Predigt 4. Mose 11/11-12.14-17.24-25 Pfingsten I 27.05.07
"Geisterkräfte oder Kraft des Heiligen Geistes?" |
Liebe Leser,
wie viele von ihnen laufe ich oft die Ludwigstraße entlang. In einem Schaufenster ist mir ein Plakat ins Auge gefallen. In Großbuchstaben steht da das eine Wort: GEISTHEILUNG. Ich bin dort verweilt: An der Tür zum Geschäft fand ich einen Stapel gelber Handzettel. Einen habe ich mitgebracht. Als Überschrift lese ich wieder: Geistheilung. Und dann kann ich unter verschiedenen Rubriken wählen, was mein Herz begehrt, von Handauflegen und Fernheilung über Räucherung und Talismane bis zu Rückführungen in ein früheres Leben. Als ich diesen Zettel lese, muss ich an die Arzthelferin denken, die erzählt, dass eine Patientin sie gefragt habe, ob sie jemanden kenne, der Wunden bespricht und so heilt. Es scheint einerseits immer mehr solche Angebote zu geben, und auf der anderen Seite genug Menschen, die diese Angebote nachfragen. Beides bedingt sich also gegenseitig. Es gibt eine Sehnsucht nach dem Geheimnisvollen und nach geistvollen Gefühlswallungen, nach einer Spiritualität, die fasziniert und die sich zugleich allem Objektiven entzieht, nach einer unbestimmten Kraft, die wir durch allerlei Riten und Methoden anzapfen können. Mose klagt in unserem Predigtwort über die Last, die er tragen muss. Ist das vielleicht der Grund, warum viele Menschen so offen sind für solche Geister – weil sie Lasten zu tragen haben, die sie einengen und bedrücken, und weil sie meinen, dass es ihnen durch das Eintreten in diese unbekannten und geheimnisvollen Energiefelder leichter ums Herz wird und sie so neue Kraft bekommen? Ich sehe vor mir eine Frau, 45 Jahre alt. Jeden Morgen steht sie um fünf Uhr früh auf, um in die Arbeit zu fahren. Sie arbeitet Dreivierteltags als Bürokauffrau. Wenn sie dann nach hause kommt kümmert sie sich um Haus und Garten. Zwischendurch kocht sie noch das Abendessen für die Kinder und den Ehemann. Abends fällt sie geschafft ins Bett. Am Wochenende ist nicht nur wieder Garten und Haus angesagt: da engagiert sie sich auch im Turnverein. Sie leitet eine Jugendgruppe, und sie organisiert hier und dort mit. „Außer mir macht es ja keiner“, sagt sie gerne. Sie hat viel um die Ohren. Manchmal macht es ihr Spaß, so reinzupowern. Doch immer öfter denkt sie, sie kann nicht mehr, alles bricht über ihr zusammen. Auch Mose klagt über die Last, die er tragen muss: Er hat das Volk aus Ägypten geführt und leitet es nun durch die Wüste. Er hat sich seine Aufgabe nicht ausgesucht, sondern von Gott übertragen bekommen. Nun aber murrt das Volk, sie wollen statt des gewohnten und kargen Manna nun Fleisch und Fisch, Kürbisse, Melonen und Lauch. Sie murren gegen Gott und Mose. Mose steht zwischen den Fronten. Er ist innerlich aufgerieben und leidet unter seiner Aufgabe. Was tut Mose, dem die Last zuviel wird? Er kommt nicht auf die Idee, dass ihm ein bisschen Energie guttun könnte, die er in einer Edelstein-Meditation bekommt, oder ein Heilstrom, den ein Handaufleger in ihn sendet. Er wendet sich an Gott. Er spricht das aus, was ihn bedrückt: „Warum Herr legst du die Last dieses ganzen Volkes auf mich?“. Und dabei bleibt er nicht besonnen und wohlformulierend. Es platzt aus ihm heraus: „Töte mich lieber, wenn du diese Aufgabe nicht von mir nehmen willst, damit ich mein Scheitern nicht sehen muss.“. Das geht bis auf die Haut. Mose ist nicht zum Verzweifeln zu Mute, er ist längst verzweifelt. Er liegt auf dem Boden, und weiß nicht mehr weiter. An dieser Stelle, am Ende der Sackgasse angekommen, in der scheinbar nur der Tod das Leid zu beenden vermag – da antwortet Gott! Gott hat zugehört und sehr genau verstanden, worunter Mose leidet: Nicht nur unter der Last selbst, sondern auch darunter, dass er diese Last alleine tragen muss. „Ich vermag nicht allein dieses Volk zu tragen.“, klagt er. Und genau hier setzt Gott an mit seiner Antwort: Die Last für Mose wird leichter, wenn er sie nicht alleine tragen muss. Und so lässt Gott die 70 Ältesten vor der Stiftshütte versammeln und nimmt von dem Geist, der auf Mose liegt, und verteilt ihn auf die 70 Ältesten. Ich sehe vor mir nun Mose stehen, und neben ihm die Bürokauffrau. Was mag sie empfinden, wenn sie sieht, wie Mose mit dieser Last umgegangen ist? Kann es ihr helfen, darauf zu blicken, was mit Mose geschah? Vielleicht lässt sie sich ja von Mose anregen: Anregen, die Sorgen und die Lasten vor Gott zu bringen, und dabei nichts zu beschönigen: Gott ich kann nicht mehr, Beruf und Familie, Haus und Verein machen mich fertig! Die Last ist mir zu schwer, als dass ich sie weiter tragen könnte! Der Psalmist bekennt die Erfahrung des Glaubens, dass Gott solche Klagen nicht unberührt lassen: „Da sah er ihre Not an, als er ihre Klage hörte.“ Die Frau sieht, dass Mose Helfer zugestellt werden. Um nicht mehr alleine, sondern gemeinsam eine Last zu tragen, ist zweierlei nötig: Zum einen, muss ich bereit sein, auch Aufgaben abzugeben – viele tun sich da schwer, denn das Mitleid der anderen tut ja auch gut! Zum anderen müssen sich andere Menschen bewegen lassen, Aufgaben mit zu übernehmen: Der Ehemann, der auch einmal kocht, die Kinder, die im Garten helfen, und die passiven Vereinsmitglieder, die sich einmal überlegen sollten, warum sie im Verein sind, und dass dazu auch Engagement gehört. Übrigens ist das in der Kirche nicht anders: Da bekommen wir Pfarrer zu hören: Machen sie doch diese Jugendgruppe auf, und noch jenes andere kreative Angebot. Aber sind wir denn alleine die Gemeinde, und tragen wir nicht schon viele andere Dinge? Der Geist des Mose kam auf die 70 Ältesten, so dass sie Verantwortung übernahmen. Und der Pfingstgeist kam auf die ganze christliche Gemeinde. Auch diejenigen, die sich neue Angebote wünschen, sind Geistträger! Auch sie stehen in der Gemeinde in der Verantwortung wie jedes andere Glied. „Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung“, lesen wir. Der Geist bewegt und treibt an: Er bewegt zum Engagement in der Kirche, aber auch dazu, im privaten und öffentlichen Leben miteinander die Lasten zu tragen, andere zu entlasten und Neues zu wagen. Der Pfingstgeist ist der große Motor, der uns alle antreibt und in Bewegung bringt. Gott nimmt vom Geist des Mose und verteilt ihn um. Das erscheint uns seltsam. Unser Bild von der Ausgießung des Geistes ist doch eigentlich ein anderes: Wir stellen uns vor, wie sich der Himmel auftut, und der Geist aus der Höhe kommt. Hier aber wird der Geist von einem Menschen genommen und umverteilt. Das heißt doch aber, dass auch schon bevor Mose klagt und Hilfe von Gott bekommt, der Geist bei ihm ist. Vielleicht kann die Frau auch daraus Kraft gewinnen, und sich sagen: „Auch wenn mich Lasten quälen, so weiß ich, dass ich den Geist Gottes habe! Seit meiner Taufe gilt mir die Verheißung seines Geistes. Ich bin eine Geistträgerin!“. – Ist das nicht ein ausdrucksstarkes Bild, das Hoffnung weckt und Kraft schenkt? Wir sind Geistträger! Doch wie hilft uns dieser Geist eigentlich genau? Was macht er mit uns? Der Geist Gottes ist keine esoterische Kraftübertragungsquelle, die uns auf Knopfdruck Energie liefert. Aufgabe des Geistes Gottes ist es, uns zu Jesus Christus zu ziehen. Der Geist Gottes schließt uns die Tür zum Glauben auf. Der Heilige Geist lässt uns zur Ruhe kommen, weil wir uns bei Gott geborgen wissen. Er lässt uns mit Gott in Kontakt treten durch das Gebet. So war es wohl genau dieser Geist, der Mose überhaupt dazu bewegt hat, sich in seiner Not an Gott zu wenden und vor ihm seine Sorgen auszubreiten. Und der Geist steht für die Verheißungen Gottes ein, die z.B. lauten: All eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch!, oder: Wer in mir bleibt, der bringt viel Frucht! Der Geist lässt uns aus alledem Kraft und Energie für all die Dinge, die vor uns liegen, schöpfen! Wir alle sind seit Pfingsten Geistträgerinnen und Geistträger! Und wir dürfen bittend und staunend das Wirken des Geistes an uns geschehen lassen! Wer nun Geistträger ist, von dem kann nun selbst dieser Geist ausgehen, wie bei Mose geschehen. Bestimmt kennen sie das, dass ihnen ein Mensch begegnet, der eine besondere Ausstrahlung hat, der sie fasziniert und ansteckt. Da springt etwas vom Geist dieses Menschen auf sie über! Und das gibt es im Glauben: dass da Menschen so im Glauben leben, dass von ihnen einfach ein Funke ausgeht, der andere ansteckt. Auch das gehört für mich zu Pfingsten: Der Geist verbreitet sich von einem zum anderen. Dabei ist es keineswegs so, dass dann Mose oder wer auch immer weniger Geist hätte, wenn er umverteilt und weitergegeben wird. Die Rabbinen haben dafür ein schönes Bild gefunden. Sie schreiben: „Mose glich in jener Stunde einer auf einem Leuchter brennenden Kerze. Mit der Kerze wurden andere Kerzen angesteckt, doch ihr Licht nahm nicht ab.“. Als Christen dürfen wir solche Lichter sein! An uns dürfen sich andere mit dem Heiligen Geist anstecken. Und damit brauchen wir als Christen auch keine solchen Werbezettel zu drucken. Denn wir selbst sind als Menschen lebendige und überzeugendere Werbeplakate, in dem wir diesen Geist ausstrahlen. Und statt dubiose und kostenintensive Geisterkräfte hat Gott die Kraft seines Heiligen Geistes im Angebot, und diesen Geist gibt es umsonst und rund um die Uhr. Möge Gott es uns schenken, dass wir die Kraft seines Heiligen Geistes erleben, gerade auch wenn uns Lasten niederdrücken, und dass wir zu Geistträgern werden, zu brennenden Kerzen, die andere mit ihrem Schein anstecken. |
Text: 11 Und Mose sprach zu dem HERRN: Warum bekümmerst du deinen Knecht? Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volks auf mich legst? 12 Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren, dass du zu mir sagen könntest: Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast? 14 Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer. 15 Willst du aber doch so mit mir tun, so töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muss. 16 Und der HERR sprach zu Mose: Sammle mir siebzig Männer unter den Ältesten Israels, von denen du weißt, dass sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, 17 so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen musst. 24 Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte des HERRN und versammelte siebzig Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte. 25 Da kam der HERR hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf. |