Predigt     "Geh aus mein Herz und suche Freud ...", EG 503     Hofer Umwelttag     26.06.11

"Selbstbegrenzung"
(Andacht zum Hofer Umwelttag 2011
von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Besucher und Besucherinnen des Hofer Umwelttags, liebe Gemeinde,

das Lied von Paul Gerhardt, das wir gerade, zwar nicht vollständig, aber doch ausgiebig gesungen haben, erfreut sich auch fast 360 Jahre nach seiner Entstehung großer Beliebtheit. Und zwar nicht nur bei den Kirchgängern, sondern sogar bei denen, die sich selbst als religiös unmusikalisch bezeichnen würden. Warum ist das so?

Die Frage ist spannend. Warum schafft es dieses Lied, den Graben von 360 Jahren ins Heute mühelos zu überwinden und den Kitschverdacht mühelos beiseite zu schieben? Meine Vermutung ist, dass dieses Lied es schafft, sich in unser Herz zu singen, bevor sich der Kopf einschaltet. Und das ist auch gut so. Denn dort in unserem Herzen wohnt noch die alte Sehnsucht nach dem Paradies, nach der Einheit des ganzen Lebens, der Einheit von Mensch und Natur, von Geschöpf und Schöpfer. Wer, wie ich das Glück hatte, auf dem Land aufzuwachsen und sich noch erinnert, wie das ist, im Sommer am Waldrand in einer Blumenwiese zu liegen und sich als Teil all der Düfte und Stimmen der Erde und des Himmels zu fühlen, weiß wovon ich spreche.

Es ist eine Tragödie, dass bei vielen im Zuge des Erwachsenwerdens das Herz taub wird für solche Erfahrung und solches Wissen. Niemand sollte das mit Vernunft oder Charakterstärke verwechseln oder als solche ausgeben. Es ist ein Defekt. Wer im tiefsten Herzen nicht mehr erschrecken kann über das, was Menschen der Schöpfung antun, braucht dringend Hilfe. Eine Völkergemeinschaft, die Klimagipfel scheitern lässt, braucht dringend Hilfe. Sie steht für eine Menschheit, die offenbar unfähig ist, die ihr geschenkten Lebensgrundlagen für künftige Generationen zu erhalten. Treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine: Du siehst aber echt krank aus. Was hast Du denn? Sagt der andere: Homo sapiens. Sagt der eine: Keine Sorge, das geht vorbei.

Es spricht für uns Deutsche, dass wir nach der Reaktorkatastrophe im fernen Fukushima einmal wirklich im tiefsten Herzen so erschrocken sind, dass wir uns endlich wild entschlossen haben, aus der Atomtechnologie auszusteigen. Denn monströs war diese Technologie schon immer. Ungeheuerlich ist nicht die Technologie an sich, sondern ihre Hinterlassenschaft. Atommüll bleibt für unzählige Generationen nach uns lebensbedrohlich. Das ist monströs: Dass eine Generation, deren Lebensdauer höchstens 100 Jahre beträgt, das Recht zu haben meint, für ihr Wachstum eine Technologie zu nutzen, deren gefährliche Spätfolgen Zehntausende Jahre andauern. Wir werden dadurch nicht einen Tag länger auf dieser Welt sein. Was unseren Nachkommen von uns bleibt, sind die Probleme. Noch in ferner Zukunft, wird man uns Heutige dafür verfluchen. Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sind keine Liste, die abzuarbeiten wäre. Wir wissen es längst: Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung bedingen einander und das eine ist ohne das andere nicht zu haben.

Das Lied von Paul Gerhard ist fünf Jahre nach Ende des 30jährigen Krieges geschrieben, der das Land, in dem wir heute leben, nachhaltig und furchtbar verwüstet hat. Gerechtigkeit und Frieden waren dieser Generation nur als zarte Pflänzchen erkennbar. Da war es dann die Schöpfung selbst, die Paul Gerhardt eine Predigt der Hoffnung hielt. Statt im Rückblick zu fragen, wie Gott das Grauen eines 30jährigen Krieges zulassen konnte, lässt Paul Gerhardt die Schöpfung selbst eine Predigt von der Güte Gottes halten. Das Herz des Liederdichters ist durch das zurückliegende Dunkel dafür Gott sei Dank nicht taub geworden. Ja, ist nicht schon die Schöpfung für sich allein genommen, Ausdruck der Güte Gottes, weil Gott etwas neben sich sein lässt? Indem Gott die Welt schafft, begrenzt er sich selbst, um etwas anderes neben sich da sein zu lassen: Nicht nur die unendlichen Weiten des Sternenraumes und seiner herrlichen Gewalten, sondern auch das Leben in unendlicher Vielfalt.

Und wir sehen daran, was die Schöpfungsgeschichte auch meint, wenn sie vom Menschen als Gottes Ebenbild spricht. An der Fähigkeit zur Selbstbegrenzung zeigt sich wahre Menschlichkeit. Diese Fähigkeit meint mehr, als die nüchterne Überlegung der Vernunft, dass es ziemlich dämlich ist, den Ast abzusägen, auf dem man sitzt. Die Selbstbegrenzung des Menschen soll und kann – wie die Selbstbegrenzung Gottes – aus der Liebe zur Vielfalt des Lebens kommen.

Vor diesem Hintergrund erweisen sich die, auch in diesen Tagen immer wieder geäußerten Argumente, dass sich z.B. bestimmte Energieeffizienzmaßnahmen nicht rechnen, als ziemlich dumm. Erstens rechnet die Liebe nicht und zweitens blickt sie über die Dauer des eigenen Lebens hinaus. Dass sich etwas nicht rechnet meint ja, dass mit einem Rückfluss der eingesetzten Mittel in diesem Leben nicht zu rechnen ist. Das ist der Liebe zum vielfältigen Leben ziemlich egal. Jeder gute Waldbauer und Forstwirt weiß, dass es seine Aufgabe ist, den Wald für die nächsten Generationen zu pflanzen.

Der Biologe, Anthropologe und Psychologe Gregory Bateson wurde einmal zu einem Gebetsfrühstück in den amerikanischen Kongress geladen und sagte dort Folgendes:

„Hiob, Sie werden sich erinnern, gleicht ein bisschen Little Jack Horner. Er steckt seinen Finger in den Kuchen und gibt den Armen und sagt: Was bin ich doch für ein guter Junge. Er hat einen Gott, der genauso ist wie er und sich deshalb Satan gegenüber mit Hiobs Rechtschaffenheit brüstet. Satan … macht sich daran zu beweisen, dass Hiobs Frömmigkeit in Wirklichkeit nicht viel wert ist. Schließlich, nach unendlichen Leiden, spricht ein Gott, der viel weniger fromm und pedantisch ist, aus dem Wettersturm und hält Hiob drei Kapitel lang die außerordentlichste Predigt, die jemals geschrieben wurde, und in der er ihm vorhält, dass er vom Leben keine Ahnung hat.

„Weißt du die Zeit, wann die Gämsen gebären, oder hast du aufgemerkt, wann die Hirschkühe kreißen? Zählst du die Monde, die sie erfüllen müssen, oder weißt du die Zeit, wann sie gebären? Sie kauern sich nieder, werfen ihre Jungen und werden los ihre Wehen. Ihre Jungen werden stark und groß im Freien ...“ (Hiob 39, 1-4)

Das also war es, was ich den versammelten Politikern und Würdenträgern bei dem Gebetsfrühstück erzählte. Ich schloss mit der Bemerkung, dass mir sehr viel wohler wäre bei dem Gedanken an die Welt, in der ich lebe, und daran, wie meine Zivilisation die Welt behandelt - die ganze Umweltverschmutzung und Ausbeutung, die sie betreibt, und alles übrige - wenn ich wirklich das sichere Gefühl hätte, dass meine Gouverneure und Volksvertreter wüssten, wie viele Monde die Hirschkühe erfüllen müssen und wie sie ihre Jungen werfen.“ (Gregoy Bateson, „Wo Engel zögern“, Suhrkamp, 1993, S. 109f.)

Der Liederdichter Paul Gerhardt kennt sich damit aus. Und wir sollten das auch tun und es nicht nur von unseren Politikern verlangen. Und in diesem Sinne wünsche ich allen Besuchern und Besucherinnen des heutigen Umwelttages, dass sie etwas über das Leben und seine Grundlagen lernen und entdecken – nicht nur mit dem Kopf, sondern vor allem mit dem Herzen. Gott will, dass dem Leben die Zukunft gehört, wie im Himmel, so auf Erden.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text:

1. Geh aus, mein Herz, und suche Freud/ in dieser lieben Sommerzeit/ an deines Gottes Gaben;/ schau an der schönen Gärten Zier
und siehe, wie sie mir und dir/ sich ausgeschmücket haben,
sich ausgeschmücket haben.

2. Die Bäume stehen voller Laub,/ das Erdreich decket seinen Staub
mit einem grünen Kleide;/ Narzissus und die Tulipan,/ die ziehen sich viel schöner an/ als Salomonis Seide,/ als Salomonis Seide.

3. Die Lerche schwingt sich in die Luft,/ das Täublein fliegt aus seiner Kluft/ und macht sich in die Wälder;/ die hochbegabte Nachtigall/ ergötzt und füllt mit ihrem Schall/ Berg, Hügel, Tal und Felder,/ Berg, Hügel, Tal und Felder.

4. Die Glucke führt ihr Völklein aus,/ der Storch baut und bewohnt sein Haus,/ das Schwälblein speist die Jungen,/ der schnelle Hirsch, das leichte Reh/ ist froh und kommt aus seiner Höh
ins tiefe Gras gesprungen,
ins tiefe Gras gesprungen.

5. Die Bächlein rauschen in dem Sand/ und malen sich an ihrem Rand/ mit schattenreichen Myrten;
die Wiesen liegen hart dabei/ und klingen ganz vom Lustgeschrei
der Schaf und ihrer Hirten,
der Schaf und ihrer Hirten.

8. Ich selber kann und mag nicht ruhn,/ des großen Gottes großes Tun/ erweckt mir alle Sinnen;/ ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,/ aus meinem Herzen rinnen,
aus meinem Herzen rinnen.

9. Ach, denk ich, bist du hier so schön/ und lässt du’s uns so lieblich gehen/ auf dieser armen Erden:/ was will doch wohl nach dieser Welt/ dort in dem reichen Himmelszelt
und güldnen Schlosse werden,
und güldnen Schlosse werden!

10. Welch hohe Lust, welch heller Schein/ wird wohl in Christi Garten sein!/ Wie muss es da wohl klingen,/ da so viel tausend Seraphim
mit unverdrossnem Mund und Stimm/
ihr Halleluja singen,
ihr Halleluja singen.

14. Mach in mir deinem Geiste Raum,/ dass ich dir werd ein guter Baum,/ und lass mich Wurzel treiben.
Verleihe, dass zu deinem Ruhm
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben,
und Pflanze möge bleiben.

Text: Paul Gerhardt 1653


Archiv
Homepage Hospitalkirche