Predigt     5. Mose 7/6-12  6. Sonntag nach Trinitatis    03.07.05

"Eine Liebesgeschichte"
Predigt anlässlich der Silbernen Konfirmation in der Hospitalkirche
(von Vikar Michael Krauß, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

ich möchte Sie bitten, auf ihr Leben zu blicken - auf das, was Sie bereits hinter sich haben und auf das, was noch vor ihnen liegt. Wenn Sie ihr Leben in seiner Gänze betrachten mit seinen Möglichkeiten und Begrenztheiten. Wenn Sie ihre Träume und Enttäuschungen ins Auge fassen und ihren Ängsten und Hoffnungen nachspüren ... Was sehen Sie da? Eine Schatztruhe voller Erinnerungen und Pläne? Oder vielleicht eine Müllhalde? Oder beides bunt gemischt - Perlen und Abfall?

Wie würden Sie Ihr Leben beschreiben? Eher als eine Art Schachspiel, Zug um Zug und wohlüberlegt - immer den Gegner im Auge? Oder sehen Sie sich eher als den Schmetterling, der von Blüte zu Blüte flattert, herrlich bei schönem Wetter, ein Desaster im Sturm? - Ihr Leben ein Garten, eine Ruine, ein Fachwerkhaus, ein Bilderbuch, eine Ansammlung von Verletzungen oder eine Pflanze im zu engen Topf?

In welche Welt ordnen sie Ihr Leben ein? Die Welt ein Schachbrett und die Weltgeschichte ein Spiel um Macht und Geld? Die Welt ein riesiger Komposthaufen aus Erstorbenem der Weltgeschichte, der Humus produziert für die nächste Generation, bevor auch sie zur Erde wird? Um darin glücklich zu leben muss man ein Wurm sein? Die Welt eine unendliche Geschichte, und Sie schreiben sie weiter, um ein Kapitel oder auch nur ein Wort?

Der Predigttext für den heutigen Sonntag bietet ebenfalls ein Bild für die Weltgeschichte an, in das wir unser Leben hineinstellen können. Ich lese die Zentralurkunde biblischer Weltdeutung aus dem 5. Buch Mose, 7. Kapitel:

7,6 Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.
7,7 Nicht der HERR sein Herz an euch gehängt und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker- denn du bist das kleinste unter allen Völkern -,
7,8 sondern weil er euch geliebt hat, und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat er euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.


Unser Predigttext sagt uns nicht weniger als: Die Weltgeschichte ist eine Liebesgeschichte. Die Liebesgeschichte Gottes zu seinem Volk Aber wer ist dieses kleine Völkchen? Wem erklärt Gott hier seine Liebe? Lesen wir noch einige Verse weiter:

7,9 So sollst du nun wissen, dass der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten,
7,10 und vergilt ins Angesicht denen, - die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen.
7,11 So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust.
7,12 Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat.


Das heißt: Gottes auserwähltes Volk besteht aus allen, die gewillt sind, die Weltgeschichte und ihr eigenes Leben als die wechselvolle Geschichte der Liebe Gottes zu den Menschen zu deuten und danach zu handeln. Die Bedeutung des Wortes "Volk" wird völlig neu bestimmt. Nicht Blut, nicht Rasse, nicht Besitz, nicht Stand, nicht Wohnort entscheiden über die Zugehörigkeit zum Volk Gottes. Einzig und allein entscheidend ist, ob wir gewillt sind, die Liebe Gottes anzunehmen und danach zu handeln. Unser Predigttext erinnert uns daran, dass die Weltgeschichte als Liebesgeschichte gedeutet werden kann, und dass wir unser Leben in diese Liebesgeschichte einordnen dürfen. Wir dürfen unser eigenes Leben als Liebesgeschichte Gottes mit uns deuten. Eine Liebesgeschichte, die sich wie alle Liebesgeschichten nicht ohne Irrungen und Wirrungen entwickelt.

Wir alle begegnen heute Gott nicht zum ersten Mal. Sie als Jubelkonfirmanden haben seit ihrer Konfirmation und vermutlich schon längere Zeit vorher - ihre Erfahrungen in ihrem Leben mit Gott gemacht. Manche Erfahrungen lassen sich leicht als Liebesgeschichte deuten - andere schwerer.

Wenn Sie als Jubelkonfirmanden zurückblicken auf ihr Leben, können Sie sagen: Ja, wir haben schon viel erlebt mit unserem Gott: gute und schlechte Zeiten, wie das Volk Israel, das Wohlstand - und Enge in Ägypten erlebte und nach der Befreiung aus der Enge die Dürre der Wüste. Ja, vielleicht haben Sie auch das erlebt: Das eigenen Leben wie ausgetrocknet, die Träume versandet, während darum herum die Welt blüht.

Verständlich, wenn sich dann die Zweifel melden:
- Ist es nicht zu gewagt, das Leben als Liebesgeschichte zu deuten?
- Ist es nicht zu gewagt, sich auf die Liebe Gottes einzulassen?
- Habe ich mich zu weit aus dem Fenster gelehnt?

Man denkt sich schon manchmal: Ist der Spatz in der Hand nicht besser als die Taube auf dem Dach? Ist der Tanz ums goldene Kalb nicht sicherer als das Vertrauen auf die Liebe eines Gottes, der oft so wenig greifbar scheint? Vielleicht sehen Sie sich wenn Sie zurückblicken auf ihr Leben, beim Tanz ums goldene Kalb.
Ein Tanz aus Angst, dass die Liebe nicht trägt? Haben wir uns was vor gemacht mit der Weltgeschichte als Liebesgeschichte? Ist sie nicht doch eher ein Schachspiel um Geld und Macht? "Diamonds are a girls best friends?"

Ich jedenfalls ertappe mich manchmal bei solchen Überlegungen. Dann versuche ich mich zu erinnern an die Geschichte Gottes mit seinem Volk. Ich versuche mich hineinzustellen in die Gemeinschaft derer, die sich darum bemühten, die Weltgeschichte als Liebesgeschichte zu deuten. Die liebten und haderten, die hofften, sich freuten und bangten, die lebten und starben und einmal auferstehen. Ich versuche mich hineinzustellen in das Volk Gottes, das sich festhält an der Liebeserklärung Gottes - durch die Feste und Kriege, die Freude und die Trauer, die Tanzsäle und Konzentrationslager der Weltgeschichte - hindurch. Ich bilde mir nicht ein, mir als Christ ein Lebensgefühl der Geborgenheit bewahren zu können. Schließlich schreit selbst Jesus Christus der Sohn Gottes am Kreuz sein Gefühl der Gottverlassenheit heraus.

Was ich meine ist ein Festhalten daran, dass es hinter dieser Welt einen Gott gibt, einen tiefsten Grund des Seins, der gut ist und in dessen Hand ich fallen kann - selbst, wenn mich das Gefühl der Angst überwältigt, wenn mein eigener Glaube zerbricht. Es ist schon wahr: Manchmal kann man nur den Mund sprechen lassen, weil das Herz gerade nicht mitsprechen will und kann. Dann muss es eben der Mund so lange sprechen, wenn nötig laut - bis das Herz sich wieder daran erinnern kann:

„7,6 Wir sind ein heiliges Volk dem HERRN, unserem Gott. Mich hat der HERR, mein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.
7,7 Nicht hat der HERR sein Herz an uns gehängt und uns erwählt, weil wir größer wären als alle Völker- denn wir sind das kleinste unter allen Völkern -,
7,8 sondern weil er uns geliebt hat, und damit er seinen Eid hielte, den er unseren Vätern geschworen hat. Darum hat er uns herausgeführt mit mächtiger Hand und hat mich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.“

Sich das immer wieder zu sagen, halte ich für die Grundvoraussetzung von Freiheit, die auch noch Lebensräume öffnet, wo unsere menschlichen Möglichkeiten erschöpft sind. Die Welt mag vergewaltigt sein, und viele mögen ihr Herz verkauft haben. Es mag Unglück geben in dieser Welt und Feuer, das mit dem Feuer der Liebe nichts zu tun hat. Aber was soll ich tun? Soll ich alle Hoffnung fahren lassen und selbst böse werden?  Soll ich mein Leben lang kämpfen um ein Nimmerland, das nur als Festung existieren kann, in der ich mir den Schein einer guten Welt erhalte, die ich draußen schon längst aufgegeben habe? Soll ich mein Leben einsperren in eine Kitschwelt? Ein solches Leben wäre eine Lüge.

Nein! Wer Gott bei den Worten nimmt, die wir gehört haben und diesem Gott sein Leben anvertraut, der behält die Freiheit an einen guten Gott zu glauben und daran, dass das Wesen des Lebens im Letzten gut ist. Das heißt nicht, dass ich davon ausgehe, dass einem Christenmenschen nicht Schrecklichstes zustoßen kann. Aber selbst im Schrecklichsten behält dieser Mensch eine große Handlungs- und Deutungsfreiheit der Wirklichkeit - weil er in der Gewissheit lebt, dass er letztlich nicht untergeht, sondern bei Gott gut aufgehoben ist - nach und hinter allem, was ihm geschieht: In guten wie in schlechten Tagen. Gut handeln und die Freiheit bewahren, kann nur, wer sich als geliebtes Geschöpf Gottes sieht: Vielleicht verwundet, gekränkt und - wie im richtigen Leben - etwas klein und krumm gewachsen, in den Wirren der Liebesgeschichte Gottes mit uns und der Welt, aber es gilt ja:

7,7 Nicht hat der HERR sein Herz an euch gehängt und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker- denn du bist das kleinste unter allen Völkern -,
7,8 sondern weil er euch liebt, und damit er seinen Eid halte, den er euren Vätern geschworen hat.


Und wenn die Wut dann doch mal überkocht, wegen der Ungerechtigkeiten dieser Welt, dann kann man auch Vers 9 und 10 laut sprechen:

7,9 So sollst du nun wissen, dass der HERR, mein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten,
7,10 und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen.

Ja, auch diesen Vers kann man laut sprechen. Denn er hilft die Waffen aus der Hand legen und die Rache Gott zu überlassen - nicht nur für die großen Verbrechen der Weltgeschichte, sondern auch für all die Verbrechen an der Liebe, für die gebrochenen Herzen und die bitteren Tränen, die vor keinem Gericht der Welt Recht bekommen. Diesen Vers laut zu sprechen hilft, selbst die Waffen aus der Hand zu legen. Und wer weiß, vielleicht kann unser Gott sogar das: den Mist der Weltgeschichte ausbringen in den Garten des Paradieses und unser Leben an den Bächen seines Gartens einpflanzen. Wir dürfen uns schon heute vorstellen, wie es blüht und duftet nach Liebe und Freiheit ... !

Vikar Michael Krauß    (Hospitalkirche Hof)

Text: 

6 Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.
7 Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern –,
8 sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat er euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.
9 So sollst du nun wissen, dass der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten,
10 und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen.
11 So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust.
12 Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat


Archiv
Homepage Hospitalkirche