Liebe Leser, als
glaubwürdig bezeichnen wir einen Menschen, dessen Reden und Handeln
übereinstimmt. Und die Vorwürfe und Verdächtigungen, mit denen sich
der Gründervater der Gemeinde in Korinth, Paulus, konfrontiert sah,
waren nicht von Pappe. Er würde mit dem Wort Gottes Geschäfte machen
(2,7), sich selbst in den Mittelpunkt stellen (3,1), sei als Diener
Gottes unfähig (3,5), arbeite mit List und Heimlichkeit und
verfälsche Gottes Wort (4,2). Noch heute kann man in Vorträgen der
Erwachsenenbildung hören, Paulus habe aus Jesus jemanden gemacht,
der er in Wirklichkeit gar nicht war. Da sind wir dann schnell
informiert, über wen wir uns in Zukunft nicht mehr informieren
müssen. Ja, man verdächtigte ihn damals sogar, einen Teil der
Kollekte für die notleidende Gemeinde in Jerusalem unterschlagen zu
haben. Paulus stand in der Ecke, in der ihn seine Gegner haben
wollten. Längst gab es in dieser bunten und vielfältigen Gemeinde in
Korinth christliche Lehrer, wie einen gewissen Apollos, die ihr
Klientel, ihre Zielgruppe, ihre Fans besser bedienen konnten, die
von Mitgliederorientierung wesentlich mehr verstanden als Paulus.
Nicht wenige hatten sich daher schon einmal in dessen
Seelsorgebezirk umgemeinden lassen, um nicht länger mit diesem
Paulus in einen Topf geworfen zu werden. Man möchte halt lieber zu
den Guten, oder gleich zu den Besten gehören.
Glaubwürdigkeit ist ein Begriff, der auch bei uns Hochkonjunktur
hat. Nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Politik. Dabei
wird auf der einen Seite die Glaubwürdigkeitsspirale immer höher und
höher gedreht. Martin Schulz kann einem schon leidtun. Was hat sich
dieser Politiker, der sich mit Herzblut für Frieden, Freiheit und
Gerechtigkeit einsetzt, zuschulden kommen lassen, das ihn vom
Präsidenten des Europäischen Parlaments ins politische Aus befördert
hat?
Auf der anderen Seite wird die Messlatte für Glaubwürdigkeit im
alltäglichen Leben so niedrig gehängt, dass kaum mehr einer darüber
stolpern muss. Gefragt sind Pünktlichkeit, Ordnung, Fleiß,
Zuverlässigkeit, Loyalität gegenüber denen, von denen man in
irgendeiner Weise abhängig ist; lauter Sekundärtugenden, gegen die
nichts zu sagen wäre, wenn sich die Frage nach dem rechten Tun nicht
darin erschöpfen würde. Leider ist das aber oft so. Der Rest ist
Privatsache. Und um gar nicht erst in Verlegenheit zu kommen in
punkto Übereinstimmung des eigenen Redens und Handelns, lässt man
das Reden und hält lieber brav den Mund. Dann kann einem auch keiner
nachweisen, dass man meistens ziemlich schamlos andere nach
Maßstäben beurteilt, denen man selbst gar nicht genügen kann und
will. Der ewige Tanz um die Glaubwürdigkeit schadet nicht nur denen
da oben, sondern uns allen. Die Spirale der Glaubwürdigkeit muss uns
selbst irgendwann vom Sockel stürzen und mundtot machen.
Nun hätte Paulus freilich die Vorwürfe seiner Gegner als Fake News
bezeichnen und Punkt für Punkt entkräften können. Er hätte sie wegen
übler Nachrede und Beleidigung anzeigen können. Er hätte anführen
können, dass er in dieser und jener Situation gar nicht anders hätte
handeln können und dass alles zum Besten aller Beteiligten und
deshalb auch christlich im Sinne einer höheren Moral, z.B. der
Liebe, gewesen wäre. Er hätte schließlich darauf verweisen können,
dass er der echte Apostel ist und seine Gegner nicht, und dass hier
zu gelten hat, dass der Ober den Unter sticht. Basta! Ende der
Diskussion. Er hätte die Vorwürfe klein reden können, indem er seine
überaus großen Erfolge ins Feld geführt hätte. Hierfür hätte er
entsprechende Berichte aus den Medien zitieren können, sogar aus der
Bibel. Er hätte schließlich, wenn all das nichts geholfen hätte, mit
tränenerfülltem Dackelblick und erstickter Stimme sagen können: Ja,
ich habe einen Fehler gemacht. Keiner ist vollkommen. Aber ich bin
doch euer lieber und guter Apostel Paulus.
All das bisher Geschilderte sind beliebte Spiele unsrer menschlichen
Gesellschaft und werden auch in der Kirche gerne gespielt. Sie haben
mit dem Glauben nicht das Geringste zu tun. Sie kreisen um den
Menschen und seine eigene Glaubwürdigkeit. In diesen Tagen heißt die
Frage in der Gesellschaft: Welche Menschen in der Regierung unsres
Staates sind unsres Glaubens noch würdig? Und in der Kirche lautet
die Frage: Welcher Mensch an der Spitze unserer Gemeinde und unserer
Kirche ist unsres Glaubens würdig, glaubwürdig eben?
Paulus lässt sich auf diese Frage gar nicht ein. An seinen Freund
Timotheus schreibt er freimütig, dass er früher ein Lästerer und ein
Verfolger und ein Frevler war. Und dann wörtlich: „Aber das ist
gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus
in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen
ich der erste bin.“ (1. Timotheus 1,13 ff) Paulus hat seine eigene
Glaubwürdigkeit längst hinter sich, wie jeder andere Mensch auch, ob
er das nun weiß oder nicht. Kein Mensch ist des Glaubens eines
anderen Menschen würdig. Das ist Christus allein, der die Sünder
selig macht.
Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des
Heils! Wo immer Christus gepredigt wird, geht das Evangelium wie ein
„fahrender Platzregen“ – so Martin Luther – über uns hinweg. Das ist
die Chance unsere Herzen zum ihm zu bekehren und uns aus dem ewigen
Wahlkampf dieser Welt um die eigene Glaubwürdigkeit zu
verabschieden. Dass die Gegner des Paulus und auch wir immer wieder
genau davon auch in der Kirche nicht lassen können, lässt Paulus die
Frage stellen, die die Existenzberechtigung der Kirche überhaupt
berührt. Denn eine Kirche, die den Wahlkampf dieser Welt um die
Glaubwürdigkeit von Menschen einfach nur mit christlichen
Wertvorstellungen weiterführt und also nichts anderes ist als das
Alte und Hergebrachte in christlicher Gestalt, ist eine Kirche, die
keiner braucht. Sie verbreitet statt des Evangeliums eben auch nur
den Terror der Tugend.
Paulus fragt deshalb angesichts der Zustände in Korinth die
Mitarbeiter Gottes, als die er seine Gegner immer noch ansieht, ob
sie die Gnade Gottes wohl vergeblich empfangen hätten. Ob der
Platzregen des Evangeliums von Jesus Christus sie nicht wenigstens
ein bisschen nass gemacht hätte, oder
an ihnen einfach so abgeperlt sei. Dieser Frage kann man nicht
ausweichen: Steht ihr, die ihr meine Glaubwürdigkeit in Zweifel
zieht, in der Gnade Gottes oder seid ihr immer noch Menschen von
eigenen Gnaden. „Denn wenn der eine sagt: Ich gehöre zu Paulus, der
andere aber: Ich zu Apollos, ist das nicht nach Menschenweise
geredet?“ (1. Korinther 3,2) „Ihr gehört zu Christus, Christus aber
zu Gott.“ (3,23) So gilt für Paulus: „Ich lebe, doch nun nicht ich,
sondern Christus lebt in mir.“ (Galater 2,20)
Und dann erzählt Paulus sein Leben als das eines Menschen, in dem
Christus lebt. Es ist nichts für Leute, die auf Beschaulichkeit
wertlegen. Aber wer will das schon? Paulus schildert ein Leben, wie
eine Achterbahnfahrt. Dem Christenmenschen bleibt nichts
Menschliches fremd. Die Kenner der Philosophie werden in der
Aufzählung des Paulus die Sprachmelodie der Stoiker hören, die durch
Dick und Dünn mit der berühmten stoischen Gelassenheit navigieren
und ein so dickes Fell haben, dass nichts ihren innersten Kern
erschüttern kann. Vom Christenleben gilt etwas anderes: Es macht
sogar glücklich und es tut sogar weh.
Und das hat seinen einfachen Grund darin, dass das Christenleben
Anteil bekommt an der Geschichte des Christus. Oder sagen wir es
umgekehrt: Das hat seinen einfachen Grund darin, dass die Geschichte
des Christus Anteil an unsrem Leben gewinnt – bis sie es ganz
ausfüllt und nach Hause bringt. Dem Christus bleibt nichts an uns
fremd. Und woran sehen wir das deutlicher, als an der Geschichte
seines Leidens und Sterbens. Wer so mit uns geht, durch Himmel und
Hölle, der – und nur der allein – ist unsres Glaubens würdig.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
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Die Predigt zum Hören
Text:
Paulus schreibt:
1 Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich
die Gnade Gottes empfangt.
2 Denn er spricht (Jesaja 49,8): „Ich habe dich zur willkommenen
Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.“ Siehe, jetzt
ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!
3 Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst
nicht verlästert werde;
4 sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer
Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten,
5 in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im
Fasten,
6 in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im
Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe,
7 in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der
Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken,
8 in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als
Verführer und doch wahrhaftig;
9 als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und
siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet;
10 als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber
die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles
haben.
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