Predigt     4. Mose 6/22-27     Trinitatis     26.05.13

"Weniger ist mehr!"
(Von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

„In seiner Neuordnung des evangelischen Gottesdienstes als ‚Deutsche Messe‘(1526) setzte Martin Luther den aaronitischen Segen an die Stelle des trinitarischen Segens, der bis heute am Schluss eines römisch-katholischen Gottesdienstes steht. (Es segne euch der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.) Luther begründete seinen Vorschlag damit, dass der aaronitische Segen im Unterschied zum trinitarischen Segen auf eine göttliche Anordnung zurückgehe und in seinem biblischen Wortlaut viel reicher und umfassender als der trinitarische Segen sei. Ähnlich konnte auch Calvin in seiner Auslegung von 4. Mose 6, 22-27 schreiben: ‚Aber die eigentümliche hebräische Ausdrucksweise hat doch eine besondere Kraft.‘

Dennoch wollte Luther nicht auf eine trinitarische Interpretation des aaronitischen Segens verzichten. In einer Predigt über den ‚Segen, so man nach der Messe spricht über das Volk‘ unternahm Luther den Versuch, die drei Zeilen des aaronitischen Segens mit den drei Personen der Trinität zusammenzubringen. Die erste Zeile bezog Luther auf Gott, den Schöpfer: ‚Der Herr segne dich und behüte dich, das ist, er gebe dir gnädiglich Leib und Leben, und was dazu gehört‘ Die zweite Zeile wird auf den Sohn bezogen: ‚Also wird dem Sohn zugeeignet das Werk der Erlösung, welches dieser Segen auch berührt und erklärt, da er spricht: der Herr erleuchte sein Angesicht über dir etc. das ist, er helfe dir von Sünden und sei dir gnädig und gebe dir seinen Geist.‘ Die dritte Zeile wird auf den Geist bezogen: ‚Und dem Heiligen Geist wird zugeeignet das Werk der täglichen Heiligung, Trost und Stärkung wider den Teufel und endlich die Auferweckung vom Tod, welches dieser Segen auch berührt und verklärt, da er spricht: „Der Herr erhebe sein Angesicht etc. das ist, er wolle dich stärken, trösten und endlich den Sieg geben ...‘“ (Christian Möller, GPM, 2/2001, Heft 3, S. 279)

Da war dieser kunstvolle Segen im evangelischen Gottesdienst gelandet. Sparen wir uns den literaturgeschichtlichen Exkurs in das schwellende Wort- und Versmaß des aaronitischen Segens, das in sich vollkommen ist und dem so gar nichts fehlt. Hier beginnt die zweite Geschichte, die davon handelt, dass auch dem, dem nichts fehlt, leider immer etwas hinzugetan werden kann.

Oder ist Ihnen noch nicht aufgefallen, dass sie den aaronitischen Segen in evangelischen Gottesdiensten kaum mehr in Reinform zu hören bekommen? Kaum ein Geistlicher lässt es sich nehmen, noch allerlei gute Wünsche einzuflechten, von denen der wohl ärgerlichste der ist, Gott möge der Gemeinde und jedem einzelnen immer wieder viel Kraft und gute Gedanken geben. Weil die Gemeinde eben dumm und schwach ist?

Hier muss daran erinnert werden, dass die Vernunft eine jedem Menschen gegebene Gottesgabe ist und, mit dem Theologen Eberhard Jüngel gesprochen, den Heiligen Geist zum besten Freund hat. Gleiches gilt für alles, was in den durchaus erstaunlichen Kräften des Menschen steht, mit denen er aus eigener Vernunft und Kraft sehr viel Gutes bewirken kann. Dass wir aber durch den Segen über unsere Kräfte quasi hinauswachsen sollen, mag im Interesse der Kirchenleitung liegen. Gottes Wille ist es nicht. Sein Wort leitet uns vielmehr dazu an, zu unterscheiden, was in den Möglichkeiten unserer Vernunft und Kraft liegt und was nicht. Letzteres sollen wir in Gottes Hand legen lernen und ihn machen und geben und schenken lassen.

Es passt doch nicht zusammen, dass in unserer Kirche lautstark über die Überlastung von Haupt- und Ehrenamtlichen Mitarbeitenden geklagt wird, und denselben dann am Ende des Gottesdienstes im Namen Gottes gewünscht wird, sie sollten mit Gottes Hilfe noch eine Schippe drauflegen. Umgekehrt könnten die so Gesegneten im Falle der eigenen geistigen, seelischen und körperlichen Faulheit anführen, der Segen habe bei ihnen einfach nicht gewirkt.

Der Theologe Fulbert Steffensky schreibt: „Zur Vertreibung des Schweigens aus den Gottesdiensten gehört die Verhaustierung der hehren Formeln, der Einsetzungsworte, der Segensworte, des Kanzelgrußes usw. … Warum erlaubt sich der Pfarrer zur Abendmahlsgruppe statt der einfachen Formel »Geht hin im Frieden!» zu sagen: »Gehet hin im tiefsten Frieden des euch liebenden Gottes!» Erstens sind unnötige Adjektive immer ein reines Sprachverderben, zweitens ist die erweiterte Formel zwei Sekunden länger, die der Pfarrer mir von meiner Lebenszeit stiehlt; drittens verhindert die gestörte Formel, dass die Gemeinde sich in der Wiederholung der Geläufigkeit wiedererkennt; viertens ist es eine Missachtung der Katholizität, d. h. der Allgemeinheit der Formel; fünftens ist es eine Missachtung der Sprache der Toten. Wir sind weder als konkrete Gemeinde noch bin ich als Pfarrer Beute der Allgemeinheit und der Toten, das wissen wir. Aber wir sind auch nicht jederzeit Verfüger über sie. Wir sind Freigeister, aber demütige Freigeister, die die Sprache der anderen ehren und die nicht originalitätsversessen sind.“ (Fulbert Steffensky, Schwarzbrot Spiritualität, Radius 2005, S. 87)

Halten wir fest: Im aaronitischen Segen wird nichts als die Gegenwart Gottes zugesprochen. Gnade und Frieden gehören zum Wesen Gottes. Hier geht es um Gott allein und nicht um „Gott und Dies und Das“. Meister Eckhart wird nicht müde unsere spirituelle „Kaufmannschaft“ als Irrweg zu kritisieren. Wer Gott sucht und „Dies und Das“ wird Gott auf gar keinen Fall finden. Denn Gott kann nur um seiner selbst willen gesucht, gefunden und geliebt werden. Gerade unsere besten Wünsche und Absichten stehen uns und IHM dabei am allermeisten im Weg.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Wir sollen sehr wohl all unsere Kräfte regen, um den Gottesdienst so schön zu gestalten wie wir nur können. Und sollen gerade dabei unterscheiden lernen, was in unserer Macht steht und was nicht: Was unsere Stimmen vermögen und was allein das Wort Gottes und sein Heiliger Geist schenken kann. Und wir werden finden: Gott tut das Entscheidende. Wenn es um den Segen geht, gilt deshalb: Weniger ist mehr! Weniger Rhabarbarorum der Geistlichkeit und mehr Angesicht Gottes. Sein Angesicht soll uns leuchten und nicht das Lichtlein des Geistlichen, dem gerade etwas durch den Kopf geht oder auch nicht. Hier sollen wir im Morgenglanz der Ewigkeit stehen und nicht unter der lauwarmen Dusche kitschiger Poesie, gut gemeinter Wünsche und wohlfeiler Ratschläge. Das steht uns vor Gott im Weg. Und es steht Gott im Weg.

„Sie erschien nach einem Gottesdienst in der Sakristei, um mir in bewegten Worten für diesen Gottesdienst zu danken. Sie habe seit vielen Jahren keine Kirche mehr von innen gesehen, aber heute habe ihr die Verzweiflung bis zum Hals gestanden, sie habe ständig mit Selbstmordgedanken kämpfen müssen, und da sei sie einfach den Glocken gefolgt und habe die Kirche aufgesucht. Sie müsse ehrlich gestehen, dass sie sich zunächst gar nicht wohl gefühlt habe, alles sei ihr so fremd und ungewohnt gewesen. Auch von der Predigt habe sie leider wenig verstanden; sie sei wohl zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen. Schon habe sich ihrer ein tiefes Enttäuschungsgefühl bemächtigt, aber da, ganz am Schluss, da habe sie mich mit erhobenen Händen am Altar stehen sehen, und da habe ich etwas gesagt, was sie wie ein Lichtblitz getroffen habe, und auf einmal sei ein ganz tiefer Friede in ihr eingekehrt; das Gefühl, dass ihr ja eigentlich doch nichts passieren könne. Es sei ein Gefühl gewesen, wie sie es seit ihrer Kindheit nicht mehr erlebt habe, und sie möchte doch gern, dass ich ihr das aufschreibe, was ich da gesagt habe; es sei etwas mit einem leuchtenden Angesicht gewesen und vom Frieden, und sie habe an den Erzengel Michael denken müssen, als sie mich da so habe stehen sehen. Wenn ich ihr jetzt die wenigen Worte, die sie so tief getroffen haben, aufschreiben würde, dann könnte sie das sicher auswendig lernen und sie sei sicher, dass sie besser mit ihren Schwierigkeiten würde umgehen können, wenn sie sich diese Worte ins Gedächtnis riefe.“ (Christian Möller, a.a.O., S. 282)

Daher noch einmal zum Mitschreiben:

Der HERR segne dich und behüte dich;
der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;
der HERR erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text: 

22 Und der HERR redete mit Mose und sprach:
23 Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet:
24 Der HERR segne dich und behüte dich;
25 der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;
26 der HERR hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
27 Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.
 


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