Predigt     2. Samuel 12/1-10,13-15a      11. Sonntag nach Trinitatis    03.08.08

"Du bist der Mann!"
(von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

er ist hin und weg von ihr. Obwohl sie verheiratet ist, beginnen beide ein Verhältnis. Und wie es so kommen muss, wird sie schwanger. Damit der Verbindung der beiden nichts mehr im Weg steht, lässt er den Ehemann schließlich umbringen. Begehren und Leidenschaft, Ehebruch und Mord, daraus sind die Geschichten gestrickt, die allabendlich aus unseren Fernsehapparaten in unsere Wohnzimmer und Köpfe flimmern.

Diese Geschichten sind anziehend, weil sie spannend sind, weil sie Konvention und Moral durchbrechen und mit Liebe, Leidenschaft und Tod spielen, mit Mächten, zwischen denen auch wir uns bewegen.

Kann da die Bibel mit ihren Geschichten vom lieben süßen Jesulein mithalten? „Die Bibel ist doch viel zu langweilig“, sagen nicht nur die Jungen. Die Bibel, sie will mit diesen Geschichten gar nicht mithalten. Aber wenn sie wollte, könnte sie es. Denn gerade im Alten Testament, da gibt es sie in Fülle, diese Geschichten, die in Bann ziehen, voller Liebe, Leidenschaft und Tod.

Der Mann, der von der fremden Frau hin und weg ist, das ist kein geringer als der König David. So beginnt die Erzählung in der Bibel: „Und es begab sich, dass David um den Abend aufstand von seinem Lager und sich auf dem Dach des Königshauses erging; da sah er vom Dach aus eine Frau sich waschen; und die Frau war von sehr schöner Gestalt.“. Und da ist es um David geschehen. Er lässt nach der Frau fragen, und man sagt ihm: Das ist Bathseba, die Frau Urias. Die Gelegenheit ist günstig: Uria ist als Soldat gerade auf Kriegszug. Da sendet David Boten zu ihr und lässt sie holen. Und dann geschieht, was geschehen muss: Nach dieser Nacht voller Leidenschaft im Königspalast ist sie schwanger. Der listige David will die Vaterschaft zuerst Uria unterschieben. Doch als dies misslingt, da gibt er ans einen Hauptmann die Order: „Stelle Uria vorne hin, wo der Kampf am Härtesten ist, und zieht euch dann hinter ihm zurück, so dass er erschlagen wird und stirbt.“. Und genauso geschieht es: Uria wird an vorderster Front eingesetzt, seine Mitstreiter ziehen sich zurück, und so lässt er sein Leben als treuer Soldat für den König.

Damit nicht genug: Kein Moment länger als die übliche Trauerzeit wird abgewartet, und schon holt David Bathseba in seinen Palast, beide heiraten und der gemeinsame Sohn wird geboren. Alles ist gutgegangen, nur Uria blieb auf der Strecke. Eine Geschichte wie aus dem Samstagabendprogramm.

Ein Satz aber, den man in keiner TV-Sendung findet, bringt die Wende: „Aber dem Herrn missfiel die Tat, die David getan hatte.“ Gott hat scheinbar keine Lust auf Geschichten voller Begierde, Leidenschaft und Tod, auf die Geschichten, die allabendlich in unsere Köpfe flimmern. In der Bibel lesen wir, dass er selbst Geschichten schreibt, die von Vertrauen, vom Lebensrecht für Mensch und Tier, von Vergebung und Neuanfang handeln.

Der Mensch aber schreibt andere Geschichten als Gott, Geschichten, bei denen andere leiden müssen und Leben zerstört wird. Die Geschichte von David ist da ein Beispiel. Sie führt uns aber nicht nur ein Verhalten vor Augen, das wir verwerflich finden. Sie dringt vielmehr tiefer ein in den Zusammenhang von Schuld und Übel, und erzählt uns, worin das Übel wurzelt, wo es seinen Grund hat: „Da sah er vom Dach aus eine Frau sich waschen.“ In David ist die Begierde entbrannt, aus der alle weiteren Übel fließen. Sie ist schuld daran, dass er die Ehe bricht und Uria töten lässt. Die Begierde sorgt oft für Übel. Der Mensch begehrt Erfolg, Macht, Anerkennung, eine gesellschaftliche Stellung, Beliebtheit, Zuneigung. Wer ganz tief in sich hineinhorcht, der wird merken, was es ist, was er selbst für sich begehrt. Wenn der Mensch dann beginnt, sich das selbst zu verschaffen, was er begehrt, dann bleiben andere häufig auf der Strecke. Oft sind das Mechanismen, die ganz unbewusst ablaufen.

Das ist schon bei Kindern der Fall: Da ist der 8-jährige Kurt. Ihn stört es, dass sich seine Kumpels viel häufiger mit Paul unterhalten. Er selber aber, Kurt, will doch der beste Freund von Paul sein, begehrt von ihm anerkannt zu werden. Und deshalb muss er sich im Beisein der anderen Freunde immer auf deren Kosten profilieren, und wenn sie nicht dabei sind, da macht er sie vor Paul schlecht, und rückt sich selber ins beste Licht. Das sind Mechanismen, die schon die Kleinen kennen, und die zu tun haben mit dem Begehren. Und diese anderen Kumpels, sie sind die Sticheleien von Kurt leid, ihre Kinderseelen werden dadurch ganz schön angekratzt. Ob bei David oder Kurt, das eigene Begehren setzt oft anderen Menschen zu. „Aber dem Herrn missfiel die Tat!“. Das steht leider auch all zu oft über den Geschichten, die unser Leben schreibt.

Gott aber sieht nicht nur traurig auf unsere Geschichten voller Unrecht. Er wird vielmehr aktiv. Ich verlese unseren Predigttext: V1-10.

Die Erzählung Nathans geht unter die Haut, die Erzählung vom armen Mann, der ein einziges Schäflein hat, das mit seinen Kindern groß wird, mit ihnen isst und trinkt, auf seinem Schoß schläft und wie eine Tochter gehalten wird. Die Brutalität des reichen Mannes dagegen ist schlicht unerträglich. Kein Wunder, dass David da ganz impulsiv ruft: „Bei Gott, der Kerl ist ein Kind des Todes!“ Gott rührt das Herz Davids durch die Geschichte Nathans an. Und David lässt sich anrühren. Für das Unrecht, das anderen geschieht, hat er einen klaren Blick und ein ungetrübtes Urteilsvermögen. Der Reiche, der das einzige Schaf des armen Mannes genommen und für seine Gäste geschlachtet hat, er soll des Todes sein. Doch wie sehr muss er erschrecken, als Nathan ebenso klar antwortet: „Du bist der Mann!“

Damit ergeht es David wie vielen: Den Splitter im Auge des Nächsten, den sehen wir sofort, doch der Balken im eigenen Auge bleibt verborgen. Die Bibel nennt dies an anderer Stelle Hochmut. Das ist neben der Begierde die zweite tiefe Ursache für so viel Übel. Hochmut ist es, wenn ich als Chef die Mitarbeiter nur kritisiere, ohne meine eigenen Fehler zu sehen. Hochmut ist es, wenn ich mich als Vater nur über die schlechten Zeugnisnoten auslasse, ohne an das eigene Zeugnis zu denken, oder daran, dass das Kind ja schon genug leidet. Hochmut ist es, wenn ich als Christ anderen den Glauben abspreche, nur weil sie nicht so glauben, wie ich es tue. Hochmut ist es, wenn ich über meine Nachbarn urteile, die sich scheiden lassen, ohne die näheren Umstände zu kennen und die tiefen Gräben, die sich zwischen den Ehepartnern befinden, und ohne auf die eigenen Eheprobleme zu sehen. Gesteigert ist dieser Hochmut beim Pharisäer, der auf den Zöllner herabsieht und spricht: Ich danke dir Gott, dass ich nicht so bin wie jener. Einfühlungsvermögen gepaart mit Hochmut ist es, das David das klare Urteil sprechen lässt: Der Reiche ist des Todes!

„Du bist der Mann!“, sagt Nathan. Da fiel es David wie Schuppen von den Augen, denn so lesen wir weiter: V 13-15a.

„Ich habe gesündigt gegen den Herrn.“ David hat seine Schuld erkannt und bekannt. Wie kam das so plötzlich? So plötzlich kam das nicht. Schon längst wusste er, dass das nicht recht ist, was er tut. Hätte er sonst das Kind Uria unterschieben wollen? Doch die Stimme, die Unrecht ruft, ist zu schwach gegenüber den Stimmen der Begierde und des Hochmuts. Erst Nathans Erzählung hat die Stimme, die Unrecht ruft, gestärkt, so dass sie sich schließlich durchsetzen konnte. Die Gnade Gottes beginnt nicht erst mit dem Vergebungswort Nathans, sie hat schon viel früher begonnen. Gott wurde aktiv, als er das Unrecht sah. Er schickt Nathan, der seine feinfühlige Parabel erzählt. Gott hilft David dadurch, den Fehler zu erkennen und einzugestehen. Das ist die Voraussetzung für einen Neuanfang.

Durch Nathans Geschichte konnte sich David in die Situation Urias einfühlen. Nathans Parabel weitet auch unseren Blick hin zu den anderen, mit denen wir zu tun haben, Ehepartner, Kinder, Kollegen, Untergebene. Sie regen an, sich in ihre Situation zu versenken, die Perspektive zu wechseln. Und Nathans hartes Wort „Du bist der Mann“ schreckt uns auf und konzentriert unseren Blick auf uns selbst, auf unsere eigenen Verstrickungen. Gott ruft mit Nathan nicht nur David, sondern auch uns heraus aus dem Teufelskreis der Begierden und ihrer Folgen, heraus der Hochmut. Und wer da heraustritt, der wird dann Freiheit spüren, und der wird eine Haltung der Demut gewinnen, die nicht nur Gott wohlgefällig ist, sondern auch dem Nächsten zum Guten dient. „Du bist der Mann!“ -  vielleicht sollten wir uns das immer wieder sagen, wenn wir in der Gefahr stehen, über andere zu urteilen. Denn mit Demut und im Wissen um eigene Schwächen gehe ich mit anderen Menschen anders um. David jedenfalls hat diese Demut gelernt.

Wer da wie er über sich selbst erschrickt, dem gilt auch das andere Wort Nathans, das er zu David sagt: „So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen, du wirst nicht sterben.“ Gott vergibt ihm. So kennen wir Gott. Doch der Autor des 2. Samuelbuchs lässt Nathan weitersprechen: „Aber weil du die Feinde des Herrn zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren wird sterben.“ Haben wir richtig gehört? Gott lässt einen Unschuldigen sterben? David erlangt Vergebung, doch auf Kosten seines Sohnes? Die Kirchenväter haben darin vorabgebildet gesehen, was einmal mit einem anderen Davidssohn geschehen wird: Der wird auch unschuldig sein und sterben, und durch ihn werden sie leben und wird ihnen vergeben, allen Menschen, die an ihn glauben. Und doch erschrecken wir über diese Todesbotschaft Nathans. Die Wissenschaft urteilt, dass das erste Kind von David und Bathseba gestorben ist, und dass die Menschen das damals als Strafe für Davids Verfehlung gesehen haben. Und so kam der Autor unserer Geschichte nicht umhin, Nathan diese Worte in den Mund zu legen und ihn vorher ankündigen zu lassen, was man später als Strafe wahrgenommen hat. Der Tod des Sohnes als Strafe ruft zu Recht Widerspruch hervor.

Mein Blick aber bleibt bei jenem anderen Davidsohn hängen, der uns gezeigt hat, wie Gott zu uns ist, der die Liebe vorgelebt hat und für uns alle in den Tod gegangen ist. Und deshalb kann ein Christ die Worte Nathans nachsprechen, und sie jedem sagen, der an seiner Schuld leidet und sie bekennt: „So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen.“ Wir feiern gleich Beichte: Dort werde ich ihnen im Namen Gottes diese Vergebung auch persönlich zusprechen. Menschen, die wie David sagen: Herr, ich habe gesündigt gegen dich, oder die wie der Zöllner vor Gott zu Boden fallen und sprechen: Gott sei mir Sünder gnädig, die dürfen sich wieder getrost erheben und frei von aller Last ihres Weges gehen.

Die Geschichte von David, Bathseba und Nathan passt in das Samstagabendprogramm: Liebe, Leidenschaft und Tod. Und gleichzeitig passt sie da gar nicht hinein. Denn sie ist eingebettet in die Geschichte Gottes, in Glaube, Hoffnung und Liebe, in Erkenntnis der Schuld, Reue, Vergebung und Neuanfang. Sie erzählt davon, wie Gott sich bemerkbar macht und Herzen anrührt. Und wie er dadurch Menschen in die Freiheit führt, sie aus Verstrickungen löst und ihnen neuen Raum zum Leben schenkt. Menschen wie David, wie dich und mich.

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)

Text:

1 Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm.
2 Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder;
3 aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß und er hielt's wie eine Tochter.
4 Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war.

5 Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat!
6 Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat.

7 Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls
8 und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun.
9 Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter.
10 Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei.

13 Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben.
14 Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben.
15 Und Nathan ging heim.
 

 


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