Liebe Leser,
„Zu den Namen, die das Kind oder der Einwanderer erlernen muss,
gehören auch die Namen, mit denen die Götter im Lande angerufen und
ausgerufen werden. Für den Zuwanderer sind sie nicht leicht
auszumachen, wechseln ihre Namen doch manchmal häufiger, als der
Neuling sein Hemd. Untrüglich erkennt er sie jedoch daran, dass
ihnen Opfer dargebracht werden - Opfer an Geld und Gut, Opfer an
Leib und Leben. ... Überall dort, so lernt der Zugereiste, wo Namen
herhalten müssen, um Unbegründbares zu begründen, Sinnloses mit Sinn
zu versehen, Widersprüchliches auf einen Nenner zu bringen,
Katastrophen schönzureden, liegt der Verdacht nahe, dass er es hier
mit Gottheiten des Landes zu tun bekommt. Wenn er - zum Beispiel nur
- kopfschüttelnd den Blechstau betrachtet, der die Wege im Lande
blockiert, und wenn er dann aus verantwortlichem Munde vernimmt,
solches sei nötig und sinnvoll im Interesse von (Arbeit und)
Wohlstand, Mobilität und Freiheit, so weiß er, dass sich unter
diesen Namen die Gottheit zeigt und verbirgt, der (auch) er sein
Rauchopfer darzubringen hat.“ (Karl-Heinrich Bieritz, GPM 1996/2,
Heft 3, S. 276) Dann wird der Gott der Arbeit und des Wohlstands,
der Mobilität und der Freiheit auch mit ihm sein.
Damit ist die Frontlinie markiert, an der wir heute über das Wesen
Gottes nachzudenken haben. Manchmal muss man einen Schritt
zurücktreten, sich die Augen eines Kindes oder eines Fremden leihen,
damit sich die eigene Welt einmal bis zur Kenntlichkeit entstellt.
Es ist ja einfach nicht wahr, dass wir modernen Menschen immer
weniger oder gar nichts glauben. Wer politische Diskussionen
verfolgt, hört in jedem zweiten Satz ein Glaubensbekenntnis. Glauben
sie uns, so tönt es aus allen politischen Richtungen. So glauben
wir’s denn, oder auch nicht. Aber lieber glauben wir’s, bevor wir
selbst dran glauben müssen. Martin Luther hat einmal gesagt: Woran
du dein Herz hängst, das ist eigentlich dein Gott. Und deshalb haben
wir heute auch darüber nachzudenken, auf was wir uns verlassen, wem
wir uns anvertrauen, wem wir dienen und was uns heilig ist.
Es ist eines der großen Probleme unserer Zeit, dass wir uns darüber
so wenig Rechenschaft geben. Dass wir uns für freie, aufgeklärte,
wissenschaftlich denkende Menschen halten, und dennoch unsere
Glaubenssätze haben, ohne dass wir darüber reden und ohne dass wir
uns dessen bewusst sind. Da macht z.B. der letzte Spiegel mit einer
Titelgeschichte auf, in der unter der Frage: Ist da jemand? die
Behauptung aufgestellt wird, die Zukunft der Religion sei Glaube
ohne Gott. Langjährige Spiegelleser mögen diesen Artikel für einen
Fortschritt halten. Denn in ihm werden nicht länger nur die
Zumutungen des christlichen Glaubens an den menschlichen Verstand
aufgelistet und sie werden auch nicht mehr lächerlich gemacht. Es
wird endlich auch einmal die Alternative benannt. Was ist denn, wenn
unser Kosmos und unsere Existenz wirklich keinen Grund und keinen
Sinn haben? Wenn alles – wie Jean Paul das in seiner berühmten Rede
des toten Christus genannt hat – auf einem „wahnsinnigen Zufall“
beruht? Dann ist die gottlose Welt nämlich auch und zwar total
irrational und auch das menschliche Zusammenleben muss früher oder
später im Chaos enden. So, wie die großen atheistischen Utopien des
Kommunismus und des Nationalsozialismus im letzten Jahrhundert im
unmenschlichen Chaos endeten. Der atheistische Fundamentalismus, der
den Menschen zum Gott erhebt und der religiöse Fundamentalismus, in
dem sich Menschen an Gottes Stelle setzen, sind zwei Seiten einer
Medaille; gleich grausam, gleich unmenschlich, gleich zerstörerisch.
Dabei wissen wir doch, dass unsere Erde ein einziges großes
Lebenssystem ist. Alles hängt mit allem zusammen. In diesem großen
Lebenssystem gibt es Untersysteme, die wir Ökosysteme nennen. Auch
wir Menschen stehen diesem Lebenssystem nicht gegenüber, sondern wir
sind mittendrin. Wenn wir diese Lebenssysteme im Großen oder Kleinen
stören oder gar zerstören, trifft es früher oder später alle. Das
weiß heute jedes Kind. Dem entspricht, dass der Gott, von dem Paulus
spricht, dass der Gott, den die Bibel predigt, selbst eine
Lebensgemeinschaft ist. Das ist das Geheimnis der Trinität, der
Dreieinigkeit Gottes. Der eine Gott lebt als Gemeinschaft von Vater
und Sohn, verbunden durch das Band der Liebe, dem Heiligen Geist.
Es ist deshalb kein Zufall, dass auch Gottes Schöpfung auf
Lebensgemeinschaft angelegt und festgelegt ist; dass die
Gottesebenbildlichkeit des Menschen nicht in seinem aufrechten Gang
besteht, sondern darin, dass er fähig ist, selbst liebevolle
Beziehungen zu seinesgleichen und seinen Mitgeschöpfen zu haben. Es
ist kein Zufall, dass der Erlöser Jesus Christus, Menschen aus
Isolation durch Krankheit und Schuld herausführt und in neue
lebendige Gemeinschaft mit Gott bringt. Es ist kein Zufall, dass der
Heilige Geist an Pfingsten Menschen durch das Evangelium beruft,
sammelt, erleuchtet und heiligt. Es ist kein Zufall, dass Kirche
familia dei, Familie Gottes sein soll und ist. Ein Leib, viele
Glieder. Jedes hängt mit jedem zusammen. Nichts ist überflüssig.
Darum: Habt einerlei Sinn, seid friedsam. So wird der Gott des
Friedens mit euch sein. Grüßt euch mit dem heiligen Kuss. Die Gnade
unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die
Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Das sind keine kirchlichen Leerformeln. Hinter diesen Worten steckt
Geschichte: Schöpfungsgeschichte, Christusgeschichte,
Glaubensgeschichte. Und dieser Glaube führt uns nicht in religiöse
Sonderwelten, sondern mitten ins Wesen Gottes und in das wahre Wesen
der Welt hinein. Weil beide durch die Schöpfung verbunden waren und
durch den Christus neu verbunden wurden. Seither ist Gott auch ein
Geheimnis der Welt. Ein Geheimnis, das wir bestaunen können und das
uns sagt, was wir wissen, hoffen und tun sollen. Ein Geheimnis, das
uns wieder eine Ahnung vermitteln kann von dem, was heilig ist.
Die Theologen in der Zeit der Weltkriege hatten gute Gründe, die
Transzendenz, die Jenseitigkeit und Unverfügbarkeit Gottes zu
betonen, angesichts einer nationalsozialistischen Volksbewegung, die
behauptete, dass auch aus ihr Gottes Stimme spreche. Wir haben gute
Gründe heute die Immanenz, die Einwohnung Gottes in der Schöpfung zu
betonen, angesichts eines blinden Materialismus, der die
Lebenssysteme unserer Welt zu Sachen erklärt, die auf dem Altar von
Arbeit, Wohlstand, Freiheit und Mobilität nach Belieben geopfert
werden können. Wir haben gute Gründe laut die Stimme zu erheben
gegen die technische Reduktion der Wirklichkeit, die weder unserer
Welt noch dem Menschen gerecht wird. Ein Baum ist mehr als die in
ihm enthaltenen Bretter und eine Wiese ist mehr als ein möglicher
Industriestandort.
Wir haben gute Gründe, heute die Immanenz, die Einwohnung Gottes im
Menschen zu betonen, angesichts eines blinden Materialismus, der den
Menschen auf seine Arbeits- und Kaufkraft reduziert und ihn mit dem
Versprechen neuer Arbeitsplätze dazu bringen will, auf soziale
Gerechtigkeit, gesellschaftliche Solidarität mit den Schwachen und
mehr Rücksicht auf die Umwelt zu verzichten. Wir sagen deshalb den
selbsternannten Modernisierern auch in unserer Kirche: Nicht wir
haben von der Wirtschaft und bei den Marketingstrategen zu lernen,
sondern sie bei uns.
Denn wir als Glieder der christlichen Gemeinde wissen, auf welcher
Seite wir in diesem Streit stehen im Blick auf den Dreieinigen Gott,
der in liebevoller Gemeinschaft lebt und sie seiner Schöpfung
eingestiftet hat. Im Blick auf den dreieinigen Gott, in dessen Liebe
die Gewinner und die Verlierer, die Starken und die Schwachen, die
Kranken und die Gesunden, die Menschheit und alle Kreaturen Platz
finden. Wer diesen Gemeinschaftsgedanken innerhalb der Gesellschaft
und im Umgang mit der Natur aufgibt, bricht den Ast ab, auf dem wir
alle sitzen. Er stellt das in Frage, was im Gefüge unserer Welt dem
Wesen Gottes am meisten entspricht und uns deshalb heilig sein
sollte.
Deshalb zuletzt, liebe Schwestern und Brüder, lasst euch zurecht
bringen, lasst euch mahnen, habt einerlei Sinn. Ja, vielleicht ist
es das, was wir am dringendsten brauchen: Einerlei Sinn, für das,
was wichtig und heilig ist. Durchblick auf ein Leben, das ohne die
Zerstörung von Lebensgemeinschaft auskommt. Dann wird die Gnade
unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die
Gemeinschaft des heiligen Geistes mit uns sein.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche
Hof) (weitere Predigten von
Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de)
|
Text:
Paulus schreibt:
11 Zuletzt, liebe Brüder, freut euch, lasst
euch zurechtbringen, lasst euch mahnen, habt einerlei Sinn, haltet
Frieden! So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein.
12 Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss. Es grüßen euch
alle Heiligen.
13 Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und
die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
|