Liebe Leser, vergangene Woche war ich auf einer Studienreise in
Bosnien-Herzegowina, in einem Land, von dem viele nur vage
Vorstellungen haben. Wir sind mit dem Bus durch das ganze Land
gefahren, haben verschiedene Städte wie Banja Luka, Travnik,
Sarajevo und Mostar besucht. Die Landschaft war eindrucksvoll: enge
Schluchten, durch die sich Flüsse und schmale Straßen schlängeln.
Die Menschen waren offen, gastfreundlich und herzlich. Und doch war
ich zugleich erschüttert: Auf der Fahrt von Bihac nach Banja Luka
begleiten uns am Fahrbahnrand gelbe Schilder, die vor Minen warnen.
Mehrere Millionen von ihnen sind noch immer im Waldboden versteckt,
Wandern ist in manchen Gegenden unmöglich. Überlebende Minenopfer
sitzen in den Innenstädten am Straßenrand und bitten um ein paar
Münzen zum Überleben. Genauso wie unzählige weitere Kriegsversehrte.
Kaum eine Stadt oder ein Dorf, indem nicht Einschusslöcher von
Maschinengewehren oder zerstörte Häuser zu sehen sind. Der Krieg ist
seit 13 Jahren beendet, aber die Folgen begleiten einen in diesem
Land auf Schritt und Tritt. Welche tiefen Wunden die Menschen in
sich tragen ist nur schwer zu erahnen. Nicht anders muss es bei uns
nach dem zweiten Weltkrieg gewesen sein, die Alten können viel
erzählen.
War es in Deutschland der Größenwahn eines Adolf Hitler, so sind es
in Bosnien die verschiedenen Ethnien und Religionen, die das Land in
den Krieg brachten: Da sind die katholischen Kroaten, die sich gerne
an Kroatien orientieren wollen. Da sind die orthodoxen Serben, die
ein großserbisches Reich anstreben. Da sind die moslemischen
Bosnier, die ein vereintes Bosnien wollen, weil sie dort die
Mehrheit der Bevölkerung darstellen. Drei Ethnien, drei Konfessionen
und Religionen mit verschiedenen Interessen, ein Pulverfass auf dem
Balkan noch immer.
Ich spüre bei den Menschen in Bosnien eine Sehnsucht nach Ruhe und
Frieden. Die Bibel weiß davon, dass einmal ein Friede einziehen
wird, dass einmal der Himmel herabkommen wird und den Verkrüppelten
und Ermordeten, den Leidenden und Bedrückten Ruhe bringt. Der
Apostel Paulus schreibt davon in seinem 2. Brief an die Gemeinde in
Korinth: Predigttext.
Ich spüre Paulus eine große Sehnsucht nach der himmlischen Heimat
ab, in der alles besser sein wird: Das Sterbliche verschlungen vom
Leben. Paulus stellt die irdische Hütte der himmlischen Behausung
gegenüber. Die irdische Hütte ist gezeichnet von Beschwernissen. Der
Krieg und seine Schrecken, Krankheit und Leid, die eigene
Vergänglichkeit. Dinge, die den Menschen tief seufzen lassen.
Andererseits ist da die himmlische Behausung. Sie ist Leben, der
Ort, wo alle Tränen getrocknet, aller Jammer gestillt, alles Klagen
verwandelt sein wird. Dieses Haus ist von Gott gebaut und hat ewigen
Bestand. Paulus kann deshalb so überzeugt von diesem himmlischen
Haus reden, weil er weiß, dass Christus auferstanden ist, dass
Christus beim Vater ist, und uns entgegenkommt, um die Fülle des
Himmels zu bringen. Und das ist tröstlich: Denn diese Welt und die
anscheinend zum Frieden unfähige Menschheit sind vorläufig; sie
laufen dem voraus, der am Ende die Decke aus Blut und Gewalt, die
über der Menschengeschichte liegt, wegziehen wird.
Paulus fühlt sich nackt, nackt, weil er zwischen diesen beiden
Existenzweisen steht: Er weiß, dass die irdische Hütte ihre Gewalt
über ihn verloren hat, dass alles Leid und alle Weltverfallenheit
ihr Ende haben werden. Also fühlt er sich schon herausgehoben,
entkleidet von diesem Haus. Aber der Himmel ist noch nicht da,
Paulus ist noch nicht überkleidet mit der ewigen Behausung. Er steht
zwischen der irdischen Hütte und der himmlischen Behausung. Und doch
weiß er, dass er die Nacktheit nicht zu fürchten braucht. Denn die
himmlische Heimat kommt schon auf ihn und uns zu: Als Unterpfand für
das, was aussteht, hat Gott seinen Geist gegeben, schreibt der
Apostel. Der Geist ist Bürge für das himmlische Haus, er steht dafür
ein und lässt dessen Frieden erfahrbar werden. Der Geist ist die
Realität des Himmels in unserer Welt. Der Geist wirkt Frieden.
Ich möchte von drei solcher Wirkungen des Heiligen Geistes erzählen,
die ich auf meiner Reise durch Bosnien wahrgenommen habe, Wirkungen
des Geistes, in denen der ewige Bau Gottes aus dem Himmel schon
hereingebrochen ist in unsere Welt.
Zum Ersten: Wir trafen einen orthodoxen Priester in Banja Luka.
Gefragt, was seine Kirche tun könne, um zur Versöhnung beizutragen,
antwortete er: „Alles fängt damit an, dass ich über die anderen
Religionen oder Ethnien nichts Verletzendes sage oder schreibe.“
Recht hat er: Wenn ein Konflikt durch Worte geschürt wird, braucht
es nicht zu wundern, wenn früher oder später Gewalt entsteht. Und so
lehrt mich diese Antwort des Priesters, mich aller pauschalen
Urteile über eine andere Religion zu enthalten, denn vieles ist
differenzierter, als ich es wahrnehmen kann. Bei uns in Deutschland
wird das Zusammenleben mit türkischen Mitbürgern durch viele
Vorurteile, die man gegen den Islam hat, erschwert. Daraus entstehen
leicht Unfriede und Spannungen. Deshalb widerspreche ich, wenn einer
sagt: „Der Islam ist eine Religion der Gewalt, da unterdrücken sie
die Frauen und wollen an die Stelle des Grundgesetzes die Scharia
setzen.“ Es gibt immer solche und solche Muslime, und die meisten
integrieren sich in unsere rechtsstaatliche Ordnung. Und ich kenne
Türkinnen, die freiwillig und gerne ihr Kopftuch tragen. Das
Kopftuch ist keineswegs automatisch Zeichen der Unterdrückung. Dinge
differenziert wahrnehmen, und nicht pauschal über eine andere
Religion herziehen, das ist für mich so eine Wirkung des Geistes
Gottes, und das hat mir dieser Priester neu gezeigt. Und das führt
zu Frieden und Versöhnung.
Eine zweite Begegnung: Wir trafen den Mufti von Travnik, einen
islamischen Würdenträger, etwa vergleichbar einem christlichen
Bischof. Er bewirtete uns nett mit Kaffee und Saft. Und er erzählt,
wie er sich für Versöhnung stark macht: Im Krieg wurde eine
orthodoxe Kirche in Travnik schwer zerstört. Der Mufti predigt nun
nicht nur von Versöhnung, er sammelt auch offiziell Geld zum
Wiederaufbau der orthodoxen Kirche, er als Muslim. Ist das nicht
auch eine Wirkung des Heiligen Geistes? Und muss das nicht die unter
uns beschämen, die immer noch gegen Moscheen in Deutschland sind?
Haben denn die Muslime nicht das Recht, sich auch zum Gottesdienst
zu versammeln? Und genauso schließe ich mich der Forderung unseres
bayrischen Landesbischofs nach einem islamischen Religionsunterricht
in Deutschland an. Denn dadurch lernen die jungen Muslime ihren
Glauben besser kennen und reflektieren, und durch diesen schulischen
Unterricht wird einer Radikalisierung vorgebeugt. Moscheen und
islamischer Religionsunterricht tragen zur Versöhnung und zum
Frieden bei, weil sich dann auch die Muslime entfalten können und
sich nicht mehr abgrenzen müssen.
Ein drittes Erlebnis: Im Bosniakischen Institut in Sarajevo erklärt
uns unser Reiseleiter, der Herr Generalkonsul, dass ein Sultan im
Jahr 1463 das erste Mal von der Toleranz gesprochen hat und es
zuließ, dass die Christen und Juden in seinem Reich ihre
Gotteshäuser bauen und ihren Glauben leben durften. Nachdem er seine
Ausführungen beendet hatte, meldete sich die zierliche
Museumsführerin, eine junge Studentin, zu Wort: „Darf ich auch
einmal etwas sagen? Meiner Meinung nach geht die Toleranz ja schon
viel früher los, bei Mose, Jesus und Mohammed. Mohammed z.B. hat die
Christen und Juden in seinem Herrschaftsbereich beschützt und
diejenigen bestraft, die diesen Böses wollten. Der Ursprung eines
wertschätzenden Umgangs mit den anderen liegt bereits bei den
Uranfängen aller drei Religionen“.
Nach diesem tiefem geistlichen Kommentar war sogar der Herr
Generalkonsul platt, und wir alle spendeten ihr Beifall. Die junge
Studentin hat sich auf die Quellen der Religionen besonnen. Und für
mich wirkt da der Geist Gottes, wenn Menschen durch die
Rückbesinnung auf die Anfänge zum Frieden geführt werden, wenn
Christen auf Jesus blicken, der spricht: „Meinen Frieden gebe ich
euch.“. In diesem Frieden sollen wir leben. Sein Wort treibt zur
Versöhnung. Er hat sich allen Menschen unterschiedslos zugewendet.
In der Heiligen Schrift begegnet uns seine Grundhaltung, die
zugewandte Liebe, die unseren Umgang gerade auch mit dem Fremden
prägen sollte. Und hat nicht Gott uns durch den Tod seines Sohnes
mit sich versöhnt. Sollten wir da nicht diese Versöhnung leben und
weitergeben? Nichts desto trotz hat Jesus natürlich für eine
Beziehung zu seinem Gott, dem Schöpfer Himmels und der Erde
geworben, und auch uns gesandt, aller Welt Zeugnis vom Evangelium zu
bringen. Versöhnung leben einerseits und das Zeugnis weitergeben
andererseits widersprechen sich doch nicht, im Gegenteil: Wenn wir
Versöhnung leben, geben wir damit das beste Zeugnis für unseren
Glauben ab.
Ähnliche Grundhaltungen des Friedens finden sich auch in Islam und
besonders im Judentum. Religion kann in ihrer fanatischen Variante
zum Krieg führen. Religion hat aber vor allem auch das Potential,
die Verhältnisse positiv zu verwandeln. Dort wo Menschen die
Grundhaltungen ihrer Religion meditieren, die von Frieden und
Versöhnung Zeugnis ablegen, dort weht der Geist Gottes und führt zur
Versöhnung.
Drei Beispiele, wie die himmlische Behausung durch den Geist Gottes
schon jetzt in die irdische Hütte hereinbricht. Weil Paulus weiß,
dass Gottes Geist erfahrbar ist, ist er getrost, auch wenn er das
ewige Haus noch nicht unmittelbar gesehen hat. Er vertraut darauf,
dass Gott wirkt. Daher fürchtet er auch den Tod nicht, ja hat sogar
Lust, den Leib zu verlassen, weil er weiß, was auf ihn zukommt, das
Daheimsein beim Herrn. Und genau deswegen setzen er und seine
Gemeinde ihre Ehre darein, dass sie dem Herrn „wohlgefallen“. Das
Wissen um die göttliche Behausung, die Gegenwart des Geistes setzt
positive Kräfte frei und wirkt sich aus. Und deshalb hat Paulus auch
keine Angst vor dem Richterstuhl Gottes, von dem er schreibt.
Das Offenbarwerden vor dem Richterstuhl Gottes braucht uns nicht zu
verängstigen, da uns der Geist gegeben ist und uns zu Werken des
Friedens treibt. Aber das Offenbarwerden vor seinem Richterstuhl
rüttelt uns gleichzeitig wach, es uns nicht zu einfach zu machen;
uns selbst zu prüfen, ob wir auf Wegen des Geistes und des Friedens
gehen. Zeit dazu ist gerade am Ende des Kirchenjahres, das den Blick
auf das Widerkommen Christi zum Gericht und zur Erlösung richtet.
Gerade heute am Volkstrauertag ist Zeit innezuhalten, an die
Gefährdungen des Friedens zu denken, uns den Frieden Gottes
zusprechen zu lassen, der uns dazu bewegt, Boten des Friedens zu
sein. Der Volkstrauertag ist damit ein unverzichtbarer Tag des
Innehaltens, des Besinnens und der Neuorientierung im Jahreslauf.
„Wünsch dir was“, so das Motto des heutigen verkaufsoffenen
Volkstrauertags in der Stadt Hof. Ich schließe mich gerne dem Motto
an und wünsche mir zum Abschluss der Predigt etwas:
Ich wünsche mir, dass die Bürger unserer Stadt am Volkstrauertag der
Opfer von Krieg und Terror gedenken und den Frieden im eigenen Land
dankbar werden, dass sie für Frieden beten und nicht auch noch an
diesem Tag den Gesetzen des Marktes erliegen. Denn geht damit nicht
auch aller Respekt vor den Toten der Kriege verloren, wenn ich einen
Tag, der dem stillen Gedenken von Kriegsopfern gewidmet ist, mit
Jubel, Trubel, Heiterkeit und klingenden Münzen fülle?
Ich wünsche mir, dass es mehr Bürger wie meinen Nachbarn gibt, die
heute bewusst den verkaufsoffenen und damit den von der Stadt an die
Wirtschaft verkauften Volkstrauertag boykottieren, um ein Zeichen zu
setzen.
Ich wünsche mir, dass wir an Sonntagen Zeit zur Ruhe und für die
Familie finden, anstelle abgehetzt zu sein vom Einkaufsstress mit
vielleicht quengelnden Kindern, überladenen Tüten und endlosem
Warten vor dem Verkaufstresen.
Ich wünsche mir, dass wir aus den Schrecken der Kriege etwas für die
Zukunft lernen und respektvoll und in Liebe mit den Menschen anderer
Ethnien und Religionen umgehen.
Ich wünsche mir, dass allüberall „Güte und Treue einander begegnen,
Gerechtigkeit und Friede sich küssen“ (Psalm 85,11). Zu alledem
führe und helfe uns Gott durch seinen Heiligen Geist.
Vikar Jörg Mahler (Hospitalkirche
Hof) |
Text:
Paulus schreibt:
1 Denn wir wissen: wenn unser irdisches Haus,
diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott
erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel.
2 Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns danach, dass wir mit
unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet werden,
3 weil wir dann bekleidet und nicht nackt befunden werden.
4 Denn solange wir in dieser Hütte sind, seufzen wir und sind
beschwert, weil wir lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet
werden wollen, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem
Leben.
5 Der uns aber dazu bereitet hat, das ist Gott, der uns als
Unterpfand den Geist gegeben hat.
6 So sind wir denn allezeit getrost und wissen: solange wir im Leibe
wohnen, weilen wir fern von dem Herrn;
7 denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen.
8 Wir sind aber getrost und haben vielmehr Lust, den Leib zu
verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn.
9 Darum setzen wir auch unsre Ehre darein, ob wir daheim sind oder
in der Fremde, dass wir ihm wohlgefallen.
10 Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl
Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat
bei Lebzeiten, es sei gut oder böse. |