Liebe Leser,
Philippus wird in die Wüste geschickt, auf einen beschwerlichen Weg.
Was wird er sich dabei gedacht haben? Ob dieser Auftrag wirklich von
Gott kam? Der weidet die Seinen doch wie der gute Hirte auf saftigen
grünen Auen, wie der Psalm 23 sagt. Und dann gibt es doch genug zu
tun in Jerusalem, dort, wo sich das Leben abspielt. Was soll
Philippus in der Wüste? Was will Gott mit ihm in der Wüste? Das ist
doch kein Platz für Philippus.
Vielleicht kennen wir ähnliche Situationen. Wir werden in die Wüste
geschickt. In ein Krankenhaus vielleicht, wo wir liegen müssen mit
dem Gedanken: Was soll ich da. Das ist verlorene Zeit. Oder wir
müssen in eine fremde Stadt, wo niemand uns kennt. Wo man nicht auf
einen Plausch beim Nachbarn vorbeischauen kann. Oder denken wir an
die Einsamkeit nach dem Tod eines Angehörigen, wenn das gewohnte
Leben mit der Entdeckung, dass der andere nicht mehr da ist, immer
wieder schmerzlich zusammenbricht. Wüste ist wirklich ein treffender
Vergleich für solche Lebenssituationen.
Verlorene Zeit, wird Philippus gedacht haben. Am Ende der Geschichte
denkt er freilich anders. Am Ende einer solchen Wüstenzeit denkt
mancher von uns freilich anders: Da, eben da in der Wüste war mein
Platz; da wollte Gott mich hinhaben. Dort ist etwas Wichtiges für
mein Leben und für das Leben anderer entstanden. Es lohnt sich, auch
in solchen Wüstenzeiten gespannt zu sein auf das, was Gott daraus
macht. Der Engel des Herrn war immer dabei.
Aber so weit sind wir noch nicht. Erst einmal muss die Reise in die
Wüste angetreten werden, mit allen Zweifeln und Unmut vielleicht.
Philippus stand auf und ging hin. Und dabei ist er gar nicht so
allein, wie der glaubt. In der Wüste ist noch einer unterwegs. Der
ist Kämmerer, ein hoher Beamter der Königin von Äthiopien, ein
Schwarzer und ein Eunuch dazu. Dieser Kämmerer ist auf der Heimreise
von Jerusalem.
Was er da wollte? Im Unterschied zu seinen Landsleuten hielt dieser
schwarze Mann nichts von Vielgötterei. Er glaubte an den einen Gott,
wie ihn die Bibel der Juden – als einzige in der Völkerwelt –
verkündigte. Das hat ihn nicht mehr losgelassen. Und so war er
vielleicht schon zum wiederholten Mal in Jerusalem. Aber wenn
überhaupt, dann kam er höchstens in den Vorhof des Tempels. Ein Jude
konnte er nicht werden. Er war und er blieb draußen. Das war sein
Schicksal. Er kam von Jerusalem, wo er ein Fremder war, obwohl dort
der Glaube lebte, in dem er sich zuhause fühlte. Und nun fuhr er
nach Hause, wo ein Glaube lebte, der ihm fremd war. Er war nirgends
so richtig zuhause und überall auf die eine oder andere Weise ein
Fremder.
Immerhin hatte er seine Bibel. War es also doch zu etwas gut, dass
er ein hoher Beamter geworden war und gutes Geld verdiente. Er hatte
lesen gelernt und konnte sich eine Reise nach Jerusalem leisten und
seine Bibel. Die Schriftrollen hatten ein kleines Vermögen gekostet.
Alles war mit der Hand geschrieben, womit auch sonst? Aber mit Geld
kann man fast alles kaufen, sogar eine Bibel für einen schwarzen
Eunuchen. So saß er auf dem Wagen, fuhr nach Hause und las den
Propheten Jesaja schön laut. Denn im Orient wird, wenn überhaupt,
laut gelesen.
Der Heilige Geist hatte daher keine Schwierigkeiten, den Philippus
an die richtige Adresse zu schicken. Schon aus einiger Entfernung
waren die Worte des Propheten zu hören. Da lief Philippus hin. Der
Wagen fuhr gerade so schnell, dass man bequem nebenher laufen
konnte. Damals ist man noch nicht gerast, sondern gereist. Die Reise
war zwar manchmal beschwerlich, aber für sich genommen ein Erlebnis.
Und Philippus lief neben her und hörte zu.
Das gefällt mir: Dass der große Missionar Philippus sich trotz
seines vollen Terminkalenders Zeit nimmt. Dass Kirchengeschichte
nicht nur auf den großen Versammlungen, den christlichen Events, den
Konzilien, den Synoden geschrieben wird, sondern dort in der Wüste,
wo sich zwei Fremde begegnen. Schön, dass Philippus sich nicht zu
schade ist, nebenher zu laufen und zuzuhören. Dass er nicht gleich
sein Bekehrungstraktat aus der Tasche zieht, und seine Lieblingsrede
anfängt, die er für unwiderstehlich hält. Schön dass Philippus
nicht, wie so mancher Prediger, seiner Gemeinde Antworten austeilt
auf gar nicht gestellte Fragen. Philippus hört zu.
Und dann gestattet er sich eine Frage. Eine Frage, die es in sich
hat. Wer sie stellt, muss schon eine Weile nebenhergegangen sein.
Dazu muss man sich schon ein wenig beschnuppert haben: „Verstehst Du
auch, was du liest?“
Philippus bekommt eine ehrliche Antwort: Wie kann ich, wenn mich
niemand anleitet. In unseren Bibelkreisen würde sich mancher Junge
oder Alte lieber die Zunge abbeißen, bevor eine solche Wahrheit über
seine Lippen kommt. Dort können oft nur fromme Bescheidwisser was
werden. So hält sich jeder auf der Höhe seines kleinen Anfangs in
Fragen des Glaubens. „Der Abstand zwischen Gott und dem menschlichen
Verstand ist so gewaltig, dass nur eine kindliche Theologie nicht
kindisch ist“ (Nicolas Gomez Davila). Kindlich ist es zu fragen.
Kindisch ist die Überzeugung, solches Fragen nicht mehr nötig zu
haben.
Philippus wartet, bis er gefragt wird, bis er auf dem Wagen des
Kämmerers Platz nehmen darf. Von wem redet Jesaja, fragt der
Kämmerer. Dann aber tat Philippus seinen Mund auf und predigte ihm
das Evangelium von Jesus, dem Christus. Und er fing an mit dem Wort,
das der Kämmerer gelesen hatte und kam dann vom Alten bis zum Neuen
Testament. Und alles mit seinen eigenen, des Philippus Worten.
Wenn man so gefragt wird, wie Philippus, darf’s schon etwas mehr
sein als ein frommer Spruch oder die Slogans der kirchlichen
Kommunikationsinitiative. Dann muss es aber auch nicht mehr sein als
die eigenen Worte; nicht das ach so gute Buch von dem großen
Theologen so und so, das man zu zwei Drittel gelesen und zu einem
Drittel verstanden hat. Hier dürfen es die eigenen Worte sein, das,
was man vom Evangelium für das eigene Leben verstanden hat, nicht
niet- und nagelfest, ein Zeugnis des Glaubens eben, nicht mehr und
nicht weniger. Und so zogen sie immer der Straße lang durch die
Wüste; zwei Weggefährten im Gespräch vertieft: Gemeinschaft der
Heiligen.
Und am Ende dieser Geschichte steht eine Taufe. Wieder ist es nicht
der Geistliche, der auf diese Idee kommt, sondern der Fremde.
Spricht was dagegen, dass ich mich taufen lasse? Und Philippus hat
nichts dagegen. So wird der Kämmerer getauft, mitten in der Wüste in
einem Wadi, in dem noch Wasser vom letzten großen Regen fließt.
Spätere Bibelschreiber haben an dieser Taufe schon ein wenig Anstoß
genommen. Sie haben deshalb noch einen Vers eingefügt, in dem der
Kämmerer wenigsten ein kleines Glaubensbekenntnis aufsagt. Die
kirchliche Taufagende hat überall zu gelten, auch in der Wüste.
Aber daran ist die Geschichte nun wirklich nicht interessiert.
Philippus kehrt auf wundersame Weise aus der Wüste zurück. Auch in
der Wüste hält Gott wichtige Erfahrung bereit. Auch dort ist seine
Botschaft mächtig. Wer von uns durch Wüsten geht, braucht dort keine
Zeit zu verlieren, sondern darf Gotteserfahrung machen.
Und der Kämmerer zieht fröhlich seine Straße; der schwarze Mann, der
überall auf die eine oder andere Weise ein Fremder war. Jetzt weiß
er, dass er zuhause sein darf, wohin sein Weg ihn auch führt. Jetzt
weiß er, dass der Gott, an den er glaubt, ihn aufgenommen hat in
seine Geschichte. Er gehört dazu.
Und wir dürfen uns mit dieser Geschichte an unsere Taufe erinnern.
Wir dürfen uns daran erinnern, dass Gott auch mit jedem von uns eine
Geschichte hat, wie mit dem Kämmerer aus dem Mohrenland. Wir dürfen
zu ihm gehören und bei ihm in jeder Fremde zuhause sein. Deshalb
bitten wir, dass sein Frieden, der höher ist als alle Vernunft,
unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus bewahrt. Damit auch wir
fröhlich unsere Straße ziehen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
26 Aber der Engel des Herrn redete zu
Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße,
die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist.
27 Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien,
ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von
Äthiopien, welcher ihren ganzen Schatz verwaltete, der war nach
Jerusalem gekommen, um anzubeten.
28 Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den
Propheten Jesaja.
29 Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu
diesem Wagen!
30 Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja
las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest?
31 Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?
Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.
32 Der Inhalt aber der Schrift, die er las, war dieser (Jesaja
53,7-8): »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie
ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund
nicht auf.
33 In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann
seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde
weggenommen.«
34 Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte
dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand
anderem?
35 Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der
Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus.
36 Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser.
Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass
ich mich taufen lasse?
37 Philippus aber sprach: Wenn du von ganzem Herzen glaubst, so
kann es geschehen. Er aber antwortete und sprach: Ich glaube, dass
Jesus Christus Gottes Sohn ist. *
38 Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser
hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn.
39 Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist
des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog
aber seine Straße fröhlich.
* Der Vers wurde im Laufe der
Überlieferung erst spät hinzugefügt.
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