Predigt     1. Timotheus 2/1-6     Rogate     09.05.10

"Sprachlehrer für die Liebe"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass.
Das Gegenteil von Liebe ist Angst.
Angst ist der laute Ruf, der Schrei nach Liebe.

Das Evangelium von Jesus Christus, breitet vor uns beides aus:
Das Leben in Angst und das Leben in der Liebe.
Angst macht eng und atemlos.
Liebe macht weit und ruhig.
Die Angst ist der Bruder des Todes.
Liebe ist die Quelle des Lebens.

„In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“, sagt im heutigen Evangelium der, der uns die Angst nehmen will, der uns Heimat geben will dort, wo er ist, wo Gott selbst ist – in der Liebe.

Das Land der Liebe müsste uns doch allen bekannt sein. Keiner unter uns, der nicht schon dort gewesen wäre. Keiner unter uns, der nicht aus Gott käme und irgendwo die Erinnerung daran bewahrt hätte.

Eine jüdische Legende (gewürzt mit jüdischem Humor) erzählt, dass wir alle kleine Engel waren, bevor wir als Menschen auf die Erde gekommen sind. Jeder von uns habe schon im Paradies gelebt, auf Du und Du mit Abraham, mit Mose und Mirjam, mit König David und dem alten Jakob. Vor der Geburt als Mensch habe aber jeder kleine Engel einen so gehörigen Nasenstüber bekommen, dass er alle Erinnerungen an das Paradies vergessen habe. Manchmal allerdings habe der grobschlächtige Engel, der für die Nasenstüber, die jede Erinnerung auslöschen, verantwortlich sei, manchmal habe dieser Engel so einen über den Durst getrunken, dass er die Nase verfehlt habe - so dass einige Menschen die Erinnerung an das Paradies nicht vergessen haben.

Um diese humorvolle Geschichte auf die Spitze zu treiben: Ich bin mir sicher, liebe Gemeinde, dass der grobschlächtige Engel von Gott dauernd abgefüllt wurde und im Dauerrausch war. Denn Gott bringt es nicht übers Herz, auch nur einen Menschen ohne die Erinnerung an die Liebe zur Welt kommen zu lassen.

Die Vorstellung, die Fähigkeit zur Liebe und die Erinnerung an diese Quelle unseres Lebens müssten uns erst beigebracht werden, ist absurd. Nie und nimmer gelänge es Menschen, sich gegenseitig zur Liebe zu erziehen. Stattdessen hätte die Angst alles im Griff, wäre die Angst die alles entscheidende Macht: Die Angst, zu versagen; die Angst, zu kurz zu kommen; die Angst, mich falsch zu verhalten; die Angst, nicht anerkannt zu sein; die Angst, ausgelacht zu werden; die Angst, schwächer zu sein; die Angst, krank zu werden; und nicht zuletzt und in allem: die Angst, zu sterben.

Und alle Menschen würden aus dieser Angst leben und lernen, mit Ellenbogen und Egoismus, mit immer weiterer Unterdrückung all der guten Kräfte in ihnen, der Angst zu gehorchen. Es gäbe keine Heiligen und es gäbe keine Heilungen von dieser Krankheit; es gäbe nur Menschen, die aus Kalkül helfen und es gäbe keine Zärtlichkeit mehr - denn ein Mensch in Angst ist zu Zärtlichkeit und Spiel nicht mehr in der Lage. Die Menschheit wäre wie eine wachsende Krebsgeschwulst, die Angst würde alles auffressen und die Erde würde die Menschen schließlich abstoßen wie jeder gesunde Organismus einen Krankheitserreger.

Aber bei aller Kritik an dem, was Menschen sich selbst und anderen antun, bei aller Kritik auch was Menschen dieser Erde und dem Leben in ihr an Schaden zufügen - das Böse hat die Liebe, die Gott uns mit seinem Atem eingehaucht hat, nicht verdrängen können! Auch wenn dieser Hauch nur ein Flüstern ist, wenn der Heilige Geist nur leise sagt: „Du bist geliebt! Du kannst lieben! Du kannst dich lieben lassen ohne Angst“ – ein jeder von uns hat das doch schon einmal gehört. Wir alle hören die Stimme unseres Gewissens. Wir alle haben Sehnsucht nach Frieden. Und keinen von uns überkommt Genugtuung, wenn andere Menschen Gewalt und Unrecht leiden.

Da fängt der Jugendliche die Wespe am Fenster mit einem Wasserglas und einem Stück Karton und bringt sie ins Freie und schlägt sie eben nicht tot. Da teilen Menschen in unserer Gemeinde das, was ihnen Gott schenkt, mit anderen, die hungern und spenden für Brot für die Welt. Da bittet einer den anderen um Verzeihung und sagt: „Ich bin jetzt zu weit gegangen! Verzeih! Ich habe dich verletzt.“

Der grundlegende, tiefe Gedanken, der hinter alldem steht, ist unser Glaube, dass es nur einen Gott gibt. Dass Gut und Böse, Gewitter und Sonne, Leben und Tod nicht verteilt sind auf die Kompetenz verschiedener Götter. Dass Gott nicht außerhalb der Welt ist, dass Gott auch nicht innerhalb der Welt ist. Sondern dass Gott alles umfasst: wie das Meer die Fische und die Muscheln und die Pflanzen und die Mineralien; wie die Luft, die alles umhüllt auf Erden, so ist alles und sind alle in Gott geborgen.

Es liegt allein an mir, ob ich meine Herkunft verleugne. Die Liebe Gottes kann ich nicht abschneiden. Ich kann sie allenfalls verleugnen, lebe dann aber – so sagt uns das Kreuz Christi - in einer Scheinwelt. Jesus Christus kommt von Gott. Du und ich, wir kommen von Gott. Wir sind Geschwister Jesu, Kinder Gottes, Kinder der Liebe! Der Muslim ist aus Gott, der Kommunist ist aus Gott, der Asylsuchende ist aus Gott, der Unternehmer ist aus Gott und der Arbeitslose auch.

Es ist der Sinn unserer Lebensreise, von dieser Herkunft zu erzählen, sozusagen Sprachlehrer zu sein, Sprachlehrer für die Liebe! Sie in und mit unserem Leben zur Sprache zu bringen und so die Angst kleiner zu machen. Und es ist die tiefste Aufgabe aller Religionen, den Menschen die Angst zu nehmen. Ohne Liebe machen sie in ihrer Angst die größten Dummheiten: Sie führen Kriege und sie schlagen ihre Kinder, sie mobben im Betrieb und betrügen ihren Mitmenschen. Und nachts weinen sie einsam in ihr Kissen.

Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass.
Das Gegenteil von Liebe ist Angst.
Angst ist der laute Ruf, der Schrei nach Liebe.

Das Evangelium von Jesus Christus ruft uns zu: Ein jeder von uns hat einen Platz in dem Ganzen, in dem Auf und Ab der Jahre und Jahrtausende! Das Leben eines jeden von uns hat einen Sinn, ist ein Puzzlestein im dem Bild, das Gott sich von seiner Schöpfung gemacht hat. Aus diesem Bild kann keiner herausfallen, ist ein jeder und jedes ein wertvoller Teil des Ganzen. Liebe ist im Grunde nichts anderes als Hingabe, angstfreie Hingabe an Gott, an meine Herkunft, an Jesus Christus, an meinen Nächsten, an den Fremden.

Der heutige Predigttext am Sonntag Rogate, der uns das beten lehren will, ist unverständlich ohne diesen Hintergrund. Er stammt aus dem Timotheusbrief, einem der jüngsten Briefe des Neuen Testamentes. Hundert Jahre sind schon vergangen seit Tod und Auferstehung Jesu. Paulus und Petrus und Jakobus sind längst den Märtyrertod gestorben. Und auch die dritte Generation der Christen ist bedroht. Sie hat sich von den Juden getrennt, hat eine eigene Kirche aufgebaut mit klaren Strukturen, wird verfolgt von der römischen Obrigkeit, die die Länder rund um das Mittelmeer in ihrer Macht hält. Die Christen sind bedroht. Viele mussten Nachteile wegen ihres Glaubens auf sich nehmen, andere das Leben lassen.

Was ich jetzt lese, klingt beim ersten Hören vielleicht wie kluge Taktik, Taktik, aus der Einsicht geboren, doch nichts anrichten zu können gegen die römischen Übergriffe. Nach dem Motto: dann also besser nicht auffallen. Aber es ist nicht Taktik. Es ist konsequenter Christus-Glaube, den anderen nicht zu verurteilen, sondern zu lieben.

Die Lutherbibel überschreibt den Abschnitt aus dem 2. Kapitel des 1. Timotheusbriefes (1-6) mit „Das Gemeindegebet“. (Text siehe rechte Spalte)

Gott will, dass allen Menschen geholfen werde. Deshalb: Rogate! Betet! Für alle Menschen! Betet für die, die euch Feinde nennen. Ihr betet für Menschen, die Gottes Liebe geschaffen hat, deren Erinnerung an ihre Herkunft vielleicht verschüttet ist, die Angst haben vor der Liebe und die – wie mächtig auch immer sie sind oder uns scheinen – letztendlich arm dran sind.

Freilich, wir können für andere nur beten, wenn wir an die Liebe in ihnen glauben und selbst von der Liebe getragen sind. Denn Fürbitte ohne Liebe verkommt zur Pflichtübung und hat keine Folgen. Nehmen wir einmal an, ich habe im Religionsunterricht vielleicht zwei oder drei, mit denen ich absolut nicht zurechtkomme, die die anderen drangsalieren und der ganzen Klasse auf die Nerven gehe. Wenn ich vor dem Unterricht eben für diese zwei oder drei bete, werde ich nachher anders mit ihnen umgehen. Ich werde die Angst verlieren, Stück um Stück.

Thomas Merton, der katholische Priester und Mystiker, schreibt:
„Gebet besteht nicht in dem Bemühen, Gott zu erreichen, sondern darin, unsere Augen zu öffnen und zu erkennen, dass wir schon bei ihm sind.“Und dort, bei ihm, werden wir die Nahen und die Fernen, die, die uns wehtun und die, die uns Gutes tun, mit anderen Augen sehen.

Angst ist kein guter Berater.
Angst trennt.
Angst macht zu Gegnern.
Angst macht klein, dich und mich.
Liebe ist unsere Herkunft.
Liebe eint.
Liebe macht Freunde.
Liebe macht groß und lässt aufrecht gehen,
dich und mich.

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

Paulus schreibt:

1 So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen,
2 für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.
3 Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland,
4 welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
5 Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus,
6 der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.
 


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