Liebe Leser,
„Wir müssen leidenschaftlich das erstreben, woran wir im Geheimen
verzweifelt sind” (Reinhold Schneider). Friedrich-Wilhelm Marquardt hat in
einer Meditation zum „Versuch” des Christseins die (neuzeitliche)
Theologie eine „Wissenschaft immer neuer, verzweifelter Wertsetzungen”
genannt, die sich in immer neuen „Ansätzen” und „Entwürfen” ausdrücke. Dem
entspricht auf Seiten der Kirche eine atemlose, verzweifelte Suche nach
immer neuen „Ansätzen” und „Entwürfen” zu Gottesdienst, Unterricht,
Gemeindearbeit. Viele Aktivitäten entspringen mehr geheimer Verzweiflung
als befreiender Gewissheit. Vielleicht ist anders Glaube im rasenden Zug
der Zeit auch nicht mehr zu leben. Die draußen scheinen das zu spüren und
bleiben zurückhaltend; die drinnen aber „platzieren sich so weit wie
möglich hinten im Kirchenraum: entfernt von der Quelle des Wortes und des
Sakraments und noch dazu so weit es geht voneinander entfernt". Letztlich
bleibt jeder mit seinen Fragen, Vorbehalten und Zweifeln allein ... Wie
weit ist von ihnen die Gemeinschaft (weg), von der Lukas hier erzählt, wie
tief sind sie an ihr längst offen oder im Geheimen verzweifelt, können sie
nicht glauben, oder gar glaubend ergreifen.“ (Isbert Schultz-Heienbrok, in
GPM 1992, 46/3, S.320)
So schrieb ein Ausleger vor zwölf Jahren; was zunächst einmal Ausweis
dafür ist, dass sich in der Kirche die Dinge so schnell nicht ändern. Gott
sei Dank sagen wir, wenn es um Dinge geht, die wir an der Kirche lieben.
Leider, müssen wir sagen, wenn uns unser Mangel bewusst wird. Das war zu
Lukas Zeiten nicht anders. Als er seine Apostelgeschichte schreibt, ist
auch die Urgemeinde zu Jerusalem Geschichte. Sieh an, könnte man sagen,
schon der urgemeindliche Kommunismus war ein Auslaufmodell. Auch in der
Kirche ist sich eben jeder selbst der Nächste.
Der Seufzer in uns über solche Zustände lässt sich damit kaum zum
Schweigen bringen. Denn eigentlich wäre das anders doch viel schöner. Denn
eigentlich wäre Kirche anders viel schöner, attraktiver. Die Jerusalemer
Gemeinde war eine wachsende Gemeinde und - wir trauen unseren Ohren kaum -
sie fand Wohlwollen beim ganzen Volk. Was Lukas uns vor Augen malt, ist
viel mehr als Erinnerung an eine vermeintlich gute alte Zeit. Dieses Bild
sagt schon der Gemeinde des Lukas: So wie es heute bei euch ist, ist es in
der Kirche nicht immer gewesen. So wie es heute bei euch ist, wird es
nicht immer bleiben. Das ist und bleibt bewusst subversiv. Subversiv gegen
die Bequemlichkeit, die sich mit den bestehenden Verhältnissen arrangiert
und sich mit ihren Defiziten hoffnungslos abfindet. Der Glaube darf
wissen: Es gibt immer eine Alternative.
Lasst uns das Gemälde des Lukas etwas näher betrachten. Am Anfang des
Christenlebens steht die Taufe und mit ihr ein großes Versprechen. Es ist
kein Versprechen, das wir geben. Es ist das Versprechen, das Gott uns
gibt: Siehe ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende. Gott stellt
keine Ansprüche an uns, ohne uns etwas zuzusprechen. Gott erwirbt sich
seine Ansprüche auf unser Leben durch sein Versprechen. Sein Versprechen,
das sich im Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen des Christus für uns
entfaltet.
Deshalb ist an erster Stelle die Apostellehre genannt. Gemeinde ist
Gemeinschaft des Glaubens, der aus der Predigt des Evangeliums kommt.
Gemeinde ist Gemeinschaft des Hörens auf das Evangelium vom
menschenfreundlichen Gott. Eberhard Jüngel in seiner Predigt zur Stelle:
„Gottes Publikationsorgan - das ist die christliche Predigt. Durch die
Predigt macht Gott sich der Welt öffentlich bekannt. Und durch die Predigt
gibt Gott bekannt, dass er öffentliche Ansprüche an die Welt und das Leben
jedes einzelnen Menschen hat. Gottes Ansprüche sind freilich Ansprüche
besonderer Art. Sie sind nicht herrisch und nicht angemaßt, sondern im
Tode Jesu Christi rechtmäßig erworben. Und weil sie im Tode Jesu Christi
erworben sind, deshalb tragen Gottes Ansprüche an die Welt und an einen
jeden darin ein Versprechen in sich. … Gott verspricht öffentlich, die
Geschichte der Welt und die Geschichte eines jeden darin zu einem guten
ewigen Ende zu führen.“ (ders. Predigten I/II, Kaiser, München, 1979,
S.80)
Ist es denn da wirklich verwunderlich, dass Christen über ihr Verhältnis
zueinander und über ihr Verhältnis zu Geld und Besitz neu nachdenken, ja
neu nachdenken müssen? Wem Gott der Nächste geworden ist, der kann sich
selbst nicht länger der Nächste bleiben. Der Glaube wird in der Liebe
tätig. Gemeinde ist nicht Gemeinschaft des Glaubens, ohne Gemeinschaft der
Güter, des Gelds und des Brotes zu werden. Das heißt nicht, dass alle
gleich viel haben sollen. Es heißt, dass alle gleich viel darüber
nachdenken sollen, inwiefern das, was sie an Gütern haben, auch zum Wohle
des Nächsten da ist. Eigentum verpflichtet.
Wer meint, sich die Kirchenmitgliedschaft sparen zu
können, um vielleicht gar um so intensiver an Gott zu glauben, sehe wohl
zu, ob er nicht auch noch das religiöse Mäntelchen um sein hartherziges
und geiziges Ego hängt. Dafür gibt Gott sich nicht her. Auch das darf und
muss gerade um der Freiheit des Glaubens willen öffentlich gepredigt
werden. Deshalb darf ein Pfarrer aus dem Südbayerischen einmal über seine
Gemeindemitglieder schreiben, „die sonntags Hunderttausende vor der Kirche
parken, dann 38,50 € in den Klingelbeutel werfen und wochentags bei Aldi
vorfahren. Einer gierigen und privaten Gesellschaft sollte man Amos nicht
ersparen. Von Synode, Bischof und Landeskirchenrat erwarte ich mir deshalb
in Zukunft nicht nur Sparappelle nach innen, sondern auch ein
prophetisches, zorniges, nach außen gerichtetes Wort zur sozialen
Verantwortung des Reichtums.“ „Reif zum Ende ist mein Volk Israel; ich
will ihm nichts mehr übersehen. Höret dies, die ihr die Armen unterdrückt
und die Elenden im Lande zugrunde richtet“, so sagt es der Prophet Amos in
Kapitel 8. Manchmal fängt ab einem gewissen Reichtum das nächst größere
Elend an.
Das hätte Jesus nicht anders gesehen. Dass wir das Soziale neu denken
müssen, heißt um Gottes Willen nicht, dass wir aufhören dürfen, das
Soziale zu denken. Wenn im kommenden Jahr die Harz 4-Gesetze greifen, und
arbeitslose Menschen in kürzester Zeit in die Armut
stürzen, werden wir sehen, wie weit wir auf diesem Irrweg fortgeschritten
sind. Und da wird es zurecht wie Hohn wirken, wenn Mannesmannvorstände,
die Millionen in die eigene Tasche steckten, siegesbewusst den
Gerichtssaal verlassen, statt das Urteil als das zu begreifen, was es ist:
ein Freispruch dritter Klasse.
Gemeinde ist Gemeinschaft des Brotes, weil sie vom wahren Brot des Lebens
lebt. Um den Abendmahlstisch sind die Getauften versammelt. Das Brot kann
man nur mit offenen Händen nehmen. Sie bleiben offen auch vor der
Kirchentür. Wer am Tisch des Herrn satt wird, muss den Hunger in der Welt,
als eigenen Mangel begreifen. Auch wenn er ihn nicht abschaffen kann, kann
er ihn zusammen mit seinen Glaubensgeschwistern im Gebet vor Gott bringen.
Gemeinde ist Gemeinschaft des Gebets. Und vielleicht ist es ja wirklich
so, dass die, die sich in der Kirche lieber ganz hinten hinsetzen mit
gehörigem Abstand zum Nächsten, dann im Gebet ganz zueinander kommen. Nur
hier finden wir die Ruhe von all den Ansätzen und Entwürfen und der
verzweifelten Suche nach Wegen zum Erhalt der Kirche und Gemeinde. Denn im
Gebet legen wir uns und unsere Sorgen, unsere Freude und unser Leid in die
Hand Gottes. Denn die ist es ja, die unser Leben hält. Die ist es ja, die
Wege in die Zukunft führt. Die ist es ja die Türen öffnet und Alternativen
zeigt. Eine hektische und ängstlich aktionistische Kirche ist eine Kirche,
in der zu wenig gebetet wird. Eine Kirche in der viel gebetet wird, in der
wird auch viel von Gott erwartet. Und der lässt sich bitten.
Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der
Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Wie wäre es denn, wenn man
das auch einmal über uns sagen kann? Schön wär’s!
Aber wirklich!
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
(41)Die nun sein Wort annahmen, ließen sich
taufen.
(42)Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der
Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.
(43)Es kam aber Furcht über alle Seelen, und es geschahen auch viele
Wunder und Zeichen durch die Apostel.
(44)Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten
alle Dinge gemeinsam.
(45)Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je
nachdem es einer nötig hatte.
(46)Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das
Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und
lauterem Herzen
(47)und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber
fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden. |