Liebe Leser,
„Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da, die Nacht ist da, dass
was gescheh!“, heißt es im Schlager. Und in der Tat, vieles
geschieht nachts. Die Nacht ist voller Geheimnisse. Die Welt ist
leiser als am Tage, wenn alle geschäftig ihren Aufgaben nachgehen.
Der Lärm verebbt, Lichter verlöschen. Ruhe breitet sich aus. In der
Dunkelheit und Stille der Nacht ist das menschliche Herz empfänglich
für das Besondere und Geheimnisvolle. Die Seele ist offener und
verletzlicher als am Tage. Das Ohr hörbereiter für die leise, innere
Stimme, die sonst vom Lärm des Tages übertönt wird. Der Kopf ist
freier, wenn die Gedanken und Sorgen des Tages zur Ruhe kommen,
beiseite gelegt für ein paar Stunden Schlaf und Erholung.
Aber nicht alles schläft. Mancher kann nicht schlafen, weil Sorgen
und Probleme nicht zur Ruhe kommen wollen, ja, in der Stille der
Nacht umso bedrängender werden, weil es keine Ablenkung mehr gibt.
Dann macht die Dunkelheit Angst. Die Gedanken drehen sich im Kreis.
So ist die Nacht oft auch die Zeit der Sehnsucht, deren Stimme wir
am Tag oft überhören, die wir aber alle im Herzen tragen und die uns
heute hier verbindet: Der Sehnsucht nach Erfüllung, nach dem guten,
gelingenden Leben, im Einklang mit uns selbst und anderen, im
Einklang auch mit der Natur. Es ist die Sehnsucht nach Frieden und
Gerechtigkeit, nach Frieden auch im eigenen Herzen.
Diese Sehnsucht spricht auch mit der Stimme der Nacht: Sie zeigt
sich in Bildern und Symbolen, in Träumen und Visionen. Eine solche
nächtliche Vision hatte einst auch der Prophet Samuel. Wir hören 2.
Samuel 7, 4–6,12–15a (siehe rechte Spalte).
Auch der Prophet Nathan träumt. Wie alle Propheten ist er in
besonderer Weise empfänglich für das, was sich die Schulweisheit
nicht träumen lässt. Seine Seele ist offen für das Unerhörte und
Besondere, sein Verstand für neue, ungewöhnliche Gedanken. Sein Ohr
und Herz für die innere Stimme - die Stimme Gottes, so hört es
Nathan, die einen Auftrag für ihn hat. Der Auftrag, den Nathan im
Traum erhält, bedeutet zunächst, den Traum eines anderen zu
zerstören. Den Traum von König David nämlich, einen Tempel zu bauen.
So viel hatte dieser David ja erreicht in seinem Leben. Ein
märchenhafter Aufstieg. Vom unterschätzten Jüngelchen zum gewitzten
Kriegshelden. Vom Hirtenjungen zum Höfling am Königshof und
schließlich selber König, mit großen militärischen und politischen
Erfolgen. Eine Blütezeit, in der das Ideal von Frieden und
Gerechtigkeit für alle näher gerückt schien. Aber David hatte auch
bittere Krisen durchlebt und durchlitten. Er war schuldig geworden
und beinahe zerbrochen an dieser selbstverschuldeten Lebenskrise.
Familiäre Streitigkeiten und mörderische Intrigen überschatteten
Davids spätere Herrschaft.
Aber nun war er zur Ruhe gekommen. Er ließ sein Leben Revue
passieren und stellte fest: Ich wohne in einem vornehmen Haus – die
Bundeslade aber, Zeichen für Gottes Gegenwart, ist in einem Zelt
untergebracht. Das erscheint David unangemessen. Er träumt davon,
Gott ein schöneres, vornehmes Haus zu bauen. Aber aus Davids Traum
vom Tempel wird nichts. Erst sein Sohn Salomo baut schließlich den
Tempel.
Ist er, Salomo, also derjenige, auf den die Prophezeiung gemünzt
ist: „Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will seinen
Königsthron bestätigen ewiglich“? Gewiss, den Tempel hat er gebaut.
Aber der Tempel wurde zerstört, und auch das Königtum Salomos hatte
keinen Bestand auf ewig.
Früh haben daher die ersten Christen die alte Prophezeiung neu
gedeutet und sie in Jesus erfüllt gesehen. Darum bringen sie Jesu
Lebensgeschichte mit der von König David in Verbindung. Darum
verlegt Lukas die Geburt Jesu nach Bethlehem, in die Stadt Davids.
Von Anfang an, soll das heißen, gibt es eine Linie vom einen zum
anderen. In Jesus erfüllen sich die alten Verheißungen. In ganz
anderer Weise freilich, als sich das Nathan oder David je hätten
vorstellen können.
Denn das Haus, das Jesus baut, ist kein Tempel. Es ist überhaupt
kein festes Haus. Jesus bleibt in der Tradition des Wüstengottes,
der in Zelten lebt, der mitgeht und mitwandert mit seinem Volk:
Schon bald nach seiner Geburt ist das Kind Jesus unterwegs, auf der
Flucht. Der erwachsene Jesus zieht sich vor Beginn seines Wirkens in
die Wüste zurück. Als Wanderprediger ist er dann unterwegs, ohne
festen Wohnsitz, ohne einen sicheren Platz, an dem er seinen Kopf
betten kann, so sagt er von sich. Jesus baut sich sein Haus im
Herzen der Menschen.
O ja, er geht auch in den Tempel, schon früh, als Kind, diskutiert
er dort über Gott und die Welt. Und er erträgt es nicht, wenn im
Tempel Geschäfte gemacht werden mit den religiösen Bedürfnissen der
Menschen. Er treibt die Händler hinaus. Aber er weiß auch: Um Gott
zu finden, braucht es den Tempel nicht. Es braucht allein ein
offenes Herz. Er findet Gott im Alltag! Und davon erzählt er, damit
auch die anderen aufmerksam werden für Gottes Nähe in ihrem
alltäglichen Leben. Wenn sie ihre Äcker bestellen oder in den Küchen
das Brot backen. Wenn sie einkaufen auf dem Markt oder miteinander
Feste feiern. Wenn sie gemeinsam essen und trinken und teilen, was
sie haben. Davon spricht er, und er predigt nicht im Tempel, sondern
in Privathäusern oder auf der Straße. Die Menschen versammeln sich
um ihn auf einem Berg oder an einem See. Sie begegnen ihm, während
sie ihrem Beruf nachgehen. Beim Fischen, beim Wasserholen, an der
Zollstation. Mitten im Leben!
Glaube und Alltag sind eins bei ihm. Das Heilige und das Profane
sind nicht länger getrennte Lebensbereiche, sondern einer
durchdringt den anderen! Der Glaube verändert den Alltag, den Blick
auf das Gewohnte, die Haltung zu den Mitmenschen.
Gott mitten im Leben! In unserem Leben! In unserem Alltag - da will
er wohnen! Das ist die Weihnachtsbotschaft.
Es ist schön, sie in dieser besonderen Nacht wieder zu hören, in
einer Nacht, in der wir alle die Stimme unseres Herzens hören und
auch empfänglich sind für die Stimme unseres himmlischen Vaters, wo
wir der Sehnsucht Raum geben, die in uns ist. Nicht umsonst wird die
Weihnachtsbotschaft nachts verkündet. In der Nacht, wenn die
Geschäftigkeit Pause hat und die Hirten, die bei ihrer Herde wachen,
mit geschärften Sinnen hinaus lauschen in die Nacht.
Und nicht im Tempel wird sie verkündet, nicht in der Stadt, nicht im
Königpalast, in der Zentrale der Macht, sondern unter freiem Himmel,
auf dem Feld. Nicht den Mächtigen und Bedeutenden zuerst, sondern
den Armen und Unbedeutenden. „Euch ist heute der Heiland geboren!“
Nicht im Palast, sondern im Stall ist er geboren, und die Ersten,
die ihn sehen, sind einfache Leute. Nur so, meinte Lukas, passt es
zum Leben Jesu, und so erzählt er von der Nacht, die für die Hirten
beginnt wie jede andere. Bis zu dem Augenblick, als sie Ungewohntes
hören und sehen und staunen.
„Die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott.“ Sie gehen
danach zurück in ihren Alltag und finden ihn doch verändert. Weil
diese Nacht, die war wie keine andere, sie verändert hat. Mit einem
neuen Gefühl für die eigene Würde gehen sie wieder an die Arbeit,
durchdrungen von dem Wissen, wie eng beides zusammengehört, das
Beten und das alltägliche Tun. Sie haben erfahren: Gott ist nicht
fern. Er ist ganz nah. Weder in der Weite des Himmels noch in der
Enge eines Hauses, sondern da, wo Menschen leben und ihr Leben
teilen, ihre Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit. Er geht ihre
Wege mit. Jesus hat es gezeigt mit seinem Leben. Viele Wege ist er
mitgegangen. Viel Leben hat er geteilt mit den Menschen, denen er
begegnete. Er hat sie aufgerichtet, ihnen Augen und Herzen geöffnet
für die Schönheit und den Wert und die Würde ihres Lebens, allen
Lebens. Die sich öffnen für diese Botschaft, können sie überall
hören und erfahren.
Denn Gott wohnt, wo man ihn einlässt. Das Kind in der Krippe will in
unseren Herzen wohnen und sein Haus bauen, oder besser: sein Zelt
aufschlagen und uns mitnehmen auf seinen Weg. Damit sich an der
einen oder anderen Stelle die Träume und Sehnsüchte nach Frieden und
Gerechtigkeit erfüllen und wahr werden - als Zeichen und Vorschein,
dass es eines Tages für alle Welt wahr wird: Frieden auf Erden den
Menschen, die Gott liebt.
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof) |
Text: 4 In der Nacht aber kam
das Wort des HERRN zu Nathan:
5 Geh hin und sage zu meinem Knecht David: So spricht der HERR:
Solltest du mir ein Haus bauen, dass ich darin wohne?
6 Habe ich doch in keinem Hause gewohnt seit dem Tag, da ich die
Israeliten aus Ägypten führte, bis auf diesen Tag, sondern ich bin
umhergezogen in einem Zelt als Wohnung.
12 Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern schlafen
legst, will ich dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe
kommen wird; dem will ich sein Königtum bestätigen.
13 Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will seinen
Königsthron bestätigen ewiglich.
14 Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein. Wenn er
sündigt, will ich ihn mit Menschenruten und mit menschlichen
Schlägen strafen;
15 aber meine Gnade soll nicht von ihm weichen.
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