Liebe Leser,
als unser heutiger Predigttext beginnt, war das Leben des
Mose eigentlich schon ziemlich vorbei. Wenig ist es, was man vorher von
ihm erfährt. Kaum war der als Säugling in einem Schilfkästchen
versteckte, wunderbar Gerettete am Pharaonenhof groß geworden, wird er
zum Mörder. Die Hebräer werden von den Ägyptern wie Sklaven als
kostenlose Arbeitskräfte eingesetzt. Als Mose sieht, wie ein Aufseher
einen seiner Landleute drangsaliert, erschlägt er ihn. Keiner hat’s
gesehen, denkt Mose. Aber bald ist es heraus und Mose auf der Flucht. Er
wird ein Fremdling im fremden Land Midian. Lebenslänglich. Vom
Adoptivkind der Pharaonentochter zum Schafhirten bei Kleinviehnomaden.
So weit, so schlecht.
„Mose hätte sich bestimmt nicht beworben, wenn Gott die Stelle
ausgeschrieben hätte“, schreibt eine Auslegerin (Dr. Dörte Gebhard, GPM
4/2004, 59. Jahrg., Heft 1, S. 107). Und wir denken, Pardon!, was hat
das mit Mose zu tun? Ach ja, er war wohl doch ehr kein Mensch wie Du und
ich. Wir haben uns zu bewerben, um berufen zu werden, einmal, zehn Mal,
hundert Mal. Wir müssen nachweisen, was für ein Licht wir sind und wenn
es nicht hell genug leuchtet, dann müssen wir nachhelfen: Lebenslauf
türken, Body liften, positiv denken. Immer Feuer und Flamme und doch
nicht verbrennen. Aber wer kann das schon?
Nicht einmal ein dürrer Busch in der Wüste. Und darum kommt es Mose
schon sehr wundersam vor, als er den brennenden Dornbusch erblickt, der
allen Gesetzen der Natur widerspricht. Als er sich nähert, wird sein
Leben Makulatur, Altpapier eben.
Wir tun gut daran uns dieser Geschichte zu nähern, wie Mose dem
brennenden Dornbusch. Was hier erzählt wird bleibt ein Geheimnis. Rätsel
kann man lösen. Geheimnisse wollen bestaunt sein. Man kann und man soll
von ihnen ergriffen werden. Lassen wir also die naturwissenschaftliche
Erklärung. Lassen wir die psychologische Erklärung. Lassen wir die
mythologische Erklärung. Lassen wir alles, womit wir modernen Menschen
hineintrampeln in jeden Porzellanladen in der irrigen Meinung, wenn wir
nur erklären könnten, wie etwas funktioniert, dann wüssten wir, was es
ist. Dann könnten wir es uns einverleiben und vielleicht selbst aus dem
brennenden Dornbusch etwas machen: eine geniale Therapie, eine große
Theologie, eine Wunderwaffe der Bekehrung, ein wundervolles Geschäft.
Bist Du bereit für ein Wunder?
Ja, schreit das Publikum. Mose zieht seine Schuhe aus. Dies ist heiliges
Land. Dieser Flecken Erde gehört nicht Mose, nicht dem Publikum, nicht
der Kirche, nicht den Geistlichen, nicht den Bekehrungspredigern, nicht
Hollywood, nicht den Psychologen. Dieser Flecken Erde gehört keinen
Bedingten. Dieser Flecken Erde gehört dem Unbedingten. Dies ist heiliges
Land. Es gehört Gott allein. Und Mose verhüllte sein Angesicht. Nur
besonders große Ochsen glotzen noch frech, wo Engel die Flügel vor die
Augen stürzen.
Und das liegt daran, dass besonders große Ochsen auch sonst kaum etwas
sehen. Gott sieht dafür umso mehr. Und was er sieht, bleibt selbst den
Philosophen ein scheinbar widersprüchliches und dafür um so wunderbares
Geheimnis. Der allmächtige Gott, den in der Gewalt seiner Herrlichkeit
niemand sehen kann, ohne zu vergehen, sieht die, die in Elend, Not,
Geschrei und Leid vergehen. Der Unbedingte sieht hinein in die
Bedingungen des Leids und des Todes. Und noch mehr. Er will sich
aufmachen, die Bedingungen dieser Not zu beseitigen und durch andere
heilsame Bedingungen zu ersetzen. Wo der Unbedingte in die Welt
einbricht hat er den Schalom, das Heil, den Frieden im Sinn. Der
Unbedingte nimmt seine geknechteten Menschen aus der Hand der Ägypter um
sie für die Zukunft heilsam in seine Hand zu nehmen. Unbedingt. Als der
gute Hirte Jesus Christus wird er es mit uns nicht anders halten.
Ist euch das schon aufgefallen? Gott offenbart sich nicht um die fromme
Seele des Mose zu erleuchten und erfreuen. Das überlässt er den großen
und kleinen Gurus dieser Welt, den Starpredigern und Fernsehpfarrern.
Gott offenbart sich, um die scheinbar unabänderlichen Bedingungen dieser
Welt zu erschüttern, heilsam zu erschüttern. Da fängt eine
Heilsgeschichte an, die für Mose zu gewaltig und zu groß ist. Er wird
auch nach einem langen Leben das gelobte Land nicht mit eigenen Augen
sehen.
Wer bin ich? Diese Frage ist im Angesicht des Unbedingten einmal nicht
Ausdruck moderner Selbstfindung, sondern Ausdruck von Selbsterkenntnis.
Auf einmal sieht man sich von einem hohen Berg aus kaum noch als
winzigen Punkt im fernen Tal. Windlicht in der Gesellschaft von blauen
Sternen. Reicht die eigene Zeit noch neben dem Unbedingten auch nur ein
Wort zu sagen und zu warten, ob es wohl sein Herz erreicht, ehe man
wieder zu Staub wird? Ganz zu schweigen von den Bedingungen und
Bedingtheiten der eigenen Welt. Oder ganz klein gefragt: Was kann ich
schon ausrichten?
Gott bleibt ihm gnädigerweise die Antwort darauf schuldig. In diesem
Moment weiß sie Mose sowieso. Nur hier kann man sie aushalten,
umschwungen von den Tönen dieser Worte: Ich will mit dir sein. Wenn
etwas in diesem Dornbusch verbrannt ist, dann war es Mose, das
Altpapier, die Makulatur seines bisherigen Lebens. Jetzt redet er nur
noch in der Zukunftsform. In der Form seiner Zukunft. Nein, in der Form
der Zukunft Gottes. Hier ist einer unterwegs ins Himmelreich.
Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott
eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist
sein Name?, was soll ich ihnen sagen?
Wir wissen nicht, was Gott denkt. Aber er könnte lächelnd gedacht haben:
So sind sie die Menschen! Ein Name muss her. Ein Markenzeichen. Ein
Logo. Was Griffiges. Was jeder versteht. Was jedem einleuchtet. Was
jeden überzeugt. Was jeden anspricht. Corporate Identity. Eine
Wunderwaffe der Bekehrung, ein wundervolles Geschäft.
Und er nennt Mose seinen Namen. „Jahwe“ sprechen es die Hebräer aus. Was
soviel heißt wie: Ich bin, der ich bin. Ich werde sein, der ich sein
werde oder: ich werde mich erweisen. Mit Mose grübeln wohl auch in
Zukunft viele Menschen über diesem Namen. Weil dies ein Name ist, der
niemals zu Ende gesagt ist. Ein Name voller Zukunft.
Mose klingt der Name noch im Ohr, als er nach Hause geht um seine Sachen
zu packen. Hat Gott mir meine Frage nach dem Namen eigentlich
beantwortet, oder hat er mir nicht das Gleiche noch einmal gesagt. Ich
bin, ich werde sein. Ich werde bei dir sein. Unbedingt. Kein Name, denkt
Mose, ein Versprechen.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de)
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Text:
1 Mose aber hütete die Schafe
Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die
Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb.
2 Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem
Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht
verzehrt wurde.
3 Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung
besehen, warum der Busch nicht verbrennt.
4 Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus
dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich.
5 Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen;
denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!
6 Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott
Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein
Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.
7 Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten
gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre
Leiden erkannt.
8 Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter
Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land,
in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter,
Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.
9 Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und
ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen,
10 so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk,
die Israeliten, aus Ägypten führst.
11 Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe
die Israeliten aus Ägypten?
12 Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein,
dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast,
werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge.
13 Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und
spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und
sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen?
14 Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach:
So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu
euch gesandt. |