Liebe Leser,
das ist Hollywood!
Spektakulär! Saulus ist kein kleiner Fiesling.
Er schnaubt mit Drohen und Morden. Er wird
drachenhaft gezeichnet. Als einer von denen, bei denen man das Gefühl
hat, das Grauen betritt das Zimmer, selbst wenn sie ihre Mütze mit dem
Totenkopf bereits abgenommen haben.
Spektakulär auch die weitere Inszenierung: Der
Himmel tut sich auf. Ein Licht vom Himmel, das
Paulus vom Pferd fegt. Bilder von einem blitzeschleudernden Gott kommen
mir in den Sinn. Paulus liegt am Boden, vom hohen
Ross gestürzt, krümmt sich vielleicht. Er ist blind. Er trinkt und isst
nicht.
Spektakulär auch seine Heilung. Hananias legt im die Hand auf - und
alles wird gut. Der Heilige Geist dringt in Paulus ein. Ihm fällt es wie
Schuppen von den Augen. Er steht auf und wird zum
größten Missionar aller Zeiten. Spektakuläre
Bilder, rasante Kameraführung und man möchte fast sagen:
Knallharte Action, losgelöst von aller hemmenden Wirklichkeit.
Die Bibel erzählt von Tod und Leben, von Krieg und Frieden, von Mord und
Versöhnung, von Gnade, Auferstehung, Lebenswenden, der Geschichte ganzer
Völker, ja der ganzen Welt. Die Hauptrollen spielen Gestalten wie Mose,
Abraham oder auch Paulus, die scheinbar in völlig anderen menschlichen
Kategorien spielen als wir. Sie wirken faszinierend aber doch recht weit
von uns entfernt.
Und es fällt oft schwer, unser kleines Leben in diese Geschichte
hineinzubuchstabieren. Wer von uns ist denn schon ein Paulus, den Jesus
Christus höchstpersönlich vom Pferd fegt und ihn zum größten Missionar
der Kirchengeschichte macht? Die großen Gestalten
der Bibel wirken sehr plastisch, faszinierend, aber doch irgendwie fremd
und weit von uns und unserem Leben entfernt. Ich denke, es liegt daran,
wie die Bibel erzählt.
Sie erzählt oft spektakulär. Sie tut das, um zu verdeutlichen, was sie
zu sagen hat. Spektakulär ist die Geschichte des
Paulus. Aber was will sie verdeutlichen?
Heute ist der Sonntag der Blinden, die sehen lernen.
Die Macher unserer Predigtordnung haben für diesen Sonntag sechs
verschiedene Blindentexte zusammengetragen. Und immer geht es nicht um
die Blindheit, um die sich ein Augenarzt kümmert. Es geht im Gegenteil
um die Blindheit des Herzens.
Dass Paulus´ Augen in der Begegnung mit Jesus Christus blind wurden,
zeigt uns, wie blind sein Herz schon die ganze Zeit über war.
Paulus werden die Augen weggenommen, damit er mit dem Herzen
sehen lernt. Mit dem Herzen, das ihn zum Menschen macht. In dieses Herz
hat Gott seinen Geist gehaucht. Wie er es bei allen Menschen seit Beginn
der Schöpfung getan hat. Unser Herz lebt aus Gottes Geist.
Aber wie blind Paulus auf den Augen seines Herzens war, zeigt sich
darin, dass er seinen Schöpfer sogar fragen muss:
Wer bist du? Zur Antwort
bekommt er: Ich bin der, den du verfolgst.
Schreckliche Momente der Dunkelheit, wenn wir uns selbst so fremd
geworden sind, dass sich unser Herz plötzlich wieder zu Wort meldet und
wir es fragen müssen: Wer bist du? Und es uns
antwortet: Ich bin der, den du verfolgst. Es ist
mühsam, langsam wieder zu sich zu kommen, wenn man sich selbst so fremd
geworden ist. Wenn man keine Ahnung hat, was man tun soll, weil das
eigene Herz einen als Fremden anspricht. Es braucht Zeit.
Hier taucht die zweite Schwierigkeit mit biblischen Texten auf: Sie
erzählen unheimlich dicht: Sozusagen im Zeitraffer. Sie lassen einem
kaum Zeit, menschlich mitzukommen.
9,18 Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde
wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen
9,19 und nahm Speise zu sich und stärkte sich.
9,20 Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus. Und
alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn
sei.
Es braucht Zeit, wieder zu sich zu kommen. Aber entgegen unserer
Erfahrung lernt Paulus scheinbar innerhalb eines Tages wieder sehen.
Sowohl mit dem Herzen, als auch mit den Augen.
Und kurz darauf kann er auch schon alles in Worte fassen und an andere
weitergeben. Über wen von uns ist Gottes Geist so
gekommen? Wie kann man sich das menschlich überhaupt vorstellen. Der
Mann ist mit einem Mal völlig verwandelt. Wie kann man menschlich mit so
was überhaupt klarkommen und dann noch in so kurzer Zeit?
Ich habe mir einen kleinen Trick zurechtgelegt, um biblische Geschichten
besser verstehen zu können: Zwischen jeden zweiten Satz füge ich ein:
Und es vergingen Monate und Jahre. Dass ich damit nicht ganz Unrecht
habe, zeigt gerade die Geschichte von der Berufung des Paulus.
Ein rasendes Tempo. Paulus selbst aber schreibt in seinen Briefen, er
sei nach dem Erlebnis von Damaskus ganze drei Jahre in der Arabischen
Wüste gewesen. Nach drei Jahren erst macht er seinen Antrittsbesuch bei
Petrus in Jerusalem. Erst dann beginnt er mit dem Mission. Es könnte
also gut sein, dass er erst einmal drei Jahre verschwand, bis ihm klar
wurde, was da vor Damaskus mit ihm passiert war.
Wie auch immer: Er brauchte jedenfalls drei Jahre dafür, was die
Apostelgeschichte mit dem Wort „alsbald“ abhandelt:
„Und alsbald, nach drei langen Jahren in der Arabischen Wüste,
predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei.“
Alsbald dauert drei Jahre. Dieser Paulus ist mir
näher. Und auch Mose, Abraham und all die anderen Großen kommen mir
näher, wenn ich das Spektakuläre ihrer Geschichten als Verdeutlichung
lese und den Zeitraffer durch ein paar Jahre menschliches Ringen
strecke.
Ich will damit nicht sagen, wie Sie sich Paulus richtig vorstellen
müssen. Vielleicht ging ja auch wirklich alles so schnell wie es die
Apostelgeschichte beschreibt. Und auch heute gib
es ja Menschen, die solch rasante Lebenswenden erleben.
Für alle aber, für die Rasanten und die Langsamen, gilt es,
lebenslang in die Bibel, in Gottes Wort hineinzuwachsen wie in ein Dorf.
Jedes Dorf hat seine eigene Geschichte, die anders läuft als die große
Weltgeschichte. Die Dorfgeschichten werden in einem Wortschatz von kaum
mehr als sechshundert Wörtern erzählt. Sie leben davon, dass man alle
Teile der Geschichte gut kennt, dass sie zur eigenen Geschichte geworden
sind. Wer einmal,
sozusagen als Zugereister, in einem Dorf gelebt
hat, weiß, dass man ein Dorf nicht verstehen kann, dass nicht irgendwann
einmal der Groschen fällt und dann läuft es. Nein: Ein Dorf will erlebt
sein, lebenslang. Wer auf einem Dorf aufgewachsen
ist und dann einige Jahre weg war, braucht Zeit, bis er wieder Teil des
Gewebes dieser Dorfgeschichten wird.
Biblische Geschichten sind wie Dorfgeschichten. Man muss sie alle
kennen, sie müssen zur eigenen Geschichte geworden sein, bis man sie
versteht.
Ich will die Bibel erleben wie ein Dorf, damit ich einheimisch werde in
ihr. Und ich möchte mich, Sie, dazu bewegen, lebenslang in diesem Dorf
zu leben, ihre eigene Geschichte hineinzubuchstabieren in die Geschichte
Gottes mit seinem Volk. Damit Sie Teil dieses Volkes werden und bleiben.
Damit Sie Abraham, Mose, David und Paulus in sich selbst entdecken, und
sie in Ihnen zu leben beginnen ...
Vikar Michael Krauß (Hospitalkirche
Hof) |
Text:
9,1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und
Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester
9,2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er
Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände,
gefesselt nach
Jerusalem führe.
9,3 Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam,
umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel;
9,4 und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm:
Saul, Saul, was verfolgst du mich?
9,5 Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du
verfolgst.
9,6 Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun
sollst.
9,7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da;
denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden.
9,8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen
aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten
ihn nach Damaskus;
9,9 und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.
9,10 Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien
der Herr und sprach: Hananias! Und er sprach: Hier bin ich, Herr.
9,11 Der Herr sprach zu ihm: Steh auf und geh in die Straße, die die
Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen
Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet
9,12 und hat in einer Erscheinung einen Mann gesehen mit Namen Hananias,
der zu ihm hereinkam und die Hand auf ihn legte, damit er wieder sehend
werde.
9,13 Hananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen gehört über
diesen Mann, wie viel Böses er deinen Heiligen in
Jerusalem angetan hat;
9,14 und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle gefangen zu
nehmen, die deinen Namen anrufen.
9,15 Doch der Herr sprach zu ihm: Geh nur hin; denn dieser ist mein
auserwähltes Werkzeug, dass er meinen Namen trage vor Heiden und vor
Könige und vor das Volk Israel.
9,16 Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens
willen.
9,17 Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf
ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus,
der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und
mit dem heiligen Geist erfüllt
werdest.
9,18 Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde
wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen
9,19 und nahm Speise zu sich und stärkte sich.
9,20 Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus. Und
alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn
sei.
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