Predigt     Apostelgeschichte 6/1-7      13. Sonntag nach Trinitatis    17.08.08

„Wie handelt man, wenn man euch glaubt, was ihr sagt?”
(von Pfr. Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

die meisten von Ihnen kennen sicherlich Johann Wolfgang von Goethes Drama „Faust“. Zu Anfang des ersten Teils von Goethes „Faust” schlägt der immer strebend bemühte Doktor Faust in seiner Studierstube sein Neues Testament auf und versucht, einige Wörter des griechischen Originals in sein „geliebtes Deutsch” zu übertragen. Ich zitiere:
„Geschrieben steht:
Im Anfang war das Wort.
Hier stock' ich schon:
Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
ich muss es anders übersetzen,
wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.”

Er keltert nun die Wörter so lange, bis im Prolog des Johannesevangeliums in ebenso kluger wie verhängnisvoller Korrektheit ein grundfalscher Schluss steht. Ich zitiere erneut:
„Mir hilft der Geist,
auf einmal weiß ich Rat
und schreibe getrost:
Im Anfang war die Tat.”

Noch mehr als der gelehrte Doktor Faust freut sich der Hund, der zu seinen Füßen wohlig knurrt, über das Ergebnis, das Wort und Tat zu unversöhnlichen Gegensätzen macht. Des „Pudels Kern” ist, wie wir bald darauf erfahren, kein Geringerer als der Teufel selbst und der aufgerissene Graben zwischen Wort und Tat, zwischen Tun und Denken eines der schwerwiegenden Probleme der Neuzeit.

Wo Wort und Tat sich nicht mehr durchdringen, wo eines am andern nicht mehr ablesbar wird, zerfällt nicht nur der innere Zusammenhang beider, sondern auch jede Glaubwürdigkeit. Das ist nichts Neues. Es war auch die Ursache, die in der Urgemeinde ernste Unstimmigkeiten zur Folge hatte. Die Jerusalemer Gemeinde wuchs durch Zuwanderer aus dem griechischen Sprachraum. Sie musste sich nicht nur ungewohnten Gebräuchen und Umgangsformen, sondern auch alltäglichen Verständigungsschwierigkeiten stellen. Sagen wir also: Es fremdelte beträchtlich.

Die Liebesgemeinschaft der Urgemeinde, die Lukas in der Apostelgeschichte beschreibt, geriet in eine gründliche Krise. Ausgerechnet die Ärmsten der Armen, die Witwen, waren bei der täglichen Versorgung übersehen worden. Allein von guten Worten lebt der Mensch aber nun einmal ebenso wenig wie nur vom Brot, und so kam zu Recht ein Murren auf. Ihr lebt nicht, was ihr predigt, würde man heute sagen.
Die zwölfköpfige Leitung der Gemeinde ging den Beschwerden sofort nach und suchte – heute würde man sagen: in einer Vollversammlung die offene Aussprache. Die Mängel konnten abgestellt werden. Aus der Reihe der Zuwanderer wurden sieben Männer gewählt, die nicht nur über einen guten Ruf, sondern auch über Geisteskraft und Weisheit verfügten, um eine gerechte Verteilung zu garantieren und die tiefe Kluft zwischen Wort und Tat zu überbrücken.

Übersehen werden ist bitter. Das weiß ein jeder von uns. Und so ist die Geschichte des Lukas aus der Urgemeinde keine erbauliche Anekdote, sondern stellt uns in Frage: Haben wir den damals Vergessenen in unseren Gemeinden nicht Unzählige hinzugesellt? Gerade dann, wenn wir wieder einmal „in eigener Sache” tätig waren, wenn wir mit Reformen unserer hausgemachten Probleme, mit den Luxusleiden der Institution Kirche oder einfach nur mit uns selbst befasst waren? Haben wir dabei nicht im wahrsten Sinne aus den Augen verloren, was Jesus uns in seinem Leben immer wieder so eindrücklich ans Herz legte?

Ich meine nicht nur die Witwen, wie damals in Jerusalem. Ich rede von den so vielfach Erniedrigten heute: von denen, die durch die Maschen des Sozialnetzes gefallen sind, von den Kranken, nach denen niemand mehr fragt, von den Hungrigen, die abgespeist werden, von den Alten, die in unsere Altenheime häufig nur abgeschoben werden, von den Zuwanderern, denen keine Zuwendung zuteil wird und von den Jugendlichen, die sich in ihren Fragen nicht ernst genommen fühlen.

Wie viel Vertrauen wird zerstört, wie viel geistliche und menschliche Substanz geht für immer verloren, wenn Menschen enttäuscht erkennen müssen, dass wir uns selbst nicht beim Wort nehmen. Nein! Wir müssen nicht jeden Misstand verantworten. Aber die Verantwortung für den einzelnen Menschen vor unserer Haustür, in unserer Nachbarschaft, in unseren Familien, die nimmt uns niemand ab. d

Gerade das veränderte soziale Klima der letzten Jahre in Deutschland zeigt in aller Deutlichkeit, dass viel zu viele viel zu schnell bereit sind, die Hilfsbedürftigen an den Rändern nicht nur zu übersehen, sondern kalt über sie hinwegzugehen. Was von ihnen bleibt, ist dann nur noch eine Frage der Statistik. Der Evangelist Lukas sagt uns: Unsere Glaubwürdigkeit als Kirche, unsere Glaubwürdigkeit auch als einzelner Christ entscheidet sich nicht an unseren Erfolgen, unserem Wachstum, unseren Stärken. Wir werden vielmehr daran gemessen, ob uns das Wort wirklich auf den Weg bringt zu den Ausgegrenzten, den Übersehenen, den Sorgenkindern des Evangeliums, die ihren Platz am Herzen Gottes haben.

Der Dichter Bert Brecht misst Glaubwürdigkeit an ihren Konsequenzen. Ich zitiere: „Immer wieder vor allem andern: Wie handelt man, wenn man euch glaubt, was ihr sagt?” so fragt er. Unter uns darf sich, liebe Brüder und Schwestern in Christus, nicht tausendfach wiederholen, was damals in Jerusalem geschah. Der Text fragt uns als Kirche, als „Gemeinschaft der Heiligen“, aber auch jeden einzelnen Christen, ob bei uns Wort und Tat deckungsgleich sind. Und wie es uns und einem jeden gelingt, Gottes Wort in die Tat umzusetzen.

Aber auch die andere Seite der Frage bleibt uns nicht erspart: Wir haben beeindruckende Sozialprogramme. Unsere diakonischen Ämter und Werke sind flächendeckend, gerade hier in Oberfranken. Aus großen und durchaus konkurrenzfähigen Einrichtungen werden kleine, effektive Stationen vor Ort gespeist. Und während wir im Gefolge von Wichern und Bodelschwingh sogar ein wenig Stolz empfinden bei dem Gedanken, gut mit ihrem Pfund gewuchert zu haben, übersehen wir ganz schnell die Kehrseite unserer gigantischen Betriebsamkeit:

Dass nämlich selbst in unseren christlichen Einrichtungen Schwestern und Pfleger aufgrund eines „kostendeckenden Personalschlüssels” sehr oft keine Zeit mehr haben für ein paar ungestörte Minuten Gehör, für das Vorlesen eines Kalenderblattes oder gar für ein entlastendes Vaterunser am Bett eines Verzweifelten. Dass selbst in unseren christlichen Einrichtungen ein menschenfreundlicher Umgang mitunter abhanden gekommen ist. Das stellt uns ein bedenkliches Zeugnis aus.

So werden wir heute von der Heiligen Schrift nicht nur gefragt, ob wir die Geringsten übersehen, sondern auch, ob wir das Wort überhört haben, das uns anvertraut und ihnen zugedacht ist. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der postmodernen Großwetterlage, die uns einen kalten globalen Wind ins Gesicht schickt, ein ernstes Problem.

Noch aus seiner Gefängniszelle in Tegel hat Dietrich Bonhoeffer 1944 vor dem bedrohlichen Verlust des gesunden Gleichgewichts von Wort und Tat gewarnt. Ein solcher Verlust macht eine Kirche trotz allen organisatorischem Geschick am Ende so stumm wie tatenlos. Zitat Bonhoeffer: „Unsere Kirche, die in diesen Jahren nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat, als wäre sie ein Selbstzweck, ist unfähig, Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein.”

Die Kirche verliert ihre Mitte, wenn sie sich im sozialen Engagement verströmt. Aber sie verliert ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie über fromme Worte nicht hinauskommt!
„Täter des Wortes” zu sein fordert uns der Verfasser des Jakobusbriefes (1,22) auf, nicht nur Hörer. Als helfende Gemeinde predigen wir mit unseren Taten. Und als predigende Gemeinde helfen wir mit dem Wort. Gesund ist Kirche und Gemeinde nur dort, wo, wie Luther es formulierte, „einer dem anderen ein Christus ist”. Denn Christus selbst begegnet uns in der „Randerscheinung”, die er uns vor die Füße legt. Wenn wir ihn im Blick behalten, dann kommen gleichsam automatisch unsere hilfsbedürftigen Schwestern und Brüder in den Blick. Und dann verschenken wir mit der Hilfe, die wir – in Wort und Tat - dem Erniedrigten, dem Kranken, dem Hungrigen, dem Alten, dem Zuwanderer und dem fragenden Jugendlichen zukommen lassen, nicht nur Zeit, sondern Ewigkeit.

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

1 In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.
2 Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen.
3 Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst.
4 Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.

5 Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia.
6 Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie.
7 Und das Wort Gottes breitete sich aus und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.

 


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