Liebe Leser,
so erging es der wackeren Konfirmandin: Zuhause gab es noch nie ein
Tischgebet. Aber dann hatte der Pfarrer erzählt, beim Festessen
anlässlich der Konfirmation sei es üblich, dass die Konfirmanden das
Tischgebet sprächen. Sie hatte sich das einfachste herausgesucht: Komm
Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast. Als
alle endlich um den Tisch saßen, klingelte sie mit der Gabel am Weinglas
und bat um Ruhe für das Tischgebet. Komm Herr Jesus sei unser Gast,
begann sie. Sie hätte sich’s doch aufschreiben sollen. Es folgte etwas
mit „s“. Es fiel ihr nicht ein. Komm, Herr Jesus sei unser Gast, begann
sie noch einmal, fasste sich ein Herz und fuhr fort: Dann siehst du, was
du uns bescheret hast. Amen. Amen, sagten die Kinder fröhlich und die
Erwachsenen sagten gar nichts, weil die nicht einmal wussten, dass man
nach einem Gebet „Amen“ sagt. Und wohl bekomms!
Das 15 %-Fest, so könnte man es auch nennen, das Erntedankfest, das
alljährlich am ersten Sonntag im Oktober gefeiert wird. Gerade einmal
15% des Einkommens geben private Haushalte in unserem Land für
Lebensmittel, inklusive Getränke und Tabak aus. Da ist es nicht mehr
weit her mit „aller Augen warten auf dich, Herr, und du gibst ihnen ihre
Speise zur rechten Zeit“ (Psalm 145,15). Wir schauen schon ungeduldig
auf die Uhr, wenn die Schlange an der Kasse ausnahmsweise etwas länger
ist. Kühlschrankfüllen ist eine lästige Nebentätigkeit, die wir zwischen
zwei wirklich wichtigen Terminen schnell noch erledigen.
Da ist es kein Wunder, wenn uns als Lebensmittel Gammelfleisch
untergejubelt wird. Wir haben längst die Achtsamkeit und auch die
Achtung verloren vor dem, was unser Leben erhält. Wir zücken ohne mit
der Wimper zu zucken die großen Scheine, um auch nach der letzten
Spritpreiserhöhung den Tank zu füllen – und fahren damit in den
Megamarkt auf der grünen Wiese, wo es das ein oder andere Lebensmittel
ein paar Cent billiger gibt, als anderswo. Dann vergießen wir
Krokodilstränen, wenn die letzte bodenständige Metzgerei und der letzte
kleine Gemüseladen um die Ecke endgültig dichtmacht und wir uns verloren
zwischen endlosen Regalen unsere Speisen zusammensuchen müssen, von
denen keiner mehr weiß und uns auch keiner mehr sagen will, was in ihnen
so alles enthalten ist.
Von deiner Gnade leben wir und was wir haben, kommt von dir? Schön
wär’s. Aber wir leben längst nicht mehr von Gottes Gnade, sondern müssen
von der Gnade einer Lebensmittelindustrie leben, die das Wort Gnade,
Achtsamkeit und Achtung vor dem tierischen und pflanzlichen Leben nicht
im Wortschatz hat. Die Achtung vor unserem Leben übrigens auch nicht.
Und daran sind wir alle auch selber schuld. Erntedankfest 2006 – ehr ein
Buß- und Bettag? Komm Herr Jesus, sei Du unser Gast, und sieh dir die
Bescherung an!
Ein Euro elf für das Pfund Hackfleisch und zwei Euro dreiundsechzig für
die Dose Hundefutter. Beides oft von Kreaturen, die in ihrem kurzen
Leben nie das Licht der Welt erblickt haben, die nie ihre Beine so
richtig gebrauchen konnten und für die letzte Reise in den Schlachthof
mit Medikamenten vollgestopft werden, damit sie nicht schon vorher an
Schwäche zu sterben. Puten sind dabei, denen man so große Brüste
angezüchtet hat, dass sie nicht aufstehen können, ohne gleich wieder
nach vorne zu fallen. Aber klitzekleingehackt kann man aus ihnen die
Wurst in der Form eines lächelnden Gesichts machen, die unsere Kinder so
mögen. Zwei Dinge, Herr, sind Not, die gib nach deiner Huld. Gib und
segne uns dies täglich Brot. Vergib uns unsere Schuld.
Um Gottes Willen darf diese Bitte bei Tisch nicht verschwiegen werden
und am fürs Erntedankfest geschmückten Altar auch nicht. Vieles, was
rund um unser täglich Brot mit Wurst geschieht, stinkt und schreit zum
Himmel. Bleibt die Hoffnung, dass er sich unser erbarmt. Der du der Erde
Brot gegessen, mit Sündern hast zu Tisch gesessen, Herr Jesu, komm und
mach uns satt, dass Leib und Seel Genüge hat. Bestimmt hat Paulus an
unseren Herrn Jesus Christus gedacht, als er an Timotheus schrieb. Wie
er in der Nacht, als er verraten wurde, das Brot nahm und dankte und den
Kelch nahm und dankte. Dankte für Gottes Gabe. Für Dreck dankt man
nicht. Wofür man dankt, das ist wertvoll. Und erst recht gilt dies für
das, was Gott schenkt. Gottesgeschenke kann man nur dankbar
entgegennehmen. Alle guten Gaben, alles was wir haben, kommt, o Gott,
von dir. Wir danken dir dafür.
Vielleicht müssen wir einfach wieder lernen hinzuschauen. Wieder lernen
einen Tisch zu decken, an dem wir dann auch nicht alleine sitzen. In
immer weniger Familien gibt es noch gemeinsame Mahlzeiten oder zumindest
eine gemeinsame Mahlzeit am Tag. Der Kühlschrank ist für den Menschen
das, was der Futterspender im Käfig für den Wellensittich Hansi ist. Der
hätte übrigens auch lieber Gesellschaft.
Jesus aß niemals allein. Er versammelt sich gerne so drei- bis
fünftausend Leute zum Essen. Wesentliche Teile seiner Botschaft vom
Himmelreich hat er bei Tisch erzählt. Er stiftet das Abendmahl und
versammelt die Jünger um einen Tisch. Und die schönste Vorstellung vom
Himmel ist das große Festmahl der Erlösten (nicht das Hallelujasingen).
Christen haben also die schönsten Mahlzeiten in bester Gesellschaft noch
vor sich.
Überhaupt: Vom Tisch im Angesicht meiner Feinde in Psalm 23, an dem Gott
voll einschenkt, vom Fest für den Wiedergefundenen im Gleichnis vom
verlorenen Sohn bis zum Gleichnis vom großen Gastmahl. Gott ist von der
ersten bis zur letzten Seite der Bibel vor allem der große Gastgeber,
der zu Tisch bittet. Die Welt, hat Woody Allen einmal formuliert, sei
ein einziges großes Restaurant, und Gott steht als Wirt an der Tür mit
der Speisekarte. Man muss ihn einfach weiterempfehlen. Schmeckt und
seht, wie freundlich der Herr ist!
Wir empfehlen ihn weiter, indem wir uns alle guten Gaben etwas wert sein
lassen, indem wir überhaupt wieder wahrnehmen, was Gott uns schenkt. Der
Niedergang unserer Esskultur, die Missachtung und Gleichgültigkeit für
das, was unser Leben erhält, geht einher mit dem Verlust der Achtung und
Achtsamkeit für das pflanzliche und tierische Leben. Das bleibt nicht
ohne Schaden für unsere eigene Seele. Ohne diese Achtung kann Essen und
Trinken Leib und Seele nicht zusammenhalten.
Wer aber die Mittel zum Leben als Gottesgeschenk begreift und sie, wie
Paulus schreibt, mit Danksagung empfängt, der darf sie frohen Herzens
genießen. Der wird sie zu schätzen wissen und achten. Achtung schließt
Verantwortung für alles Lebendige, das unser Leben erhält, ein.
Verantwortung für das uns anvertraute Stück Natur. Verantwortung als
Verbraucher, nein sagen wir besser: als Genießer, immer dann, wenn wir
mit dem Geldbeutel in der Hand im Laden stehen. Verantwortung beim
Genuss und auch beim Verzicht um des Lebens willen.
Wer aber die Mittel zum Leben als Gottesgeschenk begreift und sie, wie
Paulus schreibt, mit Danksagung empfängt, dem wird nicht nur der
verächtliche Gebrauch, sondern auch der verächtliche Verzicht fremd
werden. Schlimm ist der deutsche Volkspädagoge und noch schlimmer ist
der fromme deutsche Volkspädagoge, der mit erhobenem Zeigefinger durch
den deutschen Verbotsschilderwald läuft und Aufmerksamkeit fordert.
Hinter der Warnung vor den fleischlichen Genüssen aller Art, steckt oft
nichts anderes als der Hass auf das Leben und die Welt. Der verächtliche
Gebrauch und der verächtliche Verzicht sind Geschwister.
Und Feinde des großen Gastgebers des Himmels und der Erde. Der lädt uns
heute ein, unser Leben und das, was es erhält, als Gottesgeschenk
wiederzuentdecken. Und wir antworten ihm mit dem Tischgebet: Von deiner
Gnade leben wir, und was wir haben, kommt von dir. Drum sagen wir dir
Dank und Preis. Tritt segnend ein in unsern Kreis.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de)
|
Text:
Paulus schreibt:
4 Denn alles, was Gott
geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung
empfangen wird;
5 denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet. |