Liebe Besucher und Besucherinnen des Hofer
Umwelttags, liebe Gemeinde,
das Lied von Paul Gerhardt, das wir gerade, zwar nicht vollständig,
aber doch ausgiebig gesungen haben, erfreut sich auch fast 360 Jahre
nach seiner Entstehung großer Beliebtheit. Und zwar nicht nur bei
den Kirchgängern, sondern sogar bei denen, die sich selbst als
religiös unmusikalisch bezeichnen würden. Warum ist das so?
Die Frage ist spannend. Warum schafft es dieses Lied, den Graben von
360 Jahren ins Heute mühelos zu überwinden und den Kitschverdacht
mühelos beiseite zu schieben? Meine Vermutung ist, dass dieses Lied
es schafft, sich in unser Herz zu singen, bevor sich der Kopf
einschaltet. Und das ist auch gut so. Denn dort in unserem Herzen
wohnt noch die alte Sehnsucht nach dem Paradies, nach der Einheit
des ganzen Lebens, der Einheit von Mensch und Natur, von Geschöpf
und Schöpfer. Wer, wie ich das Glück hatte, auf dem Land
aufzuwachsen und sich noch erinnert, wie das ist, im Sommer am
Waldrand in einer Blumenwiese zu liegen und sich als Teil all der
Düfte und Stimmen der Erde und des Himmels zu fühlen, weiß wovon ich
spreche.
Es ist eine Tragödie, dass bei vielen im Zuge des Erwachsenwerdens
das Herz taub wird für solche Erfahrung und solches Wissen. Niemand
sollte das mit Vernunft oder Charakterstärke verwechseln oder als
solche ausgeben. Es ist ein Defekt. Wer im tiefsten Herzen nicht
mehr erschrecken kann über das, was Menschen der Schöpfung antun,
braucht dringend Hilfe. Eine Völkergemeinschaft, die Klimagipfel
scheitern lässt, braucht dringend Hilfe. Sie steht für eine
Menschheit, die offenbar unfähig ist, die ihr geschenkten
Lebensgrundlagen für künftige Generationen zu erhalten. Treffen sich
zwei Planeten. Sagt der eine: Du siehst aber echt krank aus. Was
hast Du denn? Sagt der andere: Homo sapiens. Sagt der eine: Keine
Sorge, das geht vorbei.
Es spricht für uns Deutsche, dass wir nach der Reaktorkatastrophe im
fernen Fukushima einmal wirklich im tiefsten Herzen so erschrocken
sind, dass wir uns endlich wild entschlossen haben, aus der
Atomtechnologie auszusteigen. Denn monströs war diese Technologie
schon immer. Ungeheuerlich ist nicht die Technologie an sich,
sondern ihre Hinterlassenschaft. Atommüll bleibt für unzählige
Generationen nach uns lebensbedrohlich. Das ist monströs: Dass eine
Generation, deren Lebensdauer höchstens 100 Jahre beträgt, das Recht
zu haben meint, für ihr Wachstum eine Technologie zu nutzen, deren
gefährliche Spätfolgen Zehntausende Jahre andauern. Wir werden
dadurch nicht einen Tag länger auf dieser Welt sein. Was unseren
Nachkommen von uns bleibt, sind die Probleme. Noch in ferner
Zukunft, wird man uns Heutige dafür verfluchen. Gerechtigkeit,
Frieden und Bewahrung der Schöpfung sind keine Liste, die
abzuarbeiten wäre. Wir wissen es längst: Gerechtigkeit, Frieden und
Bewahrung der Schöpfung bedingen einander und das eine ist ohne das
andere nicht zu haben.
Das Lied von Paul Gerhard ist fünf Jahre nach Ende des 30jährigen
Krieges geschrieben, der das Land, in dem wir heute leben,
nachhaltig und furchtbar verwüstet hat. Gerechtigkeit und Frieden
waren dieser Generation nur als zarte Pflänzchen erkennbar. Da war
es dann die Schöpfung selbst, die Paul Gerhardt eine Predigt der
Hoffnung hielt. Statt im Rückblick zu fragen, wie Gott das Grauen
eines 30jährigen Krieges zulassen konnte, lässt Paul Gerhardt die
Schöpfung selbst eine Predigt von der Güte Gottes halten. Das Herz
des Liederdichters ist durch das zurückliegende Dunkel dafür Gott
sei Dank nicht taub geworden. Ja, ist nicht schon die Schöpfung für
sich allein genommen, Ausdruck der Güte Gottes, weil Gott etwas
neben sich sein lässt? Indem Gott die Welt schafft, begrenzt er sich
selbst, um etwas anderes neben sich da sein zu lassen: Nicht nur die
unendlichen Weiten des Sternenraumes und seiner herrlichen Gewalten,
sondern auch das Leben in unendlicher Vielfalt.
Und wir sehen daran, was die Schöpfungsgeschichte auch meint, wenn
sie vom Menschen als Gottes Ebenbild spricht. An der Fähigkeit zur
Selbstbegrenzung zeigt sich wahre Menschlichkeit. Diese Fähigkeit
meint mehr, als die nüchterne Überlegung der Vernunft, dass es
ziemlich dämlich ist, den Ast abzusägen, auf dem man sitzt. Die
Selbstbegrenzung des Menschen soll und kann – wie die
Selbstbegrenzung Gottes – aus der Liebe zur Vielfalt des Lebens
kommen.
Vor diesem Hintergrund erweisen sich die, auch in diesen Tagen immer
wieder geäußerten Argumente, dass sich z.B. bestimmte
Energieeffizienzmaßnahmen nicht rechnen, als ziemlich dumm. Erstens
rechnet die Liebe nicht und zweitens blickt sie über die Dauer des
eigenen Lebens hinaus. Dass sich etwas nicht rechnet meint ja, dass
mit einem Rückfluss der eingesetzten Mittel in diesem Leben nicht zu
rechnen ist. Das ist der Liebe zum vielfältigen Leben ziemlich egal.
Jeder gute Waldbauer und Forstwirt weiß, dass es seine Aufgabe ist,
den Wald für die nächsten Generationen zu pflanzen.
Der Biologe, Anthropologe und Psychologe Gregory Bateson wurde
einmal zu einem Gebetsfrühstück in den amerikanischen Kongress
geladen und sagte dort Folgendes:
„Hiob, Sie werden sich erinnern, gleicht ein bisschen Little Jack
Horner. Er steckt seinen Finger in den Kuchen und gibt den Armen und
sagt: Was bin ich doch für ein guter Junge. Er hat einen Gott, der
genauso ist wie er und sich deshalb Satan gegenüber mit Hiobs
Rechtschaffenheit brüstet. Satan … macht sich daran zu beweisen,
dass Hiobs Frömmigkeit in Wirklichkeit nicht viel wert ist.
Schließlich, nach unendlichen Leiden, spricht ein Gott, der viel
weniger fromm und pedantisch ist, aus dem Wettersturm und hält Hiob
drei Kapitel lang die außerordentlichste Predigt, die jemals
geschrieben wurde, und in der er ihm vorhält, dass er vom Leben
keine Ahnung hat.
„Weißt du die Zeit, wann die Gämsen gebären, oder hast du
aufgemerkt, wann die Hirschkühe kreißen? Zählst du die Monde, die
sie erfüllen müssen, oder weißt du die Zeit, wann sie gebären? Sie
kauern sich nieder, werfen ihre Jungen und werden los ihre Wehen.
Ihre Jungen werden stark und groß im Freien ...“ (Hiob 39, 1-4)
Das also war es, was ich den versammelten Politikern und
Würdenträgern bei dem Gebetsfrühstück erzählte. Ich schloss mit der
Bemerkung, dass mir sehr viel wohler wäre bei dem Gedanken an die
Welt, in der ich lebe, und daran, wie meine Zivilisation die Welt
behandelt - die ganze Umweltverschmutzung und Ausbeutung, die sie
betreibt, und alles übrige - wenn ich wirklich das sichere Gefühl
hätte, dass meine Gouverneure und Volksvertreter wüssten, wie viele
Monde die Hirschkühe erfüllen müssen und wie sie ihre Jungen
werfen.“ (Gregoy Bateson, „Wo Engel zögern“, Suhrkamp, 1993, S.
109f.)
Der Liederdichter Paul Gerhardt kennt sich damit aus. Und wir
sollten das auch tun und es nicht nur von unseren Politikern
verlangen. Und in diesem Sinne wünsche ich allen Besuchern und
Besucherinnen des heutigen Umwelttages, dass sie etwas über das
Leben und seine Grundlagen lernen und entdecken – nicht nur mit dem
Kopf, sondern vor allem mit dem Herzen. Gott will, dass dem Leben
die Zukunft gehört, wie im Himmel, so auf Erden.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1. Geh aus, mein Herz, und suche Freud/ in
dieser lieben Sommerzeit/ an deines Gottes Gaben;/ schau an der
schönen Gärten Zier
und siehe, wie sie mir und dir/ sich ausgeschmücket haben,
sich ausgeschmücket haben.
2. Die Bäume stehen voller Laub,/ das Erdreich decket seinen Staub
mit einem grünen Kleide;/ Narzissus und die Tulipan,/ die ziehen
sich viel schöner an/ als Salomonis Seide,/ als Salomonis Seide.
3. Die Lerche schwingt sich in die Luft,/ das Täublein fliegt aus
seiner Kluft/ und macht sich in die Wälder;/ die hochbegabte
Nachtigall/ ergötzt und füllt mit ihrem Schall/ Berg, Hügel, Tal und
Felder,/ Berg, Hügel, Tal und Felder.
4. Die Glucke führt ihr Völklein aus,/ der Storch baut und bewohnt
sein Haus,/ das Schwälblein speist die Jungen,/ der schnelle Hirsch,
das leichte Reh/ ist froh und kommt aus seiner Höh
ins tiefe Gras gesprungen,
ins tiefe Gras gesprungen.
5. Die Bächlein rauschen in dem Sand/ und malen sich an ihrem Rand/
mit schattenreichen Myrten;
die Wiesen liegen hart dabei/ und klingen ganz vom Lustgeschrei
der Schaf und ihrer Hirten,
der Schaf und ihrer Hirten.
8. Ich selber kann und mag nicht ruhn,/ des großen Gottes großes
Tun/ erweckt mir alle Sinnen;/ ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,/ aus meinem Herzen rinnen,
aus meinem Herzen rinnen.
9. Ach, denk ich, bist du hier so schön/ und lässt du’s uns so
lieblich gehen/ auf dieser armen Erden:/ was will doch wohl nach
dieser Welt/ dort in dem reichen Himmelszelt
und güldnen Schlosse werden,
und güldnen Schlosse werden!
10. Welch hohe Lust, welch heller Schein/ wird wohl in Christi
Garten sein!/ Wie muss es da wohl klingen,/ da so viel tausend
Seraphim
mit unverdrossnem Mund und Stimm/
ihr Halleluja singen,
ihr Halleluja singen.
14. Mach in mir deinem Geiste Raum,/ dass ich dir werd ein guter
Baum,/ und lass mich Wurzel treiben.
Verleihe, dass zu deinem Ruhm
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben,
und Pflanze möge bleiben.
Text: Paul Gerhardt 1653
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