an die Stelle
Christi setzt.
„Hermann Friedrich Kohlbrügge hat den Wuppertaler Pietisten, die ihn nach
Ort und Zeit seiner Bekehrung fragten, frech geantwortet: „Am Karfreitag
des Jahres 30 auf Golgatha“. (R. Stuhlmann, a.a.O., S.293) Damit hat er
seinen Inquisitoren unmissverständlich klar gemacht, dass die Erkenntnis
der Wahrheit auf das Heil, das Christus bringt, folgt. Nicht die
Erkenntnis ist der Grund des Heils, sondern Christus. Unsere Erkenntnis
fügt dem, was Christus für uns getan hat, nichts, aber auch gar nichts
hinzu und kann diesem gleichermaßen auch nichts wegnehmen. Der scheinbar
so missionarisch klingende Satz: „Du kannst gerettet werden, wenn Du die
Wahrheit erkennst“, verkehrt das Evangelium. „Du bist gerettet worden,
erkenne es an“, muss es richtig heißen. Denn Christus will, dass das, was
er gesagt und getan hat, von uns auch erkannt, anerkannt, bekannt und
beherzt wird.
Es ist ein alter Streit, ob man auf diese Weise nicht eine billige Gnade
predigt. Es müsse doch zusammen mit dem Evangelium vom Menschen auch etwas
verlangt werden. Wer heute in die weite Welt schaut, erkennt mit
Schrecken, dass die Christen auf dem Vormarsch sind, die zusammen mit der
christlichen Botschaft eine Verrenkung des Verstandes verlangen. In
Italien konnte gerade noch abgewendet werden, dass in unteren Schulklassen
die Evolutionstheorie aus den Lehrplänen verbannt wird und nur noch die
Schöpfungsgeschichte gelehrt wird. Die 16 Millionen zählende
Baptistenkirche in den Südstaaten der USA überlegt, den Eltern zu
empfehlen, ihre Kinder aus den öffentlichen Schulen zu nehmen, weil ihnen
das dort gelehrte Weltbild nicht passt. Es wird notorisch geleugnet, dass
es in der Bibel sehr wohl ein biblisches Menschenbild, aber kein
biblisches Weltbild gibt. Gottes Wort spricht über die Jahrtausende zu
Menschen, die sehr Verschiedenes und verschieden viel von ihrer Welt
wussten. Wer ein Weltbild absolut setzt, macht es zur Ideologie.
Ideologien verlangen die Verrenkung des Verstandes und einen Gehorsam der
blind ist. Sie sind gut für jeden Krieg auf dieser Welt.
Dem gegenüber ist die Gnade des Christus nicht billig, weil sie erkannt,
anerkannt, bekannt und beherzt sein will. Sie verlangt und beansprucht von
uns keine Verrenkung des Verstandes, sondern vor allem und im Grunde immer
eine Bewegung des Herzens. Niemand kann ernstlich von der Hingabe des
Christus leben, ohne sich Gott, den Menschen und der Schöpfung in neuer
Weise zuzuwenden. Und dies ist vor allem eine Bewegung des Herzens.
Der Bundespräsident Johannes Rau sagte in dieser Woche in seiner letzten
„Berliner Rede“: „Wir müssen zum Beispiel erleben, dass einige, die in
wirtschaftlicher oder öffentlicher Verantwortung stehen, ungeniert in die
eigene Tasche wirtschaften. Das Gefühl für das, was richtig und angemessen
ist, scheint oft verloren gegangen zu sein. Egoismus, Gier und
Anspruchsmentalität in Teilen der so genannten Eliten schwächen auch das
Vertrauen in die Institutionen selber, wenn deren Repräsentanten offenbar
alle Maßstäbe verloren haben. Wir müssen in den Debatten über
Veränderungen und Reform auch erleben, dass allzu oft das Gemeinwohl
vorgeschoben wird, wo es um nichts als Gruppenegoismus, um
Verbandsinteressen oder gar um erpresserische Lobbyarbeit geht.“ (Berlin,
12.05.04) Der Bundespräsident appellierte eindringlich, Vertrauen wieder
zu schaffen durch Übernahme von Verantwortung und das Vertrauen in die
Zukunft nicht zu verlieren.
Vertrauen ist eine Bewegung des Herzens, das sich zuwendet und
Verantwortung übernimmt, wie Misstrauen, Gier und Egoismus die Bewegungen
eines Herzens sind, das sich abwendet. Für uns Christen ist der Grund des
Vertrauens die Hingabe Jesu Christi für alle Menschen. Sie ruft uns zur
Verantwortung für die Welt.
Und der erste und wichtige Teil dieser Verantwortung für die Welt ist das
Gebet. Es kommt „vor allen Dingen“, wie Timotheus schreibt. Es ist die
Antwort der Menschen, die davon leben, dass Gott für sie Verantwortung
übernommen hat und die ihrerseits bereit werden für andere, ja für alle
Menschen, Verantwortung zu übernehmen. Im Gebet werden wir zum Anwalt
anderer vor Gott. Im Gebet übernehmen wir Weltverantwortung. Und wir
spüren, dass sich diese Verantwortung gerade nicht begrenzen lässt,
sondern dass sie Grenzen überwindet. Hand aufs Herz, wer möchte für unsere
Regierung noch beten? Wer möchte für unsere Opposition noch beten? Wer
möchte für Politiker noch beten? Aber wie könnten und sollten wir es nicht
tun? Zu wem sollten wir scheinbar und wirklich hoffnungslose Geschichten
denn bringen, wenn nicht zu Gott? Wie sollten wir aufhören um den Frieden
zu bitten, um Gerechtigkeit und Freiheit. Wenn wir als Christen aufhören
würden hierum für alle Menschen zu bitten, dann wären wir die
hoffnungslosesten Menschen überhaupt.
Wer darum bittet, wird sich mit dem Mangel an all diesen Dingen nicht
abfinden. Dem Gebet um Gerechtigkeit, folgt das Leiden an der
Ungerechtigkeit und die Bereitschaft für Gerechtigkeit einzutreten. Dem
Gebet für den anderen, folgt das Mitleiden an seiner Not und die
Bereitschaft ihm zu helfen. Das Gebet ist Kapitel eins jeder Ethik. Wer
betend durch die Welt geht, muss diese in einem anderen Licht sehen und
den vermeintlichen Gegner und Feind ebenso. Denn ein ruhiges und stilles
Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit, das ist ja nicht
das oberste Ziel christlicher Spießigkeit, sondern es mahnt Frieden und
Gerechtigkeit für alle an. Nur unter diesen Bedingungen ist ein Leben in
Ehrbarkeit überhaupt möglich.
Insofern ist das Gebet für die Obrigkeit ein Politikum ersten Ranges, denn
es bringt die Regierenden vor Gott und mutet ihnen dort zu für Recht und
Frieden zu sorgen, in dem Wissen, dass auch Gott solches für die Aufgabe
guter Obrigkeit hält. Gleichzeitig gilt, wer für Politiker betet, kann sie
nicht in die Ecke der Hoffnungslosigkeit stellen, ohne sich dort selbst
wieder zu finden. Wer für alle Menschen betet, kann nicht gleichzeitig
glauben, dass in der Hölle jemand sitzt. Es sei denn, er traut dem
Christus nicht, der will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur
Erkenntnis der Wahrheit kommen. Dem Christus, der sich selbst gegeben hat,
zur Erlösung für alle. Dem dürfen wir alles zutrauen: Alles Gute.
Hintergrund:
Die Rede des Bundespräsidenten vom 12.05.04 (PDF)
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de) |
Text:
(1)So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen
tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen,
(2)für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und
stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.
(3)Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland,
(4)welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis
der Wahrheit kommen.
(5)Denn es ist EIN Gott und EIN Mittler zwischen Gott und den Menschen,
nämlich der Mensch Christus Jesus,
(6)der sich selbst gegeben hat zur Erlösung für alle. |