Liebe Leser,
wie sieht eine richtig moderne Andacht aus? Richtig! Wir setzen
uns im Kreis und haben vor uns ein buntes Tüchlein, mit kleinen
Steinchen und Muscheln und bunten Glasperlen. Da darf dann das
eierförmige und mit allerlei Symbolen verzierte Kerzchen nicht
fehlen und ein Gläschen, das nur der Unwissende für einen
Kerzenhalter hält. Nein, darin befindet sich wohlriechendes Salböl
für den frommen und unschuldigen Körperkontakt. So ausgerüstet
können wir Stunden in tiefer Andacht verbringen, die Tiefen der
Gottheit sinnlich ergründen und lieb zueinander sein.
Mit derlei Schnickschnack hat sich das Volk Israel damals nicht
zufrieden gegeben. Es hat ein Gottesbild gebraucht, das man vor sich
hertragen und vorzeigen konnte. Ein Bild das sagt: Seht her, mit wem
ihr es zu tun kriegt, mit uns und unserem Gott. Das Volk Israel
fühlte sich nackt und gottverlassen. Sein direkter Draht zu Gott war
Mose. Und Mose war fort. Es musste Ersatz geschaffen werden.
Wir dürfen dem Volk nicht unterstellen, dass es gegen das erste
Gebot verstoßen hätte und einen anderen Gott erwählt hätte. Und drum
wäre eine Predigt über „Götzendienst früher und heute“ eine
Themaverfehlung. Das Volk Israel wollte seinen Gott bei sich haben,
präsent, zum Anschauen, zum Anfassen, zum Einprägen. Grau ist alle
Theorie. Golden war das Kalb. Schaut her, das ist dein Gott, Israel,
der dich aus Ägyptenland geführt hat.
Solches Tun bringt Gott auf die Palme. Denn er will nicht, dass wir
ihn mit den Bildchen und Bildern verwechseln, die wir uns von ihm
machen. Es ist ein Dilemma. Gott ist ja nicht jemand, zu dem man
hinfahren und den man anschauen könnte. Wir können von ihm nur in
weltlichen Bildern reden. Aber eins dürfen wir dabei nicht
vergessen: Keines von ihnen ist identisch
mit Gott. Sie sind ein ferner Abglanz von ihm. Nehmen wir Mose, der
mit Gott redet, diesen Gott aber nicht sieht. Einmal darf er der
Schleppe seines Leuchtens aus galaktischer Entfernung nachschauen
(vgl. 2.Mose 33/23). Dieser Gott passt in kein weltliches Bild und
in keine noch so umfangreiche Theologie. Auch die schönste und
tiefste Theologie bleibt ein Betrachten aus unüberbrückbarer
Entfernung. Wer diese Entfernung selbst überwinden will und schreit:
Seht her, das ist euer Gott, bekommt es mit dem Zorn Gottes zu tun.
Gott kommt uns nahe, wann und wie ER will!
Das ist gut so. Denn nur dann können wir auch sicher sein, dass wir
es mit ihm zu tun haben und nicht mit unseren eigenen Wunschbildern
und den Projektionen unserer Bedürfnisse. Ein Ausleger fragt nach
heutigen Beispielen und nennt: „Gott als sanfter Vater für die neuen
Männer, Gott als Mutter für die Mütter – warum dann nicht auch Gott
als Geldverleiher für die Banker, Gott als Kriegsherr für die
Generäle, Gott als Quelle und Sonne für die Naturliebhaber, Gott als
Arbeiter für die Arbeiter usw. Es gibt seit längerem eine Form, über
Gottesbilder zu sprechen, die von solchen Zerrbildern nicht so weit
entfernt ist. Da beginnen die Sätze mit „Für mich ist Gott ...“, es
folgt dann bald ein „irgendwie“ und dann eine je nach Geschmack als
„ganz subjektiv“ oder auch als „beliebig“ oder „willkürlich“ zu
bezeichnende Imagination. ... Die Abwanderung theologischer Diskurse
in die Warenhausregale der Sparte „Gottesbilder en gros und en
detail“ kann nicht recht befriedigen.“ (J. Ebach, Gottesbilder im
Wandel, zitiert nach GPM, Heft 2, 2002, 56, S.241)
Das ist milde formuliert. Unsere Geschichte schildert es
drastischer: Während das Volk Israel sich innig und sinnlich mit
seinem Gott verbunden wähnt, hat Gott schon seine gewaltige Faust
erhoben. Und er ist auch heute bestimmt nicht amüsiert, wenn er
sehen muss, wie wir vor allem möglichen spirituellen Schnickschnack
aus vermeintlicher religiöser Correctness in die Knie gehen.
Mose bleibt erst einmal die Spucke weg, als Gott ihm das Treiben
seines Volks berichtet. Und so muss Gott in Vers 9 gleich noch eine
Rede hinterher schicken: Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie
entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zum großen Volk
machen. Da wacht Mose in letzter Sekunde aus seiner Erstarrung auf.
Denn gleich wäre es passiert gewesen. Gleich wäre die gewaltige
Faust Gottes auf das Volk niedergestürzt. Denn Gott ist außer sich
vor Zorn.
Und da tut Mose etwas, was schlauer nicht sein kann. Er bittet den
Gott, der außer sich geraten ist, zu sich selbst zurückzukehren. Das
müssen wir näher betrachten. Und es gibt uns um so mehr zu denken,
wenn wir betrachten, was Mose nicht getan hat. Er ist nach den
Vorwürfen Gottes nicht im Laufschritt zu seinem Volk zurückgekehrt,
um ihm die Leviten zu lesen und das Unheil auf diese Weise
abzuwenden. Wenn besonders schreckliche Dinge passieren, dann kommen
die Prediger ja von allen Hügeln und erheben den Zeigefinger und
haben schon immer gewusst, was unter uns falsch läuft. Richtig
liegen all die Beter, die in die Kirchen eilen, die sich Gott ans
Herz werfen und ihn bitten, zu sich zurückzukommen. Kehre dich ab
von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du
über dein Volk bringen willst.
Meister Eckhart präsentiert seinen Zuhörern in seiner Predigt zur
Stelle (Predigt 38 nach Quint) Mose als einen Menschen, der sich in
inniger Einheit mit Gott befindet. So wird aus dem Gespräch zwischen
Gott und Mose ein Gespräch Gottes mit sich selbst. Dabei erweist
sich der Part des Mose als „Gott näher“ als der zürnen wollende Part
Gottes. Eckhart wörtlich: „Denn Mose wusste wohl, dass, wenn er
Gottes Ehre an dem Volk suchte, er damit Gott näher war, als wenn er
Gottes Ehre an dem Volk preisgegeben und seine eigene Seligkeit
gesucht hätte. So muss ein guter Mensch geartet sein.“
Mose ist ein guter Führer seines Volks. Das erweist sich daran, dass
er den Exklusivvertrag, den Gott ihm anbietet und mit dem er nun
Mose zu einem großen Volk machen will, nicht annimmt.
Exklusivverträge haben in der Bibel keine Zukunft. Mose hat sie
abgelehnt. Jesus, der Christus, hat sie abgelehnt, als er vom Teufel
versucht wurde (Mt 4/1ff). Er ging seinen Weg der Fürbitte für alle
Menschen bis ans Kreuz. Alle Gruppen und Kreise, alle Kirchen und
Freikirchen, die sich für etwas Besonderes halten und das Heil in
ihrem Verein besonders stark am Werk sehen, sollten sich danach
einmal befragen. Den Egoismus gibt es auch im frommen Gewand und er
ist keinen Deut besser, als dieses schnell hingesagte: „Dein
Problem“, mit dem wir uns die Sorgen des anderen vom Leib halten. Am
tiefsten und überzeugendsten ist der Glaube in dem Maß seiner
Solidarität mit der Welt und ihren Menschen. Hier zeigt er sich von
seiner besten Seite. Schaut Mose an, schaut den Christus an, denkt
an unseren Gott. Es gibt kein eindeutigeres Zeichen für Unglauben
als Heilsegoismus gepaart mit Gleichgültigkeit.
Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.
Da kehrte Gott, der außer sich war vor Zorn zu seinem eigentlichen
Tun und zu sich selbst zurück. Was für ein Gebet, das solches
bewirken kann! Ein Gebet, zu dem Gott das Amen spricht. Wir alle
kennen ein ganz ähnliches. Jesus hat es seine Jünger gelehrt: Vater
unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein
Wille geschehe. Erkennen wir es wieder im Gebet des Mose? Auch
dieses Gebet bittet Gott zu sich zurückzukehren und bei sich zu
bleiben, bei seiner Güte und Gnade. Darauf sagt Gott Amen. Und ich
stelle mir vor, dass er lacht.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche
Hof) (weitere Predigten von
Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de)
|
Text:
7 Der HERR sprach aber zu Mose: Geh, steig
hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat
schändlich gehandelt.
8 Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten
habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben's
angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das ist dein Gott, Israel,
der dich aus Ägyptenland geführt hat.
9 Und der HERR sprach zu Mose: Ich sehe, dass es ein halsstarriges
Volk ist.
10 Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie
vertilge; dafür will ich dich zum großen Volk machen.
11 Mose aber flehte vor dem HERRN, seinem Gott, und sprach: Ach
HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit
großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast?
12 Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück
herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie
von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass
dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst.
13 Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei
dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen
mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich
verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es
besitzen für ewig.
14 Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk zugedacht
hatte.
|