Predigt     2. Korinther 5/1-10     Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres    16.11.08

"Wünsch Dir was"
(von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

vergangene Woche war ich auf einer Studienreise in Bosnien-Herzegowina, in einem Land, von dem viele nur vage Vorstellungen haben. Wir sind mit dem Bus durch das ganze Land gefahren, haben verschiedene Städte wie Banja Luka, Travnik, Sarajevo und Mostar besucht. Die Landschaft war eindrucksvoll: enge Schluchten, durch die sich Flüsse und schmale Straßen schlängeln. Die Menschen waren offen, gastfreundlich und herzlich. Und doch war ich zugleich erschüttert: Auf der Fahrt von Bihac nach Banja Luka begleiten uns am Fahrbahnrand gelbe Schilder, die vor Minen warnen. Mehrere Millionen von ihnen sind noch immer im Waldboden versteckt, Wandern ist in manchen Gegenden unmöglich. Überlebende Minenopfer sitzen in den Innenstädten am Straßenrand und bitten um ein paar Münzen zum Überleben. Genauso wie unzählige weitere Kriegsversehrte. Kaum eine Stadt oder ein Dorf, indem nicht Einschusslöcher von Maschinengewehren oder zerstörte Häuser zu sehen sind. Der Krieg ist seit 13 Jahren beendet, aber die Folgen begleiten einen in diesem Land auf Schritt und Tritt. Welche tiefen Wunden die Menschen in sich tragen ist nur schwer zu erahnen. Nicht anders muss es bei uns nach dem zweiten Weltkrieg gewesen sein, die Alten können viel erzählen.

War es in Deutschland der Größenwahn eines Adolf Hitler, so sind es in Bosnien die verschiedenen Ethnien und Religionen, die das Land in den Krieg brachten: Da sind die katholischen Kroaten, die sich gerne an Kroatien orientieren wollen. Da sind die orthodoxen Serben, die ein großserbisches Reich anstreben. Da sind die moslemischen Bosnier, die ein vereintes Bosnien wollen, weil sie dort die Mehrheit der Bevölkerung darstellen. Drei Ethnien, drei Konfessionen und Religionen mit verschiedenen Interessen, ein Pulverfass auf dem Balkan noch immer.

Ich spüre bei den Menschen in Bosnien eine Sehnsucht nach Ruhe und Frieden. Die Bibel weiß davon, dass einmal ein Friede einziehen wird, dass einmal der Himmel herabkommen wird und den Verkrüppelten und Ermordeten, den Leidenden und Bedrückten Ruhe bringt. Der Apostel Paulus schreibt davon in seinem 2. Brief an die Gemeinde in Korinth: Predigttext.

Ich spüre Paulus eine große Sehnsucht nach der himmlischen Heimat ab, in der alles besser sein wird: Das Sterbliche verschlungen vom Leben. Paulus stellt die irdische Hütte der himmlischen Behausung gegenüber. Die irdische Hütte ist gezeichnet von Beschwernissen. Der Krieg und seine Schrecken, Krankheit und Leid, die eigene Vergänglichkeit. Dinge, die den Menschen tief seufzen lassen.

Andererseits ist da die himmlische Behausung. Sie ist Leben, der Ort, wo alle Tränen getrocknet, aller Jammer gestillt, alles Klagen verwandelt sein wird. Dieses Haus ist von Gott gebaut und hat ewigen Bestand. Paulus kann deshalb so überzeugt von diesem himmlischen Haus reden, weil er weiß, dass Christus auferstanden ist, dass Christus beim Vater ist, und uns entgegenkommt, um die Fülle des Himmels zu bringen. Und das ist tröstlich: Denn diese Welt und die anscheinend zum Frieden unfähige Menschheit sind vorläufig; sie laufen dem voraus, der am Ende die Decke aus Blut und Gewalt, die über der Menschengeschichte liegt, wegziehen wird.

Paulus fühlt sich nackt, nackt, weil er zwischen diesen beiden Existenzweisen steht: Er weiß, dass die irdische Hütte ihre Gewalt über ihn verloren hat, dass alles Leid und alle Weltverfallenheit ihr Ende haben werden. Also fühlt er sich schon herausgehoben, entkleidet von diesem Haus. Aber der Himmel ist noch nicht da, Paulus ist noch nicht überkleidet mit der ewigen Behausung. Er steht zwischen der irdischen Hütte und der himmlischen Behausung. Und doch weiß er, dass er die Nacktheit nicht zu fürchten braucht. Denn die himmlische Heimat kommt schon auf ihn und uns zu: Als Unterpfand für das, was aussteht, hat Gott seinen Geist gegeben, schreibt der Apostel. Der Geist ist Bürge für das himmlische Haus, er steht dafür ein und lässt dessen Frieden erfahrbar werden. Der Geist ist die Realität des Himmels in unserer Welt. Der Geist wirkt Frieden.

Ich möchte von drei solcher Wirkungen des Heiligen Geistes erzählen, die ich auf meiner Reise durch Bosnien wahrgenommen habe, Wirkungen des Geistes, in denen der ewige Bau Gottes aus dem Himmel schon hereingebrochen ist in unsere Welt.

Zum Ersten: Wir trafen einen orthodoxen Priester in Banja Luka. Gefragt, was seine Kirche tun könne, um zur Versöhnung beizutragen, antwortete er: „Alles fängt damit an, dass ich über die anderen Religionen oder Ethnien nichts Verletzendes sage oder schreibe.“ Recht hat er: Wenn ein Konflikt durch Worte geschürt wird, braucht es nicht zu wundern, wenn früher oder später Gewalt entsteht. Und so lehrt mich diese Antwort des Priesters, mich aller pauschalen Urteile über eine andere Religion zu enthalten, denn vieles ist differenzierter, als ich es wahrnehmen kann. Bei uns in Deutschland wird das Zusammenleben mit türkischen Mitbürgern durch viele Vorurteile, die man gegen den Islam hat, erschwert. Daraus entstehen leicht Unfriede und Spannungen. Deshalb widerspreche ich, wenn einer sagt: „Der Islam ist eine Religion der Gewalt, da unterdrücken sie die Frauen und wollen an die Stelle des Grundgesetzes die Scharia setzen.“ Es gibt immer solche und solche Muslime, und die meisten integrieren sich in unsere rechtsstaatliche Ordnung. Und ich kenne Türkinnen, die freiwillig und gerne ihr Kopftuch tragen. Das Kopftuch ist keineswegs automatisch Zeichen der Unterdrückung. Dinge differenziert wahrnehmen, und nicht pauschal über eine andere Religion herziehen, das ist für mich so eine Wirkung des Geistes Gottes, und das hat mir dieser Priester neu gezeigt. Und das führt zu Frieden und Versöhnung.

Eine zweite Begegnung: Wir trafen den Mufti von Travnik, einen islamischen Würdenträger, etwa vergleichbar einem christlichen Bischof. Er bewirtete uns nett mit Kaffee und Saft. Und er erzählt, wie er sich für Versöhnung stark macht: Im Krieg wurde eine orthodoxe Kirche in Travnik schwer zerstört. Der Mufti predigt nun nicht nur von Versöhnung, er sammelt auch offiziell Geld zum Wiederaufbau der orthodoxen Kirche, er als Muslim. Ist das nicht auch eine Wirkung des Heiligen Geistes? Und muss das nicht die unter uns beschämen, die immer noch gegen Moscheen in Deutschland sind? Haben denn die Muslime nicht das Recht, sich auch zum Gottesdienst zu versammeln? Und genauso schließe ich mich der Forderung unseres bayrischen Landesbischofs nach einem islamischen Religionsunterricht in Deutschland an. Denn dadurch lernen die jungen Muslime ihren Glauben besser kennen und reflektieren, und durch diesen schulischen Unterricht wird einer Radikalisierung vorgebeugt. Moscheen und islamischer Religionsunterricht tragen zur Versöhnung und zum Frieden bei, weil sich dann auch die Muslime entfalten können und sich nicht mehr abgrenzen müssen.

Ein drittes Erlebnis: Im Bosniakischen Institut in Sarajevo erklärt uns unser Reiseleiter, der Herr Generalkonsul, dass ein Sultan im Jahr 1463 das erste Mal von der Toleranz gesprochen hat und es zuließ, dass die Christen und Juden in seinem Reich ihre Gotteshäuser bauen und ihren Glauben leben durften. Nachdem er seine Ausführungen beendet hatte, meldete sich die zierliche Museumsführerin, eine junge Studentin, zu Wort: „Darf ich auch einmal etwas sagen? Meiner Meinung nach geht die Toleranz ja schon viel früher los, bei Mose, Jesus und Mohammed. Mohammed z.B. hat die Christen und Juden in seinem Herrschaftsbereich beschützt und diejenigen bestraft, die diesen Böses wollten. Der Ursprung eines wertschätzenden Umgangs mit den anderen liegt bereits bei den Uranfängen aller drei Religionen“.

Nach diesem tiefem geistlichen Kommentar war sogar der Herr Generalkonsul platt, und wir alle spendeten ihr Beifall. Die junge Studentin hat sich auf die Quellen der Religionen besonnen. Und für mich wirkt da der Geist Gottes, wenn Menschen durch die Rückbesinnung auf die Anfänge zum Frieden geführt werden, wenn Christen auf Jesus blicken, der spricht: „Meinen Frieden gebe ich euch.“. In diesem Frieden sollen wir leben. Sein Wort treibt zur Versöhnung. Er hat sich allen Menschen unterschiedslos zugewendet. In der Heiligen Schrift begegnet uns seine Grundhaltung, die zugewandte Liebe, die unseren Umgang gerade auch mit dem Fremden prägen sollte. Und hat nicht Gott uns durch den Tod seines Sohnes mit sich versöhnt. Sollten wir da nicht diese Versöhnung leben und weitergeben? Nichts desto trotz hat Jesus natürlich für eine Beziehung zu seinem Gott, dem Schöpfer Himmels und der Erde geworben, und auch uns gesandt, aller Welt Zeugnis vom Evangelium zu bringen. Versöhnung leben einerseits und das Zeugnis weitergeben andererseits widersprechen sich doch nicht, im Gegenteil: Wenn wir Versöhnung leben, geben wir damit das beste Zeugnis für unseren Glauben ab.

Ähnliche Grundhaltungen des Friedens finden sich auch in Islam und besonders im Judentum. Religion kann in ihrer fanatischen Variante zum Krieg führen. Religion hat aber vor allem auch das Potential, die Verhältnisse positiv zu verwandeln. Dort wo Menschen die Grundhaltungen ihrer Religion meditieren, die von Frieden und Versöhnung Zeugnis ablegen, dort weht der Geist Gottes und führt zur Versöhnung.

Drei Beispiele, wie die himmlische Behausung durch den Geist Gottes schon jetzt in die irdische Hütte hereinbricht. Weil Paulus weiß, dass Gottes Geist erfahrbar ist, ist er getrost, auch wenn er das ewige Haus noch nicht unmittelbar gesehen hat. Er vertraut darauf, dass Gott wirkt. Daher fürchtet er auch den Tod nicht, ja hat sogar Lust, den Leib zu verlassen, weil er weiß, was auf ihn zukommt, das Daheimsein beim Herrn. Und genau deswegen setzen er und seine Gemeinde ihre Ehre darein, dass sie dem Herrn „wohlgefallen“. Das Wissen um die göttliche Behausung, die Gegenwart des Geistes setzt positive Kräfte frei und wirkt sich aus. Und deshalb hat Paulus auch keine Angst vor dem Richterstuhl Gottes, von dem er schreibt.

Das Offenbarwerden vor dem Richterstuhl Gottes braucht uns nicht zu verängstigen, da uns der Geist gegeben ist und uns zu Werken des Friedens treibt. Aber das Offenbarwerden vor seinem Richterstuhl rüttelt uns gleichzeitig wach, es uns nicht zu einfach zu machen; uns selbst zu prüfen, ob wir auf Wegen des Geistes und des Friedens gehen. Zeit dazu ist gerade am Ende des Kirchenjahres, das den Blick auf das Widerkommen Christi zum Gericht und zur Erlösung richtet. Gerade heute am Volkstrauertag ist Zeit innezuhalten, an die Gefährdungen des Friedens zu denken, uns den Frieden Gottes zusprechen zu lassen, der uns dazu bewegt, Boten des Friedens zu sein. Der Volkstrauertag ist damit ein unverzichtbarer Tag des Innehaltens, des Besinnens und der Neuorientierung im Jahreslauf.

„Wünsch dir was“, so das Motto des heutigen verkaufsoffenen Volkstrauertags in der Stadt Hof. Ich schließe mich gerne dem Motto an und wünsche mir zum Abschluss der Predigt etwas:

Ich wünsche mir, dass die Bürger unserer Stadt am Volkstrauertag der Opfer von Krieg und Terror gedenken und den Frieden im eigenen Land dankbar werden, dass sie für Frieden beten und nicht auch noch an diesem Tag den Gesetzen des Marktes erliegen. Denn geht damit nicht auch aller Respekt vor den Toten der Kriege verloren, wenn ich einen Tag, der dem stillen Gedenken von Kriegsopfern gewidmet ist, mit Jubel, Trubel, Heiterkeit und klingenden Münzen fülle?

Ich wünsche mir, dass es mehr Bürger wie meinen Nachbarn gibt, die heute bewusst den verkaufsoffenen und damit den von der Stadt an die Wirtschaft verkauften Volkstrauertag boykottieren, um ein Zeichen zu setzen.

Ich wünsche mir, dass wir an Sonntagen Zeit zur Ruhe und für die Familie finden, anstelle abgehetzt zu sein vom Einkaufsstress mit vielleicht quengelnden Kindern, überladenen Tüten und endlosem Warten vor dem Verkaufstresen.

Ich wünsche mir, dass wir aus den Schrecken der Kriege etwas für die Zukunft lernen und respektvoll und in Liebe mit den Menschen anderer Ethnien und Religionen umgehen.

Ich wünsche mir, dass allüberall „Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen“ (Psalm 85,11). Zu alledem führe und helfe uns Gott durch seinen Heiligen Geist.

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)

Text:

Paulus schreibt:

1 Denn wir wissen: wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel.
2 Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns danach, dass wir mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet werden,
3 weil wir dann bekleidet und nicht nackt befunden werden.
4 Denn solange wir in dieser Hütte sind, seufzen wir und sind beschwert, weil wir lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden wollen, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben.
5 Der uns aber dazu bereitet hat, das ist Gott, der uns als Unterpfand den Geist gegeben hat.
6 So sind wir denn allezeit getrost und wissen: solange wir im Leibe wohnen, weilen wir fern von dem Herrn;
7 denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen.
8 Wir sind aber getrost und haben vielmehr Lust, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn.
9 Darum setzen wir auch unsre Ehre darein, ob wir daheim sind oder in der Fremde, dass wir ihm wohlgefallen.
10 Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut oder böse.


Archiv
Homepage Hospitalkirche