Liebe Leser,
über den Geist der Furcht lässt sich auch so predigen: Furcht ist
ein dem Menschen angeborener Instinkt, der ihn vor Gefahren warnt.
Sie hindert ihn offenen Auges in einen Abgrund zu laufen, sein Leben
aufs Spiel zu setzen oder eine Nummer kleiner, sich unmöglich oder
lächerlich zu machen. Furcht lässt den Menschen Vorsorge treffen,
Zukunftspläne machen, eine Rundumversicherung abschließen. Furcht
ist ein guter Ratgeber, eine nützliche Eigenschaft. Hoch zu loben
ist der, der sein Haus bestellt hat. Zukunftsfähig nennen wir so
etwas. Heute Vorsorge treffen, damit wir auch morgen noch gut leben
können. Nicht nur in unserem Dekanat, sondern auch von den
Kirchenleitungen nah und fern, hören wir ja schon lange gar nichts
anderes mehr.
Da müssen wir schon etwas bekümmert sein, dass der Heilige Geist,
also Gott selbst, mit solcher Furcht offenbar nichts zu tun haben
will. Und wer den griechischen Urtext betrachtet, findet an der
Stelle ein Wort, das Martin Luther zwar mit Furcht übersetzt, das
aber eigentlich „Feigheit“ bedeutet. Gott hat uns nicht den Geist
der Feigheit gegeben. Natürlich könnten wir jetzt mit Paulus
verhandeln, ob es denn wirklich angemessen ist, eine gesunde Furcht
vor dem, was die Zukunft bringen könnte, eine gute Vorsorge für
morgen unter den Verdacht der Feigheit zu stellen. Paulus verhandelt
aber nicht. Er lässt den unheiligen Geist der Feigheit und den
heiligen Geist der Besonnenheit kritisch nebeneinander stehen und
ruft uns zum Prüfen der Geister auf. Und wir merken bang: beide sind
oft elend nahe beieinander. Und manchmal kommt der Geist der
Feigheit im Gewand der Besonnenheit daher.
Einen solchen Etikettenschwindel dürfen wir nicht kleinreden. Denn
immerhin folgert Paulus haarscharf, dass der Ungeist der Feigheit
unter Christenmenschen zugleich Ausweis einer fatalen Scham ist, mit
der man sich des Evangeliums von Jesus Christus schämt und etwas
anderes an seine Stelle setzt. Hier geht es um die Glaubwürdigkeit
des Christenmenschen, die gerade nicht darin besteht, dass er
moralisch untadelig ist, sondern dass er sich in seinem Denken,
Reden und Tun, des Evangeliums nicht schämt.
Eine Auslegerin schreibt: „Feigheit ist eine Form des Widerstandes
gegen den Ruf zum Leben, die jede und jeder von sich selbst kennt.
Es ist der menschlich-allzumenschliche Versuch, Konflikten
auszuweichen um den Preis, die ureigensten Werte verleugnen oder gar
verraten und opfern zu müssen. Feige zu sein ist schimpflich und
geht einher mit innerer Zerrissenheit, auch wenn es nach außen
aussieht wie Ruhe und Frieden.“ (Brigitte Seifert, GPM, 3/2004, Heft
4, S.468)
Der Bundesumweltminister Norbert Röttgen konnte einem schon Leid tun
in den letzten Wochen. Er hat in der Frage nach längeren Laufzeiten
für Atomkraftwerke den Aufstand gewagt und verloren. Er hat verloren
gegen eine Politik, die vor der großen Aufgabe, unsere
Energieversorgung auf regenerative Energien umzustellen, kapituliert
hat und den damit verbundenen Zumutungen für uns alle aus dem Weg
gegangen ist. Stattdessen wurde das Recht verlängert, weiterhin
Atommüll zu produzieren, dessen Endlagerung völlig ungeklärt ist,
und der noch viele Generationen nach uns bedrohen und beschäftigen
wird. Wir werden längst zu Staub zerfallen sein, während sich unsere
Nachkommen weiter mit dem Müll unseres heutigen Wohlstands
herumärgern müssen. Ein Recht auf solche Hinterlassenschaften hatten
wir nie. Das spricht gegen alles, was wir für gut und richtig halten
sollen. Es ist eben nichts anderes als der Geist der Feigheit, der
sich hier wieder einmal durchgesetzt hat.
Der Geist der Feigheit nährt sich von der Angst, von der Angst vor
dem großen und kleinen Tod. Oder wie ist es anders zu erklären, dass
Menschen auf offener Straße überfallen und fast totgeprügelt werden,
während Passanten angestrengt wegschauen? Wie ist es zu erklären,
dass einem, der in die Schussline gerät oder das Opfer von übler
Nachrede und Mobbing wird, auf einmal die Freunde ausgehen? Die
gleiche Erfahrung machen Kranke, Trauernde und Menschen, die ihre
Arbeit und ihren Wohlstand verlieren. Was tun Menschen anderen nicht
alles an, aus Angst zu kurz zu kommen; aus Angst, ihre Macht und ihr
Geld zu verlieren, nicht ernstgenommen zu werden; aus Angst vor der
eigenen Bedeutungslosigkeit?
Das geht uns nichts an, sagen wir dann. Da wollen wir uns nicht
einmischen. Da sind doch andere dafür zuständig. Die werden das
schon richtig machen. Lieber ein Gebet sprechen, als ein klares Wort
reden. Lieber nachdenklich den Kopf schütteln, statt Stellung
beziehen. Wir wollen doch nicht streiten. Hände falten, Goschen
halten. So kommt der Geist der Feigheit im Gewand christlicher
Besonnenheit daher. Sieht aus wie Ruhe und Frieden und ist es in
Wahrheit doch nicht.
Paulus ist nun freilich nicht der Meinung, dass hier Appelle helfen.
Seid doch mutiger! Zeigt mehr Zivilcourage! Solche Sonntagsreden
werden viele gehalten und sie wirken immer dann besonders komisch,
wenn der, der sie hält, nicht gerade für seine Konfliktfähigkeit
bekannt ist und ein paar Bodygards neben sich stehen hat. Damit gibt
sich Paulus nicht ab. Er erinnert uns vielmehr an das Evangelium von
Jesus Christus. Er erinnert uns an den Christus, der den Tod besiegt
und dem Tod die Macht genommen hat. Damit fallen die großen und die
kleinen Drohkulissen des Todes in sich zusammen. Der Totenschädel
darf ins Regal zu den Kürbismasken für Halloween gelegt werden. Wem
will man damit noch richtig Angst machen? Christus Jesus hat dem
Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen
ans Licht gebracht durch das Evangelium.
Dieses unvergängliche Wesen und die Gnade Jesu Christi umspannen die
Welt und alle Zeiten und wir stehen im Glauben mittendrin. Im Geist
der Besonnenheit besinnen wir uns eben darauf. Das Leben bestimmt
das Koordinatensystem und den Horizont unseres Daseins und nicht
länger der Tod. Und nebenbei ist der Heilige Geist der beste Freund
des gesunden Menschenverstandes. Schon der ist ja ein
unversöhnlicher Widersacher aller verlogenen Zustände. Ruhe und
Frieden aus dem Geist der Feigheit sind ihm zuwider. Und der Liebe
erst recht. Denn Feigheit ist vor allem Lieblosigkeit. Das Gegenteil
von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.
Daher sollten wir unser Wertesystem einmal im Licht der Liebe Gottes
betrachten. Wir werden schnell feststellen, dass ohne die Liebe auch
das Beste schlecht wird: Pflicht ohne Liebe macht verdrießlich,
Verantwortung ohne Liebe rücksichtslos; Gerechtigkeit ohne Liebe
macht hart, Freundlichkeit ohne Liebe heuchlerisch; Klugheit ohne
Liebe macht grausam, Ordnung ohne Liebe kleinlich; Besitz ohne Liebe
macht geizig, Ehre ohne Liebe hochmütig; Glaube ohne Liebe macht
fanatisch.
Ohne die Liebe ist alles nichts. Besinnen wir uns darauf, dem Geist
der Feigheit zum Trotz. Kann schon sein, dass sich auch die Courage
des Glaubens nicht immer auszahlt und uns Anfeindung nicht erspart
bleibt. Paulus konnte davon handfeste Geschichten erzählen. Und
deshalb steht seine ganze Lebens- und Glaubenserfahrung im Raum,
wenn er uns und Timotheus daran erinnert: Nur wer sich des
Evangeliums nicht schämt und die Courage des Glaubens auch übt, wird
vom Geist der Kraft etwas erfahren.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text: Paulus schreibt:
7 Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist
der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
8 Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch
meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das
Evangelium in der Kraft Gottes.
9 Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht
nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der
Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt,
10 jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands
Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und
ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das
Evangelium. |