Liebe Leser, vor 2300 Jahren war es nicht anders als es heute ist.
Der erste Satz unserer biblischen Geschichte trifft den Nagel auf
den Kopf: Und es murrte die ganze Gemeinde. Das Murren ist über die
Zeiten hinweg eine der verbreitetsten menschlichen Eigenarten.
„Neulich habe ich für 1,59 € getankt, und die Beiträge zur
Pflegeversicherung sind zum 1.Juli auch gestiegen: Wo soll das bloß
noch enden? Die Steuereinnahmen sprudeln doch gerade: Warum werden
wir Bürger nicht entlastet? Der Nachbar, der hat schon wieder ein
neues teures Auto. Der muss Geld haben.“.
Auch das Wetter ist ein Lieblingsthema zum Murren: Ist es kalt und
regnet es, dann passt es uns nicht. Ist es aber heiß, dann murren
wir: „Bei diesen Temperaturen kann man ja nicht mehr vor die Tür
gehen. Und alles ist so trocken, es könnte endlich mal wieder
regnen.“.
Genau über diese ewige Unzufriedenheit spricht unsere Geschichte.
Zuerst haben die Israeliten über die Unterdrückung und Fronarbeit in
Ägypten gemurrt. Daraufhin hat Gott sie aus der Hand der Ägypter
befreit und führt sie ins Gelobte Land. Doch schon wieder murren
sie: Die Reise ist so hart, die letzte Oase liegt schon solange
zurück, wir werden durch Hunger umkommen. Plötzlich wird die Zeit in
Ägypten verklärt, die karge Sklavennahrung wird mit Fleischtöpfen
gleichgesetzt: Ach wären wir doch in Ägypten geblieben! Und schon
bald, nachdem Gott sich erbarmt und Manna und Wachteln geschickt
hat, da ist die Dankbarkeit wieder dahin und das Volk wird über
diese „elende“ Speise murren (4.Mose 21,5).
Murren, das ist eine menschliche Grundhaltung. Dabei fällt mir auf,
dass meist diejenigen Menschen murren, denen es gar nicht so
schlecht geht. Sie stimmen einfach ein in die gesellschaftliche
Unzufriedenheit. Von der 80-jährigen Anna, die seit ihrem
8.Lebensjahr im Rollstuhl sitzt und im Heim wohnt, habe ich noch
kein Murren gehört. Sie ist fröhlich und macht ihre Späße. So lautet
etwa ihr Lieblingsspruch: Man wird alt wie eine Kuh und lernt immer
noch dazu. Und auch andere Menschen tragen ihre schwere Last in
Stille und Demut. Das sind doch die Menschen, die laut aufschreien
müssten, die wirklich durch Wüsten wandern und allen Grund zum
Murren hätten!
Ich kann mir vorstellen, dass sich Mose wegen der Anfeindungen der
Israeliten vom Volk zurückgezogen hat – vielleicht auf den nächsten
Hügel, um mit Gott alleine zu sein. Er könnte vielleicht gebetet
haben: „Herr, unser Gott! Du siehst, wie sie alle murren. Sie haben
anscheinend all das Gute vergessen: Du warst es, der uns aus der
ägyptischen Sklaverei befreit hat. Du hast uns am Schilfmeer
errettet, so dass der Pharao uns nicht mehr einholen konnte. Und du
hast uns versprochen, uns in das Gelobte Land zu führen. Eigentlich
sollten wir voll des Dankes sein, so oft wie wir deine starke Hand
erlebt haben. Doch auf der Wanderung durch die trockene und karge
Wüste, da sehen sie nur auf das hier und heute, sie spüren nur den
Hunger. Ich bitte dich Herr, zürne nicht. Denn du hast uns ja dazu
erwählt, dein Volk zu sein. Ach. hilf uns doch!“
Mose hält Rückblick. Auch uns tut so ein Rückblick gut. Gesellen wir
uns doch zu Mose. Folgen wir ihm doch auch auf seinen Hügel, und
schauen auf den Weg zurück. Mose sah den Weg des Volkes Israel, und
wir sehen den Weg unseres Volkes, und den Weg unseres eigenen
Lebens.
Zunächst sehen wir den Weg unseres Volkes: Die Älteren unserer
Gemeinde haben den Krieg noch miterlebt. Da war es wirklich so, dass
man sich ums Überleben sorgen musste. Viele Häuser waren zerstört.
Die Essensmarken reichten oft nicht aus, man tauschte Tischdecken
gegen ein paar Kartoffeln beim Bauern ein. Das waren schlechte
Zeiten. Gott danken, statt über Kleinigkeiten zu murren, das hat die
Großmuttergeneration noch gelernt. Durch ihr Erzählen können auch
wir Jungen die Dankbarkeit lernen. Wir haben eines der besten
Gesundheits- und Pflegesysteme weltweit. Aber das muss finanziert
werden, und da ist es doch nur recht und billig, dass jeder seinen
Beitrag dazu leistet, denn es kommt ja auch allen zu gute. Seit 63
Jahren haben wir Frieden. Wir leben in einem reichen Land. Beim
Rückblick auf den Weg unseres Volkes lernen wir Dankbarkeit.
Auf dem Hügel neben Mose blicken wir auch auf unser eigenes Leben
zurück. Der eine erkennt dort, wie viel Gutes und Schönes ihm
geschenkt wurde. Der Traum von der eigenen Familie, den Kindern, dem
Haus oder dem guten Beruf hat sich erfüllt. Es geht ihm finanziell
ganz gut. Dieser wird durch den Blick zurück auf sein Leben dankbar
wie Mose, und tut sich nun schwerer, in das allgemeine Murren
einzustimmen.
Die andere sieht beim Blick zurück, was sie belastet hat und immer
noch belastet. Sie fühlt sich wie Israel in der Wüste, so zehren die
Sorgen an ihr. Sie ist zwar von vielen Menschen umgeben, aber doch
fühlt sie sich einsam. Ihr wird alles zuviel, Arbeit und Familie
wachsen ihr über den Kopf. Sie seufzt, schreit zu Gott und bittet
ihn wie Mose um seinen Beistand.
Gott um Beistand bitten? Ich weiß nicht, wie sich eure Beziehung
Gott entwickelt hat die letzten 25 Jahre. Ob ihr Gott aus den Augen
verloren habt oder bewusst links liegen gelassen habt. Ob ihr an ihm
dran geblieben seid oder ihn neu entdeckt habt. Vielleicht habt ihr
in schweren Stunden auch an ihm gezweifelt, vielleicht aber auch
gerade dann seine Nähe gespürt. Wie auch immer – Gott jedenfalls
bleibt an euch dran. Er gibt keinen auf. Das zeigt uns die
Geschichte über das Murren: Er hat sein Volk in der Wüste nicht zum
Teufel geschickt hat, obwohl sie gegen ihn aufbegehren.
Gott überwindet die Rebellion des Volkes durch seine Barmherzigkeit,
nicht durch Strafe (V11-12). „Ich habe das Murren der Israeliten
gehört.“ Mit seinem großen Ohr ist er an den Menschen dran, er hört,
was sie bewegt. Er hört das oberflächliche Murren, aber auch alle
Klagen und Anklagen, die aus tiefer Not heraus an den Himmel
geworfen werden.
Und Gott reagiert darauf: Er sagt seinem Volk, seiner Gemeinde Hilfe
zu. Er jagt die Menschen nicht zum Teufel. Wenn die menschliche
Grundhaltung das Murren ist, so ist Gottes Grundhaltung seine
Barmherzigkeit. Die ganze Bibel ist voll von Geschichten seiner
Barmherzigkeit. Und die größte Geschichte seiner Barmherzigkeit hat
er am Kreuz von Golgatha geschrieben. Gott schreibt gegen unsere
Murrgeschichten seine Geschichten seiner Barmherzigkeit, damit wir,
wie er zu Mose sagt, innewerden, dass er, der Herr, unser Gott ist.
Er will nicht anders Gott sein als so, dass er uns zur Seite steht.
Das ist seine Grundhaltung.
Man hu? Was ist das? So fragten die Israeliten, als sie am Abend die
Wachteln und am Morgen das Manna sahen. Wachteln sind Zugvögel, die
im Frühjahr vom arabischen Meerbusen aus nach Norden ziehen und auf
ihrer Reise eine mehrstündige Rast in der Wüste machen, während der
sie matt und damit leicht zu erlegen sind. Sie werden noch heute in
Ägypten und auf der Sinai-Halbinsel gefangen und als Leckerbissen
verzehrt. Und das Manna war wohl gehärteter Fruchtsaft der
Tamariske, dessen Geschmack Martin Luther mit Honigsemmeln
verglichen hat. Das Volk Israel konnte die Wachteln und das Manna
aufsammeln und davon satt werden. Und das nicht nur an diesem einen
Tag, sondern über die ganze lange Zeit ihrer Wanderung durch die
Wüste. „Manna“ heißt zu Deutsch Gabe oder Geschenk. Manna ist also
Geschenk Gottes, eine Gabe von ihm zur Nahrung für das Volk.
Auch heute versorgt uns Gott mit Manna, mit himmlischen Gaben. Unser
Hunger wird gestillt, gestern Abend erst, als wir mit den
Jubelkonfirmanden beim gemeinsamen Pizzaessen waren. Unsere
Einkaufswägen im Supermarkt sind trotz höherer Milchpreise gut
gefüllt. Wir haben Überfluss an Nahrung in unserem Land. Mir
fällt auf, was Gott Israel gebietet: Ein jeder sammle, soviel er zum
Essen braucht. Gott sagt nicht: Ein jeder sammle davon, soviel er
bekommen kann, und werfe dann den Rest weg, wenn er ungenießbar
geworden ist. Und Gott sagt auch nicht: Ein jeder sammle davon,
soviel er bekommt, und kippe es in Biogasanlagen. Dadurch, dass
jeder nur das nimmt, was er braucht, reicht es für alle.
Es gibt noch eine andere Nahrung, die Gott uns schenkt: Jesus sagt
im Johannesevangelium: „Ich bin das Brot des Lebens.“ (Joh. 6,35).
Jesus selbst ist Nahrung, eine Nahrung, die unsere Seele nährt. Denn
der Mensch lebt nicht vom Brot allein, das Leben ist mehr als
körperliche Existenz. So wie uns Brot aus Körnern den Körper stärkt,
so stärkt uns Christus innerlich. Jesus stillt diesen anderen
Hunger, damit wir nicht an den Wüsten in unseren Seelen und Herzen
zu Grunde gehen müssen. Doch wo finden wir das Seelenmanna und die
Herzenswachteln, die Herz und Seele stärken?
Anna, die seit ihrem 8.Lebensjahr im Rollstuhl sitzt, hat auf die
Geschichten Jesu gehört: Jesus, der zu den Kranken geht, Jesus, für
den jeder Mensch einen Wert besitzt, unabhängig davon, was er
leisten kann. Anna weiß, dass Gottes Segen trotz allem über ihrem
Leben steht.
Vor einiger Zeit durfte ich im Klinikum ein Krankenabendmahl feiern.
Der Patientin ging es sehr schlecht. Im Namen Jesu konnte ich ihr
zusagen, dass er all das, was sie von Gott trennt, mit in den Tod
genommen hat und sie nichts mehr von Gott trennt. Und dann haben wir
das Abendmahl gefeiert: Dieses Stückchen Brot und der Schluck
Traubensaft waren für sie mehr an Nahrung, als alle Schweinebraten
der Welt. Sie war bewegt, hat gespürt, wie ihr Gott begegnet und
Kraft schenkt. Brot und Wein hatten mehr Kraft als alle Zweifel und
Ängste.
Wie die Israeliten täglich das Manna aufgesammelt und sich davon
genährt haben, so dürfen wir uns täglich nähren mit den Worten der
Bibel, mit Gebet und Segen, und heute auch mit Brot und Wein.Dieses
Lebensbrot ist ein Brot, das wir auch nicht auf Vorrat sammeln
können. Gott schenkt es uns jeden Tag neu, und zwar immer soviel,
wie wir brauchen, gerade auch dann, wenn uns wirklich zum Klagen und
Murren zu Mute ist. Von Anna im Rollstuhl lerne ich das Vertrauen
auf Gott. Das Vertrauen darauf, dass Gott mir Nahrung für Leib und
Seele schenkt, jeden Tag neu. Das ist die rechte Haltung eines
Christenmenschen.
Vikar
Jörg Mahler
(Hospitalkirche
Hof)
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Text:
2 Und es murrte die ganze Gemeinde der
Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste.
3 Und sie sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben
durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten
Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in
diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.
11 Und der HERR sprach zu Mose:
12 Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen
Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt
werden und sollt innewerden, dass ich, der HERR, euer Gott bin.
13 Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und
am Morgen lag Tau rings um das Lager.
14 Und als der Tau weg war, siehe, da lag's in der Wüste rund und
klein wie Reif auf der Erde.
15 Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man
hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen:
Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat.
16 Das ist's aber, was der HERR geboten hat: Ein jeder sammle,
soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl
der Leute in seinem Zelte.
17 Und die Israeliten taten's und sammelten, einer viel, der andere
wenig.
18 Aber als man's nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel
gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte.
Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.
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