Predigt     2. Samuel 7/4-6,12-15a     Heiliger Abend     24.12.10

"Ein Traum wird wahr"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

„Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da, die Nacht ist da, dass was gescheh!“, heißt es im Schlager. Und in der Tat, vieles geschieht nachts. Die Nacht ist voller Geheimnisse. Die Welt ist leiser als am Tage, wenn alle geschäftig ihren Aufgaben nachgehen. Der Lärm verebbt, Lichter verlöschen. Ruhe breitet sich aus. In der Dunkelheit und Stille der Nacht ist das menschliche Herz empfänglich für das Besondere und Geheimnisvolle. Die Seele ist offener und verletzlicher als am Tage. Das Ohr hörbereiter für die leise, innere Stimme, die sonst vom Lärm des Tages übertönt wird. Der Kopf ist freier, wenn die Gedanken und Sorgen des Tages zur Ruhe kommen, beiseite gelegt für ein paar Stunden Schlaf und Erholung.

Aber nicht alles schläft. Mancher kann nicht schlafen, weil Sorgen und Probleme nicht zur Ruhe kommen wollen, ja, in der Stille der Nacht umso bedrängender werden, weil es keine Ablenkung mehr gibt. Dann macht die Dunkelheit Angst. Die Gedanken drehen sich im Kreis. So ist die Nacht oft auch die Zeit der Sehnsucht, deren Stimme wir am Tag oft überhören, die wir aber alle im Herzen tragen und die uns heute hier verbindet: Der Sehnsucht nach Erfüllung, nach dem guten, gelingenden Leben, im Einklang mit uns selbst und anderen, im Einklang auch mit der Natur. Es ist die Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit, nach Frieden auch im eigenen Herzen.
Diese Sehnsucht spricht auch mit der Stimme der Nacht: Sie zeigt sich in Bildern und Symbolen, in Träumen und Visionen. Eine solche nächtliche Vision hatte einst auch der Prophet Samuel. Wir hören 2. Samuel 7, 4–6,12–15a (siehe rechte Spalte).

Auch der Prophet Nathan träumt. Wie alle Propheten ist er in besonderer Weise empfänglich für das, was sich die Schulweisheit nicht träumen lässt. Seine Seele ist offen für das Unerhörte und Besondere, sein Verstand für neue, ungewöhnliche Gedanken. Sein Ohr und Herz für die innere Stimme - die Stimme Gottes, so hört es Nathan, die einen Auftrag für ihn hat. Der Auftrag, den Nathan im Traum erhält, bedeutet zunächst, den Traum eines anderen zu zerstören. Den Traum von König David nämlich, einen Tempel zu bauen.

So viel hatte dieser David ja erreicht in seinem Leben. Ein märchenhafter Aufstieg. Vom unterschätzten Jüngelchen zum gewitzten Kriegshelden. Vom Hirtenjungen zum Höfling am Königshof und schließlich selber König, mit großen militärischen und politischen Erfolgen. Eine Blütezeit, in der das Ideal von Frieden und Gerechtigkeit für alle näher gerückt schien. Aber David hatte auch bittere Krisen durchlebt und durchlitten. Er war schuldig geworden und beinahe zerbrochen an dieser selbstverschuldeten Lebenskrise. Familiäre Streitigkeiten und mörderische Intrigen überschatteten Davids spätere Herrschaft.

Aber nun war er zur Ruhe gekommen. Er ließ sein Leben Revue passieren und stellte fest: Ich wohne in einem vornehmen Haus – die Bundeslade aber, Zeichen für Gottes Gegenwart, ist in einem Zelt untergebracht. Das erscheint David unangemessen. Er träumt davon, Gott ein schöneres, vornehmes Haus zu bauen. Aber aus Davids Traum vom Tempel wird nichts. Erst sein Sohn Salomo baut schließlich den Tempel.
Ist er, Salomo, also derjenige, auf den die Prophezeiung gemünzt ist: „Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will seinen Königsthron bestätigen ewiglich“? Gewiss, den Tempel hat er gebaut. Aber der Tempel wurde zerstört, und auch das Königtum Salomos hatte keinen Bestand auf ewig.

Früh haben daher die ersten Christen die alte Prophezeiung neu gedeutet und sie in Jesus erfüllt gesehen. Darum bringen sie Jesu Lebensgeschichte mit der von König David in Verbindung. Darum verlegt Lukas die Geburt Jesu nach Bethlehem, in die Stadt Davids. Von Anfang an, soll das heißen, gibt es eine Linie vom einen zum anderen. In Jesus erfüllen sich die alten Verheißungen. In ganz anderer Weise freilich, als sich das Nathan oder David je hätten vorstellen können.

Denn das Haus, das Jesus baut, ist kein Tempel. Es ist überhaupt kein festes Haus. Jesus bleibt in der Tradition des Wüstengottes, der in Zelten lebt, der mitgeht und mitwandert mit seinem Volk: Schon bald nach seiner Geburt ist das Kind Jesus unterwegs, auf der Flucht. Der erwachsene Jesus zieht sich vor Beginn seines Wirkens in die Wüste zurück. Als Wanderprediger ist er dann unterwegs, ohne festen Wohnsitz, ohne einen sicheren Platz, an dem er seinen Kopf betten kann, so sagt er von sich. Jesus baut sich sein Haus im Herzen der Menschen.

O ja, er geht auch in den Tempel, schon früh, als Kind, diskutiert er dort über Gott und die Welt. Und er erträgt es nicht, wenn im Tempel Geschäfte gemacht werden mit den religiösen Bedürfnissen der Menschen. Er treibt die Händler hinaus. Aber er weiß auch: Um Gott zu finden, braucht es den Tempel nicht. Es braucht allein ein offenes Herz. Er findet Gott im Alltag! Und davon erzählt er, damit auch die anderen aufmerksam werden für Gottes Nähe in ihrem alltäglichen Leben. Wenn sie ihre Äcker bestellen oder in den Küchen das Brot backen. Wenn sie einkaufen auf dem Markt oder miteinander Feste feiern. Wenn sie gemeinsam essen und trinken und teilen, was sie haben. Davon spricht er, und er predigt nicht im Tempel, sondern in Privathäusern oder auf der Straße. Die Menschen versammeln sich um ihn auf einem Berg oder an einem See. Sie begegnen ihm, während sie ihrem Beruf nachgehen. Beim Fischen, beim Wasserholen, an der Zollstation. Mitten im Leben!

Glaube und Alltag sind eins bei ihm. Das Heilige und das Profane sind nicht länger getrennte Lebensbereiche, sondern einer durchdringt den anderen! Der Glaube verändert den Alltag, den Blick auf das Gewohnte, die Haltung zu den Mitmenschen.
Gott mitten im Leben! In unserem Leben! In unserem Alltag - da will er wohnen! Das ist die Weihnachtsbotschaft.

Es ist schön, sie in dieser besonderen Nacht wieder zu hören, in einer Nacht, in der wir alle die Stimme unseres Herzens hören und auch empfänglich sind für die Stimme unseres himmlischen Vaters, wo wir der Sehnsucht Raum geben, die in uns ist. Nicht umsonst wird die Weihnachtsbotschaft nachts verkündet. In der Nacht, wenn die Geschäftigkeit Pause hat und die Hirten, die bei ihrer Herde wachen, mit geschärften Sinnen hinaus lauschen in die Nacht.

Und nicht im Tempel wird sie verkündet, nicht in der Stadt, nicht im Königpalast, in der Zentrale der Macht, sondern unter freiem Himmel, auf dem Feld. Nicht den Mächtigen und Bedeutenden zuerst, sondern den Armen und Unbedeutenden. „Euch ist heute der Heiland geboren!“ Nicht im Palast, sondern im Stall ist er geboren, und die Ersten, die ihn sehen, sind einfache Leute. Nur so, meinte Lukas, passt es zum Leben Jesu, und so erzählt er von der Nacht, die für die Hirten beginnt wie jede andere. Bis zu dem Augenblick, als sie Ungewohntes hören und sehen und staunen.

„Die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott.“ Sie gehen danach zurück in ihren Alltag und finden ihn doch verändert. Weil diese Nacht, die war wie keine andere, sie verändert hat. Mit einem neuen Gefühl für die eigene Würde gehen sie wieder an die Arbeit, durchdrungen von dem Wissen, wie eng beides zusammengehört, das Beten und das alltägliche Tun. Sie haben erfahren: Gott ist nicht fern. Er ist ganz nah. Weder in der Weite des Himmels noch in der Enge eines Hauses, sondern da, wo Menschen leben und ihr Leben teilen, ihre Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit. Er geht ihre Wege mit. Jesus hat es gezeigt mit seinem Leben. Viele Wege ist er mitgegangen. Viel Leben hat er geteilt mit den Menschen, denen er begegnete. Er hat sie aufgerichtet, ihnen Augen und Herzen geöffnet für die Schönheit und den Wert und die Würde ihres Lebens, allen Lebens. Die sich öffnen für diese Botschaft, können sie überall hören und erfahren.

Denn Gott wohnt, wo man ihn einlässt. Das Kind in der Krippe will in unseren Herzen wohnen und sein Haus bauen, oder besser: sein Zelt aufschlagen und uns mitnehmen auf seinen Weg. Damit sich an der einen oder anderen Stelle die Träume und Sehnsüchte nach Frieden und Gerechtigkeit erfüllen und wahr werden - als Zeichen und Vorschein, dass es eines Tages für alle Welt wahr wird: Frieden auf Erden den Menschen, die Gott liebt.

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

4 In der Nacht aber kam das Wort des HERRN zu Nathan:
5 Geh hin und sage zu meinem Knecht David: So spricht der HERR: Solltest du mir ein Haus bauen, dass ich darin wohne?
6 Habe ich doch in keinem Hause gewohnt seit dem Tag, da ich die Israeliten aus Ägypten führte, bis auf diesen Tag, sondern ich bin umhergezogen in einem Zelt als Wohnung.
12 Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern schlafen legst, will ich dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe kommen wird; dem will ich sein Königtum bestätigen.
13 Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will seinen Königsthron bestätigen ewiglich.
14 Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein. Wenn er sündigt, will ich ihn mit Menschenruten und mit menschlichen Schlägen strafen;
15 aber meine Gnade soll nicht von ihm weichen.

 


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