Predigt    Apostelgeschichte 9/1-9 (10-20)    12. Sonntag nach Trinitatis    29.08.04

"Hollywood- und Dorfgeschichten"
(von Vikar Michael Krauß, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

das ist Hollywood! Spektakulär! Saulus ist kein kleiner Fiesling. Er schnaubt mit Drohen und Morden. Er wird drachenhaft gezeichnet. Als einer von denen, bei denen man das Gefühl hat, das Grauen betritt das Zimmer, selbst wenn sie ihre Mütze mit dem Totenkopf bereits abgenommen haben.

Spektakulär auch die weitere Inszenierung: Der Himmel tut sich auf. Ein Licht vom Himmel, das Paulus vom Pferd fegt. Bilder von einem blitzeschleudernden Gott kommen mir in den Sinn. Paulus liegt am Boden, vom hohen Ross gestürzt, krümmt sich vielleicht. Er ist blind. Er trinkt und isst nicht.

Spektakulär auch seine Heilung. Hananias legt im die Hand auf - und alles wird gut. Der Heilige Geist dringt in Paulus ein. Ihm fällt es wie Schuppen von den Augen. Er steht auf und wird zum größten Missionar aller Zeiten. Spektakuläre Bilder, rasante Kameraführung und man möchte fast sagen: Knallharte Action, losgelöst von aller hemmenden Wirklichkeit.

Die Bibel erzählt von Tod und Leben, von Krieg und Frieden, von Mord und Versöhnung, von Gnade, Auferstehung, Lebenswenden, der Geschichte ganzer Völker, ja der ganzen Welt. Die Hauptrollen spielen Gestalten wie Mose, Abraham oder auch Paulus, die scheinbar in völlig anderen menschlichen Kategorien spielen als wir. Sie wirken faszinierend aber doch recht weit von uns entfernt.

Und es fällt oft schwer, unser kleines Leben in diese Geschichte hineinzubuchstabieren. Wer von uns ist denn schon ein Paulus, den Jesus Christus höchstpersönlich vom Pferd fegt und ihn zum größten Missionar der Kirchengeschichte macht? Die großen Gestalten der Bibel wirken sehr plastisch, faszinierend, aber doch irgendwie fremd und weit von uns und unserem Leben entfernt. Ich denke, es liegt daran, wie die Bibel erzählt.

Sie erzählt oft spektakulär. Sie tut das, um zu verdeutlichen, was sie zu sagen hat. Spektakulär ist die Geschichte des Paulus. Aber was will sie verdeutlichen?

Heute ist der Sonntag der Blinden, die sehen lernen. Die Macher unserer Predigtordnung haben für diesen Sonntag sechs verschiedene Blindentexte zusammengetragen. Und immer geht es nicht um die Blindheit, um die sich ein Augenarzt kümmert. Es geht im Gegenteil um die Blindheit des Herzens.

Dass Paulus´ Augen in der Begegnung mit Jesus Christus blind wurden, zeigt uns, wie blind sein Herz schon die ganze Zeit über war. Paulus werden die Augen weggenommen, damit er mit dem Herzen sehen lernt. Mit dem Herzen, das ihn zum Menschen macht. In dieses Herz hat Gott seinen Geist gehaucht. Wie er es bei allen Menschen seit Beginn der Schöpfung getan hat. Unser Herz lebt aus Gottes Geist.

Aber wie blind Paulus auf den Augen seines Herzens war, zeigt sich darin, dass er seinen Schöpfer sogar fragen muss: Wer bist du? Zur Antwort bekommt er: Ich bin der, den du verfolgst.

Schreckliche Momente der Dunkelheit, wenn wir uns selbst so fremd geworden sind, dass sich unser Herz plötzlich wieder zu Wort meldet und wir es fragen müssen: Wer bist du? Und es uns antwortet: Ich bin der, den du verfolgst. Es ist mühsam, langsam wieder zu sich zu kommen, wenn man sich selbst so fremd geworden ist. Wenn man keine Ahnung hat, was man tun soll, weil das eigene Herz einen als Fremden anspricht. Es braucht Zeit.

Hier taucht die zweite Schwierigkeit mit biblischen Texten auf: Sie erzählen unheimlich dicht: Sozusagen im Zeitraffer. Sie lassen einem kaum Zeit, menschlich mitzukommen.

9,18 Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen
9,19 und nahm Speise zu sich und stärkte sich.
9,20 Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus. Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei.

Es braucht Zeit, wieder zu sich zu kommen. Aber entgegen unserer Erfahrung lernt Paulus scheinbar innerhalb eines Tages wieder sehen. Sowohl mit dem Herzen, als auch mit den Augen. Und kurz darauf kann er auch schon alles in Worte fassen und an andere weitergeben. Über wen von uns ist Gottes Geist so gekommen? Wie kann man sich das menschlich überhaupt vorstellen. Der Mann ist mit einem Mal völlig verwandelt. Wie kann man menschlich mit so was überhaupt klarkommen und dann noch in so kurzer Zeit?

Ich habe mir einen kleinen Trick zurechtgelegt, um biblische Geschichten besser verstehen zu können: Zwischen jeden zweiten Satz füge ich ein: Und es vergingen Monate und Jahre. Dass ich damit nicht ganz Unrecht habe, zeigt gerade die Geschichte von der Berufung des Paulus.

Ein rasendes Tempo. Paulus selbst aber schreibt in seinen Briefen, er sei nach dem Erlebnis von Damaskus ganze drei Jahre in der Arabischen Wüste gewesen. Nach drei Jahren erst macht er seinen Antrittsbesuch bei Petrus in Jerusalem. Erst dann beginnt er mit dem Mission. Es könnte also gut sein, dass er erst einmal drei Jahre verschwand, bis ihm klar wurde, was da vor Damaskus mit ihm passiert war. Wie auch immer: Er brauchte jedenfalls drei Jahre dafür, was die Apostelgeschichte mit dem Wort „alsbald“ abhandelt: „Und alsbald, nach drei langen Jahren in der Arabischen Wüste, predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei.“

Alsbald dauert drei Jahre. Dieser Paulus ist mir näher. Und auch Mose, Abraham und all die anderen Großen kommen mir näher, wenn ich das Spektakuläre ihrer Geschichten als Verdeutlichung lese und den Zeitraffer durch ein paar Jahre menschliches Ringen strecke.

Ich will damit nicht sagen, wie Sie sich Paulus richtig vorstellen müssen. Vielleicht ging ja auch wirklich alles so schnell wie es die Apostelgeschichte beschreibt. Und auch heute gib es ja Menschen, die solch rasante Lebenswenden erleben. Für alle aber, für die Rasanten und die Langsamen, gilt es, lebenslang in die Bibel, in Gottes Wort hineinzuwachsen wie in ein Dorf.

Jedes Dorf hat seine eigene Geschichte, die anders läuft als die große Weltgeschichte. Die Dorfgeschichten werden in einem Wortschatz von kaum mehr als sechshundert Wörtern erzählt. Sie leben davon, dass man alle Teile der Geschichte gut kennt, dass sie zur eigenen Geschichte geworden sind. Wer einmal, sozusagen als Zugereister, in einem Dorf gelebt hat, weiß, dass man ein Dorf nicht verstehen kann, dass nicht irgendwann einmal der Groschen fällt und dann läuft es. Nein: Ein Dorf will erlebt sein, lebenslang. Wer auf einem Dorf aufgewachsen ist und dann einige Jahre weg war, braucht Zeit, bis er wieder Teil des Gewebes dieser Dorfgeschichten wird.

Biblische Geschichten sind wie Dorfgeschichten. Man muss sie alle kennen, sie müssen zur eigenen Geschichte geworden sein, bis man sie versteht.

Ich will die Bibel erleben wie ein Dorf, damit ich einheimisch werde in ihr. Und ich möchte mich, Sie, dazu bewegen, lebenslang in diesem Dorf zu leben, ihre eigene Geschichte hineinzubuchstabieren in die Geschichte Gottes mit seinem Volk. Damit Sie Teil dieses Volkes werden und bleiben. Damit Sie Abraham, Mose, David und Paulus in sich selbst entdecken, und sie in Ihnen zu leben beginnen ...

Vikar Michael Krauß    (Hospitalkirche Hof)

Text: 

9,1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester
9,2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach
Jerusalem führe.
9,3 Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel;
9,4 und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich?
9,5 Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst.
9,6 Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.
9,7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden.
9,8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus;
9,9 und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.
9,10 Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien der Herr und sprach: Hananias! Und er sprach: Hier bin ich, Herr.
9,11 Der Herr sprach zu ihm: Steh auf und geh in die Straße, die die Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet
9,12 und hat in einer Erscheinung einen Mann gesehen mit Namen Hananias, der zu ihm hereinkam und die Hand auf ihn legte, damit er wieder sehend werde.
9,13 Hananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen gehört über diesen Mann, wie viel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat;
9,14 und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle gefangen zu nehmen, die deinen Namen anrufen.
9,15 Doch der Herr sprach zu ihm: Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, dass er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel.
9,16 Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen.
9,17 Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem heiligen Geist erfüllt
werdest.
9,18 Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen
9,19 und nahm Speise zu sich und stärkte sich.
9,20 Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus. Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei.
 


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