Liebe Leser,
am letzten Sonntag nach Epiphanias, dem Fest
der Erscheinung des Herrn, berichtet das Evangelium nach Matthäus
von der Verklärung Jesu vor den schwer beeindruckten Jüngern: Und er
wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die
Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. (Mt 17/2) Damit
hätte Jesus wohl mühelos den 1. Preis in der Sendung „Die Erde sucht
den Superstar“ gewonnen. Und auch den Jüngern gefiel das Ganze so
gut, dass sie sich häuslich einrichten und auf keinen Fall vom Berg
in die Niederungen ihres Lebens und ihrer Welt wieder
hinuntersteigen wollten.
Wir sehen daran, dass die Jünger meistens etwas ganz anderes wollen,
als ihr Meister, der bald darauf zum Aufbruch ruft und
hinuntersteigt, um sich auf den Weg zu machen, der ihn nach
Jerusalem führt, wo aus dem Gesicht, das auf dem Berg wie die Sonne
leuchtete, ein blutendes Gesicht mit einer Dornenkrone gemacht wird,
das mit einem Schrei aus der Gottverlassenheit seine Augen in den
Tod hinein schließt. Spätestens hier macht die Historie ihre Akten
zu. Die Moral von der Geschicht’ ist eine allgemeine. Sie erinnert
uns daran, dass menschliche Herrlichkeit etwas sehr Vergängliches
und Scheinbares ist und wir sie alle wieder hergeben müssen, früher
oder später, unter mehr oder weniger widrigen Umständen.
Nun hat freilich Gott die Akte Jesus von Nazareth nach seinem
letzten Atemzug nicht zugemacht, sondern bestimmt, dass sie für alle
Ewigkeit aufgeschlagen bleibt. Er spricht, wie am ersten
Schöpfungstag. Befiehlt Licht, ruft ins Leben. Er öffnet dem
Christus am Ostermorgen die Augen und lässt ihn aus seinem Grab
spazieren, an einer heulenden Maria von Magdala vorbei, die nicht
sieht, was nicht sein kann. Ein Ungläubiger, den die Bibel Thomas
nennt, wird Vertrauen fassen, dass dies wirklich geschehen ist und
an dem Auferstandenen das Entscheidende entdecken: Seine Wundmale
sind noch zu sehen. Das verklärte Gesicht, das leuchtet wie die
Sonne und das elende Antlitz des Todes gehören für immer zusammen;
heilsam zusammen; tröstlich zusammen. Der ewige Gott und wir
sterblichen Menschen haben eine gemeinsame Zukunft.
Seitdem gilt: die Sonnenstrahlen vom Antlitz des Christus auf dem
Berg der Verklärung sind ohne die leidgefüllte Finsternis auf dem
Gesicht des Gekreuzigten nicht zu haben. Beides gehört zusammen.
Beides macht die Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi
aus, von der Paulus spricht. Beides macht diese Herrlichkeit Gottes
zum Geheimnis unserer irdischen christlichen Existenz. Es
buchstabiert unsere Lebensgeschichte in die Geschichte des Christus
hinein. Und es hängt viel davon ab, dass wir nicht eines von beiden
verlieren.
Und das heißt zum Ersten: Aufhören, dem Leid und dem Tod ein eigenes
Gewicht zu geben. Wir sind Protestleute gegen den Tod, hat Kurt
Marti einmal gesagt. Das ist eine wirklich wackere Pose, die nicht
einer gewissen Lächerlichkeit entbehrt. Gerade wenn wir selbst es
sein wollen, die sich dem Leid in den Weg stellen, wächst dessen
Gewicht im Vergleich zu unserem Fliegengewicht ins Gewaltige. Gerade
wenn wir uns davon träumen wollen in eine Welt ohne Tod, in die
ewigen Gefilde der unsterblichen Seelen, holt uns der Tod um so
desillusionierter auf den Boden der Tatsachen zurück. Wir zerfallen
zu Staub.
Das Geheimnis, warum Paulus mit geradezu gelassener Ironie an sich
selbst herunterschauen kann, liegt woanders. Paulus zählt seine
Bedrängnis, seine Angst, seine Verfolgung seine Krankheit auf und
stellt lapidar fest, dass all das sehr machtlose Dinge sind im
Vergleich zu der überschwänglichen Kraft Gottes. Einer Kraft, die
gerade dort nicht schwindet, wo Sünde, Tod und Teufel regieren
wollen, sondern sich als siegreich erweist. Denn aus dem Gesicht des
Gekreuzigten brechen die Strahlen des Auferstandenen. Gott befiehlt
Licht, ruft ins Leben.
Deshalb gilt: Nein wir verzagen nicht, wir werden nicht verlassen,
wir kommen nicht um. Gerade dann nicht! Und so bleibt unser Vergehen
dann einfach nur der unspektakuläre Ausdruck dessen, was wir sind:
irdene Gefäße, endliche Geschöpfe, die in die Hand ihres Schöpfers
zurückfallen und das ist nicht schlimm. Bleiben wir doch in seiner
Liebe.
Freilich, wir sehen auch in unseren Tagen, wie schwer es uns fällt,
diese Endlichkeit zu ertragen. Wie der Mensch verzweifelt versucht,
hinter sich zu lassen, was er ist. Und wie er dabei erst recht dem
Tod in die Hände spielt. Menschen in armen Ländern werden die Organe
geraubt. Zellen von beginnenden Menschen sollen in Zukunft als
Ersatzteillager für erschöpfte Körperteile dienen. Und so robbt ein
schon abgelaufener Mensch noch ein paar Jahre in die gewisse Zukunft
seines Todes, eine Spur der Zerstörung hinter sich lassend. Am
Himmelstor trägt er dann nicht nur die Last seines Lebens.
Diese Last ist für uns Menschen zu schwer. Nur der Christus vermag,
die Last unseres Lebens heilvoll ans Himmelstor zu tragen. Nur er
führt ins Leben, nicht auf Kosten anderer, sondern auf seine. Zum
Ausweis trägt der Auferstandene die Male seiner Kreuzigung an den
Händen und Füßen. Von Martin von Tours wird erzählt, er habe die
Erscheinung eines wundlosen Christus als teuflische Versuchung
durchschaut. Das sollten nicht nur Heilige können.
Von den Korinthern wird erzählt, sie hätten eine Vorliebe für
erfolgreiche, ansehnliche, wortmächtige und moralisch einwandfreie
Prediger gehabt. Aus den Zukunftsschmieden moderner Landeskirchen
wird erzählt, dass sie an dem „Pfarrer mit Visionen“ arbeiten, an
mehr spiritueller Kompetenz, an der Mitgliederorientierung ihrer
Angebote, an der unwiderstehlichen Werbekampagne. Wen wundert’s,
dass man da am liebsten alles unter den Tisch verschwinden lassen
will, was das blank polierte Erscheinungsbild stört. Der Apostel
Paulus dürfte da wohl nicht einmal hinter den Tresen eines
Kirchencafes. Soll er Teller spülen, hinten in der Küche. Und das
Kruzifix kommt von der Wand und wird durch ein Logo ersetzt. Es soll
doch keiner erschrecken.
Womit wir schon mitten beim Zweiten wären: Eine Kirche, die vom
Kreuz herabsteigt und nicht mehr da sein will, wo ihr Herr ist,
verliert ihren Herrn und all seine Kraft. Eine Kirche, die selbst
heilig sein will und selbst Erlösung verbreiten will, wird nicht
heilig, sondern scheinheilig. Sie versammelt sich zu den Machern der
Scheinwelten, in die sich auch die Heutigen 200 Jahre nach der
Aufklärung lieber flüchten, als in die Niederungen ihrer
Wirklichkeit hinunterzuschauen oder gar hinunter zu steigen, um bei
denen da unten zu sein, in Trennung und Trauer, in Krankheit und
Leid, im Vergehen und Sterben. Eine Kirche, die sich der Wundmale
ihres Christus schämt, woher auch hätte sie die Kraft dazu?
So ist Paulus seine menschliche Schwachheit noch einmal zu einem
ironischen Einwand gut, der die spirituellen Superstars in Korinth
ihrer Herrlichkeit entkleidet. Triumphiert doch die Kraft Gottes -
wie an Paulus und den meisten von uns unschwer zu erkennen ist -
nicht über unsere Menschlichkeit, indem sie ihre Schwachheit
aufhebt. Sie triumphiert in unserer Menschlichkeit, in dem sie in
den Schwachen mächtig ist (2. Kor. 12/9). Damit die überschwängliche
Kraft von Gott sei und nicht von uns.
Das ist Aufklärung im Licht des Evangeliums. Aufklärung darüber, wer
wir sind und Aufklärung darüber, wer Gott ist. Irdisch, vergänglich,
aus Sternenstaub gemacht, heben wir unsere Augen und Ohren dem
Himmel entgegen und fallen wieder zurück in den Staub. Dazwischen
ist Lachen und Weinen und Lust und Schmerz und Hoffen und Bangen.
Und ein Gesicht, ein Menschenbrudergesicht, das strahlt und erlischt
und aus dem Gottes Herrlichkeit spricht. Das uns mitnimmt auf den
Berg der Verklärung und unter sein Kreuz, wie durch unser ganzes
Leben hindurch und noch viel weiter in seines: Umsonst ist der Tod?
Nein! Umsonst ist das Leben!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Paulus schreibt:
6 Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der
Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre
Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur
Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
7 Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die
überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.
8 Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht.
Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.
9 Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden
unterdrückt, aber wir kommen nicht um.
10 Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch
das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde. |