Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Gemeinde,
Worte aus uralter Zeit gibt uns die Bibel zum diesjährigen
Konfirmationsfest zu bedenken. Das Volk Israel steht nach 40 Jahren
Wanderung durch die Wüste endlich vor dem gelobten Land, das Gott
ihnen geben will. Da ist die Sehnsucht, endlich ans Ziel aller
Wünsche zu kommen, schon zum Zerreißen gespannt. Da möchten alle am
liebsten sofort losstürmen und feiern. Aber wie es halt immer so
ist: Erst wird noch eine Predigt gehalten.
Heute am Konfirmationstag waren die Schuhe, in die Ihr am Morgen
geschlüpft seid, keine Kinderschuhe mehr. Habt Ihr das bemerkt?
Früher einmal war die Konfirmation der Übergang ins
Erwachsenenleben. Nach dem Fest fing die Lehre und das Berufsleben
an. Aber auch wenn Ihr noch ein paar Jahre Schule, Ausbildung oder
ein Studium vor Euch habt: Die Konfirmation ist auch heute eine
wichtige Station auf dem Weg ins Erwachsenenleben. Auch wenn bis zur
Volljährigkeit noch ein paar Jahre fehlen: Als Christenmenschen seid
ihr mit dem heutigen Tag erwachsen.
Deshalb wird es sich heute der ein oder andere aus Eurer
Verwandtschaft nicht nehmen lassen und in einer kleinen Rede über
den „Ernst des Leben“ zu Euch sprechen. Das kann lästig werden, weil
ihr doch heute zuerst an all die Freiheiten denkt, die man Euch nun
nicht mehr verwehren kann. Wo ihr doch an diesem Tag eher wie junge
Pferde seid, die endlich aus dem Stall hinausstürmen wollen ins
Weite. Aber wie es halt immer so ist: Erst wird noch eine Predigt
gehalten.
Und das ist auch gut so. Denn die uralte Predigt an das Volk Israel
und im Gefolge ihrer Worte auch meine, ist keine Predigt über den
bitteren Ernst des Lebens, sondern eine Predigt über die Freiheit.
Und deshalb erinnert sich das Gottesvolk noch heute an dieses Datum
und an diese Predigt, auch wenn das alles schon über 3000 Jahre her
ist. Logisch: Niemand, der heute lebt, hat diese Predigt mit eigenen
Ohren gehört und das gelobte Land mit eigenen Augen gesehen. Wie
also kann etwas, was so lange her ist, Bedeutung für uns heute haben
und Grund heutiger Freiheit sein? Ist das nicht schon so lange her,
dass es gar nicht mehr wahr ist?
Ich möchte Euch jetzt keine Vorlesung darüber halten, wie das, was
schon lange her ist, z.B. die Geschichte Eurer Eltern, Großeltern
und Urgroßeltern, sehr wohl einen entscheidenden Einfluss auf Euer
Leben, ja sogar auf das Eurer Kinder hat und haben wird. Es gibt gar
kein Verstehen der Gegenwart ohne Wissen um die Geschichte, aus der
man herkommt. Und es gibt keine gute Zukunft ohne die Lehren aus der
Vergangenheit. Ohne Herkunft keine Zukunft.
Das gilt für die Welt- und Geistesgeschichte ganz allgemein. Und es
gilt für den Glauben in geradezu elementarer Weise. Ich darf Euch
darin erinnern, dass es ein Ereignis gibt, an das sich niemand von
Euch erinnern kann und ohne das der heutige Tag nie gekommen wäre.
Ihr seid heute hier um Eure Taufe mit Eurem Ja zu bekräftigen. Eure
Eltern werden sich erinnern, als wäre es gestern gewesen. Aber für
Euch gehört Eure Taufe in den Nebel der Urgeschichte. Sie ist Euch
entzogen. Ihr konntet nichts dafür oder dagegen tun. Ihr könnt Euch
nicht einmal erinnern. Die Taufe ist und bleibt ihrem Wesen nach ein
Geschenk, wie die Sterne und wie der Moment, in dem ihr das erste
Mal die Augen im Licht dieser unermesslichen Welt aufgeschlagen
habt.
Wir tun der Geschichte des Gottesvolks aus dem Alten Testament
deshalb keinen Zwang an, wenn wir sie als Sinnbild auch für Euer
Leben und für Eure Taufe nehmen: Gott hat Euch das Leben geschenkt.
Gott hat Euch in der Taufe bei seinem Namen gerufen. Gott hat Euch
in die Gemeinschaft seines Volkes und allen Lebens gestellt. Ihr
gehört zur Familie Gottes. Ihr dürft mit Gott reden, wie mit einem
Vater und einer Mutter. Er hat Euch seine Liebe und Treue
versprochen. Diese Welt und dieses Leben ist das Land, das Gott Euch
gegeben hat und sein Segen begleitet Euch. Nehmt es ein und macht
Euch auf den Weg.
Das ist die große Zusage – nein sagen wir besser bewusst – die große
Freiheit, die Gott Euch bei und durch die Taufe gegeben hat. Das
waren nicht nur Worte. Denn mit den Worten Gottes ist es anders, als
mit unsren Worten. Gottes Worte tun, was sie sagen. Sie schaffen die
Welt. Sie rufen ins Leben. Sie scheiden das Licht von der
Finsternis. Ich habe es immer gut gefunden, dass ich mich an meine
Taufe nicht erinnern kann und sie mir entzogen ist, wie der Anfang
der Welt. Denn so bleibt sie ganz Gottes Werk und nicht einmal ich
kann sie kaputt machen und in Zweifel ziehen. Man kann zwar aus der
Kirche austreten. Aus der Taufe niemals. Dieses Geschenk bleibt und
wenn es manchmal so lange auf Euch warten muss, wie der Vater auf
den verlorenen Sohn.
Denn die jungen Pferde, die ins Weite hinausstürmen, werden sich
vergaloppieren und verlaufen. Sie werden sich verletzten und andere
verletzen. Sie werden in Abgründe fallen und im Dreck landen. So
manches gelobte Land und so manches, was wir für ein Himmelreich
halten, erweist sich als Fata Morgana. Die Bibel ist voll solcher
Geschichten. Nicht nur die Welt ist voller Krisen, unser Leben ist
es auch. Wenn Euch aber jemand verspricht, ihr könntet dem entgehen,
indem ihr genau das macht, was er euch sagt, dann lauft so schnell
ihr könnt. Heute steht ja an jeder Ecke einer, der weiß, was gut für
Euch ist. Robert Musil schreibt in seinem „Mann ohne Eigenschaften“:
„Wahrscheinlich ist diese merkwürdige Neigung, sich einem Regime zu
unterwerfen, oder ein anstrengendes, unangenehmes und dürftiges
Leben nach den Vorschriften eines Arztes, Sportlehrers oder anderen
Tyrannen zu führen, obgleich man es mit ebenso gutem Misserfolg auch
unterlassen könnte, schon ein Ergebnis der Bewegung … zum
Ameisenstaat, dem sich die Welt annähert.“
Gerade die Krisen, die Not, die Probleme, die im Leben nicht
ausbleiben, sind auch die größte Gefahr für die Freiheit der
Gotteskinder. Weil es zu allen Zeiten genug selbsternannte Ratgeber
gibt, die mit Wollust im Leben anderer herumpfuschen, statt sich
ihrer eigenen Bedürftigkeit bewusst zu werden. Die werden auf
raffinierte Weise versuchen, Euch für Ihre Zwecke gleichzuschalten
und Euch ihr eigenes Glück als Eures zu verkaufen.
Dann erinnert Euch an Eure Konfirmationspredigt und daran, dass
Gottes Wort, „dir nicht zu hoch und nicht zu fern ist. Es ist nicht
im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel
fahren und es uns holen, dass wir's hören und tun? Es ist auch nicht
jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über
das Meer fahren und es uns holen, dass wir's hören und tun? Denn es
ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem
Herzen, dass du es tust.“ Eure Herzen und Gottes wirkmächtiges Wort
gehören seit der Taufe untrennbar und für immer zusammen. Vertraut
und verlasst Euch gerade in schweren Zeiten darauf!
Damit soll nicht gesagt sein, dass ein guter Freund, eine gute
Freundin nicht Gold wert sind, vor allem, wenn sie zuhören können.
Unterschätzt nicht, dass man auch in der christlichen Gemeinde immer
Menschen findet, denen man sich anvertrauen kann. Und schließlich
merkt man, dass man erwachsen geworden ist, auch daran, dass man
Dinge tut, obwohl die eigenen Eltern sie empfohlen haben.
Aber leider stimmt, was der Schriftsteller Botho Strauß schreibt:
„Es gehört zu den übelsten Unsitten unserer Soziozentrik, alles, was
man als das Höhere ausgemacht hat, … , zu sich zu herabzuholen und
mit sich selber zu vergleichen. Auf Kanzeln, Kongressen,
Theaterbühnen geschieht es bis zum Überdruss, der immergleiche
Orpheus aus der Tiefgarage. … Erstes Gesetz dem entgegen: erkenne,
was höher ist als du selbst. Lerne die Fremdsprache. Beachte den
Menschen als ein Geschöpf in der Senkrechten, eine Linie, die ihn
erdet, aber auch übersteigt. Meide die Pädo-kata-gogen: die
Herunter-Erzieher.“ (Botho Strauß, Der Untenstehende auf
Zehenspitzen, Hanser 2004, S.59f)
Konfirmation ist die Bekräftigung Eurer Taufe und die Bekräftigung
dessen, was Ihr wirklich seid: Kinder dieser Erde und Kinder Gottes.
Geerdet durch ein reiches, glückliches und gelingendes Leben, das
wir Euch an diesem Tag von Herzen wünschen. Und doch mehr: Ihr seid
ins Leben gerufen durch den, der die Sterne zündet. Der hat sich
längst zu Euch herabgebeugt und hält Euch in seiner Hand. Das ist
die Linie, die Euch übersteigt, und an der Ihr als einzigartige
Geschöpfe aufrecht und frei durchs Leben gehen dürft, „indem ihr den
HERRN, euren Gott, liebt und seiner Stimme gehorcht und ihm anhangt."
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche
Hof) (weitere Predigten von
Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de)
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Text:
11 Denn das Gebot, das ich dir heute
gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern.
12 Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns
in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir's hören und tun?
13 Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest:
Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir's
hören und tun?
14 Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in
deinem Herzen, dass du es tust.
15 Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den
Tod und das Böse.
16 Wenn du gehorchst den Geboten des HERRN, deines Gottes, die ich
dir heute gebiete, dass du den HERRN, deinen Gott, liebst und
wandelst in seinen Wegen und seine Gebote, Gesetze und Rechte
hältst, so wirst du leben und dich mehren, und der HERR, dein Gott,
wird dich segnen in dem Lande, in das du ziehst, es einzunehmen.
17 Wendet sich aber dein Herz und du gehorchst nicht, sondern lässt
dich verführen, dass du andere Götter anbetest und ihnen dienst,
18 so verkünde ich euch heute, dass ihr umkommen und nicht lange in
dem Lande bleiben werdet, in das du über den Jordan ziehst, es
einzunehmen.
19 Ich nehme Himmel und Erde heute über euch zu Zeugen: Ich habe
euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, damit du das Leben
erwählst und am Leben bleibst, du und deine Nachkommen,
20 indem ihr den HERRN, euren Gott, liebt und seiner Stimme gehorcht
und ihm anhangt.
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