Liebe Leser,
„Das Glück hielt zwei Tage. Dann blieb der (Börsenindex)
Dax ächzend hängen. Dann rasselte er abwärts. Zunächst dachte ich, er
wollte nur schnell noch ein paar andere Feiglinge einsammeln. Doch nun
hielt er überhaupt nicht mehr an. Er wollte nur runter. Das Tageslicht
verschwand, und ich saß festgeschnallt im Express nach unten, hinab in
den siebten Kreis der Hölle. ...
Bis dahin sollte man sich rund tausend mal gefragt haben: Warum bin ich
Idiot nicht zwei Jahre früher eingestiegen und zwei Wochen früher
ausgestiegen, und dann sollte man sich zutiefst für diesen Fehler
verachten.
Es sind Tage der Selbstbegegnung. Du hast deine Gefühle unter dem
Vergrößerungsglas. Schau sie dir genau an: Gier, Neid, Schadenfreude,
Hass, Angst, Panik, alles gute alte Bekannte, von denen du nie etwas
wissen wolltest und die jetzt mit dir qualmend auf der Sofakante sitzen
und n-tv gucken.
Es gibt ein paar eiserne Regeln, um hier unten in der Börsenhölle zu
überleben. Erstens: Nimm nie das Telefon vor acht Uhr morgens ab, denn
es könnte dein Sohn Kai sein der dir rät, jetzt in thailändische Banken
zu investieren.
Zweitens: Nimm auch später nicht das Telefon ab. Es ist
Zeitverschwendung. Man meldet sich selbstvergessen mit "Mannesmann",
stammelt Entschuldigungen, und es gibt ohnehin nichts, absolut nichts,
das wichtiger sein könnte als der Kurs deiner LHS-Aktie.
Drittens: Bitte deine Ehefrau, die Batterien in der Fernbedienung zu
ersetzen, bevor sie die Wohnung verlässt, um mit Kind und Kegel zur
Mutter zu ziehen. Soviel Zeit muss sein.
Viertens: Meide den Umgang mit aktienlosen Freunden, die du wegen ihrer
nackten, blöden Aktienlosigkeit früher offen verhöhnt hast.
Fünftens: Wenn ein Experte künftig über einen Wert am Neuen Markt die
Wendung gebraucht, "da ist Phantasie drin", mach es wie Odysseus: Wachs
in die Ohren, am Mast festbinden, Kreditkarte verbrennen, Selbstsperre
für Wall Street, Frankfurt und Tokio.“
So beschreibt der Matthias Matussek in seinem Buch „Wir Deutschen“ einen
Kleinanleger und überschreibt das ganze mit der lapidaren Überschrift:
„Erschieß dich“. (Fischer 2006, S. 291 ff.) Das Lachen allerdings bleibt
im Hals stecken über diesen Menschen, der arm dran ist und am Rande des
Wahnsinns und der sozialen Verelendung dahinschrammt. Denn vielleicht
lachen wir da über uns selbst.
Zum Erntedankfest sind wir alle Jahre schlecht gerüstet. Und selbst wenn
wir alle schlechten und bedrohlichen Nachrichten und unsere ganz
persönlichen Sorgen beiseite schieben können, dann stehen wir uns noch
selbst im Weg, mitsamt unseren guten alten Bekannten: Gier, Neid,
Schadenfreude, Hass und Angst. Wer wollte da schon bloß dankbar sein,
für den Menschen, der man selber ist?
Haben wir dann noch Nerven, wenn Paulus uns heute auch noch vom
fröhlichen Geber spricht, den Gott lieb hat? Ist das nicht jemand aus
der Augsburger Puppenkiste? Wir kennen vielleicht den herablassenden
Gönner, den doofen weil ehrlichen Steuerzahler, den Geber für das ruhige
Gewissen, den skrupulösen Hosenknopfspender, den zähneknirschenden
Solidaritätszuschlagszahler, den zerstreut- spontanen Mitleider, den
schnell genervten Kirchensteuerzahler, die gemeinnützig und steuerlich
absetzbar organisierten Besserverdiener, aber den fröhlichen Geber?
Wenn wir ihn nicht mehr kennen, den fröhlichen Geber, dann stellt ihn
Paulus uns heute vor: Ladies und Gentlemen, Gott selbst.
Wie in einer rasenden Fahrt holt Paulus uns weg von der Sofakante, weg
von dieser Kirchenbank und hinauf in den Himmel über unserer Stadt und
allem weiten Land, mit Wäldern und Feldern und weiter hinaus am Mond
vorbei, den Planeten und Sternen, und weiter an Milliarden Galaxien
vorbei bis an den Anfang und ans Ende der Zeit und weiter bis ins Herz
Gottes hinein.
Bis ins Herz des großen Lebensspenders und Arbeitgebers aller seiner
Geschöpfe. Wie geschrieben steht (Psalm 112,9): »Er hat ausgestreut und
den Armen gegeben; seine Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit.« Nicht aus
Zwang oder Unwillen, sondern wie er sich’s im Herzen vorgenommen hat und
– wer weiß – vielleicht ein gewaltiges, fröhliches Liedchen pfeifend.
Je weiter die Wissenschaft uns in die Horizonte der Schöpfung im Größten
und im Kleinsten blicken lässt, desto größer muss unser Staunen werden.
Und vielleicht haben wir selbst schon Noten aus dem Lied des großen
Gebers gehört, wenn ein Kind das Licht der Welt erblickt, so wie wir das
einmal durften, oder im Tanz eines glücklichen Augenblicks, wenn uns das
Am-Leben-Sein lustvoll schmerzt. Und wir bestürzt auf uns selbst
herabschauen, wie auf ein Wunder.
Und dann merken wir. Nicht der große Geber und Erhalter unseres Lebens
ist die Illusion, die Figur aus der Puppenkiste. Wir selbst sitzen oft
in solchen Puppenkisten wie traurige Witzfiguren, auf der Sofakante mit
all unseren alten Bekannten, angstgesteuert und verzagt, den anderen auf
die Nerven fallend und uns selbst eine Last. Menschlich ist das - und
doch zugleich eine lähmende Krankheit für uns und unsere ganze
Gesellschaft. Geheilt wird sie nicht, wenn wir Ruckreden schwingen.
Paulus empfiehlt uns immer wieder einmal die Perspektive zu wechseln.
Uns mit den Augen des großen Gebers zu sehen und uns zu begreifen als
das, was wir sind: Seine unverdiente und unverdienbare Gabe für uns
selbst und – Paulus macht noch einen Schritt – Gottes unverdienbare Gabe
für andere.
Schenken wir uns, was jedes Kind weiß: Dass sich das Leben zu Wasser und
zu Land in Lebensgemeinschaften vollzieht in der alle auf alle
angewiesen sind, oder untergehen. Schenken wir uns, was jedes Kind weiß:
Dass auch eine menschliche Gesellschaft, ja auch die menschliche
Weltgesellschaft nicht florieren kann, wenn einige ihrer Teile ins Elend
fallen.
Wir wissen es alle im Herzen: Dass es nicht nur Momente gibt, wo wir
bestürzt auf uns selbst herabschauen, wie auf ein Wunder; sondern
Momente, wo wir auf einen anderen schauen, wie auf ein Wunder. Die
Liebenden tun es, und der, dem in der Not ein Freund zur Hilfe kommt.
Flüchtlinge tun es, die Aufnahme und neue Heimat finden. Hungernde tun
es, die aus der Ferne Brot erhalten. Unsere Kinder tun es, wenn wir sie
lehren auf eigenen Füßen zu stehen. Und die meisten sagen auch Danke.
Und wir dürfen das auch tun. Natürlich auch zum Erntedankfest.
Denn dieses Danke, kann auch aus dem griesgrämigen Geber einen
fröhlichen machen. Und natürlich dürfen wir uns auch selbst in diesem
Dank wiederfinden, uns als Geschenk begreifen für einen andern, ja als
Gottes Geschenk für einen andern. Denn der Dienst hilft nicht allein dem
Mangel anderer ab, sondern wirkt auch überschwänglich darin, dass viele
Gott danken.
Heiner Geißler hat einmal gesagt: Wir haben uns zulange einer Politik
verschrieben, die von Egoismus und Besitzstandswahrung geprägt war. Wir
haben dadurch auch Schaden genommen an unserer Seele.
Wir alle haben Schaden genommen an unserer Seele! Wir haben vergessen,
dass wir nicht unser eigener Schöpfer sind und nicht nur wir selbst
Anrecht auf Zukunft haben, sondern auch der neben uns und die Welt um
uns her und die künftigen Generationen. Denn Gottes Gabe sind wir, für
uns und für andere.
Fröhliche Nehmer, die fröhliche Geber werden.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de)
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Text:
Paulus schreibt:
9,6 Ich meine aber dies: Wer
da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen,
der wird auch ernten im Segen.
9,7 Ein jeder, wie er's sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit
Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.
9,8 Gott aber kann machen, dass alle Gnade unter euch reichlich sei,
damit ihr in allen Dingen allezeit volle Genüge habt und noch reich seid
zu jedem guten Werk;
9,9 wie geschrieben steht (Psalm 112,9): »Er hat ausgestreut und den
Armen gegeben; seine Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit.«
9,10 Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wird auch
euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer
Gerechtigkeit.
9,11 So werdet ihr reich sein in allen Dingen, zu geben in aller
Einfalt, die durch uns wirkt Danksagung an Gott.
9,12 Denn der Dienst dieser Sammlung hilft nicht allein dem Mangel der
Heiligen ab, sondern wirkt auch überschwänglich darin, dass viele Gott
danken.
9,13 Denn für diesen treuen Dienst preisen sie Gott über eurem Gehorsam
im Bekenntnis zum Evangelium Christi und über der Einfalt eurer
Gemeinschaft mit ihnen und allen.
9,14 Und in ihrem Gebet für euch sehnen sie sich nach euch wegen der
überschwänglichen Gnade Gottes bei euch.
9,15 Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche
Gabe!
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