Liebe Leser, er ist hin und weg von ihr. Obwohl sie verheiratet
ist, beginnen beide ein Verhältnis. Und wie es so kommen muss, wird
sie schwanger. Damit der Verbindung der beiden nichts mehr im Weg
steht, lässt er den Ehemann schließlich umbringen. Begehren und
Leidenschaft, Ehebruch und Mord, daraus sind die Geschichten
gestrickt, die allabendlich aus unseren Fernsehapparaten in unsere
Wohnzimmer und Köpfe flimmern.
Diese Geschichten sind anziehend, weil sie spannend sind, weil sie
Konvention und Moral durchbrechen und mit Liebe, Leidenschaft und
Tod spielen, mit Mächten, zwischen denen auch wir uns bewegen.
Kann da die Bibel mit ihren Geschichten vom lieben süßen Jesulein
mithalten? „Die Bibel ist doch viel zu langweilig“, sagen nicht nur
die Jungen. Die Bibel, sie will mit diesen Geschichten gar nicht
mithalten. Aber wenn sie wollte, könnte sie es. Denn gerade im Alten
Testament, da gibt es sie in Fülle, diese Geschichten, die in Bann
ziehen, voller Liebe, Leidenschaft und Tod.
Der Mann, der von der fremden Frau hin und weg ist, das ist kein
geringer als der König David. So beginnt die Erzählung in der Bibel:
„Und es begab sich, dass David um den Abend aufstand von seinem
Lager und sich auf dem Dach des Königshauses erging; da sah er vom
Dach aus eine Frau sich waschen; und die Frau war von sehr schöner
Gestalt.“. Und da ist es um David geschehen. Er lässt nach der Frau
fragen, und man sagt ihm: Das ist Bathseba, die Frau Urias. Die
Gelegenheit ist günstig: Uria ist als Soldat gerade auf Kriegszug.
Da sendet David Boten zu ihr und lässt sie holen. Und dann
geschieht, was geschehen muss: Nach dieser Nacht voller Leidenschaft
im Königspalast ist sie schwanger. Der listige David will die
Vaterschaft zuerst Uria unterschieben. Doch als dies misslingt, da
gibt er ans einen Hauptmann die Order: „Stelle Uria vorne hin, wo
der Kampf am Härtesten ist, und zieht euch dann hinter ihm zurück,
so dass er erschlagen wird und stirbt.“. Und genauso geschieht es:
Uria wird an vorderster Front eingesetzt, seine Mitstreiter ziehen
sich zurück, und so lässt er sein Leben als treuer Soldat für den
König.
Damit nicht genug: Kein Moment länger als die übliche Trauerzeit
wird abgewartet, und schon holt David Bathseba in seinen Palast,
beide heiraten und der gemeinsame Sohn wird geboren. Alles ist
gutgegangen, nur Uria blieb auf der Strecke. Eine Geschichte wie aus
dem Samstagabendprogramm.
Ein Satz aber, den man in keiner TV-Sendung findet, bringt die
Wende: „Aber dem Herrn missfiel die Tat, die David getan hatte.“
Gott hat scheinbar keine Lust auf Geschichten voller Begierde,
Leidenschaft und Tod, auf die Geschichten, die allabendlich in
unsere Köpfe flimmern. In der Bibel lesen wir, dass er selbst
Geschichten schreibt, die von Vertrauen, vom Lebensrecht für Mensch
und Tier, von Vergebung und Neuanfang handeln.
Der Mensch aber schreibt andere Geschichten als Gott, Geschichten,
bei denen andere leiden müssen und Leben zerstört wird. Die
Geschichte von David ist da ein Beispiel. Sie führt uns aber nicht
nur ein Verhalten vor Augen, das wir verwerflich finden. Sie dringt
vielmehr tiefer ein in den Zusammenhang von Schuld und Übel, und
erzählt uns, worin das Übel wurzelt, wo es seinen Grund hat: „Da sah
er vom Dach aus eine Frau sich waschen.“ In David ist die Begierde
entbrannt, aus der alle weiteren Übel fließen. Sie ist schuld daran,
dass er die Ehe bricht und Uria töten lässt. Die Begierde sorgt oft
für Übel. Der Mensch begehrt Erfolg, Macht, Anerkennung, eine
gesellschaftliche Stellung, Beliebtheit, Zuneigung. Wer ganz tief in
sich hineinhorcht, der wird merken, was es ist, was er selbst für
sich begehrt. Wenn der Mensch dann beginnt, sich das selbst zu
verschaffen, was er begehrt, dann bleiben andere häufig auf der
Strecke. Oft sind das Mechanismen, die ganz unbewusst ablaufen.
Das ist schon bei Kindern der Fall: Da ist der 8-jährige Kurt. Ihn
stört es, dass sich seine Kumpels viel häufiger mit Paul
unterhalten. Er selber aber, Kurt, will doch der beste Freund von
Paul sein, begehrt von ihm anerkannt zu werden. Und deshalb muss er
sich im Beisein der anderen Freunde immer auf deren Kosten
profilieren, und wenn sie nicht dabei sind, da macht er sie vor Paul
schlecht, und rückt sich selber ins beste Licht. Das sind
Mechanismen, die schon die Kleinen kennen, und die zu tun haben mit
dem Begehren. Und diese anderen Kumpels, sie sind die Sticheleien
von Kurt leid, ihre Kinderseelen werden dadurch ganz schön
angekratzt. Ob bei David oder Kurt, das eigene Begehren setzt oft
anderen Menschen zu. „Aber dem Herrn missfiel die Tat!“. Das steht
leider auch all zu oft über den Geschichten, die unser Leben
schreibt.
Gott aber sieht nicht nur traurig auf unsere Geschichten voller
Unrecht. Er wird vielmehr aktiv. Ich verlese unseren Predigttext:
V1-10.
Die Erzählung Nathans geht unter die Haut, die Erzählung vom armen
Mann, der ein einziges Schäflein hat, das mit seinen Kindern groß
wird, mit ihnen isst und trinkt, auf seinem Schoß schläft und wie
eine Tochter gehalten wird. Die Brutalität des reichen Mannes
dagegen ist schlicht unerträglich. Kein Wunder, dass David da ganz
impulsiv ruft: „Bei Gott, der Kerl ist ein Kind des Todes!“ Gott
rührt das Herz Davids durch die Geschichte Nathans an. Und David
lässt sich anrühren. Für das Unrecht, das anderen geschieht, hat er
einen klaren Blick und ein ungetrübtes Urteilsvermögen. Der Reiche,
der das einzige Schaf des armen Mannes genommen und für seine Gäste
geschlachtet hat, er soll des Todes sein. Doch wie sehr muss er
erschrecken, als Nathan ebenso klar antwortet: „Du bist der Mann!“
Damit ergeht es David wie vielen: Den Splitter im Auge des Nächsten,
den sehen wir sofort, doch der Balken im eigenen Auge bleibt
verborgen. Die Bibel nennt dies an anderer Stelle Hochmut. Das ist
neben der Begierde die zweite tiefe Ursache für so viel Übel.
Hochmut ist es, wenn ich als Chef die Mitarbeiter nur kritisiere,
ohne meine eigenen Fehler zu sehen. Hochmut ist es, wenn ich mich
als Vater nur über die schlechten Zeugnisnoten auslasse, ohne an das
eigene Zeugnis zu denken, oder daran, dass das Kind ja schon genug
leidet. Hochmut ist es, wenn ich als Christ anderen den Glauben
abspreche, nur weil sie nicht so glauben, wie ich es tue. Hochmut
ist es, wenn ich über meine Nachbarn urteile, die sich scheiden
lassen, ohne die näheren Umstände zu kennen und die tiefen Gräben,
die sich zwischen den Ehepartnern befinden, und ohne auf die eigenen
Eheprobleme zu sehen. Gesteigert ist dieser Hochmut beim Pharisäer,
der auf den Zöllner herabsieht und spricht: Ich danke dir Gott, dass
ich nicht so bin wie jener. Einfühlungsvermögen gepaart mit Hochmut
ist es, das David das klare Urteil sprechen lässt: Der Reiche ist
des Todes!
„Du bist der Mann!“, sagt Nathan. Da fiel es David wie Schuppen von
den Augen, denn so lesen wir weiter: V 13-15a.
„Ich habe gesündigt gegen den Herrn.“ David hat seine Schuld erkannt
und bekannt. Wie kam das so plötzlich? So plötzlich kam das nicht.
Schon längst wusste er, dass das nicht recht ist, was er tut. Hätte
er sonst das Kind Uria unterschieben wollen? Doch die Stimme, die
Unrecht ruft, ist zu schwach gegenüber den Stimmen der Begierde und
des Hochmuts. Erst Nathans Erzählung hat die Stimme, die Unrecht
ruft, gestärkt, so dass sie sich schließlich durchsetzen konnte. Die
Gnade Gottes beginnt nicht erst mit dem Vergebungswort Nathans, sie
hat schon viel früher begonnen. Gott wurde aktiv, als er das Unrecht
sah. Er schickt Nathan, der seine feinfühlige Parabel erzählt. Gott
hilft David dadurch, den Fehler zu erkennen und einzugestehen. Das
ist die Voraussetzung für einen Neuanfang.
Durch Nathans Geschichte konnte sich David in die Situation Urias
einfühlen. Nathans Parabel weitet auch unseren Blick hin zu den
anderen, mit denen wir zu tun haben, Ehepartner, Kinder, Kollegen,
Untergebene. Sie regen an, sich in ihre Situation zu versenken, die
Perspektive zu wechseln. Und Nathans hartes Wort „Du bist der Mann“
schreckt uns auf und konzentriert unseren Blick auf uns selbst, auf
unsere eigenen Verstrickungen. Gott ruft mit Nathan nicht nur David,
sondern auch uns heraus aus dem Teufelskreis der Begierden und ihrer
Folgen, heraus der Hochmut. Und wer da heraustritt, der wird dann
Freiheit spüren, und der wird eine Haltung der Demut gewinnen, die
nicht nur Gott wohlgefällig ist, sondern auch dem Nächsten zum Guten
dient. „Du bist der Mann!“ - vielleicht sollten wir uns das
immer wieder sagen, wenn wir in der Gefahr stehen, über andere zu
urteilen. Denn mit Demut und im Wissen um eigene Schwächen gehe ich
mit anderen Menschen anders um. David jedenfalls hat diese Demut
gelernt.
Wer da wie er über sich selbst erschrickt, dem gilt auch das andere
Wort Nathans, das er zu David sagt: „So hat auch der Herr deine
Sünde weggenommen, du wirst nicht sterben.“ Gott vergibt ihm. So
kennen wir Gott. Doch der Autor des 2. Samuelbuchs lässt Nathan
weitersprechen: „Aber weil du die Feinde des Herrn zum Lästern
gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren wird sterben.“ Haben
wir richtig gehört? Gott lässt einen Unschuldigen sterben? David
erlangt Vergebung, doch auf Kosten seines Sohnes? Die Kirchenväter
haben darin vorabgebildet gesehen, was einmal mit einem anderen
Davidssohn geschehen wird: Der wird auch unschuldig sein und
sterben, und durch ihn werden sie leben und wird ihnen vergeben,
allen Menschen, die an ihn glauben. Und doch erschrecken wir über
diese Todesbotschaft Nathans. Die Wissenschaft urteilt, dass das
erste Kind von David und Bathseba gestorben ist, und dass die
Menschen das damals als Strafe für Davids Verfehlung gesehen haben.
Und so kam der Autor unserer Geschichte nicht umhin, Nathan diese
Worte in den Mund zu legen und ihn vorher ankündigen zu lassen, was
man später als Strafe wahrgenommen hat. Der Tod des Sohnes als
Strafe ruft zu Recht Widerspruch hervor.
Mein Blick aber bleibt bei jenem anderen Davidsohn hängen, der uns
gezeigt hat, wie Gott zu uns ist, der die Liebe vorgelebt hat und
für uns alle in den Tod gegangen ist. Und deshalb kann ein Christ
die Worte Nathans nachsprechen, und sie jedem sagen, der an seiner
Schuld leidet und sie bekennt: „So hat auch der Herr deine Sünde
weggenommen.“ Wir feiern gleich Beichte: Dort werde ich ihnen im
Namen Gottes diese Vergebung auch persönlich zusprechen. Menschen,
die wie David sagen: Herr, ich habe gesündigt gegen dich, oder die
wie der Zöllner vor Gott zu Boden fallen und sprechen: Gott sei mir
Sünder gnädig, die dürfen sich wieder getrost erheben und frei von
aller Last ihres Weges gehen.
Die Geschichte von David, Bathseba und Nathan passt in das
Samstagabendprogramm: Liebe, Leidenschaft und Tod. Und gleichzeitig
passt sie da gar nicht hinein. Denn sie ist eingebettet in die
Geschichte Gottes, in Glaube, Hoffnung und Liebe, in Erkenntnis der
Schuld, Reue, Vergebung und Neuanfang. Sie erzählt davon, wie Gott
sich bemerkbar macht und Herzen anrührt. Und wie er dadurch Menschen
in die Freiheit führt, sie aus Verstrickungen löst und ihnen neuen
Raum zum Leben schenkt. Menschen wie David, wie dich und mich.
Vikar
Jörg Mahler
(Hospitalkirche
Hof) |
Text:
1 Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der
zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt,
der eine reich, der andere arm.
2 Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder;
3 aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das
er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm
zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus
seinem Becher und schlief in seinem Schoß und er hielt's wie eine
Tochter.
4 Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über
sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas
zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des
armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war.
5 Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan:
So wahr der HERR lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das
getan hat!
6 Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und
sein eigenes geschont hat.
7 Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR,
der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und
habe dich errettet aus der Hand Sauls
8 und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und
habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig,
will ich noch dies und das dazutun.
9 Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan
hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit
dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast
du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter.
10 Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil
du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast,
dass sie deine Frau sei.
13 Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN.
Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde
weggenommen; du wirst nicht sterben.
14 Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern
gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes
sterben.
15 Und Nathan ging heim.
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