Liebe Leser,
die Zeit der Machosprüche ist Vergangenheit. Kennen Sie noch den: „Mutti,
ich kann gar nicht sehen, wie du dich abschuftest. Mach doch mal die
Küchentür zu!“ Wer heute in den Zeiten des Postfeminismus solche Sprüche
ablässt, läuft Gefahr mit der Bratpfanne Bekanntschaft zu machen.
Ob die Apostel damals in ähnlicher Gefahr schwebten, wissen wir nicht.
Immerhin lesen wir, dass sich ein Murren erhob in der Gemeinde über die
Benachteiligung der griechischstämmigen Witwen, die vor leeren Tellern
saßen. In der christlichen Gemeinde gilt, dass der Mensch zwar nicht vom
Brot allein lebt, aber ohne Brot eben auch nicht. Und so hat sich die
erste Gemeinde in Jerusalem mit auf den ersten Blick ganz weltlichen
Problemen herumzuschlagen, die sich aber ganz schnell als sehr geistlich
erweisen.
Es gibt zu allen Zeiten Zustände in der christlichen Gemeinde, die sich
als hinderlich für den Dienst am Wort herausstellen, weil sie dem Evangelium
widersprechen. Das Kritisieren und Murren gehört nicht dazu, auch wenn
z.B. unsere Landeskirche sehr um ein harmonisches Bild von Kirche in der
Öffentlichkeit bemüht ist und sich davon Zulauf verspricht. Das ist dann
wie auf diesen Familienfotos, wo alle einträchtig und lächelnd um den
Tisch versammelt sind. Und jeder weiß, dass die aufs Papier gebannte heile
Welt schon in der eigenen Familie eine höchst scheinbare und zerbrechliche
ist. Da wird dann unter dem Tisch getreten.
So soll es in der Kirche nicht sein. Hier dürfen Konflikte offen und auf
Augenhöhe ausgetragen werden. Es ist nicht die Aufgabe christlicher
Gemeinde, die Welt um eine weitere Scheinwelt zu bereichern. Es ist
Zeichen ihrer Wahrhaftigkeit, wenn Probleme nicht unter den Teppich
gekehrt, sondern angesprochen werden. Ich gebe jedem gern zu, dass in der
Kirche nicht die besseren Menschen sitzen. Aber sie haben denen, die
solches immer wieder betonen voraus, dass sie sich von Gott und seinem
Wort ansprechen und helfen lassen.
Es ist ja das Evangelium selbst, dass den Finger in offene Wunden legt und
dafür sorgt, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Hierzu gehört die
Benachteiligung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft,
ihrer Kultur oder ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht. Mit der
Armut der Armen mag sich das Evangelium nicht abfinden. Im Gleichnis von
den Arbeitern im Weinberg (Matthäus 20/1-15) macht Jesus deutlich, dass
die Gerechtigkeit Gottes jedem nicht nur das zukommen lassen will, was er
verdient, sondern das, was er zum Leben braucht. Deshalb ist die Frage der
sozialen Gerechtigkeit für die Christenheit nicht vor allem eine
politische, sondern eine geistliche Angelegenheit. Es gibt Fragen, in
denen Christen nicht anders können, als auf ihren Herrn zu hören.
Deshalb wird auch auf dem Klimagipfel in Johannesburg, der morgen beginnt,
die Frage der globalen Gerechtigkeit eine entscheidende Rolle spielen. Ein
Fünftel der Weltbevölkerung, zu dem auch wir gehören, verbraucht vier
Fünftel der Ressourcen unseres Planeten. Mit welchen Recht? fragen zurecht
diejenigen, die vom Klimawandel noch viel härter als wir betroffen sind
und sein werden, ohne selbst etwas dazu beizutragen. Um auf solche Fragen
eine ehrliche Antwort geben zu können, braucht es einen anderen Geist, als
den unter uns weit verbreiteten. Dazu braucht es den Geist, der in diesen
Fluttagen zum Vorschein kommt und Menschen bereit macht zu helfen, ganz
praktisch oder mit Geld. Die Bibel nennt ihn den Heiligen Geist.
Auch unter den Aposteln in der Gemeinde von Jerusalem ist er am Werk. Sie
halten keine beschwichtigenden Reden, sondern gehen geistesgegenwärtig
daran, Abhilfe zu schaffen. Und manchmal fängt das damit an, Einsicht zu
gewinnen in die eigene Überforderung. Es geht nicht, dass auch in der
Kirche immer mehr Arbeit auf immer weniger Mitarbeiter verteilt wird. „Es
ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort
Gottes vernachlässigen.“ Nichts Halbes und nichts Ganzes. Hauptamtlicher
Dilettantismus kommt dabei heraus und Verhältnisse, die mit dem Evangelium
nicht mehr einig sind.
Also werden sieben aufrechte Männer gewählt und in die Küche geschickt.
Und jetzt haben alle Frauen einmal das Vergnügen, Männern durch die
Küchentür bei der Arbeit zuzusehen. Allerdings gehen die Gewählten nicht
ohne vorherige Ordination mit Gebet und Handauflegung an die Arbeit. Und
wir sehen daran, dass die Bibel auch den Tischdienst für ein geistliches
Amt hält. Denn schließlich dient auch dieser Dienst dem Dienst am Wort.
Und der ist etwas anderes als der Dienst am Kunden.
Es darf bezweifelt werden, dass Leitung in der Kirche gut beraten war,
sich für dieses Zauberwort aus der Wirtschaft zu öffnen und sich mehr und
mehr als Dienstleister für die eigenen Kunden zu begreifen. Dafür soll in
Zukunft der Dekan sein Personal so entwickeln, dass es den Aufgaben und
Bedürfnissen, die die Kirchenleitung festlegt, möglichst gut entspricht.
Ach, der Heilige Geist ist ja ein unsteter Geselle, weht wo er will.
Machen wir ihn arbeitslos!
Das ist kein geistlicher Weg! Wir sehen die Gemeindeversammlung in
Jerusalem vor uns und nehmen wahr, dass der Heilige Geist sich am liebsten
in der Gemeinschaft der Gläubigen artikuliert. An der Basis wird der Weg
gefunden. Die Gemeinde wählt sich ihre Leute. Und sie weiß sich von einem
Leitbild getragen, dem sich alles andere unterordnet. Dieses Leitbild ist
nicht der Dienst am Kunden, sondern der Dienst am Wort. Hier ordnen sich
alle Ämter der Gemeinde vom Küchendienst bis zur Kirchenleitung dienstbar
unter und geistlich zueinander.
Denn am Anfang war das Wort. Und am Ende wird das Wort sein. Durch dieses
Wort wird Gemeinde ins Leben gerufen, als Gemeinschaft versammelt und am
Leben erhalten. Das Evangelium, nicht die Mitgliederkartei, ist der wahre
Schatz der Kirche. „Ob sich hier auch offenbart, dass wir den
Gemeinschaftscharakter der Dienste, die wir im Zuge von Individualisierung
und Professionalisierung verloren haben, wieder neu entdecken und einüben
könnten?“ fragt ein Ausleger. (Manfred Wussow, GPM, Heft 3, 2002, S.384)
Wir unterstreichen das dick. Wir müssen den Gemeinschaftscharakter
kirchlicher Dienste, der durch den gemeinsamen Dienst am Wort gegeben ist,
neu entdecken und einüben.
Neulich fiel mir ein Artikel mit dem Titel „Amtskirche oder
Dienstleistungskirche“ in die Hände. Kennen Sie den Unterschied: In der
Amtskirche rennt der Kunde dem Amtsträger hinterher und in der
Dienstleistungskirche rennt der Amtsträger dem Kunden hinterher. Außer der
Laufrichtung hat sich nichts geändert. Die Hierarchien der Amtsträger wird
durch die Hierarchien der Personalentwickler und Controller ersetzt. Als
Fortschritt kann das kaum bezeichnet werden.
Ein Fortschritt wäre es, wenn Kirchenmitglieder, haupt- und ehrenamtliche
Mitarbeiter in die gleiche Richtung liefen, verbunden im gemeinsamen
Anliegen: dem Dienst am Wort. Das war im alten Jerusalem übrigens sehr
erfolgreich. Das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger
wurde sehr groß in Jerusalem. Und wir sehen daran: Der Dienst am Wort ist
der beste Dienst am Kunden.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
(1)In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger
zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde
gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen
Versorgung.
(2)Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist
nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort
Gottes vernachlässigen.
(3)Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer
Mitte, die einen guten Ruf haben und voll heiligen Geistes und Weisheit
sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst.
(4)Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.
(5)Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus,
einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus
und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus
Antiochia.
(6)Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die
Hände auf sie.
(7)Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde
sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben
gehorsam.
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